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Ausgabe:

1969

Spalte:

281-283

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Van Elswijk, H. C.

Titel/Untertitel:

Gilbert Porreta 1969

Rezensent:

Kleineidam, Erich

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4

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telalterliche Gesellschaft, die sich als geschlossene Christenheit war bis in die jüngste Zeit von dem Urteil Bernhards von Clair-

verstand, gestellt war. Die Entwicklung einzelner Ketzereien ge- vaux und dessen Sekretär Gottfried bestimmt, die Gilberts Tri-

schieht in gesetzmäßigen Analogien und geht von unhäretischem nitätslehre für häresieVerdächtig hielten. Die Forschung wurde

heterodoxem Bekenntnis in Antwort auf offizielle Bekämpfung auf Gilbert besonders aufmerksam, seit A. Landgraf in vielen Un-

zur ausgesprochenen Häresie über. Nur das Hussitentum sprengt tersuchungen immer erneut den großen Einfluß feststellte, den

den Rahmen der Häresie, indem es ihm glückt, weder vertilgt gerade die Porretancrschule auf die Entwicklung der wissenschaft-

n°ch aus der Kirche auf die Dauer ausgeschlossen zu sein. Zum liehen Theologie ausübte. Chenu stellte als erster heraus, dafj

ersten Male differenziert sich hier Reformation von der Ketzerei. Gilbert eine neue Auffassung der Theologie vorgetragen habe.

Das kühne Unternehmen des Verfassers, gemessen an den Darin liegt seine eigentliche Bedeutung: er will den Wissen-
Schwierigkeiten der Aufgabe, ist im großen und ganzen ein schaftscharakter der Theologie klären. Sie sei auf Grund ihrer
Erfolg. Man wird Lücken und einzelnen Fehldeutungen im Blick Prinzipien eine vollberechtigte und voll verpflichtete Wissenschaft,
auf die Masse des zu verarbeitenden Materials wohl mit Verständ- die sich in den Rahmen des Universums der Wissenschaften voll
"is gegenüberstehen. Man wird auch die besonders gediegene einfüge. Es gäbe allgemeine Prinzipien, die für alle Wissenschaften
knappe Darstellung des metaphysischen Schriftbegriffes Wyclifs gelten, und das seien vor allem logische und sprachphilosophische
hervorheben können. Das ernsthafte Bemühen des Verfassers, Prinzipien; wenn die Theologie Wissenschaft sei, müßten diese
ein Entwicklungsbild der einzelnen Ketzereien innerhalb der Zeit- allgemeinen Prinzipien auch in ihr volle Gültigkeit haben. Das
spanne von zwei Jahrhunderten zu bieten, zersplittert sich leider schließe in keiner Weise aus, daß sie wie jede andere Wissen-
°ft in eine Unmenge von Informationen, deren quellenmäßiger schaft auch ihre Sonderprinzipien habe. Dieser Einbau der Theo-
Ursprung nicht immer einleuchtet. Auch da, wo das Werk die logie in eine allgemeine Wissenschaftslehre hat erst ermöglicht,
Quelle sogar wiedergibt, wie z. B. das Inquisitionsprotokoll gegen daß sie als besondere Wissenschaftsfacultas gleichberechtigt an den
Beginnen in Schweinitz v. J. 1332. indem es der guten Ausgabe kommenden Universitäten gelehrt werden konnte. Es ist verständ-
B. Ulanowskis von 1889 folgt (S. 721ff), leidet die Interpretation lieh, daß Bernhard von Clairvaux mit seiner ganz anderen, spiri-
an Ungenauigkeiten. Schweinitz gehörte nicht zur Diözese War- tuellen Auffassung vom Wesen der Theologie instinktiv diese Verschau
(S. 386), sondern Breslau, und der Inquisitor hieß wohl wissenschaftlichung der Theologie ablehnte. Hier liegt der tiefste
Johann von Schwenkefeld, nicht Heinrich Schammonis, der Ple- Grund des Gegensatzes, der dann auf der Ebene einer begriff
baner war und nur als einer der Sachverständigen dem Urteils- liehen Erfassung der Trinität Gottes nicht gerade glücklich von
spruch beiwohnte. Übrigens wurde das Dokument eingehend ana- Bernhard und seinen Anhängern ausgetragen wurde,
'ysiert von Rud. Holinka 1929, in einer Arbeit (Kacifstvi v Bei Gilbert stehen wir erst am Anfang einer wissenschaftlichen
Cechäch, S. 97ff), die dem Verf. unbekannt blieb. Wenig Vertrauen Theologie. Noch gibt es keine feste Terminologie, noch ist die
erweckt ebenfalls die Schilderung der Verfolgung der österrei- logische und ontologische Sphäre nicht klar geschieden, noch feh-
chischen Waldenser nach 1311, die „in Schictcrhaufen" gefangen- len in der Trinitätslchre so wesentliche Begriffe wie der einer
genommen wären (S. 476). H. Haupt, der da die Vorlage sein mag, „subsistierenden Relation"; da ist es verständlich, daß nicht auf
spricht nur davon, daß die Inquisitoren in Steycr einige Häretiker den ersten Griff hin in voller Klarheit und Eindeutigkeit die
■ dem Scheiterhaufen überantworteten" (Waldenserthum und Inqui- schwierigen Fragen der Trinitätslchre gelöst werden konnten,
sition im südöstlichen Deutschland, Freiburg i. B. 1890, S. 21). Was Gilbert war genötigt, manche ungewohnten Begriffe neu zu bil-
dic Waldenser im allgemeinen betrifft, betont Verf., daß sie sich den und in die Sprache der Theologie einzuführen. Auch das trug
organisatorisch in eine Kirche ausgebildet haben, die der herr- ihm den Verdacht eines Neuerers ein, der „prophane Worte" in den
sehenden Kirche als Alternative gegenübertrat. Durch diese Ver- heiligen Bezirk eindringen lasse.

selbständigung hätten die Waldenser auf die Trennung der Tabori- Für Gi]berti der am intensivsten die Methode dieser neuen Theo-

ten von Rom eingewirkt (S. 457, 463 u. 485). Viel typischer scheint logje ausgearbeitet hat, fehlte bisher eine moderne Monographie,

mir für die Waldenser die Wanderpredigt gewesen zu sein, die in Nikolaus M. Häring hatte seit Jahrzehnten auf diesem Gebiet ge-

'nrer Frühzeit missionarisch ausgerichtet war, im Spätmittclalter arbeitet, hatte die wichtigsten Texte Gilberts neu herausgegeben

ledoch immer ausschließlicher sich dem eigenen Freundeskreis zu- und jn vielen Aufsätzen seine Lehre, die nur von der Sprachphilo-

newendet hatte, bis schließlich die Predigt verstummte und durch sophie hcr richtjg zu verstehen ist, interpretiert. Zur Überraschung

«e Beichte ersetzt wurde. Es war dies eine unvermeidliche Folge der wissenschaftlichen Welt legte aber nicht er, sondern der

«er Tatsache, daß die Bewegung weiter nur als Gehcimgcsell- niederländische Dominikaner H. C. van Elswijk eine umfangreiche

schnft fortlebte. Die Sakramentsversorgung durch den Dienst der Arbeit uber Gilbert, sein Leben, sein Werk und seine Cedanken-

t-roßkirche spricht doch nicht für die vorgeschlagene Alternativ- we]t vor Das Werk ist ohne Zweifel ein bedeutender Fortschritt

Kirche. Erst als die Taboriten 1420 die „apostolische Sukzession" jn dcr Forschung, weil hier Gilbert in seiner eigentlichen Bedeu-

schroff ablehnten und durch Wahlpriestertum eine von Rom unab- tung gesehen und sein Werk von der Sprachphilosophie her ge-

nangige Kirche wurden, war das für die Waldenser eine hin deutet wird.

S6'^ bisher unerhörte Lösung, der dann auch zahlreiche Das ^ gkh jn sechs Abschnitte; der erste h ^,

Zh " ° fC 'C,StCtCn- °Cr, ^Seilschaft hche Charak- y<M Lefecn und Wcrken der zwdte berichtet von Gübert vQr

ter der Waldenser wird m E. vom Verf. zu generell als „Bewe- Konzj, zu Reims der driUe von der Phi,osophic Gilberts der vjerte

flung armer La.en (S. 483) bezeichnet. Man mußte der Tatsache von seiner Theologie und ihrcr Methode, der fünfte von seiner

aen™ ^"""S.'^gen. daß eben im Spätmittelalter durch Vermo- Trinitätslehre und der sechste von seiner Christologie. Eine Zu-

gensanhaufung innerhalb waldens.scher Handwerkerdynastien sich sammcnfassung beschlicßt das Werk. Die Bibliographie ist sehr

svm «5 u 9° Bcwcgung dcutlidi geändert hat. An der sorgfaltjq zusammengestellt und bis 1965 fortgeführt; doch man

^mpathisch vorurteilslosen Schilderung des Hussitentums müßte ^ Eindrucki daß das Werk im wesentlichen bereits am Fnd-

an mehrcres berichtigen: z. B. Milic von Kremsier wurde nicht der fünfziger Jahre abgeschlossen wurde. Neuere Aufsätze sind

rL*2rn ( T SOndcrn in Mähren 9cborcn- und j°achimi- njcht mehr recht vcrarbeitet worden. Beim Leben Gilberts hat

cne Elemente sind in seiner Schriftstellerei wohl zu finden; £ dcn wichtigen Aufsatz von Häring im Deutschen Archiv für Er-

■»atWaa von Janov starb im November 1393. nicht 1394 (S.613); forschung des Mittelalters 1965 nicht mehr benutzt. Dieser zeict

"Us als Exhibitionist zu bezeichnen (638) kann die Deutung sei- ^ wjr über Gilberts Leben doch mehr wissen, als das Buch von

W Anliegens nur in die Irre führen. E vcrmuten ,a6t. Schon Franz Pelster und noch stärker Häring

Amcdco M o 1 n a r hatten betont, daß die Sache Gilberts nicht auf dem Konzil von
Reims, sondern erst nach Abschluß in einem päpstlichen Konsisto-

F rium, das auch nicht wie das Konzil im Mariendom zu Reims, son-

• w i j k , H. C. van, O. P.: Gilbert Porreta, sa vie, son oeuvre, dem im Palast des Erzbischofs stattfand, verhandelt wurde. E

sa pensee. Leuven: Spicilegium Sacrum Lovaniense 1966. 502 S. abcr spricht nach wie vor davon, daß die Diskussion zwischen

gr. 8° = Univcrsitc Catholiquc de Louvain. Spicilegium Sacrum Bernhard und Gilbert vor der Vollversammlung stattfand (108)

Lovaniense, Etudes et Documcnts, 33. und daß das Konzil Direktiven gegeben habe (460). Das ist nicht

Gilbert von Poitiers ist in den letzten Jahrzehnten immer stär- der Fall, und diese Tatsache dürfte von beträchtlicher dogma-

ker in den Vordergrund des Interesses getreten. Seine Wertung tischer Relevanz sein. So sehr E.s eingehende Analysen der systc-