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Ausgabe:

1969

Spalte:

300-302

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Slenczka, Reinhard

Titel/Untertitel:

Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi 1969

Rezensent:

Rissi, Mathias

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sind für Lang „die Beglaubigung des Sendungsanspruchs Jesu"
(233-275). Ob er damit allerdings empirische Forschung an historischen
Sachverhalten auf Grund von Quellen und die darüber
hinausgehende Verstehenswissenschaft wie theologische Reflexion
und als Ganzes die Systematische Theologie überzeugend verbunden
hat, wird wohl auch vielen, trotz Vaticanum II über „historische
Zuverlässigkeit" der Wunderberichte zurückhaltender als
Lang urteilenden katholischen Theologen fraglich bleiben.

Jena Horst B e i n t k e r

Dombois, Hans: Evangelium und soziale Strukturen. Witten:

Luther-Verlag 1967. 224 S. 8°. Kart. DM20,-.

Die gegenwartige Theologie hat vielleicht besonders nötig, von
Außenstehenden auf Horizontverengungen, Betriebsblindheit hier
und da und Vorurteile aus Gewohnheil und Fachenge aufmerksam
gemacht zu werden. Leider gibt es nur wenige Laientheologen, die
in ähnlicher Weise selbständig erarbeitete theologische Sachkenntnis
mit der Freiheit vom Schul- und Richtungszwang sowie mit
Freimut zu verbinden vermögen wie der Jurist Dombois. Seine
mehrmals sichtbar werdende Reserve gegenüber der Universitätstheologie
, die sich zu unverhohlener Ablehnung von mancherlei
„Mode" in der gegenwärtigen Theologie steigern kann, birgt Befreiendes
in sich. - Den in diesem Band zusammengefaßten Aufsätzen
und Abhandlungen ist gemeinsam, daß sieausderSicht
des Juristen Akzente setzen und hierbei neue Tragweiten zu
erschließen vermögen. Auf folgende Themen und Gedanken sei
auswahlweise besonders aufmerksam gemacht.

Das Thema Rechtfertigungslehre (und die heutige
Anthropologie der personalen Beziehungen überhaupt) erhält eine
neue Beleuchtung dadurch, daß gezeigt wird, wie ihre dogmatischen
Kategorien der verbalen Zusage und des Vertrauens keine
zeitlosen anthropologischen Strukturen sind, sondern einer Zeit
entsprechen (dem Aufkommen einer mehr auf Handel und Industrieproduktion
als auf Besitz und Einzelarbeit stehenden Welt),
in der der Mensch in wachsendem Maße seine Abhängigkeit von
der Einhaltung von Zusicherungen und vom Kredit des Wortes
untereinander spürte. Wenn Luther der Treulosigkeit des Menschen
die Treue Gottes gegenüberstellt, so spricht sich hierin
nicht einfach ein zeitloser Gegensatz zwischen Mensch und Gott
aus, sondern die Situation des auf Zusagen angewiesenen Menschen
beim Verlust seiner (besitzbürgerlichen) Autarkie und damit
eine geschichtlich mehr kommende als vergehende Situation.
,.In einem extremen Sinne dem Existenzrisiko ausgesetzt, ist er
zugleich in einer einzigartigen und unüberbietbaren Weise gedeckt
. Von dieser Dialektik her ergibt sich nunmehr eine radikale
Freiheit in den so eröffneten Lebensformen" (S. 60). Dabei bedeutet
der „Nachweis, daß die zentralen dogmatischen Aussagen über das'
Gottesverhältnis in den Kategorien einer bestimmten Rechtsepoche
und sozialen Struktur ausgedrückt wurden" (S. 59), natürlich andererseits
eine gewisse Begrenzung ihrer Aussagekraft.

Überhaupt verdienen Lageanalysen in dem Buche von
Dombois große Beachtung, besonders den Übergang zum nachbürgerlichen
Zeitalter betreffende, wie sie in der Frage gipfeln,
„ob die Strukturen der nachbürgerlichen Welt von Kirche und
Theologie aufgenommen und rezipiert worden sind" (S. 77) oder
doch wenigstens die „fatale Verbindung zwischen der Unbedingt-
heit des Christentums und der scheinbaren Unüberbietbarkeit des
bürgerlichen Zeitalters mit seinem Freiheits- und Personbegriff"
(S. 76f.) hinreichend überwunden ist. Für die Kirche bedeutet
jene Entwicklung mehr Verständnis für Dialog und Pluralität und
zugleich eine stärkere Besinnung auf ihre Universalität bzw.
Ökumenizität (S. 79), in anderer Hinsicht eine Neuformierung von
Orden, Bruderschaften oder Dienstgemeinschaften, die freilich ihre
verschärfte Sittlichkeit und persönliches Engagement bspw. für
jegliche Kriegsdienstverweigerung nicht zum allgemeinschristlich
verbindlichen Gesetz erheben dürften, so daß in gewisser Weise
nun doch eine Komplementaritätsethik als die ernsteste und realste
Lösung angesehen werden müsse.

„Die Reformatoren haben den in der katholischen Kirche untergegangenen
Gemeindegedanken wiederentdeckt und waren damit
beschäftigt; sie hatten andererseits das Ordens- und Bruder-
schaftswesen in der verkommenen Form des späten Mittelalters
vor sich. Sie sind deshalb diesen Erscheinungen nicht wirklich ge-

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recht geworden, sondern sind einseitig den Weg der ... Einheitsethik
gegangen. ... Die Kirche lebt nicht nur in der einzigen sozialen
Form der Gemeinde. Der biblische Begriff ekklesia bedeutet sowohl
die Gesamtkirche wie die örtliche Versammlung der Christen.
So hat die Kirche drei Gestalten: Die (Gesamt-)Kirche, die (Orts-)-
Gemeinde und die Bruderschaft" (S. 211f.).

Ein starkes Bewußtsein für Realitäten hindert Dombois auch
daran, die Kirchengeschichte zu sehr nur als Abfalls- und Verfremdungsgeschichte
(S. 14, 80) zu sehen. Wie er für die heutige
Zeit von der Kirche Pionierdienst, Präzedenzfälle und weltverändernde
Aktivität verlangt, so findet sein sachkundiger Blick auch
in der Vergangenheit Modelle und Vergleichbares (S. 35f., 112).
Daß Derartiges besonders von den theologischen Fakultäten ausgehen
könne, ist freilich nicht die Meinung von Dombois. Im
Gegenteil sieht er sie hierfür zu sehr in der Rolle einer in sich
schwingenden und sich selbst erhaltenden Größe, die zudem noch
(bei der „steigenden Verunsicherung des Berufsbilds des Pfarrers",
S. 140) der Praxis immer mehr „aktive Intelligenzen" entzieht, eine
Größe, der ein echtes Gegenüber fehlt, wie ein solches die juristischen
Fakultäten in Gestalt der obersten Gerichtshöfe haben, wo
sich „die Grundsatzfragen unter dem Entscheidungszwang stellen"
(S. 145). Das weist alsdann erneut auf das Problem einer Gesamtorganisation
der (protestantischen) Kirche etwa in Gestalt eines
protestantischen Konzils (S. 146f.).

Auf viele, besonders die theologische Ethik betreffende Einzelprobleme
wie Eigentum, Mönchtum, Askese oder auf Einzelbeobachtungen
wie das höhere ethische Bewußtsein der berufsmäßig
in Verkehrsunternehmen Stehenden im Vergleich zum privaten
bzw. individuellen Verkehrswesen (S. 119f.) sei noch aufmerksam
gemacht - und die Grundtendenz: mancherlei Spirituali-
sierung und Verkrümmung der Kirche in sich selbst zu wehren,
noch einmal kräftig bejaht.

Berlin Hans-Georg Fritzsche

Slenczka, Reinhard: Geschichtlichkeit und Personsein Jesu
Christi. Studien zur christologischen Problematik der historischen
Jesusfrage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1967]. 366 S.
gr. 8" = Forschungen z. systematischen u. ökumenischen Theologie
, hrsg. v. E. Schlink, 18. Kart. DM28,-; Lw. DM32,-.
Das Buch von Slenczka ist ein Durchbruch durch längst erstarrte
Fronten der alten und neuen „Frage nach dem historischen Jesus".
S. will nicht eine weitere historische Untersuchung zum historischen
Jesus-Problem liefern, sondern sucht kritisch nach dessen
Iheologiegeschichtlicher und theologischer Bedeutung. Seine hervorragende
Analyse der Geschichte der historischen Jesusfrage
und ihrer theologischen Funktion in den Systemen eröffnet ein
neues und gründliches Verstehen der Väter, besonders unseres
und des letzten Jahrhunderts. S. ist einer der eher seltenen Theologen
, denen es gelingt, wirklich zuzuhören und zu begreifen,
was seiner Gesprächspartner tiefstes Anliegen ist - ohne sie vorschnell
belehren zu wollen - und die eigentlichen Motive in der
Problemstellung zu erhellen.

Der Inhalt des Buches kann nur in einigen notgedrungen vereinfachenden
Linien nachgezeichnet und angezeigt werden. Nach
einer Umgrenzung der Aufgabe, die sich S. gestellt hat, nämlich
die dogmatische Relevanz der historischen Jesusfrage im Zusammenhang
der christologischen Problematik zu erfassen, klärt er
vor allem den Begriff der „historischen Jesusfrage", der die alte
und neue Frage nach dem sog. historischen Jesus umfaßt und den
er wählt, um verengenden Vorverständnissen der geschichtlichen
Problematik zu entgehen. Es soll gezeigt werden, daß und wie
das historische Fragen nach Jesus Christus immer Teil der Christusfrage
ist, „die eben nicht nur von uns gestellt wird, sondern
die uns gestellt ist"; denn „das methodisch bestimmte historische
Fragen kann seinen Grund und sein Ziel nur in der sachbezogenen
Frage nach dem im Neuen Testament bezeugten und von
der Gemeinde geglaubten Jesus, dem Christus, haben".

In einem ersten Teil des Werkes folgt dann eine systematische
Analyse der historischen Jesusforschung von Lessing bis zur Gegenwart
unter theologiegeschichtlichen Gesichtspunkten. Sehr schön
wird herausgearbeitet, daß die treibenden Motive der ganzen
historischen Jesusforschung nicht im Historischen liegen, sondern
von theologischen Fragestellungen (christologischen oder herme-

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4