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Ausgabe:

1969

Spalte:

314-315

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Das Sacramentarium triplex. Die Handschrift C 43 der Zentralbibliothek Zuerich. 1. Teil: Text 1969

Rezensent:

Nagel, William

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sprüngliche, von einander unableitbare Typen des Wortgottesdienstes
: das Stundengebet, in welchem „das Schriftwort - vornehmlich
dem Psalter entnommen - zusammen mit Hymnen und
Fürbitten der Gemeinde an Gott gerichtet (wird), um ihn im Schnittpunkt
zwischen Tag und Nacht zu loben und anzubeten und seine
Treue zu preisen" (S. 37), und der Verkündigungsgottesdienst, in
dem „das Wort Gottes in erster Linie als Zeugnis seiner großen
Heilstaten gehört (wird), und alles, was sonst noch in diesen
Gottesdiensten geschieht, ist nur der liturgische Rahmen dieser
Verkündigung" (S. 38). Es gilt also in Zukunft einen „kerygma-
tischen" und einen „latreutischen" Typ des Wortgottesdienstes zu
unterscheiden, die sich im konkreten Gemeindeleben Jerusalems
um die Wende vom 4./5. Jh. mindestens die Waage halten.

Die Gewichtigkeit dieser in Zukunft notwendigen Unterscheidung
wird nun im 2. Kap. durch den Nachweis erhärtet, welches Fundament
sie über Jerusalem hinaus im Leben der alten Kirche besitzt.
Es ergibt sich nämlich, daß die Mehrzahl der zeitgenössischen
orientalischen Offizien - und zwar nicht nur der Kathedrale,
sondern genau so des Klosters - wie in Jerusalem rein „latreutischen
" Charakter besitzt. Jedenfalls kann die Schriftlesung nicht
generell als Charakteristicum des Kathedraloffiziums gewertet
werden.

Im II. Abschnitt wird dann herausgearbeitet, wie es nach den
Quellen des 5.-10. Jh. zur Einbeziehung der Schriftlesung in das
Kathedraloffizium Jerusalems kommt. Während das Ferialoffizium
auch weiterhin lesungsfrei bleibt, entwickelt sich in Auswirkung
des Kirchenjahres „ein dritter gemischter Typ, der alsbald zu einer
klaren inneren Gestalt ausreift, sich allgemein durchsetzt und
großer Wertschätzung erfreut: das Festoffizium" (S. 104). In ihm
wirken die kerygmatischen und latreutischen Elemente wechselseitig
befruchtend aufeinander, und durch diesen Einbau in den
„soliden und einfachen Rahmen" der Morgen- und Abendhore
haben die Festperikopen erst ihren Weg in die Geschichte angetreten
.

Der III. Abschnitt geht sodann diesem überregionalen Rang des
Jerusalemer Lesebrauchs nach. Ohne die sorgfältigen Einzeluntersuchungen
des Verf. hier ausbreiten zu können, wird jedenfalls der
unmittelbare Einfluß Jerusalems selbst auf so entlegene Kirchen
wie die Armeniens und Georgiens deutlich, während er mit starken
Eigentraditionen etwa in Antiochien, Edessa oder Konstantinopel
zu ringen hat. Für das Ferialoffizium ergibt sich, aufs Ganze
gesehen: „Im Orient ist die Lesung kein konstitutives Element des
Stundengebetes." Trotz ihres erstaunlichen Umfangs im Einzelfall
bedeutet sie hier nur „ein Zusatzelement, das - zusammen mit
anderen - den Festcharakter einer bestimmten Vesper und eines
bestimmten Morgenoffiziums konstituiert" (S. 114).

In einer zusammenfassenden „Schlußbetrachtung" (S. 174-184)
werden nicht nur die Ergebnisse zusammengefaßt, sondern wird
auch der Versuch unternommen, „die Schriftlesung im Stundengebet
des Westens (wie sie geworden ist und wie man sie gegenwärtig
zu reformieren gedenkt) mit den Maßstäben zu messen,
die uns das Kathedraloffizium des alten Jerusalem an die Hand
gibt" (S. 184). Während noch dem Reformkonzept des II. Vaticanum
die monastische Ofhziumsordnung allein vor Augen stand,
ist nun „eine lebendige Vorstellung von den Strukturen eines
Kathedraloffiziums und von seinem ekklesiologischen Rang" gewonnen
. Von hier aus empfiehlt es sich, den latreutischen Typ des
Offiziums und den kerygmatischen des Lese- oder Predigtgottesdienstes
nebeneinander zu pflegen, „weil sie unabhängig voneinander
je eine zentrale Haltung der Gemeinde zum Ausdruck
bringen: die Anbetung und das Hören auf Gottes Wort. Und beide
wollen je für sich eingeübt und gepflegt werden, soll keine Verwirrung
entstehen." Beide werden aber auch „in eine fruchtbare
Spannung zueinander treten können, wenn sie sich derart miteinander
verbinden, daß nacheinander die Grundintention des Of
fiziums als auch der Schriftlesung deutlich zur Darstellung kommt"
(S. 182). Darüber werden auch konkrete Überlegungen angestellt.
So will diese streng liturgiegeschichtliche Arbeit zugleich der Aufgabe
dienen, „die wortgottesdienstlichen Formen zu finden, die
dem Gemeindebewußtsein einer erneuerten Kirche entsprechen"
(S. 184).

Diese Arbeit stellt einen bedeutenden Beitrag zur Erhellung der
Geschichte des Stundengebetes dar. Auch unsere evangelischen
Bemühungen um Gottesdiensterneuerung sollten mit großer Dank-

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barkeit die in diesem Buch gewonnenen Erkenntnisse in Richtung
grundsätzlicher theologischer Überlegungen hinsichtlich der dem
Wortgottesdienst gestellten verschiedenartigen Aufgaben auswerten,
werten.

Greifswald William Nagel

H e i m i n g , Odilo: Corpus Ambrosiano Liturgicum. I: Das Sacra-
mentarium Triplex. Die Handschrift C 43 der Zentralbibliothek
Zürich. 1. Teil: Text. Mit Hilfe der Benediktinerinnenabtei Varensell
untersucht u. hrsg. Münster/W.: Aschendorff [1968].
LXXXII, 478 S., 8 Taf. gr. 8° = Liturgiewissenschaftl. Quellen u.
Forschungen, hrsg. v. O. Heiming, 49. Kart. DM98,-.
Seit ihrer Wiederentdeckung durch Dom Paul Cagin von Soles-
mes ausgangs des 19. Jh. wartet „diese unter den Sakramentaren
in der Tat einzigartige Handschrift" auf eine wissenschaftliche
Ausgabe. Im Vorwort berichtet der Herausgeber, wie ihm diese
Aufgabe gleichsam als Vermächtnis des 1963 heimgegangenen
K. Mohlberg zugewachsen ist, aber überhaupt nur erfüllbar wurde
dank der Mitarbeit der Benediktinerinnen der Abtei Varensell
bei Gütersloh. Da der Triplex zu einem Drittel „ausgezeichnetes
mailändisches Gut" enthält, ist es zu verantworten, daß er nun
als 1. Bd. - entgegen anderen Planungen - im Rahmen des
Corpus Ambrosiano-Liturgicum erscheint. Wie dem Vorwort weiter
zu entnehmen ist, soll der II. Bd. eine bereits in Arbeit befindliche
Wortkonkordanz bringen und der III. eine eingehenda
paläographische und philologische Untersuchung der Handschrift,
sowie die Zusammenhänge zwischen dem Triplex und der übrigen
Sakramentarwelt, insbesondere auch durch Formelkonkordanzen,
erhellen.

Nach einer kurzen Bibliographie, dem Inhaltsverzeichnis des
1. Bd. und der Inhaltsangabe für den Triplex (S. XIV-XXXIV) führt
Hrsg. zunächst in die Bedeutung der Handschrift ein. In seiner
Zusammenstellung „gelasianischer", „gregorianischer" und „ambro-
sianischer" Formulare, soweit solche jeweils vorhanden waran,
stellt dieses „dreischichtige" Sakramentar zweifellos etwas Einzigartiges
dar. Doch hängt sein Wert sehr entscheidend vom Wert
der verarbeiteten Quellen ab. Hinsichtlich der ambrosianischen Bestandteile
betont der Hrsg. sofort, daß es sich hierbei auf keinen
Fall um einen der ältesten Zeugen des mailändischen Meßritus
handelt. Auch läßt sich nicht etwa an Hand des Triplex die sehr
komplexe Problematik der abendländischen Sakramentare überhaupt
entwirren, da vor allem eine Erfassung der Strukturunterschiede
zwischen den einzelnen Typen infolge seines Aufbaus unmöglich
ist. Eine hervorragende Stellung unter den Handschriften
von St. Gallen, wo er entstand und durch sieben Jh. hingshörte,
gewinnt er schon dadurch, daß etwa zwei Dutzend Schreiber
sich an ihm betätigten. Er ist so geradezu „ein paläographisches
Lehrbuch ersten Ranges". Jedenfalls aber kann der Triplex wegen
der rein mailändischen Herkunft und vortrefflichen Textüberlie-
lerung seiner ambrosianischen Bestandteile in seiner Bedeutung
für die ambrosianische Sakramentarforschung kaum überschätzt
werden. Näher wird noch im III. Bd. untersucht werden müssen,
wieweit liturgiewissenschaftliches und wieweit praktisches Interesse
dieses monumentale Werk entstehen ließen. Vielleicht hat
hier beides zusammengewirkt. Jedenfalls ist kaum zu übersehen,
„daß hinter der Schöpfung eines solchen Buches ein ernstes u»d
großes wissenschaftliches Ethos steht" (S. XXXVIII).

Der Hrsg. zeichnet dann die bewegte Geschichte des Triplex
zuerst von seiner Entdeckung durch den Fürstabt Gerbert von
St. Blasien im J. 1712 in Zürich und der von diesem veranstalteten
Editio prineeps vor fast 200 Jahren und dessen Wiederentdeckung
durch P. Cagin, nachdem er noch 1896 als „verloren" galt,
bis hin zu den Bemühungen von K. Mohlberg um eine Neuausgabe,
die nach seiner und des Hrsg. Uberzeugung nur dem Volltext und
dessen Aufschlüsselung gelten konnte. Dann erst wendet sich der
Hrsg. der Entstehung der Handschrift in St. Gallen zu, wo sich
diese auch bis 1712 befand. In einem weiteren Kap. wird die Zeit
der Abfassung untersucht. Es ergibt sich hier, daß die Vorlagen
des Triplex dem späteren 10. oder der Wende zum 11. Jh. enk-
stammen mögen, die Handschrift selbst aber kaum viel später
als 1010 entstanden sein mag. Es folgen zwei kurze Abschnitte
über bereits edierte Texte des Triplex und über publizierte Abbildungen
daraus. Dann wird die Handschrift nach Einband und
Aussehen eingehend beschrieben. Ein kurzer Abschnitt befaßt sich

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4