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Ausgabe:

1969

Spalte:

273-274

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Schöpf, Alfred

Titel/Untertitel:

Wahrheit und Wissen 1969

Rezensent:

Lorenz, Rudolf

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Seite 1

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KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Schöpf, Alfred: Wahrheit und Wissen. Die Begründung der Erkenntnis
bei Augustin. München: Pustet [1965]. 204 S. 8° = Epi-
nieleia. Beiträge zur Philosophie, hrsg. v. H. Kuhn in Verb. m.
F. Wiedmann u. I. Müller-Strömsdörfer, II. DM 18,80.
Die Abhandlung, bei der es sich um eine Dissertation zu handeln
scheint (das Vorwort sagt nur, H. Kuhn habe die Arbeit angeregt
), befragt Augustin danach, wie zweifelfreies Wissen möglich
sei und wie man dieses Wissens gewiß sein könne. Sie löst diese
Aufgabe zunächst durch eine phänomenologische Erhellung der
Wesensstrukturen des Wissens und untersucht dann die Realisierung
dieser Wissenstrukturen, das heißt, sie zeigt, daß in bestimmten
Wirklichkeitssphären dieses Wissen tatsächlich erreicht wird.
Dabei geht der Verfasser nicht historisch demonstrierend, sondern
philosophisch reflektierend vor. Er denkt zunächst eine Teilfrage
selbständig durch (dabei wird zuweilen umständliche Breite und
die Eintragung Augustin fremder Denkformen nicht vermieden:
so erscheint S. 179 die hegelsche Negation), dann wird sie durch
einen Augustintcxt illustriert, dem eine deutsche Übersetzung
folgt. Auf diese Weise kommt ein durchaus beachtlicher Versuch
der Aktualisierung augustinischen Philosophierens zustande. Der
Leser wird der Bedrängung durch die Probleme selbst ausgesetzt,
und Augustin entgeht der Gefahr, daß man ihm bloß historisierend
seinen Platz in der Vergangenheit des Vergänglichen zuweist.

Der Vf. bestimmt als Hauptmoment des augustinischen Wissensbegriffs
die Evidenz des Wissens, die zugleich auch Wissen des
Wissens um sich selbst ist: in der Evidenz erfaßt sich das Wissen
als wahr, vollständig und unerschütterlich. Diese Reflexivität des
Wissens ist aber nicht im Sinne des subjektivistischen Idealismus
zu verstehen. Im Erkennen ist keine Identität von Subjekt (erkennendem
Intellekt) und Objekt (erkanntem Wesen oder Idee)
da, sondern im Moment der absoluten Geltung der Wahrheitsevidenz
meldet sich die Transzendenz der Wahrheit. Der Grund
des Wissens ist ein absolutes Prinzip außerhalb des Menschen. Die
Evidenz ist die Nahtstelle von Immanenz und Transzendenz.

An diesem Punkte werden Vorteile und Grenzen der Methode
des Verfassers zugleich sichtbar. Das Philosophieren Augustins ist
ohne seine Metaphysik und Ontologie nicht denkbar. Wenn er
zwar den stoischen Begriff der Evidenz (iucrdcXr)<j>t.r) übernommen
hat (z. B. C. Acad. 2,5,11; 3,9,21; De div. qu. 83 q. 3 2PL 40,22), so
entstammt jedoch der Wissensbegriff, welcher dieser zenonischen
Definition der Evidenz genügen will, der platonisch-neuplatoni-
schen Metaphysik: Wissen ist das Erfassen einer besonderen Realität
, des Seins. Das Sein wird vom wahren Denken erfaßt, das
Denken ist „Erfahren" des Seins. Wenn man die Wissenslehre Augustins
unter Absehen von ihren metaphysischen und ontologischen
Voraussetzungen untersucht, in der Hoffnung, daß in heute aktueller
Weise die Transzendenz aus dem Phänomen des Wissens
selbst herausspränge, so ist diese Isolierung eines Aspekts der
Gefahr unaugustinischen Abgleitens in den Anthropozentrismus
ausgesetzt. Die Augustinauslegung des Vf.s, etwa seine Deutung der
Illuminationslehre von der bloß logischen Gewißheit her, erinnert
deshalb in mancher Hinsicht an die neukantianische Interpretation
Piatos. Das Ergebnis seines Buches, daß nicht das Wissen die Transzendenz
begründet, sondern daß die „Erschlossenheit" der transzendenten
Wahrheit, ihr »Sich Zeigen" das Wissen ermöglicht
(vgl. dazu bereits Zeitschr. für Kirchengesch. 67 [1955/56] S. 243),
bestätigt jedoch, daß Augustin seine Wissenschaftslehre von der
Metaphysik her entworfen hat. Auch seine Erkenntnistheorie ist
„metaphysisch".

Zu den einzelnen Problemen, die erörtert werden, kann hier
nicht Stellung genommen werden. Das Verhältnis von Wissen und
Wille z. B. sehe ich anders als der Vf. Die Behauptung, daß der
menschliche Wille den Gegenstand der Erkenntnis auswählend bestimme
(S. 39), läßt außer acht, daß Gott durch die delectatio den
Willen zum Erkenntnisgegenstand hinkehrt. Bei der schwierigen
Frage des Verhältnisses von Glauben und Wissen hat der Vf. zwar
richtig beobachtet, daß im Glauben Wissen und Nichtwissen zugleich
vorhanden sind (S. 51 ff). Aber er weist dem Glauben die
Rolle von Münchhausen zu, der sich selbst am Zopfe aus dem
Sumpf zieht, wenn er meint, aus dem Glauben die Ansatzpunkte
für Wissen entnehmen zu können (S. 62). Denn die Tatsache, daß
der Glaube mit Vorstellungen und Begriffen arbeitet, die dem

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Schatz meines Wissens entstammen, besagt überhaupt nichts über
die Berechtigung, diese Vorstellungen und Begriffe auf den Gegenstand
des Glaubens anzuwenden. Die Beziehung zwischen den
augustinischen Begriffen des Glaubens und des Wissens kann vielmehr
nur von der Metaphysik her verstanden werden. Fides als
Glaube an etwas Unsichtbares, z. B. an die Gerechtigkeit des Apostels
Paulus, besteht in der Beziehung der Idee der Gerechtigkeit,
die ich „weiß", weil ich sie schaue, auf das Leben des Apostels.
Indem ich glaube, daß dieses Leben der Gerechtigkeit entspricht,
liebe ich es und in dieser Liebe ist Gott „da". Aus der Verbindung
zwischen Erscheinung (Leben des Paulus) und Idee (Gerechtigkeit
), welche der Glaube herstellt, entspringt die Liebe, in der
Gott geschaut wird und in der sich das Wissensmoment der Erfahrung
meldet. Erst von dem metaphysischen Gedanken der Präsenz
Gottes in der Liebe her wird die augustinische Verwandtschaft
zwischen scientia und fides begreiflich. Daneben darf die ebenfalls
vorhandene schroffe Scheidung beider nicht übersehen werden
(vgl. dazu den Aufsatz: Gnade und Erkenntnis bei Augustinus,
Zeitschr. für Kirchengesch. 1964, S. 26ff).

Obwohl niemand mehr die Augustinliteratur übersehen kann,
setzt es in Erstaunen, daß der Vf. für sein Spezialthema die Arbeiten
von Johannes Hessen mit Schweigen übergeht, obwohl sie für
das Sachproblem wichtiger sind als die zitierten Schriften von
Berlinger und Schützinger. Zu der Klage, das Wissensproblem sei
in der Forschung bisher vernachlässigt worden, verweise ich auf
die Arbeit über die Wissenschaftslehre Augustins, die in ZKG 67
(1955/56) 29-60; 213-251 erschienen ist.

Von den leider zahlreichen Übersetzungsfehlern gebe ich einige
Proben. Die falschen Übersetzungen sind gesperrt. In Ev. Joh. tr.
1,19: Ergo fratres, quomodo homo positus in sole caecus, praesens

est illi sol, sed ipse soli absens est.....Das verhält sich so, meine

Brüder, wie bei einem Blinden, der in der Sonne steht und für
die Sonne anwesend ist, ihm selbst aber ist die
Sonne abwesend..." (S. 43). - de gen. ad litt. 12,16,32:
Quae cum ita sint wird übersetzt: „Wie die Sache auch
beschaffen sein mag" (S. 99). - De lib. arb. 2,8.22: Ubi
ergo novi, „ W o h e r ich also weiß" (S. 119). - De mus. 6,8,21: Ita
ratio invenit tarn localia quam temporalia spatia infinitam divisio-
nem reeipere ... „So erfaßt die Vernunft örtliche und zeitliche Abschnitte
, um eine unendliche Teilung zu erreichen
(!)" (S. 123). Hier scheint der Vf. das Opfer der Übersetzung
von De musica durch C. J. Perl, Paderborn 1940, S. 233, geworden
zu sein. - Auf S. 130 hat Vf. die (numeri) occursores mißverstanden
.

Zum deutschen Sprachgewand ist zu bemerken, daß das neuerdings
vordringende Verbum „beinhalten" weder schön noch notwendig
ist.

Mainz R. Lorenz

Dosset ti, Giuseppe Luigi: II simbolo di Nicea e di Costanti-
nopoli. Edizione critica. Ricerca condotta col contributo del
Consiglio Nazionale delle Ricerche. Rom-Freiburg-Basel-Barcelona
-Wien: Herder 1967. 296 S. 8" = Testi e Ricerche di Scienze
Religiöse, 2. Lire 3,800,-.

Das vorliegende Werk geht zurück auf eine Dissertation der
Universität von Bologna'. Sein Titel ist insofern auf den ersten
Blick etwas verwirrend, als es in der Symbolforschung seit langem
als so gut wie unbestrittene Tatsache gilt, daß es „das Symbol
von Nikaia und von Konstantinopel", im strikten Sinne jedenfalls,
nie gegeben hat. Wohl hat die altkirchliche Überlieferung das Bekenntnis
von 381 wegen seiner sachlichen Übereinstimmung mit
dem „Glauben" von Nikaia als - freilich um bestimmte antihäretische
Zusätze erweitertes - „nikäisches" Symbol bezeichnen
können. Das aber ändert nichts daran, daß es sich dem Wortlaut
nach bei dem Nicaenum (N) und dem Constantinopolitanum (C)
um zwei charakteristisch voneinander verschiedene Formeln handelt
. Auch schien es bislang keinem ernsthaften Zweifel zu unterliegen
, daß uns in den von E. Schwartz meisterlich edierten Akten
des Konzils von Chalkedon2 bzw. in dem von Athanasios der
Nachwelt erhaltenen Brief Eusebs von Kaisareia an seine Diözesa-

') Vgl. A. Grillmeier in: Theologie und Philosophie. H. 4 1966, S. 629.
J) E. Schwartz, Acta Conciliorum Oecumenicorum, II, 1,2, 79 (N). 80 (C).

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4