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Ausgabe:

1969

Spalte:

277-280

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Weigand, Rudolf

Titel/Untertitel:

Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten von Irnerius bis Accursius und von Gratian bis Johannes Teutonicus 1969

Rezensent:

Junghans, Helmar

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c'io. l'Historic c scs problemes, dir. par R. Boutruchc, et P.

Lemcrle, 10. Pp. ffr. 22.-.
Tetz, Martin: Zur Theoloqic des Mnrkcll von Ankyra II. Mar-

kells Lehre von der Adamssohnschaft Christi und eine pseudo-

klcmentinische Tradition über die wahren Lehrer und Propheten

(ZKG 79, 1968 S. 3-42).
Wickert, Ulrich i Paulus, der erste Klemens und Stephan von

Rom: drei Epochen der frühen Kirche aus ökumenischer Sicht

(ZKG 79, 1968 S. 145-158).

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Kawerau, Peter, Prof. Dr. phil. Dr. theol.: Geschichte der
mittelalterlichen Kirche. Marburg: Elwert 1967. 231 S. gr. 8°
= Lehrbuch der Kirchengeschichte. DM 20,-.
Wenn ein Orientalist die vorliegende Arbeit anzeigt, so wird er
natürlich in erster Linie darauf hinweisen, daß der Vf., seiner
speziellen Forschungsrichtung entsprechend, den östlichen, vorab
den morgenländischen Kirchen den ihnen gebührenden Platz einräumt
und damit sehr deutlich unterstreicht, daß das Christentum
keineswegs nur die Religion Europas (und später Amerikas und
Australiens) ist. In knappen, präzisen Abschnitten beschreibt K.
die weite Ausdehnung der nestorianischen Kirche, die Rolle der
einzelnen monophysitischen Landeskirchen als wirklicher Repräsentanten
ihrer Völker, als Hüter auch der Kultur und des nationalen
Eigenbewußtseins. Die Abschnitte über die Orthodoxie sind
demgegenüber etwas knapper ausgefallen, aber nur durch die
gleichmäfjige Berücksichtigung all dieser Konfessionen gewinnt
eine Kirchengeschichte jene Wirklichkeitsnähe, die der weltweiten
Verbreitung dieser Religion seit den ersten Jahrhunderten ihres
Bestehens entspricht. Auf diesen Umstand hatte K. auch in seiner
»Geschichte der Alten Kirche" schon hingewiesen, in der die Ansätze
zur Sonderstellung des morgenländischen Christentums deutlich
herausgearbeitet und der Andersartigkeit des Abendlandes
gegenübergestellt worden waren. Diese klar zu kennzeichnen, gelingt
dem Vf. hier wie dort auch dann, wenn er sich dabei vor
«Hern an den Forschungsstand hält. Auf ihm aufbauend wird im
vorliegenden Bande der abendländischen Entwicklung in ihrem
historischen Verlauf, aber auch in ihren einzelnen Erscheinungsformen
wie dem Mönchtum, der Theologie oder der Volksfrömmigkeit
, ein breiter Raum eingeräumt. Man gewinnt bei der Lektüre
den Eindruck, dafj K. seinen Stoff beherrscht und ihn deshalb in
verhältnismäßig kurzen, das Wesentliche heraushebenden Abschnitten
darzutun vermag. Dafj er dabei einen bewußt evangelischen
Standpunkt einnimmt, der immer wieder auf die mit Martin Luther
neu einsetzende Entwicklung hinweist, ist bei dem Mitgliede einer
evangelisch-theologischen Fakultät selbstverständlich. Vielleicht
hätte man aber daneben die katholischen Auffassungen über die
Kontinuität der Entwicklung auch dann wenigstens skizzieren
können, wenn man sie nicht teilt. - Man legt das Buch, das aus
einer Vorlesung an der Universität Münster hervorgegangen ist,
mit dankbarer Genugtuung aus der Hand: es vermittelt auch dem
Nicht-Spezialisten ein knappes, anschauliches, von Schnörkeln und
Überspitzungen freies Bild des kirchlichen Mittelalters. Schade,
daß neben dem eingehenden Verzeichnis des Schrifttums nicht auch
ein Register beigegeben wurde!

Hamburg Bertold Spulei

w e i g a n d , Rudolf i Die Naturrechtslehre der Legisten und De-
kretisten von Irnerius bis Accursius und von Gratian bis Johannes
Teutonicus. München: Hueber 1967. XXVIII. 475 S. gr. 8°
= Münchener theologische Studien. Im Auftrag d. Theologischen
Fakultät München hrsg. v. J. Pascher, K. Mörsdorf, H. Tüchlc.
III. Kanonistische Abt. 26. Bd. Kart. DM 45,-.

Irnerius begann um 1190 in Bologna das römische Recht zu dotieren
, indem er das unter Kaiser Justinian zusammengestellte
Corpus juris civilis durch Glossen den Bedürfnissen seiner Zeit
anpafjtc. Er wurde dadurch zum Mitbegründer der berühmten
Rechtsschulc in Bologna, aus der die Universität Bologna und die
ijesamte moderne Rechtswissenschaft hervorging. Accursius war
gleichfalls Rcchtslchrcr in Bologna. Er versah das gesamte Corpus
juris civilis vollständig mit Glossen und starb 1263. Neben diesen
Legisten, die das römische Recht glossierten, traten die Kanonistcn.

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Ihnen stand keine allgemein anerkannte Rcchtssammlung zur Verfügung
. Sie wurde um 1140 von Gratian erst geschaffen. Er selbst
nannte sie zwar Coflcordia discordantium canonum, sie erhielt
aber die Bezeichnung Dccretum Gratiani und ihre Ausleger den
Namen Dekretisten. Gratian versah seine Sammlung ebenfalls mit
Glossen und war damit der erste Dekretist. Johannes Teutonicus
dagegen war der letzte große Dekretist. Seine Erläuterungen des
Dccretum Gratiani wurden allgemein anerkannt und daher Glossa
ordinaria genannt. Sic erschienen um 1215. In dem vorliegenden
Buch werden zwar noch die Glossen des Raimund von Penafort
behandelt, die erst nach denen des Johannes Teutonicus erschienen
, aber dennoch wurde Penafort nicht im Titel genannt. Das hat
seine guten Gründe. Penafort erstellte im Auftrag Gregors IX. die
1234 promulgierte Dekretalensammlung Liber Extra und eröffnete
damit die Epoche der Dekretalisten, mit der sein Name vor allem
verbunden blieb. Wie also aus dem Titel hervorgeht, untersucht
der Verf. dia Geschichte des Naturrechtes in der ersten Epoche der
Legisten und Kanonisten seit dem Entstehen der Rechtsschule in
Bologna.

Im Teil I (8-121) behandelt er das römische Recht und im Teil II
(121-446) das kanonische. Beide Teile sind parallel aufgebaut. Jeweils
drei Kapitel fragen nach dem „Begriff und Wesen", dem
„Inhalt" und den „Eigenschaften" des Naturrechtes. Das erste Kapitel
eines jeden Teiles hat eine chronologische Gliederung, um
dadurch die literarische Abhängigkeit der Autoren verdeutlichen
zu können. Die beiden anderen Kapitel sind nach systematischen
Gesichtspunkten geordnet. Die einzelnen Aussagen der Legisten
und Dekretisten werden abgedruckt und glossiert, so dafj dieses
Buch - rein formal betrachtet - ein Glossar zu den Glossen der
Legisten und Dekretisten zum Naturrecht darstellt. Ein solcher
Aufbau ergibt naturgemäß keine geschlossene und gedrängte Darstellung
, hat aber den Vorteil, daß das nicht immer leicht zugängliche
- zum Teil bisher ungedruckte - Material zusammengetragen
ist und vom Leser selbständig verarbeitet werden kann.
Allein schon diese Quellcnsammlung verdient Anerkennung.

Die Legisten und die Dekretisten waren keine schöpferischen
Rechtstheoretiker, die eigene Lehrsystcmc des Naturrechtes entwarfen
, sondern sie interpretierten, was sie in ihren Quellen vorfanden
. Wenn diese Quellen keine einheitliche Naturrechtslchrc
hatten, mußte es zu Schwierigkeiten kommen.

Die Legisten hatten es noch verhältnismäßig einfach. Sie folgten
vielfach der Ansicht Ulpians (römischer Jurist um 170-228). Für ihn
war das Naturrecht ein Recht, das der animalistischen Natur des
Menschen entsprach und das Tier und Mensch gemeinsam hatten.
Dieses Naturrecht wurde vom Menschen durch die Vernunft geändert
und war dann nur den Menschen, aber zugleich allen zu
eigen. Weil es bei allen Völkern galt, wurde es „Völkerrecht" genannt
, was freilich mit unserem heutigen Völkerrecht, wo es um
das Recht zwischen den Staaten geht, nichts zu tun hat. Das Zivilrecht
bildete dann die dritte Stufe und galt jeweils in der Gemeinschaft
, die es erlassen hatte. Daneben spielte noch die Lehre von
der aequitas des römischen Juristen Paulus (2. Jh.) eine Rolle.
Für ihn war das Naturrecht, „quod Semper aequum ac bonum
est" und nicht einzelne Rechtsnormen. Die Legisten sahen das
Naturrecht zunächst vor allem in der aequitas, die sie auf Gott
selbst zurückführten und in ihm verwirklicht sahen. Sie setzten
Gott aber auch mit der Natur gleich und betrachteten ihn dann
vor allem als Schöpfer der Natur und des damit verbundenen
Rechtes, wobei ihnen vor allem das Naturrecht Ulpians vor Augen
stand. Allmählich wurde auch das „Völkerrecht" Naturrecht genannt
. Diese verschiedenen Rechtsbegriffe wurden als Bezeichnungen
für verschiedene Rcchtsbereichc nebeneinander stehengelassen
oder auch miteinander in Beziehung gesetzt. Am Schluß de:;
behandelten Zeitraums übernahmen die Legisten von den Dekretisten
noch das Naturrecht, das bei Mose und im Evangelium steht,
und fügten es zu ihren Naturrechtsarten hinzu. Die Dekretisten
hatten eine schwierigere Aufgabe. Ihre Quellen waren die Heilige
Schrift, die Kirchenväter, das römische Recht und die kanonischen
Rechtsbestimmungen. Inhaltlich war für Gratian das Naturrecht
mit den Vorschriften des Alten und des Neuen Testamentes identisch
. Zusammengefaßt sah er es in der Goldenen Regel (Mt7,12).
Für ihn war das Naturrecht vor allem das natürliche Sittengesetz.
Er erwähnte aber auch Naturrechtsgedanken des römischen Rechtes
. Dabei blieb es aber nicht. Schon Rufin (gest. um 1190) führte

Theologische Litcraturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4