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Ausgabe:

1969

Spalte:

296-297

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Berkouwer, Gerrit C.

Titel/Untertitel:

Gehorsam und Aufbruch 1969

Rezensent:

Dekker, Aat

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4

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wissen'... in geschichtlich-menschlicher Relativität, ja in mensch
licher Schuld" (S. 333). Die Schrift ist „das wichtigste (nicht das
einzige) Kriterium, wenn es gilt, göttliche und menschliche Tradition
in der Kirche zu unterscheiden" (S. 334). - A. Müller,
Autorität und Gehorsam in der Kirche, und F. Böckle, Zur Krise
der Autorität. Randbemerkungen aus Anlaß eines Buches, befassen
sich mit der Autoritätskrise in der katholischen Kirche. Müller
unterscheidet zwischen dem „Bereich der Lehrautorität", in welchem
„der Begriff des Gehorsams eigentlich nicht verwendet werden
(sollte), sondern nur der Begriff der Zustimmung" und dem
Bereich „der Befehlsautorität in der Kirche" (S. 228f). Der Gehorsam
des mündigen Christen entbindet nicht von der Mitverantwortung
. „Erkennt der Gehorchende, dafj ein Befehl. . . das objektiv
Gute beeinträchtigt, dann verlangt seine Mitverantwortung
für dieses, daß er im Rahmen seiner Möglichkeiten dem Befehlenden
Vorstellungen macht. . . Nach fruchtloser Bemühung um einen
besseren Befehl ist der Untergebene um der Ordnung willen so
lange zum Gehorsam verpflichtet, als nicht die Durchbrechung des
Befehl-Gehorsamverhältnisses zu Besserem führt oder das geringere
Übel ist als die Erfüllung des schlechten Befehls" (S. 232).
Daraus folgt: „Absolutismus darf es in der Kirche nicht mehr
geben" (S. 236). „Kirchliche Autorität ist wesentlich brüderliche
Autorität. Sie schafft nicht wesenhafte Über- und Unterordnung,
sie ist unter Brüdern, unter wesenhaft Gleichgesellten Hinweis auf
die übergeordnete Autorität des Vaters" (S. 237). Auch F. Böckle
sagt: „Kirchlicher Gehorsam ist kein widerspruchsloser Gehorsam
" (S. 242). Wenn man überzeugt ist, „dafj eine bestimmte Forderung
falsch gestellt ist, darf man nicht schweigend emigrieren.
Dann ist man den Trägern des Lehramtes ein offenes, ehrliches
Zeugnis schuldig, aus Liebe zur Kirche und zu den Brüdern"
(S. 243). Insbesondere die theologische Diskussion ist, abgesehen
von den unfehlbaren Definitionen, nicht das Feld für Gehorsamsforderungen
. Vorschriften und Verbote sind „nicht die adäquaten
Mittel, um in eine theologische Diskussion einzugreifen", sondern
theologische Argumente (S. 245). Kritisch gegenüber der Enzyklika
.Humani generis' sagt Böckle: „Bei allen nicht unfehlbaren Äußerungen
steht es darum grundsätzlich der Theologie zu, die Rc-
formabilität oder Relativität dieser Aussagen durch den Hinweis
auf die Schrift und die Tradition darzulegen" (S. 2440. Hier tut
sich ein weites Feld auf, wenn man berücksichtigt dafj die Grenzen
zwischen unfehlbaren und nicht unfehlbaren Lehräufjerungen
sehr schwer zu ziehen sind! - P. Huizing, Grundprobleme der
kirchlichen Eheordnung, behandelt sehr freimütig einige brennende
Fragen des römisch-katholischen Ehcrechts und seiner Revision
. Nach ihm ist es „heute nicht mehr annehmbar, dafj zu
Gunsten der gesellschaftlichen Stabilität der Ehe Menschen eine
Eheverbindung auferlegt wird, die sie selber nicht hatten zustande
bringen wollen oder nicht zustande bringen konnten. Die Kirchenordnung
muß jetzt eines jeden Menschen persönliche Lage so neh
men, wie sie wirklich ist" (S. 525). Ferner setzt er sich dafür ein,
die ausschließliche Zuständigkeit der Kirche in allen Ehefragen
nicht weiterhin zu verfechten, sondern „die Regelung der irdischen
, zeitlichen profanen Aspekte (der Ehe) den politischen Ge
Seilschaften" zu überlassen (S. 528): „Heute ist die Einsicht gereift
, dafj auch die profanen irdischen Werte gegenüber den religiösen
ihre Selbständigkeit haben; und damit wird auch die Auto
nomie der staatlichen politischen Rechtsordnung gegenüber der
kirchlichen Rechtsordnung anerkannt". Als „eine unbedingt veraltete
Erscheinung" bezeichnet Huizing „eine positive kirchliche
Gesetzgebung für Menschen, die diese nicht anerkennen und sogar
nicht einmal kennen", nämlich die Ausdehnung der kano
nischen Ehevorschriften auf die Ehen nichtkatholischer Christen:
„So schließt ein Protestant gültig mit einer ungetauften Ungläubigen
die Ehe, aber ungültig mit seiner getauften christgläubigen
Großnichte!" (S. 529). Das Eheprozeßrecht müßte radikal revidiert
werden im Sinne „einer allseitig pastoralcn Sorge für die Betroffenen
" (S. 533).

Errata: S. 37 lies TOxpa&ooK; S. 105 Z. 16 lies: es ist, statt: ist es.
S. 116 Z. 17 1: Gemeinsamkeiten st: Grausamkeiten; S. 155 Z. 2
v. u. 1.: 2 st: 4; S. 191 Z. 161: B. st: b.; S. 196 Z. 2 1: denn st: den;
S. 240 Z. 1 1: den st: dene; S. 433 Z. 5 v. u. 1: unökumenisch st:
unökonomisch.

Halle/Saale Erdmann Schott

Berkouwer, G. C, Dr.: Nabetrachting op het Concilie.

Kampen: Kok 1968. 198 S. gr. 8°. Lw. hfl. 14,75.

Der holländische Autor, o. Professor in der systematischen
Theologie in Amsterdam, war als Beobachter 'a titre personel'
beim Vatikanum II anwesend. Während des Konzils schrieb er
mit großer Offenheit sein .Vaticaans Concilie en nieuwe theologie',
eine Bestandaufnahme der damaligen Lage. Jetzt erschien von
ihm ein weiteres Buch über das Konzil, und zwar unter dem
Thema: ,Nabetrachting op het Concilie'.

Sofort wird man feststellen, daß dieses Buch ohne Polemik
und Apologetik komponiert wurde. Man deutet es am besten
als einen glänzenden Entwurf zur Orientierung und Klärung der
nachkonziliaren Situation, ein Votum innerhalb der katholischen
Diskussion, abgegeben von einem wohlwollenden Beobachter.
Fesselnd ist die Art und Weise, wie Berkouwer mit großer Sachkenntnis
- und daher wohl mit großer Vorsicht - den Horizont
der theologischen Möglichkeiten abtastet, ohne sich dabei zu
voreiligen Prognosen verleiten zu lassen.

Für diejenigen, die in Basel in den letzten Semestern an den
Kolloquien des alten Barth über Vatikanum II teilnahmen, ist der
Vergleich mit Berkouwer interessant. Barth exegesierte die vatikanischen
Texte ,auf Hoffnung' und auf die Richtung der neueren
katholischen Theologie hin. Dabei zeigte er manchmal mit großer
Begeisterung die Entwicklung in der katholischen Theologie seit
dem Tridcntinum auf. Berkouwer ist zurückhaltender und beschränkt
sich auf eine - übrigens sehr freundliche - Darstellung
der Strukturen der heutigen Problematik. Er zeichnet mit großem
Feinsinn die subtilen Linien der Gedankengänge in den Texten
nach, weist auf unvermeidliche Kompromisse, die damals geschlossen
wurden, hin, und «ehält verschiedene der wichtigsten
Fragen aus der Vielfalt der Diskussionen und Publikationen
heraus. Den Hintergrund beinahe aller Probleme sieht Berkouwer
in der Frage nach der Kirche und ihrer Macht. Und seiner Meinung
nach wird gerade das Faktum der divergierenden Einsichten im
Hinblick auf die Struktur der kirchlichen Autorität zu einem der
wichtigsten Gesprächsthemata der postkonzilaren Zeit werden.

Das erste Kapitel (Erneuerung und Exklusivität wird beherrscht
von der Frage, ob der von Paul VI. befünvortete Dialog im
Rahmen der pastoralen Absicht des Konzils sich mit der Verkündigung
vereinigen lasse. Wie verhält sich die Heilsnotwendigkeit
der Kirche einerseits und der .persuasio'-Charakter
der Verkündigung anderseits zum proklamierten aggiornamento?
Berkouwer zeigt, wie hier ein Heilsoptimismus (vgl. z. B. die
anonymen Christen: Rahner) sichtbar wird, der auch dort mit der
Gnade rechnet, wo ein Mensch reflektierend noch nichts davon
weiß. Die Ekklesiologic hat deshalb auch ihren ,anti-Charakter'
verloren. Aber die Grundfrage bleibt: Wie steht es mit dem
.Semper eadem?'. Ist ein aggiornamento möglich mit einer geänderten
Spiritualität, wobei der Hintergrund doch noch immer die
objektive Unveränderlichkeit der Kontinuität bleibt?

So wird im zweiten Kapitel (die Kontinuität) auf zwei Momente
hingewiesen, die die Frage nach der Kontinuität beeinflußten: das
erneuerte Interesse am Galilei-Prozeß einerseits, anderseits die
rein theologische Besinnung auf dogmcngeschichtliche Fragen.
Immer mehr beobachtet man, wie in der Geschichte der Dogmenbildung
selber schon die historischen Akzente auf eine Honoric-
rung drängen. Es gibt eine Evolution in der Dogmenbildung, und
deshalb geht heute die Diskussion um den Modus der Historizität
innerhalb der Kontinuität. Berkouwer
zeigt, wie sehr in dieser Problematik .Mysterium Fidei' eine Stellung
bezogen hat, die eine enge Verwandtschaft mit ,Humani
Generis' aufzeigt. Anscheinend fürchtet der Papst einen Rückfall
in den Modernismus, wenn einer im Dogma eine Dissoziation
zwischen Form und Inhalt aufzeigen will.
Demgegenüber steht nun, daß die neue Theologie gerade durch
diese sogenannte Dissoziation im Hinblick auf die Wahrheit des
Dogmas selbst eine bessere Einsicht zu erhalten meint.

Immer wieder enthält sich Berkouwer einer Beurteilung, er
stellt das Problem zur Diskussion, sucht den Hintergrund zu erhellen
, um die Arbeit weiter zu bringen, weist aber niemals eine
Denkrichtung auf, in der seine Gesprächspartner vielleicht gehen
könnten.