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Ausgabe:

1969

Spalte:

360-361

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schneider, Johannes

Titel/Untertitel:

Das Gute und die Liebe nach der Lehre Albert des Großen 1969

Rezensent:

Heidrich, Peter

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359

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 5

360

Kohls sieht seine Aufgabe darin, „das eigentliche Fundament der
Theologie des Erasmus, das er schon in seinen ersten Schriften errichtet
hatte, ganz neu" freizulegen (S. XIII), um das „Selbstverständnis
der erasmischen Theologie in historisch-systematischer
Weise angemessen" zu erarbeiten. Damit ist zugleich die Methode
der Darstellung bekanntgegeben. Der Verf. meint zwar, nichts
Wesentliches zur Erhellung der Theologie des großen Gelehrten
ausgelassen zu haben, beschränkt sich aber auf die exemplarische
bzw. paradigmatische Analyse von drei Schriften. Es geht um die
„Epistola de contemptu mundi", die Erasmus als etwa 20jähriger
verfaßte, um die „Antibarbari" in der Fassung der Jahre 1494/95
und ganz besonders ausführlich um das „Enchiridion militis Chri-
stiani" (1501), also ausnahmslos um Frühschriften, die nach Kohls'
Darlegung den ganzen Erasmus bereits zeigen. Somit ist es dem
Verf. aus methodischen Gründen für das Selbstverständnis des
Erasmus nicht zu tun um die Domäne traditioneller reformationsgeschichtlicher
Darstellung in dieser Sache, nämlich um die Rolle
des Erasmus im Streit mit Luther. Nur ein sehr knapp gehaltener
Abschnitt visiert im Rahmen der Analyse der „Antibarbari" die
spätere Kontroverse an (S. 61f.).

Zunächst macht Kohls mit dem Forschungsstand bekannt, weist
auf die konfessionellen Voraussetzungen im 19. Jahrhundert hin
und charakterisiert an mehreren Beispielen Diltheys Einfluß auf
das Erasmusbild in unserem Jahrhundert bis hin zu Wernle und
Köhler. Der Weg zu einem neuen Ansatz ist durch Mestwerdt,
Schlingensiepen und besonders Pfeifer beschritten worden. Eine
Reihe von Dissertationen nach dem zweiten Weltkrieg haben die
theologische Fragestellung, auf die es Kohls wesentlich ankommt,
weiter gefördert.

Wenn der Verf. Eigenart und Entwicklung der erasmischen
Theologie ausschließlich aus den Frühschriften erheben will und
sich damit im Gegensatz zur „bisherigen Erasmusliteratur" (S. 16)
weiß, korrespondiert dem sein Bestreben, ja nicht durch „voreilige
Ausziehung weiterführender Linien zum Rationalismus, zur Aufklärung
, zur Klassik und zum Idealismus, wie das in der bisherigen
Erasmusliteratur üblich geworden ist", den historisch-sachlichen
Ansatz zu verderben (S. 17).

Kohls sieht schon in den ersten „literarischen Erzeugnissen des
jungen Erasmus" den „Geist einer weitgespannten Synthese von
Antike und Christentum" (S. 19). Er weist auf einen lebendigen
Traditionsbezug hin, in den Erasmus Bernhard von Clairvaux,
Petrarca und Thomas von Kempen einbegriffen habe. Traditionelle
Themen wie die meditatio mortis werden bei Erasmus ergänzt
zugunsten des eschatologischen Anliegens, durch den schon in der
genannten Epistola zu erkennenden „christlichen Zielgedanken
der meditatio futurae vitae" (S. 23). Erasmus faßt Plato, Cicero,
Epikur und andere Philosophen der Antike eben „nicht rein philosophisch
, sondern religiös" auf (S. 24). Er füllt die Begriffe neu,
so wie er meint, sie christlich verstehen zu müssen. Gerade
Christus müsse doch mit dem Beinamen „Epikureer" bedacht
werden; denn £iti.uoupos heiße ,Helfer' (S. 27). Die „Beispielhaftig
keit der antiken und christlichen Vorzeit" und ihre „Gleichzeitigkeit
" mit der Gegenwart lassen ihre historische Distanz verschwinden
. In der Vielzahl der Beziehungslinien zur Tradition werden
jahrhundertealte Gedanken - wie etwa der Militia-Topos - neu
aufgenommen. So kann von dort her auch als hervorstechendstes
Anliegen der Epistola der Gedanke des Mönchtums auf neue
Weise zum Ausdruck gebracht werden (S. 30).

Das schon in der Epistola thematische Problem, ob und wie weit
die antike Bildung und Philosophie vom Christentum herangezogen
werden dürfen, wird nun in den „Antibarbari" weitergeführt.
„Der Wert der Litterae und Artes liberales innerhalb der christlichen
Religion besteht ... in ihrer dienenden Stellung: ,Auf
Christus müssen sie gänzlich bezogen werden" (S. 43). Litterae
und Eruditio sollen zur Cognitio Christi führen (S. 56). In diesem
Zusammenhang ist besonders „Origenes immer stärker der eigentliche
patristische Ahnherr einer Synthese von Christentum und
Antike" (S. 65). Wenn Kohls auch Anleihen des Erasmus bei der
geschichtstheologischen Konzeption des Aquinaten entdecken will,
möchte man sich dafür eine noch etwas ausgedehntere Zitatenbasis
aus Thomas wünschen.

Christliche Pietas und antike Eruditio kommen im Denken des
Erasmus zueinander. „Theologie ist hier in ihrer polaren Verbindung
von Pietas und Eruditio Glaubens Wissenschaft und
zugleich Glaubens w i s s en s c h a f t" (S. 68).

Was im Ansatz bereits in den beiden zitierten Werken zu ent
decken war, kulminiert im Enchiridion. Kohls entwickelt daraus
die Theologie des Erasmus bis in Einzelheiten von Lehraussagen.
Er arbeitet heraus, daß Erasmus „Christus in den Mittelpunkt
aller Exegese" stelle und der „Sensus historicus" und der sich
daraus ergebende Schriftinhalt für das „wichtigste exegetische
Anliegen" zu erachten sei (S. 135). Vielleicht kann folgender Satz,
der die Aufnahme des alten Exitus-Reditus-Schemas zeigt, am
konzentriertesten vor Augen führen, wie stark Kohls den Theologen
Erasmus herauszustellen bestrebt ist: „Nicht Gottes
Aseität im abstrakt-philosophischen Sinne, sondern Gottes Hinwendung
zum Menschen, sein Hervorgang auf den Menschen hin
(Exitus) und seine Rückführung des Menschen zu Gott (Reditus)
im existentiell-heilstheologischen Sinne sind das zentrale Hauptthema
aller theologischen Besinnung bei Erasmus" (S. 179). Diese
theozentrische Grundbestimmung seiner Geisteswelt wird, wie
Kohls zeigt, durchgehend - so etwa auch in der Ekklesiolo-
gie - christologisch interpretiert: «... die Kirche (ist) als Leib
Christi und Liebesgemeinschaft unsichtbar in der Welt unter der
Regula crucis, sichtbar unter der Lex caritatis" (S. 188).

Wir müssen hier abbrechen. Der ungewöhnlichen, bislang mit
Erasmus nicht in Verbindung gebrachten Thesen gibt es viele. Das
Buch ist anregend und aufregend genug; es wird seinen Weg
machen.

Berlin Joachim R o g g e

Schneider, Johannes: Das Gute und die Liebe nach der Lehre
Albert des Großen. München-Paderborn-Wien: Schöningh 1967.
310 S. gr. 8° = Münchener Universitäts-Schriften, Theolog. Fakultät
. Veröffentl. des Grabmann-Institutes zur Erforschung der
mittelalterl. Theologie u. Philosophie, hrsg. v. M. Schmaus, W.
Dettloff, R. Heinzmann, N. F. 3. Kart. DM32,-.

Das Buch will „zur Erhellung der Vorgeschichte der thomani-
schen Synthese des Liebesbegriffs beitragen, zugleich aber auch
die Stellung Alberts des Großen in der mittelalterlichen Geistesgeschichte
verdeutlichen" (7). Es verwendet ungedruckte Quellen,
besonders Alberts Kommentare zu De divinis nominibus und zur
Nikomachischen Ethik. Dieser Umstand gibt der Studie großen
Wert. Das Buch liest sich nicht immer leicht, es folgt ja den Gedankengängen
Alberts, in denen durchaus verschiedenartige Überlegungen
und Überlieferungen zusammenkommen. Der Autor
schreibt selbst, bei Albert stünden mitunter gegensätzliche Aspekte
unausgeglichen nebeneinander (299). Diese Vielfalt, die der Verfasser
genau - belegt durch umfangreiche Zitate im Apparat -
vorführt, macht die Lektüre manchmal etwas mühsam, was aber
nicht zu Lasten des Verfassers geht.

Die Arbeit gliedert sich so i nach einem sehr vorläufigen Kapitel
über den Liebesbegriff in der Psychologie Alberts, in dem nach
dem Verhältnis von Liebe und Gefühl und Liebe und Erkennen
gefragt wird, wird der Begriff des Guten vor Albert, bei ihm
selbst und bei seinen Schülern Ulrich von Straßburg und Thomas
von Aquino dargestellt (auch Ulrichs Lehre muß der Verfasser
aus ungedruckten Quellen erheben). Das Gute fällt bei Albert mit
der causa finalis zusammen. Die Gutheit liegt aber auch in der
Bewegung von der causa efficiens zur causa finalis. Gott selbst
ist nicht erst durch ein Ziel gut. Wegen seiner Gutheit (bonum est
diffusivum sui) wirkt Gott, so daß die ganze Schöpfung in Kreisbewegung
ist: areopagitische Gedanken. Die Spannung des Schöpfungsglaubens
zu der Vorstellung der kosmischen Harmonie, bei
der Hervorgang und Rückkehr beinahe immanente Vorgänge sind
(wegen des Enthaltenseins von Ursache in Wirkung und umgekehrt
) tritt hier zutage wie in jedem christlichen Neuplatonismus.
Alberts intensive Beziehungen zur Gedankenwelt des Areopagiten
werden deutlich herausgearbeitet, auch bei der Erörterung der ekstatischen
Neigung der Liebe stellt der Verfasser ein Schwanken
zwischen Neuplatonismus und der Denkweise der Hl. Schrift fest
(129). Der Verfasser meint, die dionysichen Vorstellungen von Gott
als Ursache, Vorbild und Ziel seien bei Albert überformt von der
aristotelischen Ursachenlehre (100). Es sei bei Albert „eben auch"
eine „vom Neuplatonismus herrührende und zu Nikolaus von
Kues hinführende Denkweise, die Transzendenz und Immanenz
der ersten Ursache zueinander in Beziehung setzt", zu finden
(ebd.). Da der Verfasser in erster Linie an der Darstellung des
Thomas-Vorläufers Albert liegt, ist dieses „eben auch" vielleicht
zu vorsichtig und schwächt die neuplatonische Verwurzelung Alberts
wohl zu stark ab.