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Ausgabe:

1969

Spalte:

287-289

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kind, Helmut

Titel/Untertitel:

Die Lutherdrucke des 16. Jahrhunderts und die Lutherhandschriften der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 1969

Rezensent:

Lülfing, Hans

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sowohl an Luther wie an Althaus gestellt werden, vor allem im
Bereich der Sakramentslehre, des Problems Paulus und Luther und
der Zwei-Reiche-Lehre.

F. W. Kantzenbach geht in seinem Beitrag „Strukturen in der
Ekklesiologie des älteren Luther" (S. 48-77) der Teilfrage nach,
welche Bedeutung die Lehre von den notae ecclesiae bei Luther
hat. Nach einem Forschungsüberblick wird zusammengestellt, wie
Luther das Wesen der einen Kirche Jesu Christi zu umschreiben
versucht hat, was für sein Verständnis der Katholizität der Kirche
erhebliches austrägt. Dann wird dem Nota-Problem in Luthers
Theologie bis 1539 nachgegangen und schließlich der Entfaltung
des Problems in Luthers Spätschriften, wobei die eschatologische
Perspektive eine gewisse Rolle spielt, in der Luther die Kirche
sieht. Im letzten Abschnitt „Papsttum und Kirche" vergleicht Kantzenbach
auch die moderne Sicht von Mt 16,18 mit Luthers Stellung
zum Felsenwort und ruft zur Beachtung gewisser historischer Tatsachen
. Alles in allem: ein Beitrag, über den sich jeder freuen
wird, der bemüht ist, den älteren Luther nicht gegenüber dem
jüngeren völlig zu vergessen.

Den dritten großen Aufsatz des Jahrgangs hat Oskar Bartel
unter dem Thema geschrieben „Beitrag der Reformation zur polnischen
Kultur" (S. 78-96). Mancher mag aus der Ferne geneigt
sein, hinter dieses Thema eher ein Fragezeichen zu setzen. Aber
Bartel weiß im Anschluß an eine Ubersicht über die Stellung der
polnischen Historiographie zur Reformation manches Interessante
über „das Interesse an den religiös-kirchlichen Fragen", „die polnische
Reformation als wichtiger Kulturfaktor in der Geschichte
der altpolnischen Rechtschreibung, Sprache und Literatur", „das
evangelische Schul- und Erziehungswesen", „Wissenschaft und Philosophie
" und „die soziale und politische Ideologie der polnischen
Andersgläubigen" zu sagen. Bei der Lektüre wird einem erneut
die auch über die Grenzen Polens hinaus in mehr als einer Hinsicht
zukunftweisende Bedeutung der polnischen Brüder bewußt.
Daß die polnische theologische Sprache und Terminologie auf die
Bemühungen protestantischer Theologen des 16. Jahrhunderts zurückgeht
, die dabei mit der aktiven Gegnerschaft der römischkatholischen
Geistlichkeit zu rechnen hatten, verdient festgehalten
zu werden, wie überhaupt das Verdienst der Reformationskirchen
um die polnische Sprache („Es sollen ja die fremden Völker wissen
, die Polen sind nicht Gänse, sie haben ihre eigene Sprache" -
ein Satz von Mikolaj Rej). Eine Schlüsselstellung nimmt hier der
Lutheraner Jan Seklucjan (f 1578) ein. Bartel erinnert auch daran,
daß die Hauptwerke des Arnos Comenius in Polen entstanden
sind. - Zwei kleine Versehen sind in Bartels Aufsatz stehengeblieben
: Sein Buch über Jan Laski ist 1955 erschienen (gegen S. 81
Anm. 19), und Pietro Paolo Vergerio ist dem 16. Jahrhundert zuzuweisen
(gegen S. 87 o.).

An die Rubriken „Buchbesprechungen" und „Luther und die
Welt der Reformation" (letztere als eine Art Literaturbericht vom
Herausgeber bestritten) schließt sich die Luther-Bibliographie an.
Sie überschreitet in diesem Jahrgang das erstemal die Zahl von
1000 Veröffentlichungen, obwohl ein strengerer Maßstab angelegt
ist. Daß sich der Gesichtspunkt „Luthers Gestalt und Lehre in der
Gegenwart" mit immerhin 109 Nummern der Bibliographie zu
Wort meldet, wird bei der Zusammenstellung der Literatur des
Jubiläumsjahrs nicht verwundern.

Der Band enthält daneben außer einer Bibliographie spanischsprachiger
Lutherliteratur von 1942 bis 1965 mit 78 Nummern
auch die bereits im Vorjahr angekündigte Bibliographie der marxistischen
Luther-Literatur in der DDR 1945-1966, deren Erscheinen
sehr zu begrüßen ist. Sie hat einige wenige Lücken (sie sind dem
Herausgeber, soweit sie augenfällig sind, schon mitgeteilt worden),
was freilich bei einem solch weitgespannten Unternehmen kaum
vermeidbar ist. Titel 247 ist unrichtig angegeben, 187a stellt
Titel 805 der Luther-Bibliographie richtig.

Auch das diesjährige Jahrbuch wird dankbarer Benutzung gewiß
sein dürfen.

Körner/Thür. Ernst Koch

Kind, Helmut: Die Lutherdrucke des 16. Jahrhunderts und die
Lutherhandschriften der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek
Göttingen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1967. 349 m. 27 Abb. i. Text u. a. Taf. gr. 8° = Arbeiten aus

288

der niedersächs. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen,
6. DM40,-.

Die bibliographische Erfassung der Schriften Martin Luthers in
der Weimarer Ausgabe hat die eingehende Verzeichnung einzelner
größerer Sammlungen überkommener alter Drucke seiner Schriften
keineswegs überflüssig erscheinen lassen. Derartige separate Kataloge
haben die W. A. seit ihrem Beginn begleitet: Arey von
D o m m e r, Hamburg, 1888; A. H e y e r, Breslau, 1892; K. H e i -
1 a n d, Erlangen, 1898. Noch vor einigen Jahren konnte Franz
Georg Kaltwasser nach der Erschließung der Lutherschriften
in Coburg (Die zeitgenössischen Luther-Drucke d. Landesbiblio-
Ihek Coburg, 1961, S. 9) darauf hinweisen, daß dort einige unbekannte
oder seltene Lutherdrucke bisher unbeachtet geblieben
waren, da sich die coburgischen Sammlungen seinerzeit der Mitarbeit
an der W. A. entzogen hatten. Auch der Bearbeiter des vorliegenden
Katalogs vermag die bibliographischen Nachweise in der
W. A. um 20 Ausgaben zu bereichern und 110 Titel bekannten
Druckern zuzuweisen. In solchen Zuschreibungen tritt der seitherige
Fortschritt in der druckgeschichtlichen Erforschung des aus
dem 16. Jh. überkommenen Schrifttums erfreulich hervor. Die
Verhältnisse stellen sich damit ganz ähnlich wie in der Wiegendruckforschung
dar; auch hier wird die zentrale Erschließung und
Verzeichnung im Gesamtkatalog der Wiegendrucke in Berlin durch
eine in diesem Falle international breit gestreute Aufarbeitung der
Inkunabelbestände einzelner Länder oder auch einzelner Bibliotheken
in Sonderkatalogen, die in den letzten Jahrzehnten in steigender
Zahl im Druck veröffentlicht worden sind, aufs vorteilhafteste
ergänzt. Die Beschreibung der Besonderheiten der jeweils
vorliegenden Exemplare förderte neue Funde zutage, führte
zu genaueren Bestimmungen und Zuschreibungen. Die Vielfalt der
Erschließungsleistungen ist nicht Doppelarbeit und Kraftvergeudung
, sondern Bereicherung und Vertiefung unserer Erkenntnis.

Dieses Verfahren mußte sich im besonderen Maße bei der
Luthersammlung der Universitätsbibliothek in Göttingen lohnen,
denn sie gehört zu den bedeutendsten ihrer Art. Bereits bei der
Gründung der Bibliothek, 1737, brachte die Büchersammlung des
Großvogts Joachim Heinrich von Bülow etwa 30 Lutherdrucke als
Grundbestand ein. Noch im 18. Jh. vervielfachte sich dieser Besitz
und stieg dann bis etwa 1950 auf 770 Nummern. K. umreißt auf
S. 9 seines Katalogs diese Entwicklung. Mit der Übernahme der
von Oskar Mulert gesammelten Reformationsschriften im Jahre 1953
wuchs die göttingische Lutherschriftensammlung auf über 1200
Nummern an. Damit hatte sich der Bestand zu einem Umfang und
zu einer Bedeutung erhoben, der die bibliothekarische Erschliessung
mit dem Ziele eines im Druck zu veröffentlichenden Katalogs
und den damit verbundenen erheblichen Arbeitsaufwand gerechtfertigt
erscheinen ließ.

Verzeichnet werden nicht nur die in der Universitätsbibliothek
Göttingen so genannten Autographa Lutheri, die zu Lebzeiten des
Reformators erschienenen Lutherdrucke, sondern auch die später
im 16. Jh. folgenden Ausgaben, insgesamt 1220 Nummern. Ein
Nachtrag, der die Nummern 1206-1220 umfaßt, ist ganz am Schluß
des Bandes, S. 347-349, eingeschoben worden. Dem Katalog der
Einzelschriften voraus geht S. 25-31 eine vollständige Liste der
Gesamtausgaben der Werke Luthers von der Wittenberger Ausgabe
, 1539ff., bis zu W. A., da diese in der Universitätsbibliothek
Göttingen vollzählig vorhanden sind; allerdings werden Inhaltsübersichten
im einzelnen nicht geboten. Verzeichnisse der Teilsammlungen
und Auszüge schließen sich an, ebenso eine Gruppe
der von Luther herausgegebenen oder übersetzten Schriften anderer
Verfasser. Auf S. 314-321 folgen 34 gesondert gezählte Handschriften
mit verkürzten Beschreibungen. Nur zwei von ihnen sind
Autographe, die übrigen Abschriften oder Faksimiles, von denen
aber einige besonderen Quellenwert besitzen, da die Originale
als verloren gelten.

Hingewiesen sei auf die aufgegliederten Register (S. 322-346),
getrennt nach Personen, geographischen Namen, biblischen Büchern
, Druckern (diese zunächst nach Orten); dazu die Konkordanz
zur W. A. (S. 326-332). Das S. 337-346 zu findende Register
der Provenienzen, handschriftlichen Vermerke und Schreiber bietet
dem Gelehrten eine Fülle entlegener biographischer Angaben, wie
er ähnlich im Literaturverzeichnis (S. 15-20) eine stattliche Anzahl
gedruckter Kataloge von Privatbibliotheken aus dem 18. und
19. Jh. finden kann.

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4