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Ausgabe:

1969

Spalte:

343-344

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bouwman, Gilbert

Titel/Untertitel:

Das dritte Evangelium 1969

Rezensent:

Haufe, Günter

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Seite 1

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343 Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 5

zuheben wären weiter die klugen Ausführungen auf S. 172 zu CJ
35,6-14. Umgekehrt sei auf S. 137 (zu CJ 25,28f) als auf eine typische
Fehlinterpretation hingewiesen. Auch M.s Deutung von
CJ 34,8f (S. 168) ist eine bes. windige Angelegenheit. Seine Erwägungen
zu CJ 34,18f (S. 169 oben) scheitern an dem iiu von CJ 34,19.
Am meisten Inkorrektheit und Irrtum auf kleinstem Raum findet
sich auf S. 189 zu CJ 40,24f (übrigens kommt 6Toy*o)H, wie selbst
Till nicht gesehen hat, überhaupt nicht von OY*i>u) < sondern von (DU)
eroy-AU)** »den man ruft"). Und was auf S. 194 oben zu CJ 42,lf
(Anfang) steht, hat überhaupt keinen Sinn.

M.s Werk hat neben einer introduction (S. 21-27) auch noch eine
besondere conclusion (S. 199-203). Innerhalb der letzteren sei auf
die treffende Bemerkung hingewiesen, daß das EV das Wesen der
Gnosis überhaupt offenbare (S. 201), womit sich M. auch der Auffassung
, die H. Jonas vom EV hat, nähert. Ganz am Anfang steht
eine Bibliogaphie (S. 9-17), die einige Wünsche offenläßt und
nicht ohne leichte Merkwürdigkeiten ist, und ein Abkürzungsverzeichnis
(S. 17f). Ganz am Schluß finden sich ein (leider unvollständiges
[von CJ 16 z. B. fehlen eüotVY^Xtov, epxojan, oanrjp, naA£w,
IpYov] ) Register der griechischen Wörter (S. 205-216), ein Schriftstellenregister
(S. 217-234), in dem die Zusammenstellung der
Crum-Seiten völlig überflüssig ist, und ein Autorenregister (S. 235
bis 237).

Berlin Hans-Martin Schenke

Bouwman, G.: Das dritte Evangelium. Einübung in die formgeschichtliche
Methode, übers, v. H. Zulauf. Düsseldorf: Pat-
mos-Verlag [1968]. 184 S. 8° = Patmos Paperback. DM15,80.
Ein in mehrfacher Hinsicht merkwürdiges Buch! Neben rein
historisch-exegetischen Darlegungen stehen fast unvermittelt handfeste
Bezugnahmen auf die kirchliche Gegenwart. Gewichtige Gedankengänge
werden in einem oft verblüffend lockeren Stil vorgetragen
, wobei Verf. - Ordinarius für neutestamentliche Exegese
an der katholischen Fakultät Tilburg - drastische, gelegentlich
sogar bissige Formulierungen nicht scheut, hinter denen offensichtlich
eine recht reservierte Haltung gegenüber der gegenwärtigen
katholischen Kirche steht. Der Untertitel „Einübung in die
formgeschichtliche Methode" trifft einigermaßen nur auf die beiden
ersten Kapitel zu (S. 11-61), in denen B. an Hand der Geschichte
der Exegese und am Beispiel des lukanischen Schrifttums
in die form- und redaktionsgeschichtiche Arbeitsmethode einführt.
Die übrigen fünf Kapitel (S. 62-174) befassen sich mit literarkri-
tischen und historischen Problemen, bei denen die Formgeschichte
nur teilweise eine Rolle spielt. Dem entspricht, daß B. selbst offenherzig
von einem „doppelten Boden" seines Buches schreibt (S. 8).

Die Hauptthese des Verfassers lautet: Lukas hat sein Evangelium
nach der Apostelgeschichte geschrieben und nicht umgekehrt
. Diese These ist zwar nicht völlig neu, soll aber erstmals
in ganzer Breite bewiesen werden - seltsamerweise im Rahmen
einer populärwissenschaftlichen Reihe! Ausgangspunkt sind fatalerweise
nur zwei argumenta e silentio: 1. Lukas berichtet nicht
das Martyrium des Paulus, muß also die Apostelgeschichte während
dessen Gefangenschaft in Rom um das Jahr 63 geschrieben
haben; 2. die Apostelgeschichte enthält keine ausdrücklichen Rück-
verweise auf das Evangelium (Act. 1,1 ist redaktionelle Korrektur
!), muß also früher als dieses abgefaßt sein. B. stellt sich nicht
die Frage, ob nicht beide Fehlanzeigen sich sehr wohl mit Intention
und literarischer Eigenart der Apg. vereinbaren lassen. Sein ganzes
Bemühen zielt vielmehr darauf, das Evangelium vor dem Hintergrund
der Apg. zu erklären. Dabei werden Abhängigkeiten konstruiert
, die dem besonnenen Leser durchaus nicht zwingend erscheinen
. Die Dreiteilung des Evangeliums in Galiläa-Aufenthalt,
Jerusalem-Reise und Jerusalem-Aufenthalt soll durch das Schema
von Act. 1,8 veranlaßt sein, speziell der sog. Reisebericht durch
das der Apg. zugrunde liegende Reisetagebuch, das Auslassen gewisser
Markus-Stücke durch Vorwegnahme in der Apg. (bes.
Act. 6,14), der Verlauf der Ereignisse in Lk 4,16-30 durch den Modellfall
von Act. 13,15-51. In all diesen Fällen postuliert B.: das
künstliche Schema (Lk.) muß von dem natürlichen (Act.) als dem
zeitlich vorausgehenden abhängen. Auch der sog. westliche Text
der Apg. gerät dann in ein neues Licht: er entstand, als die Apg.
mit dem ca .80-90 geschriebenen Evangelium zu einem Buch vereinigt
und dabei neu redigiert wurde, möglicherweise sogar durch
Lukas selbst.

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Die frühe Entstehung der Apg. wird nach Ansicht von B. weiter
durch ihre gegenüber dem Evangelium vergleichsweise unterentwickelte
Christologie und Sakramentslehre nahegelegt. Auch einzelne
Charakterzüge des Evangeliums sollen die Frühdatierung der
Apg. stützen, d.h. aus dieser stammen: das Interesse für Unterkunftsprobleme
, die Rolle des Heiligen Geistes schon in der Kind-
heitsgeschichte, die betonte Rolle der Frau und des Almosengebens
. Zugleich erklärt die Frühdatierung nach B. den Mangel
an Beziehungen der Apg. zu den Paulusbriefen: Lukas kannte sie
noch nicht, als er die Apg. schrieb. Wieso aber der Paulusschüler
Lukas das historische Paulusbild derart entstellen konnte, wird
nicht gefragt. Das später abgefaßte Evangelium soll dagegen Spuren
der Bekanntschaft mit den Paulusbriefen, namentlich mit den
Korintherbriefen enthalten: Berücksichtigung der durch die Paulus
-Gegner vertretenen Sabbatobservanz, Tilgung der allzu
menschlichen Züge Jesu, Aversion gegenüber Familienmitgliedern
Jesu, Einschätzung von Jungfräulichkeit und Ehe. Der gegenüber
dem Evangelium entwickeltere Apostelbegriff der Apg. wird
einerseits mit der Treue des Evangelisten gegenüber der Jesustradition
und andrerseits mit seiner kritischen Haltung zum Apo-
stolat in der Nachfolge des Paulus (2. Kor. lOf.!) erklärt. Endlich
soll die Spätdatierung des Evangeliums durch den Nachweis gestützt
werden, daß es auf eine typische Erscheinung im Leben dei
zweiten und dritten Generation der Kirche kritisch Rücksicht
nimmt, nämlich auf die „neuen Pharisäer" in Gestalt der kirchlichen
Führer, denen „der Schrecken in die Glieder fuhr", als sie
die offenbaren Sünder in die Kirche hereinströmen sahen (S. 149).
Die Art, in der hier gerade bei dem Historiker Lukas exegetisch
Bezugnahmen auf dessen kirchliche Gegenwart herausgefunden
werden, ist schwerlich überzeugend. Das Schlußkapitel beschäftigt
sich mit dem lukanischen Armenbegriff: „das Wesentliche bei der
Armut ist die Existenzunsicherheit" (S. 171) im Sinne der „escha-
tologischen Lebenshaltung" von 1. Kor. 7,31.

Der Gesamteindruck? Hier wird eine originelle These in weithin
gequälter Weise durchgeführt. Der kritische Leser stößt sich nicht
nur an allerlei exegetischen Gewaltsamkeiten, sondern vermißt vor
allem zweierlei: einmal die intensive Berücksichtigung der literarischen
Eigenart und Intention der Apg. und zum anderen die Berücksichtigung
des gleichen Milieus, in dem Apg. und Evangelium
geschrieben sind und das es unnötig macht, gewisse Querverbindungen
rein literarisch-chronologisch zu erklären. Wenn Verf. gelegentlich
selbst bemerkt, man werde seine Schlußfolgerung „vielleicht
voreilig finden" (S. 145), so hat er damit einem sehr berechtigten
Empfinden Ausdruck gegeben.

Leipzig Günter Haufe

Koch, Klaus: Was ist Formgeschichte? Neue Wege der Bibelexegese
. 2., durchgängig Überarb. Auflage. Neukirchen-Vluyn:
Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins 1967. XIII, 287 S.
gr. 8°. DM 19,80.

Das vorliegende Werk, das 1964 in erster Auflage erschienen
ist, hat sich als ein brauchbares Werkzeug für Studium und Forschung
erwiesen. Fruchtbar ist vor allem die Anwendung der formgeschichtlichen
Fragestellung auf alt- und neutestamentliche Beispiele
nebeneinander. Die neue Auflage hat durch meist kleine
Ergänzungen, stilistische und sachliche Verbesserungen, Umstellungen
, zusammenfassende Bemerkungen und schärfere Gliederung
der Abschnitte an Lesbarkeit, Deutlichkeit und Übersichtlichkeit
noch gewonnen. So steht die Rekonstruktion der Seligpreisungen
nicht mehr als Anhang am Schluß, sondern an der sachlich richtigen
Stelle in § 4. Besonders dankenswert ist die Einfügung des § 16
,Legenden', der bisher verstreute Ausführungen zu diesem Thema
zusammenstellt, ergänzt und die Bedeutung dieses Themas im
Rahmen der modernen Theologie ins Licht rückt und so die formgeschichtliche
grundsätzliche Klärung unternimmt. Die formgeschichtliche
Forschung in ihren neutestamentlichen Anfängen in den
20er Jahren hatte bereits die Überwindung der Gegensätze in der
exegetischen Theologie angestrebt. Diese Bestrebungen könnten hier
auf der Grundlage einer sehr viel breiter angelegten formgeschichtlichen
Erforschung der Bibel in der neuen theologischen Situation
im Sinne eines sachgemäßen förderlichen Verständnisses der
Schrift zur Wirkung kommen.

Giefjen - Georg Bertram