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Ausgabe:

1969

Spalte:

368-370

Kategorie:

Naturwissenschaft und Theologie

Autor/Hrsg.:

Bröker, Werner

Titel/Untertitel:

Der Sinn von Evolution 1969

Rezensent:

Hummel, Gert

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367 ff^J

„Grundverhältnis des Daseins" (24), als „transzendentaler Lebensgrund
" (23) bezeichnet werden kann. Die Reden bieten im Grunde
„eine Phänomenologie des Bewußtseins schlechthin" (25V Dementsprechend
darf dann auch der Gefühlsbegriff der Reden nicht
auf bestimmte fromme Gefühle eingeengt werden. Vielmehr meint
er „Gefühl schlechthin". Er meint das „unmittelbare Existential-
verhältnis", von dem Schleiermacher später in den Sendschreiben
an Lücke spricht (33).

Im weiteren versucht der Verf. dann, die so verstandene Religiosität
positiv zu bestimmen. In Abschnitten über die Liebe und
die Entmächtigung der Angst wird deutlich gemacht, wie die im
Wesen des Menschen verankerte Religiosität den Menschen prägt
und befreit, wobei Liebe als Einheit von Eros und Agape zu verstehen
ist als die den Menschen „mit dem Ganzen einende und
welterschließende" Kraft (76). Es folgen zwei Abschnitte, die vorwiegend
der negativen Bestimmung der Religiosität gewidmet
sind. Unter der Oberschrift „Toter Buchstabe und lebendiger Geist"
wird über die Ausscheidung alles „Wissens" (78), aller dogmatischen
Formeln und Systeme aus der Religiosität gehandelt. In
einem letzten Abschnitt über „Religiosität und Moral" geht es um
Schleiermachers Gegensatz zu Kant.

Der zweite Teil der Arbeit zieht dann die Linien vom Verständnis
der Religiosität hin zur Bildung: „Jede echte Bildung geschieht
.für", das ist im Dienste der im Menschen angelegten ,Begierde,
das Unendliche anzuschauen' (Reden 54)". Um das Anschauen des
Unendlichen aber geht es in der Religiosität. Folglich ist „Bildung
zur Religiosität" „Bildung schlechthin" (114). Dies ist die These,
die im zweiten Teil entfaltet wird, zunächst im Blick auf die Öffnung
zur Welt, dann im Blick auf das Lebensverständnis, schließlich
im Blick auf die „Funktionen im menschlichen Leben", „die -
nach Schleiermacher - im besonderen das Bildungsgeschehen ...
vorantreiben" (135), nämlich den „Sinn", die „Gesinnung", das „gemeinsame
Leben" und die Phantasie. Dabei werden dann freilich
die Grenzen der Reden bereits überschritten und die padogogi-
schen Vorlesungen Schleiermachers sehr stark mit herangezogen.

Ohne Zweifel wird man dem Verf. dafür dankbar sein, daß er
erneut auf die Weite des Schleiermacherschen Religionsbegriffes,
besonders in den Reden, auf seine Weltoffenheit, hingewiesen hat.
Und erst recht ist es ein Verdienst der vorliegenden Arbeit, die
Linien von diesem Religionsbegriff zur Pädagogik Schleiermachers
und zur Pädagogik überhaupt aufgezeigt zu haben. Allerdings
wird dieses Ergebnis auf dem Hintergrund einer ständigen Polemik
gegen alle bisherige theologische Schleiermacherinterpretation
gewonnen. Schließlich versucht ja der Verfasser, den Theologen
die Reden überhaupt zu entreißen und sie zu einer rein philosophisch
-anthropologischen Schrift zu erklären. Der Preis, den
er dafür bezahlt, ist hoch. Schon die Begriffsunterscheidungen am
Anfang haben kaum eine Quellengrundlage. Schleiermacher sagt
nun einmal bis auf wenige Ausnahmen Religion und nicht Religiosität
. Und ebensowenig läßt sich Frömmigkeit im Sinne Schleiermachers
zur Sache der Ungebildeten machen. (Der Verf. versucht
dies vor allem aus den beiden Stellen Pünier 30/31 und Reden 111
zu begründen, die er beide überinterpretiert.) Aber selbst wenn
man sich auf den Sprachgebrauch des Verf. einläßt, bleibt die Tatsache
, daß Schleiermacher die „allem Denken vorausgehende Einheit
im Gefühl" als ein „religiosum" (41) bezeichnet. Der Verf.
erklärt sie mit dem Hinweis auf die religiöse Erziehung Schleiermachers
, wobei er zugleich betont, daß für den Schleiermacher
der Reden dieses „religiosum" durchaus kein „theologicum" mehr
war. Aber auch damit sind die Schwierigkeiten noch nicht beseitigt.
Schleiermachers Arbeit als Theologe und Prediger bleibt ia unübersehbar
. Sie wird mit dem Hinweis auf die Psychologie des
Alters und den Zwang des Berufes erklärt. Daß damit das Lebenswerk
eines Denkers, für den es keine Brüche und Sprünge gab
(auch die Trennung von Barby ist ja aufs Ganze gesehen kein
innerer Bruch mit Herrnhut), der wie kein anderer ein Mann der
Harmonie, der Versöhnung der Gegensätze war, zerrissen wird,
scheint der Verf. nicht zu bemerken.

Freilich geht dies alles nicht nur auf das Konto des Verf. Im
Grunde führt er nur eine bestimmte Schleiermacherinterpretation
ad absurdum, die die Nichtübereinstimmung Schleiermachers mit
dem eigenen Theologie-Begriff zum Anlaß nimmt, ihn aus dem
Bereich der Theologie überhaupt in den der Philosophie zu verweisen
. Nicht umsonst rühmt der Verfasser Emil Brunner, weil
mit seinem Schleiermacher-Buch „das Feld freigegeben wird für
ein nichttheologisches Verständnis der Schleiermacherschen Reli-

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giosität" (119). Freilich hat er wenigstens dem Denken Schleiermachers
noch einen Ort innerhalb der Religion zugebilligt, als
er es als mystisch bezeichnete. Das Verständnis des Verfassers von
„Religiosität" dagegen ist so eingeengt, daß alle Verbindungen zu
„der in ihrer Totalität viel umfassenderen religiösen Wirklichkeit",
in deren Zusammenhang die Ergebnisse seiner Arbeit dann überraschenderweise
doch gewürdigt werden möchten, verschwinden
(185). Die Religiosität, von der der Verf. redet, erinnert vielmehr
an das, was Schleiermacher in der fünften Rede über die natürliche
Religion geschrieben hat: Sie „ist gewöhnlich so abgeschliffen
und hat so philosophische und moralische Manieren, daß sie
wenig von dem eigentümlichen Charakter der Religion durchschimmern
läßt" (243). Gerade diese Art von Religion aber war
weder zur Zeit der Reden noch später im Sinne Schleiermachers.

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NATURWISSENSCHAFT UND GLAUBE

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Das Problem der Evolution ist auch nach Beendigung des mehr
durch Vorurteile als Sachkenntnis gezeichneten Streits um Schöpfungsbericht
oder Entwicklungslehre längst nicht umfassend gelöst
. Je deutlicher wird, daß Evolution nicht nur ein Randphänomen
alles Wirklichen darstellt, sondern zu dessen elementaren
Strukturen gehört, um so dringlicher wird die Frage nach dem
Ganzen ihres Wesens, das heißt: nach ihrem Sinn. Die vorliegende,
preisgekrönte Münsteraner theologische Dissertation (bei J. Ratzinger
) des durch naturwissenschaftliche wie theologische Studien
gleichermaßen qualifizierten Verfassers versucht, die seitherigen

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 5