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Ausgabe:

1969

Spalte:

294-295

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Theologisches Jahrbuch 1968 1969

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Individualitätsgedanken her zu beurteilen sind. Schließlich erfährt
der württembergische Pietismus (Bengel, Oetinger, Pregizer) mit
seinem eigen wüchsigen Biblizismus eine Würdigung.

Durch sein Eingehen auf entscheidende Grundfragen in die heutige
Forschung ist das Buch zweifelsohne als eine Einführung in
die geschichtliche und theologische Problematik von Orthodoxie
und Pietismus durchaus geeignet.

Auf Seite 90 unten dürften der Gubener Johann Franck und der
Weimarer Salomo Franck verwechselt worden sein.

Marburg/Lahn Winfried Zeller

Spaemann, Robert: Reflexion und Spontaneität. Studien über
Fenelon. Stuttgart: Kohlhammer [1963]. 304 S. gr. 8°. Kart.
DM 26,-.

Das Werk bietet eine neue Darstellung der geistigen Welt Fene-
lons. Der Verfasser möchte keineswegs die bisherige Literatur
über Fenelon um eine weitere Spezialuntersuchung bereichern. Er
ist vielmehr der Ansicht, daß die moderne Fenelon-Forschung sehr
viel grundsätzlicher ansetzen müsse. Es gilt, „Fenelon als den
Theologen, Philosophen, Pädagogen, Schriftsteller ins Auge zu
fassen, der das Problem christlicher Existenz auf dem Boden der
Moderne, auf dem Boden der Entzweiung gestellt hat, einer Entzweiung
, die sich methodologisch z. B. in dem Auseinandertreten
von Ontologie und Psychologie darstellt und die psychologisch
zum Problem der unendlichen Reflexion wird". In reger Auseinandersetzung
mit der bisherigen Fenelon-Literatur will der Verfasser
„Fenelons Schlüsselstellung innerhalb der Geschichte der
geistigen Bewältigung des Problems der Entfremdung" herausarbeiten
.

Das überraschende Ergebnis der Untersuchungen Spaemanns
ist zunächst, daß mit Fenelon die Mystik aufhört, ein esoterisches,
neben dem allgemeinen Geistesleben hergehendes Phänomen zu
sein, daß sie vielmehr einmündet in jenes. Fenelon hat im Grunde
die mystische Tradition in einem allgemeinen Sinn ethisch relevant
und zur Bewältigung spezifisch moderner Lebensprobleme
fruchtbar gemacht.

Im einzelnen zeigt Spaemann, dafj Fenelons religiöse Anschauung
sich in dem Begriff der reinen, uninteressierten Liebe zusammenfaßt
. Mit seiner Theorie vom „Desinteressement" kommt Fenelon
der Ethik des reinen, guten Willens von Kant nahe. Im Gegensatz
zu Bossuet hat nämlich Fenelon das Ideal der Glückseligkeit
als ethisches Motiv venvorfen. Jeglicher Eudämonismus ist zugleich
unfromm und unmoralisch. Eben deshalb geht es Fenelon
um die reine Spontaneität der Liebe. In dem Streit um das Verhältnis
der beiden theologischen Tugenden Hoffnung und Liebe
wurde Fenelon kennzeichnender Weise vorgeworfen, er gebe die
christliche Hoffnung preis, während er selbst seine Gegner beschuldigte
, die Liebe als höchste christliche Tugend praktisch in
der untergeordneten der Hoffnung aufgehen zu lassen. Fenelon
selbst glaubte, daß nur durch eine Aufhebung der Hoffnung im
Gehorsam die Hoffnung selbst eine Zukunft hat. Von Fenelons
Begriff der Uninteressiertheit, seiner Erfahrung der „Dürre" her
wird auch seine erbitterte Feindschaft gegen Port Royal, den
Jansenismus und Pascal verständlich.

Fenelon hat die Einfalt als den „Geist der Kindheit" entdeckt
und ihn als wiedergewonnene Unschuld, als Naivität beschrieben.
Auf diese Entdeckung des Kindes und die Idealisierung der Kindheit
Jesu gründen sich seine pädagogischen Bestrebungen. Im Spiel
des Kindes sieht Fenelon den genauen Gegensatz zum Herrschaftswillen
des Eroberers.

Die Korrespondenz zwischen Fenelon und der Madame Guyon
kreist um das Problem des „puren Glaubens" und seine Dunkelheit
. In Gehorsam und Gelassenheit gegenüber dem Willen Gottes
findet der Mensch seine Freiheit. Dieser Gedanke prägt sogar
Fenelons Kirchenbegriff: Die alte Kirche erweist sich deshalb zugleich
als die wahre, weil sie Gehorsam fordert. Darum hat Fenelon
auch die Mystiker aller Richtungen zum kirchlichen Gehorsam
aufrufen können.

Weiterhin wird untersucht, in welchem Sinne sich Leibniz im
Hinblick auf seine Monadcnlehrc mit Fenelons Idee der Uneigen-
nützigkeit der Liebe beschäftigt hat. Schließlich ergänzen Anhänge
über Fenelon und Jean Paul sowie über Schopenhauer und den
Quietismus die anregenden Ausführungen dieses Buches, das eins

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der hervorragendsten theologie- und geistesgeschichtlichen Werke
über Fenelon und den Quietismus bilden dürfte!

Marburg/Lahn Winfried Z e 1 I e r

Brandmüller, Walter: Der Fall Galilei - ein Konflikt Naturwissenschaft
und Kirche? (StZ 182, 93. Jg. 1968 S. 399-411).

Burkhardt, Joachim (Hrsg.) i Zwei Jahrzehnte im Urteil der
Zeitgenossen. München: Kaiser 1966. 137 S. 8°. DM8,-.

Fischer-Appelt, Peter: Albrecht Ritsehl und Wilhelm Herrmann
. Eine Auswahl aus dem Briefwechsel (1875-1889) (ZKG 79,
1968 S. 208-224).

Hees, Ulrich: Die Anfänge der Kirchenbildung in Rio Grande do

Sul (Die evangelische Diaspora 39, 1968 S. 51-70).
Mostad, Jon: Christopher Bruuns holdning til vekkelsen i „for

frisindet Christendom", 1884-1886. (Tidsskrift for teologi og

kirke 32, 1968 S. 105-120).
Planer-Friedrich, Götz: Schleiermacher als Revolutionär

für Theologie und Kirche (ZdZ 22, 1968 S. 406-410).
Queralt, Antonio: Una opiniön que hay que revisar: ^Sostiene

Luis de Molina la espeeificaeiön del acto por el objeto formal?

(Gregorianum 49, 1968 S. 694-725).
Ritter, Karl-Bernhard: Notizen zum Bekenntniskampf (Qua-

tember33, 1968/69 S. 5-9).
Schattenmann, Paul: Briefe von Karl Holl 1914-1921 (ZKG

79, 1968 S. 77-84).
Schmidt, Jürgen: Studien zur Vorgeschichte des Pfarrernotbundes
(ZKG 79, 1968 S. 43-67).
Schweiger, Georg i König Ludwig I. von Bayern (ZKG 79, 1968

S. 180-197).

Volk, Ludwig i Die Fuldaer Bischofskonferenz von Hitlers Machtergreifung
bis zur Enzyklika „Mit brennender Sorge" (StZ 183.
94. Jg., 1969 S. 10-31).

Winter, Friedrich : Bruderdienst einst und iet*t (Die evangelische
Diaspora 39, 1968 S. 86-100).

W i r s c h i n g , Johannes [Hrsg.] i Christologische Texte aus der
Vermittlungstheologie des 19. Jahrhunderts. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn [1968], 80 S. 8° = Texte zur
Kirchen- u. Theologiegeschichte, hrsg. v. G. Ruhbach unter
Mitarb. v. G. A. Benrath, H. Scheiblc u. K.-V. Selge, 8. Kart.
DM 8,80.

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Theologisches Jahrbuch 1968, hrsg. v. A. Dänhardt.

Leipzig: St. Benno-Verlag 1967. 538 S. gr. 8°.

Das Theologische Jahrbuch 1968 bringt 42 Beiträge von 41 Autoren
A. Vögtle ist zweimal vertreten), darunter von zahlreichen
Nichtkatholiken (O. Cullmann, E. Wolf u.a.); 30 Beiträge stammen
aus: Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie, Jahrgang
2 (1966) oder Jahrgang 3 (1967). Die Thematik ist wieder
sehr reichhaltig und umfaßt dogmatische, neutestamentliche, reformationsgeschichtliche
, praktisch-theologische, ökumenische und
konfessionskundliche Fragen. Nur auf einiges kann hier eingegan
gen werden.

G. Baum behandelt eins „der schwierigen Probleme der zeitgenössischen
Theologie", nämlich „die Irrtumslosigkeit und Unfehlbarkeit
des kirchlichen Lehramtes mit den in unseren Tagen
erfolgenden Wandlungen auf dem Gebiet der Lehre in Einklang
zu bringen" (S. 213). Er formuliert drei Fragen, „auf welche wir
keine Antwort wissen: Wo liegt die Trennungslinie zwischen unfehlbarer
und nicht-unfehlbarer Lehre der Kirche? Welche genaue
Bedeutung haben definierte Lehren in ihrem historischen Zusammenhang
? Wie weit wird eine größere Treue zum Evangelium
zu einer näheren Bestimmung unserer gegenwärtigen Lehre führen
?" (S. 223). In der Lehrentwicklung unserer Tage könne man
„nicht mehr von einer Lehrentwicklung von einer Wahrheit zu
einer größeren Wahrheit sprechen", sondern müsse zugeben, „daß
Gott uns aus der Blindheit zum Sehen geführt hat" (S. 222). - W.
Kasper betont, daß ein Dogma „ein geschichtlicher, voll und ganz
menschlicher Versuch (ist), den Inhalt des Evangeliums in einer
bestimmten .. . Situation gegen Verfälschungen abzuschirmen"
(S. 332). Die Kirche kann sich zwar „nicht mehr definitiv im Irrtum
festlegen", aber auch „unser Glaubenswissen ist noch .Stückwerk-

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4