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Ausgabe:

1969

Spalte:

374

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Asmussen, Hans Christian

Titel/Untertitel:

Epistelpredigten 1969

Rezensent:

Voigt, Gottfried

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Seite 1

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deutlich, daß er seinen „Kirchenbegriff" der Entzauberung durch
die Soziologie zu entziehen gewillt ist.

K. stellt sich bewußt dem gesellschaftlichen Wandel in der DDR
und möchte damit ebenfalls der Entzauberung dienen. Die Bewältigung
der uns aufgegebenen Situation wird ohne Aufgabe bestimmter
Positionen nicht möglich sein. Bei der Markierung dieser
Positionen bleibt K. jedoch sehr zurückhaltend und trotz aller Bejahung
der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR unkonkret.

Die eigentliche Analyse der drei Untersuchungsgemeinden (A:
Großstadt, B: Kleinstadt, C: Dorf im Erzgebirge, jedoch nicht
typisch für die Mehrzahl der Dorfgemeinden) beginnt mit der
Darstellung der historisch-soziologischen Struktur (S. 56ff.). Im
Anschluß daran werden die Kirchenvorstände untersucht, deren
Zusammensetzung Bedeutsames über die soziale Struktur der bestimmenden
Kreise einer Gemeinde aussagt. Je intensiver die
Kirchgemeinde mit dem Leben der Kommunalgemeinde verbunden
lebt, desto stärker spiegelt der Kirchenvorstand die soziale Struktur
der Gesamtbevölkerung wider (vgl. C im Gegensatz zu A).

Sodann untersucht K. den Gottesdienstbesuch, die Amtshandlungen
und die Gemeindekreise (Bibelstunde, Männerwerk, Frauendienst
, Junge Gemeinde) und kommt zu der folgenden Beurteilung
: „Die Landeskirche ist zwar strukturell noch Volkskirche, de
facto aber weit davon entfernt... Die Christen führen ein Diasporadasein
besonderer Art... Aus dieser Situation heraus formen
sich die landeskirchlichen Gemeinden nolens volens zu einer entsprechenden
Art von Freiwilligkeitsgemeinden um ... Evangelisches
Sein in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ist nur
möglich im Verzicht auf jede pseudochristliche Ideologie" (S. 148f.).
Diesen Feststellungen wird man nur zustimmen können.

Unter der Überschrift: .Kirchlicher Zukunftsdienst" (S. 179ff.)
empfiehlt K. den weiteren Ausbau des .Besuchsdienstes" und im
Zusammenhang damit den Abbau patriarchalischer Leitbilder im
Gemeindeaufbau. Wenn das vorgelegte Zahlenmaterial zunächst
den Eindruck eines .Niederganges" vermitteln sollte, bleibt K. doch
nicht bei resignierenden Feststellungen stehen: „,Volkskirche im
Umbruch' - das bedeutet also, daß die Kirche den Geist der urchristlichen
Gemeinde in sich wachrufen möge und in einer gewandelten
Welt froh ihre Botschaft bewahre und bewähre" (S. 182).

Im Interesse dieser zukunftsweisenden Intention des Buches
ergeben sich jedoch einige kritische Anfragen an den Vf.:

1. Umfang und Tragweite des weltumspannenden Prozesses der
.Säkularisation" bleiben weithin unberücksichtigt. In der ökumenischen
Diskussion (van Leeuwen, Cox) wie in der neueren
religionssoziologischen Debatte spielt die Auseinandersetzung mit
diesem Phänomen eine große Rolle. Zukunftsorientierte kirchliche
Arbeit wird sich dieser Herausforderung stellen müssen, wenn sie
nicht von vornherein vergeblich sein soll. Auch im Bereich der
sächsischen Landeskirche ließe sich unschwer das Fortschreiten
des Säkularisierungsprozesses aufzeigen.

2. K.'s .Therapie" bleibt weit hinter dem zurück, was in der
Ökumene unter dem Schlagwort von der „missionarischen Struktur
der Gemeinde" verhandelt wird. Es geht dort ja nicht in erster
Linie um Polemik gegen das „Amt der Kirche", sondern vor allem
um die Entdeckung der neuen „Mündigkeit der Gemeinde". Dieser
trägt der Besuchsdienst im herkömmlichen Sinne noch nicht genügend
Rechnung: er dient vor allem der Entlastung des Pfarrers
und der Festigung der Volkskirche (vgl. S. 1801 Steigende Taufzahlen
auf Grund von Besuchsdienst). Der Aufriß der Untersuchung
zeigt deutlich, daß K. vom Bestand der Volkskirche her
denkt. Im ökumenischen Dialog werden dagegen die Horizonte
zu einer neuen Weltlichkeit des Christen aufgestoßen, die das Evangelium
erst wieder situationsgerecht zur Sprache zu bringen vermöchte
.

3. In diesem Zusammenhang muß auf den undifferenzierten Kirchenbegriff
dieser Arbeit hingewiesen werden. Eine differenzierte
und damit soziologisch relevante Beschreibung des Phänomens
»Kirche" ist unabdingbar, weil sich gewisse Funktionen von Kirchlichkeit
bzw. Christlichkeit nicht ohne weiteres mit den herkömmlichen
Abgrenzungen zur Deckung bringen lassen. Ohne funktionalen
Ansatz wird Kirchensoziologie nicht zu diskutablen Ergebnissen
und auch eine Arbeit über .Volkskirche im Umbruch" nicht
zu überzeugenden Aussagen über den Strukturwandel der Kirche
gelangen.

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4. So läßt K.'s Buch auch hinsichtlich der Methode noch manchen
Wunsch offen:

Während der Lektüre fragt man sich ständig nach den Gesichtspunkten
, die zur Auswahl gerade dieser Gemeinden geführt haben.
Inwiefern sind sie repräsentativ für das kirchliche Leben in der
sächsischen Landeskirche? Oder handelt es sich um eine „Auswahl
aufs Geratewohl"?

In dem Buch finden sich viele wichtige und nachdenkenswerte Bemerkungen
, die jedoch oft den Charakter des Gelegentlichen und
Beiläufigen tragen, ohne daß das Typische klar herausgearbeitet
und die Dynamik des Umbruchs deutlich beschrieben wäre.

Obwohl K. selbst immer wieder auf den induktiven Charakter
seiner Arbeit hinweist und der empirischen Tatsachenforschung
das Wort redet (S. 18 u. ö.), geht er doch bei seiner Untersuchung
von Vorentscheidungen aus, die den Wert seiner Aussagen, die als
Arbeitsergebnisse formuliert sind, beeinträchtigen. Gerade bei kirchensoziologischen
Untersuchungen kann eine saubere wissenschaftliche
Methode gar nicht ernst genug genommen werden. In
dieser Hinsicht läßt der Verf. noch manche Wünsche offen. Dennoch
schulden wir ihm Dank dafür, daß er uns ein neues und
fündiges Arbeitsgebiet gezeigt hat.

Lückendorf Günter K r u s c h e

Asmussen, Hans: Epistelpredigten. Meditationen zu den altkirchlichen
Episteln. Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk [1965],
254 S. 8°. Lw. DM 19,80.

Wir kennen A. als einen eigenwilligen Denker und Kirchen-
mann. Das zeigen auch diese Predigten. Was A. hier vorlegt, paßt
in kein Schema. Haben wir wirklich Predigten vor uns? Der Gemeinde
wäre es wahrscheinlich oft nicht leicht, das hier Gebotene
aufzunehmen. Hier ist mehr theologische Besinnung als Anruf und
Zuspruch. Oder soll man den Vf. beim Wort nehmen: er wolle
doch Meditationen schreiben? Wir sind gewöhnt, bei Meditationen
im engeren Sinne des Wortes, auch bei Predigt-Meditationen (das
meiste, was so genannt wird, müßte anders charakterisiert werden)
etwas anderes dargeboten zu bekommen. Asmussen bietet keine
Textauslegungen, auch keine den ganzen Text durchlaufenden meditativen
Besinnungen, vielmehr greift er aus der Perikope jeweils
ein kurzes Stück heraus, das er nach verschiedenen Seiten hin
bedenkt und beleuchtet. Hier werden also nicht „die" altkirchlichen
Episteln homiletisch behandelt, sondern Ausschnitte, meist
freilich solche von repräsentativer Bedeutung. Auch da, wo man
dem Vf. nicht folgen kann, wird man immer Anregung empfangen.
In knappen Sätzen, schmucklos, herb, werden Hinweise zur Besinnung
gegeben, die eine zünftige Exegese und eine das Ganze
der Perikope aufnehmende Meditation begleiten, vielleicht korrigieren
, auf jeden Fall bereichern können. Man läßt sich vom Vf.
gern ins Gespräch ziehen, auch wo er, vom Text angeregt, Randbemerkungen
bietet. Wir wissen, daß es kein Schimpfwort ist,
wenn man einem nachsagt, daß er theologisch Bemerkenswertes
manchmal dazugibt wie „ein bißchen Zimt zur Speise" .

Leipzig Gottfried Voigt

Schna th, Gerhard: Fantasie für die Welt. Gemeinden in neuer
Gestalt. Stuttgart-Berlin: Kreuz-Verlag (1967). 173 S. 8°. Kart.
DM 12,80.

Im Umschlag innen wird das Buch angekündigt als „die Fortsetzung
von ,Fantasie für Gott". Wenn man das Buch unter dieser
Voraussetzung liest, wird man enttäuscht sein. Es versteht vielmehr
seinen Untertitel „Gemeinden in neuer Gestalt" ganz allgemein
und nicht etwa im Blick auf solche Gemeinden, deren
Gottesdienste in neuer Gestalt in .Fantasie für Gott" vorgestellt
wurden. Lediglich Ottweiler wird in einem Beitrag des dortigen
Gemeindepfarrers Hans Helmut Knipping beschrieben unter der
Uberschrift „Reform durch Information". Aber gerade da erfährt
man, daß der Gottesdienst in neuer Gestalt nur zweimal im Jahre
stattfindet und offenbar das Privileg eines bestimmten jugendlichen
Kreises ist, während die wesentlichsten Impulse vom Sonntagsvormittagsgottesdienst
ausgehen, der als Grundgestalt die lutherische
Messe benützt, allerdings in der Vielfalt der Möglichkeiten,
die zwar vorhanden und sogar zugebilligt sind, von denen aber
sonst kaum schöpferischer Gebrauch gemacht wird: Lektorendienst
, Psalmgebet durch Konfirmanden, gemeinsame moderne

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 5