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Ausgabe:

1969

Spalte:

312-314

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Zerfaß, Rolf

Titel/Untertitel:

Die Schriftlesung im Kathedraloffizium Jerusalems 1969

Rezensent:

Nagel, William

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zehnten dadurch erfuhr, auch manche Gefahren mit sich. u. a., wie
Breit mit Recht urteilt, die Versuchung zu falscher „Verwissenschaftlichung
" der Predigtsprache. Auch darum ist es eine gute
Sache, daß hier wirklich gehaltene Predigten vorgelegt werden.
Mit der Doppelgabe von ausgeführtem Predigtentwurf wie beigefügter
Auslegung und Besinnung wird die bisher verfügbare
homiletische Hilfsliteratur schätzenswert bereichert.

An den 62 Predigten dieses 1. Jahrgangs haben 51 Prediger mitgearbeitet
. Angesichts des relativen Übergewichts der akademischen
Theologen in der sonst gedruckten Predigtliteratur bis zur Gegenwart
ist es ein Vorzug der „lesepredigt", dafj die Verfasser größtenteils
Prediger im Gemeindedienst sind - Die Mannigfaltigkeit
auch die ausdrücklich vermerkte „gewisse Uneinhcitlicbkeit" (a a.
O. 604), die die Vielzahl der Mitarbeiter mit sich bringt, scheint
uns, aufs Ganze gesehen, eher ein Vorzug als eine Schwäche.
„Wer vieles gibt, wird jedem etwas geben." Man könnte iedoch mit
gleichem Recht auch eine weitgehende Gemeinsamkeit im Gesamttenor
dieser Predigten konstatieren. Sie erklärt sich vor allem
aus der lutherischen Grundprägung: die Mitarbeiter stammen fast
durchweg aus den vier lutherischen Landeskirchen, die durch die
regionalen Schriftleiter repräsentiert sind, zu fast zwei Dritteln
aus Hannover und Bayern. Bei merkbar nuancierten theologisch-
kirchlichen Positionen besteht im ganzen doch eine feste Bindunq
an die liturgisch-homiletische Oberlieferung des lutherischen
Kirchentums. Fast ausnahmslos hält man sich an die von der Lutherischen
liturgischen Konferenz erstellte „Ordnung der Predigttexte
" von 1958: auch die hier gelegentlich vorgenommene Ausweitung
von Predigttexten gegenüber der bisher gebräuchlichen
Umgrenzung wird (mit einer Ausnahme1) rezipiert, im Falle von
Eph 6.10-18 (statt 10-17) u. E. unter bedenklicher Verschiebung
des Textskopus. Ein Stück guter lutherischer Predigttradition bewährt
sich in der überwiegend ausformulierten thematischen
Gliederung, die freilich auch hier nicht selten zu abstrakt-dogmatischer
Verallgemeinerung verleitet. Verglichen mit neuesten
Ansätzen zu einer theologiefreien und . voraussetzungslosen" Predigtform
, sprechen die meisten Prediger - für ihre eigene Gemeinde
gewiß mit guten Gründen - eine Hörerschaft an. der die
biblischen und katechetischen Stammbegriffe christlicher Lehre
prinzipiell noch feststehen.

Ein paar kritische Fragen mögen angedeutet »ein. Die allermeist
mit Ernst angestrebte Umsetzung des biblischen Wortes in die
Denk- und Sprachgestalt der heutigen Welt bleibt weithin doch
in den Bahnen eines Stiles von „Verkündigung", die den kirch-
und gottesdienstentwöhnten Hörern leicht als autoritative Behauptung
- oder auch als apologetische Entschärfung ihrer wirklichen
Zweifel und Einwände erscheinen dürfte. Dafj die große
Mehrzahl der Predigten starken Ton auf die „Lehre" legt, dafür
verdient sie Dank. Doch scheint uns. dafj dieses im Kern zeit-
übergreifend-identische Eine und Ganze christlicher Lehre in der
unendlichen Mannigfaltigkeit der je gegebenen biblischen Texte
selbst viel stärker variiert wird, als in der Mehrzahl der Predigten
zu Gehör kommt. Neben einzelnen vorbildlich exakten Auslegungen
finden sich viele, die dieses Spezifische des jeweiligen
Predigttextes beinahe mit Fleiß auf den Generalnenner vorgegebener
evangelischer Dogmatik zurückführen. Das fällt besonders
bei den zahlreichen paränetischen Episteln dieses Jahrgangs auf:
zu geflissentliche „evangelische" und christologische Zurechtrückung
eines jeden Textes, mangelnder Mut zu ..moralischer"
Predigt auch dort, wo der Text sie wohlweislich fordert. - Unsere
Predigt während der letzten Tahrzehnte hat häufig an der capti-
vitas exegetica, d. h. an eine zu eng gefaßten Textbindung gekrankt
. Ein großer Teil der hier vorgelegten „Auslegungen" leidet
eher an übereilter Reduktion des individuellen Textes auf uniforme
dogmatisch-katechetische Leitbegriffe.

Beispiele schöner Freiheit von dieser captivitas dogmatica sind
u.a. die Predigten über Tit2,ll-14, Ps 90, 1. Kor 9,24-27, 1. Thess
4,1-7, Eph 5,15-21, 1. Thess 4,13-18. Für ihren wohlgezielten Eingang
, jenen ersten Satz, an dem sich Einprägsamkeit oder Fehlschlag
einer Predigt (menschlich gesehen) oft schon entscheidet,
wären neben der schon erwähnten Weihnachtspredigt (Tit 2)
z. B. die Predigten über 1. Petr 2,21-25, Rom 12,16c-21 zu loben.
Dankbares Echo gebührt den Predigern, die innerhalb des eng
begrenzten Regelumfanges doch Raum fanden für die Veranschaulichung
ihres Botenwortes durch Beispiele und Testfälle aus dem

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Erfahrungsbereich heutiger Hörer. Im ganzen geschieht nach dieser
Seite hin heute immer noch zu wenig. Das heilsame Mißtrauen,
das den meisten Predigern gegen eine gewisse unglaubwürdige
, Geschichtchen"-Manier früherer Prcdiglipraxis im Blute liegt,
dürfte nicht zu prinzipieller Abstinenz gegenüber exemplarischer
Vergegenständlichung des evangelischen Botenwortes führen.
Die „lesepredigt" könnte sich künftig verdient machen durch öfteres
Angebot von Predigten, an denen das Charisma (oder auch
der Fleiß) plastischer Gegenständlichkeit sich beweist.

Göttingen Martin Doerne

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UTIJRGTFWTSSFNSCHAFT

7erfass. Rolf: Die Schriftlesung im Kathedraloffiziurn Jerusalems
. Münster/W.: Aschendorff fl9«8] XVI. 191 S. gr. 8° = Li-
turgiewiss. Quellen u. Forsr-hnngen. hrsg. v. O. Heinvng. 48.
Kart. DM 34,-.

Diese auf umfassendem Quellenstudium aufbauende Untersuchung
gewinnt ihre besondere Bedeutung dadurch, daß sie zugleich
die durch das IT. Vaticanum in Gang gekommene Diskussion
um die Grundstrukturen des Wortg<->ttesdienstes wesentlich fördert.
Indem sie sich dem längst noch nicht zureichend bearbeiteten Gebiet
des Stundengebetes zuwendet, geht es hier um die Fragen:
warum wird überhaupt im Rahmen des Stundengebers Schriftlesung
geübt und seit wann? Ja, gehört die Schriftlesung zum
Wesen des Stundengebetes oder nicht? Das Kathedra1offiei„m
wurde dafür vom Verf. gewählt, weil es sich als typischer von
der Gemeinde getragener Volksgottesdienst sowohl Qualitativ wie
Quantitativ vom Mönchsofficium unterscheidet und gerade als solcher
für das liturgische Leben heute zunickgewonnen werden sott
Andererseits haben sich in den orientalischen Kirchen die Strukturen
eigentlicher Volksoffizien reiner erhalten als in den westlichen
Kirchen, und Jerusalem empfiehlt sich als Ausgangspunkt
einer Untersuchung durch den einzigartigen Ouellenreichhim für
sein gottesdienstliches Leben. Im I. Abschnitt wird der Pilgerberieht
der Egeria untersucht und mit zeitgenössischen Zeugnissen zum
Offizium verglichen. Es ergibt sich, daß der Begriff „Wortgottes-
dient" nicht, wie es bis in die Definitionen des TT Vaticanum hinein
üblich, nur als Verkündigungsgottesdienst verstanden werden darf.
Im Zeugnis der Egeria begegnen uns vielmehr zwei gleich ur-

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4