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Ausgabe:

1969

Spalte:

269-270

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wilcke, Hans-Alwin

Titel/Untertitel:

Das Problem eines messianischen Zwischenreichs bei Paulus 1969

Rezensent:

Luz, Ulrich

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Seite 1

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269 Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4

gungstradition abzuleiten und zentral christologisch gemeint (S. 77).

Als Ergebnis der Untersuchung der Zeitangaben im Mk, verbunden
mit der gesonderten Untersuchung des 13. Kap., lehnt Sch. im
Unterschied zu Marxsen eine Naherwartung im Mk ab. Statt dessen
vertritt er die Ansicht, daß im Mk eine hellenistische Escha-
tologie vorliege, wobei seine Theologie der Auferstehung im Sinne
einer Erhöhung vom Kreuz und der Gegenwart des Gekreuzigten
bei den Seinen zu verstehen sei, d. h., Tod und Auferstehung des
Menschensohnes habe als gegenwärtig wirksames Heilsereignis
seine Parusie zeitlich und sachlich in die Ferne und an den Rand
des Interesses gerückt (vgl. S. 85f., 93, 95, 99, 103, 116f., 120, 127,
129, 140f., 145). In diesem Sinne werden alle Zeitangaben interpretiert
(jüdische Festbezeichnungen, Stunden- und Tagesangaben,
der Zeitpunkt der Parusie).

Gewiß setzt die Existenz des Mk bereits die Verzögerung der
Parusie voraus, doch scheint es dem Rezensenten, als ob das nicht
ein Aufgeben der Nah erwartung bedeuten muß. Es ist vielmehr
damit zu rechnen, daß während der Entstehungszeit des Mk zu
Beginn des jüdischen Krieges die Naherwartung neuen Auftrieb
erhalten hat. Außerdem scheint es, als trage der Verfasser in seine
Interpretation des Mk Züge aus Bultmanns Johanneskommentar
ein, wenn er etwa formuliert, für Mk seien im Kreuz Heil und Gericht
beschlossen, sei das Eschaton schon gegenwärtig (S. 85). Dies
mag der Verfasser selbst empfunden haben, wenn er gegen das
oben erhobene und wohl erwartete Bedenken »vorbeugend" schreibt
(S. 133, Anm. 201): „Diese ,joh' Sicht des Mk darf einen freilich
nicht übersehen lassen, dafj Mk im Unterschied zu Joh trotz aller
oben beschriebenen Reduzierung die Parusie mit seiner theologia
crucis unauflöslich verbindet; der supranaturale Vorstellungsapparat
der Apokalyptik entfällt also nicht einfach, sondern wird vielmehr
in spezitisch markinischer Weise ausgebaut..." (siehe auch
S. 113, Anm. 103).

Zu der Untersuchung der Ortsangaben bei Mk durch Sch. sei nur
vermerkt, dal) sie von der These geprägt ist, der Evangelist habe
durch sie ebenso wie durch die Zeitangaben theologische Aussagen
machen wollen (S. 158f., 161; vgl. S. 84f.). Sie dienten zur Darstellung
des Messiasgeheimnisses (S. 1Ö2, 164, 169), die Galiläa-Angaben
zur Vorausdatierung der Heidenmission (S. 170-184; vgl.
S. 205, 208, 210), das Wegemotiv zur Darstellung des Weges der
Mission als eines Weges der Kreuzesnachfolge (S. 190-203; vgl.
demgegenüber Conzelmanns Deutung des lukanischen Reiseberichtes
).

Eine nähere Darstellung des dritten Hauptabschnittes, in dem
die Ergebnisse zusammengefaßt werden, muß leider aus Raumgründen
unterbleiben. Nur soviel sei gesagt: Auf den letzten Seiten
(S. 235-243) geht die Aussage aus dem Stil nüchtern-sachlicher
Exegese zu stark in den einer praktisch-theologischen Anwendung
über. Der Titel des Buches wächst nicht organisch aus der Exegese
lieraus, sondern taucht erst im letzten Satz auf und wirkt dadurch
gleichsam als Anhang. Trotz der gemachten Vorbehalte soll der
VVert des Buches für die Exegese keineswegs vermindert werden.
Die Ergebnisse des synoptischen und innermarkinischen sorgfältigen
Vergleichs haben außerordentlich große Bedeutung. An ihnen
wird keine zukünftige redaklionsgeschichtliche Untersuchung der
synoptischen Evangelien und speziell des Mk vorbeigehen können.

B«lin Joachim Rohdi

W i 1 c k e , Hans-Alwin : Das Problem eines messianischen Zwischenreichs
bei Paulus. Zürich-Stuttgart: Zwingli Verlag 1967.
199 S. 8° = Abhandlgn. zur Theologie des Alten u. Neuen Testaments
, hrsg. v. W. Eichrodt u. O. Cullmann, 51. Kart. DM25,40.
Die hier zu besprechende Marburger Dissertation von H. A.
Wilcke wurde vom Verfasser in ThLZ 91 (1966) 936f. in einer
Selbstanzeige kurz zusammengefaßt. Das erlaubt es dem Rezensenten
, sich kurz zu fassen. Wilckes Arbeit untersucht die beiden
Stellen in den paulinischen Briefen, aus denen schon die Idee eines
messianischen Zwischenreiches entnommen wurde, nämlich 1. Kor.
15,20-28 und 1. Thess. 4,13-18. Vorangestellt wird ein Überblick
über die Geschichte des Chiliasmus, eine Exegese von Apk. 19f.
und ein Überblick über den Gedanken eines messianischen Zwischenreiches
im Spätjudentum. Einige kurze Bemerkungen zum
Paulinischen Gerichtsverständnis schließen den Band ab.

270

Mit einem wahren Bienenfleiß und großer Zuverlässigkeit hat
sich W. in der Sekundärliteratur zu 1. Kor. 15 und 1. Thess. 4 umgesehen
. Das Literaturverzeichnis zu diesem doch wirklich relativ
beschränkten Thema umfaßt gegen neunhundert Titel: Wer sich
also darüber informieren will, wer wann wo was zu den beiden
Texten gesagt hat, kommt voll auf seine Rechnung. Aber noch
mehr: Die exegetischen Argumentationen sind äußerst solide und
zuverlässig; es wird sorgfältig referiert und abgewogen. Besonders
dankbar ist man dem Verfasser um die sorgfältige Darbietung
des Materials bei strittigen Fragen, etwa des Parallelenmaterials
zur Bedeutung von Tayua (?6ff.) oder tcäog (87ft).
Allerdings zeigt sich dann auch die Grenze des Buches deutlich: Es
bleibt beim Fragen nach einer Vorstel lung stehen, interpretiert
die paulinischen Texte auf das zugrunde liegende Vorstellungsmaterial
hin und stößt nicht bis zu ihrer eigentlichen theologischen
Intention, die eben vom Thema des messianischen Zwischenreiches
her gar nicht in den Blick kommen kann, vor. Das Ergebnis des
Buches läßt sich im wesentlichen, abgesehen von vielen exegetischen
Kinzelresul taten, die man dankbar zur Kenntnis nimmt, in einen
einzigen Satz zusammenfassen: Die Idee eines messianischen Zwischenreiches
gibt es bei Paulus nicht. Darin hat der Verfasser zweifellos
recht.

Einige interessante Einzelheiten: In der jüdischen Literatur
findet sich die Idee eines messianischen Zwischenreiches mit Sicherheit
erst 4. Esra, evt. syr. Bar. W. schließt daraus, daß es vermutlich
die Katastrophe des Jahres 70 war, die diese Vorstellung erst
eigentlich ermöglichte. Da er die Texte aber nicht traditionsgeschichtlich
untersucht, mit der Spärlichkeit des Materials und der
Möglichkeit, daß eine Vorstellung längere Zeit vor ihrer schriftlichen
Niederlegung bekannt gewesen sein kann, kaum rechnet,
ist dieser Schluß zwar möglich, aber m. W. nicht mehr als eine
unbewiesene und vermutlich unbeweisbare Hypothese. Bei der
Kxegese von 1. Kor. 15 blieb mir nicht restlos klar, welche Position
eigentlich von Paulus bekämpft wird. Bultmanns These, Paulus
setze voraus, daß für die Korinther nach dem Tode alles aus sei,
wird nur bedingt abgelehnt; die Korinther hoffen eben nur, d. h.
ohne Gewißheit auf Erfüllung ihrer Hoffnung (V. 19). Auf der
andern Seite wird in der korinthischen Gemeinde - vielleicht auf
Grund einer Verabsolutierung der eigenen Verkündigung des
Paulus (Kol. 2,12f.!) - die Meinung, die Auferstehung sei schon
geschehen (2. Tim. 2,18) vorausgesetzt. 1. Kor. 15,23a ist zum Vorangehenden
zu ziehen und heißt: Jeder ist in seiner eigenen
Gruppe, d. h. entweder in der Gruppe Adams oder derjenigen
Jesu. Zu dieser Exegese kommt W., weil er annimmt, daß Totynu
nur entweder eine „Gruppe" oder deren Versammlungsort oder
dann „Feldzeichen" heißen könne; doch heißt das Wort tatsächlich
auch „Ordnung", „Stand", „Rang", wie sich nicht aus 1. Clem.
•lü.lff., sondern aus Stellen aus der Profangräzität ergibt. Die
Königsherrschaft Christi ist für W. ganz klar eine gegenwärtige
Größe, eine Feststellung, die er auch deshalb mit so großer Sicherheit
machen kann, weil er den hierfür Belege liefernden Kolosser-
brief (vgl. 1,13; 2,10) für echt hält. Die Exegese von 1. Thess. 4,13ff.
bietet wenig Neues, ist aber ebenfalls durch den Reichtum an sorg
lältig abgewogenem Material und an verarbeiteter Sekundärliteratur
hilfreich. In seinem Schlußabschnitt über das paulinische Gerichtsverständnis
sucht W. die These zu vertreten, daß es eine Auferstehung
der NichtChristen zum Gericht für Paulus nicht gebe:
Das Gericht über die NichtChristen besteht darin, daß sie im Tode
bleiben. Der exegetische Beweis, den er hierfür führt, vermag
allerdings m. E. nicht zu überzeugen: W. stellt fest, daß das
Verbum dnöWUinoa bei Paulus auch die einfache Bedeutung »sterben
* haben kann, und schließt daraus auf die Bedeutung von
cinöXeta ; doch ist dabei vorausgesetzt, daß das Verbum bei Paulus
überall die gleiche Bedeutung hat.

Kurz: Die Arbeit von Wilcke ist durch ihren Fleiß und ihren
Materialreichtum verdienstvoll, und niemand, der sich mit den
beiden ausgelegten Kapiteln wissenschaftlich befaßt, sollte an ihr
vorbeigehen. In ihrem theologischen Ergebnis ist sie eher dürftig
und wenig tiefschürfend.

Zürich Ulrich L u z