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Ausgabe:

1969

Spalte:

329

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Berkowitz, Morris I.

Titel/Untertitel:

Social scientific studies of religion 1969

Rezensent:

Rudolph, Kurt

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329

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 5

330

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Berkowitz, Morris I., and J. Edmund Johnson : Social
Scientific Studies of Religion: A Bibliography. Pittsburgh: Uni-
versity of Pittsburgh Press (1967). XVII, 258 S. 4°.
Die zunehmende Spezialisierung und damit verbundene Ausweitung
des religionswissenschaftlichen und soziologischen Arbeitsfeldes
macht den Bedarf nach Dokumentation und bibliographischer
Information dringender denn je. Daher ist die vorliegende
Bibliographie religionssoziologischer Arbeiten in englischer Sprache
eine Pioniertat ersten Ranges und den Autoren M. I. Berkowitz
und J. E. Johnson von der Pittsburgh University uneingeschränkter
Dank zu zollen. Unterstützt wurde das Werk von verschiedenen
nordamerikanischen Bibliotheken und Gelehrten der Pittsburgh
University. Über Entstehung, Anlage und Benutzung der
Bibliographie unterrichtet eine ausführliche Einleitung (XI-XVII).
Wir haben es mit einer einsprachigen Sachbibliographie analytischen
Charakters zu tun, die versucht, den vielseitigen Fragestellungen
und Ansprüchen der Soziologen und Religionswissenschaftler
gerecht zu werden. „Our search, then, was to develop classi-
ficatory categories which stressed the fundamental wholeness of
the cultural experience of man, covering as much of religious
experience as social scientists can study (even if they have not),
and allowing for functional cross-cultural classifications" (XII). Die
Beschränkung auf die englischsprachige Literatur ist erst während
der Ausarbeitung erfolgt, und zwar einmal wegen Ersparnisgründen
, zum anderen auf Grund der (bestreitenswerten) Meinung,
daß diese Literatur für einen Einblick in die sozialwissenschaftlichen
Bemühungen und ihre Tendenzen genüge. Die Aufnahme
anderssprachiger Arbeiten hätte nur das Ergebnis einer „Wiederholung
ähnlicher Typen und Studien, keinen Zuwachs des untersuchten
Materials" bedeutet. Auch sonst mußte eine Auswahl getroffen
werden (z.B. in der ethnologischen und religiösen Literatur).
Der bearbeitete Zeitraum reicht von 1945 bis 1965; nur bei besonders
grundlegenden Arbeiten wurde der terminus a quo nach rückwärts
überschritten. Daher, so wird ausdrücklich betont, ist dies
»not a complete bibliography, but a working-survey
bibliography of more than six thousand available, published,
verified English language items, spread over more than 130 classifications
" (XIII). Dieses Klassifikationssystem besteht aus neun
Hauptkategorien: 1. Definitions of Religion, 2. Descriptions of Religion
(nach 1945). 3. History and Development of Religion (Pre-
cursors of Modern Religion, d. h. von 1945). 4. Religion as Related
to Other Social Institutions. 5. Religion and Social Issues. 6. Religion
and Social Change. 7. The Impact of Religious Belief on
Behavior. 8. Religion, Textbooks, Analytic Articles, and Readers.
9. Bibliographies of Religion and Encyclopedias and Dictionaries.
Jeder dieser Hauptabschnitte ist wiederum mehrfach unterteilt:
Z- B. Abschnitt 4 in Religion and Political Behavior. Nationalism.
Religion and Economic Behavoir, usw., Abschn. 5 in Relations Bet-
Ween Religious Groups, Religion and Health. Religion and Peace
and War, usw.). Innerhalb der 132 Unterabschnitte ist die Literatur
alphabetisch nach den Autoren geordnet; anschließend sind
jeweils Verweise auf verwandte Arbeiten gegeben, die bereits in
andern Abschnitten erfaßt wurden. Ein Autorenindex (221-238) beschließt
das Werk, das durch seine sorgfältige Ausführung und
9ut durchdachte Anlage ein Vorbild für ähnliche Publikationen
sein kann. Man muß nur bedauern, daß es nur englischsprachige
Literatur erfaßt. Der deutsche Leser bekommt zwar dadurch einen
Wertvollen Einblick in die hier geleistete Arbeit, deren Schwerpunkte
und Tendenzen, aber für sein Sprachgebiet vermißt er leider
noch ein gleiches Werk. Es ist daher zu wünschen, daß die
Verf. ihre Arbeit fortsetzen und eines Tages doch noch eine „multilingual
bibliography" vorlegen werden.

Leipzig Kurt Rudolph

Arai, Sasagu: Die Christologie des Evangelium Veritatis. Eine
religionsgeschichtliche Untersuchung. Leiden: Brill 1964. VIII,
141 S. gr. 8°. Lw. hfl. 20,-.

Das Evangelium Veritatis aus Codex I von Nag Hammadi (= Codex
Jung) hat sich sprachlich und literarisch, religionsgeschichtlich
und theologisch trotz intensiver Bemühungen einer zwingenden
oder einhellig akzeptierten Einordnung immer wieder entziehen
können. Als Ursprache sind griechisch, syrisch und koptisch angeboten
worden; dem literarischen Charakter nach (wiewohl noch am
wenigsten problematisch) kann es Evangelium im technischen Sinne,
als Meditation über ein Evangelium gleichen Namens oder als
Homilie angesprochen werden. Der religionsgeschichtliche Ort wird
von den Extrempositionen: Valentinus selbst resp. valentinianisch
oder Kreis der Oden Salomos abgesteckt. Theologisch - im Sinne
eines frühchristlichen Dokumentes - schwankt die Einordnung
von „gnostisch" verschiedener Spielarten bis zur (anachronistischen
!) Etikettierung „orthodox", christologisch gewendet: doke-
tisch oder gar antidoketisch.

Zweifellos bietet die Christologie, die augenfälligste Besonderheit
jener Schrift, einen legitimen Ausgangspunkt für weiterführende
religionsgeschichtliche und theologische Erörterungen, von
denen aus auch Erkenntnisse für andere Fragestellungen gewonnen
werden können, wie die Problemtetrade ja wechselseitig verzahnt
ist. Prof. E. Stauffer hat seinen japanischen Schüler S. Arai mit
jener monographischen Aufgabe betraut, welche dieser mit glücklichem
Blick für übergreifende Gesichtspunkte und philologischexegetische
Details angefaßt und ein gutes Stück vorangebracht
hat. Dieser Eindruck schließt nicht aus, daß der Leser den trotz
präziser Gliederung verwickelten Gedankengängen nicht immer
zu folgen und dem Ergebnis nicht in allen Punkten Zustimmung
zu geben vermag.

Im I. Teil (4-19) wird mit reicher Dokumentation über den Stand
der Forschung (bis 1964) referiert1. Seither haben sich keine grundsätzlich
neuen Positionen herausgebildet. Hier wie später macht
es sich nur störend bemerkbar, daß Vf. gelegentlich zwischen einander
ausschließenden Möglichkeiten hin und her pendelt (12 auf
13!). Die allseits festgestellte literarische Einheit des EV unterstreicht
Vf. durch eine organische Aufgliederung in 19 Themenkreise
(15f.). Bei den Beziehungen zum Neuen Testament schließt
sich Arai der Auffassung an, daß eine besondere Affinität zum
4. Evangelium besteht. Für den Einzelnachweis stellt sich die
Frage der Christologie mit besonderer Dringlichkeit.

Übereinstimmend weist die Forschung auf die „christozentrische"
Lehre des EV hin. Crux interpretum ist dabei EV 31,4ff., wo die
Meinungen stark abweichen: ausgesprochener Doketismus, nicht
doketisch oder gar antidoketisch. Im Katalog der Lehrmeinungen
hätte man noch auf die Übersetzungen hinweisen können, z. B.
wäre W. Till („ein scheinbares Fleisch") unter die „Doketen" einzureihen
. Die Namensspekulation wird von G. Quispel und J.
Danielou mit dem heterodoxen Judentum in Verbindung gebracht,
während J. Leipoldt nachdrücklich auf ägyptische Zauberpapyri
verwies (eine Alternative, die vielleicht nur graduell ist).

Vf. möchte sich nicht mit dem Aufweis von Parallelen begnügen,
sondern fragt vielmehr nach dem Sinn derselben. In weitem Anlauf
(20-61) sucht er deshalb zuerst „Grundmotiv" und „Denkweise
" des EV herauszuarbeiten. Das Ergebnis (S. 61: „Das Grundmotiv
des EvVer ist die Selbsterkenntnis. Der Verfasser entwik-
kelt dieses in den vier Stufen eines mythologischen Heilsdramas.
Die ersten beiden Stufen, nämlich die Kosmologie und die Anthropologie
, bilden die Voraussetzungen der Christologie") scheint dem
Aufwand nicht recht zu entsprechen. Wesentlich präziser ist dies
in den Ausführungen von E. Haenchen2 erfolgt, wo in knappen
Strichen von der Hand des Meisters Grundmotiv und Denkstruktur
des EV expliziert sind. Weiter ist es fraglich, ob man im EV überhaupt
von einem exponierten „Heilsdrama" reden kann. Wohl wird
ein solches vorausgesetzt, aber doch weitgehend entmythisiert.
Weitgehend: das besagt nicht vollständig. Disiecta membra eines
Mythos, in welchem dem Begriff nXavr eine tragende Rolle zukommt
, hat R. Haardt in einer scharfsinnigen Arbeit3 eruiert und
rekonstruiert, die dem Vf. leider unbekannt geblieben ist.

Im III. Teil (62-119 resp. 124) wird die Christologie unter den
Gesichtspunkten der Präexistenz, der Epiphanie und des Werkes
Christi besprochen. In dieser systematischen Ordnung, nicht nach
der Textabfolge, werden die entsprechenden Passagen übersetzt.

1) Sehr zu begrüfjen ist es, daß Vf. die leider ungedruckte Heidelberger Dissertation
von P. Weigandt, Der Doketismus im Urchristentum und in der theologischen
Entwicklung des 2. Jahrhunderts (1961), ins Gespräch bringt.

2) E. Haenchen, Literatur zum Codex Jung, in: Theol. Rundschau 30 (1964) 39-82
bes. 76-78.

3) R. Haardt, Zur Struktur des Plane-Mythos im Evangelium Veritatis des Codex
Jung, in: WZKM 58 (1962) 24-38. Rez. will keineswegs den bibliographischen
Zeigefinger erheben, doch sei besonders auf diese Arbeit aufmerksam gemacht,
welche auch E. Haenchen (Anm. 2) nicht berücksichtigt hat.