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Ausgabe:

1969

Spalte:

262

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Reventlow, Henning

Titel/Untertitel:

Opfere deinen Sohn 1969

Rezensent:

Osswald, Eva

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4

262

Vorbau von l,6f. (Redestück) nachträglich theologisch gedeutet
und durch eine Zusammenfassung in einem sekundären Wir-Be-
richt ergänzt (3,8-12a). Die Wanderung erscheint dadurch in allen
Nationen als die gehorsame Erfüllung eines Jahwe-Befehls. Später
Wurden weitere Redeabschnitte eingeschoben: 1,9-18; 1,20-46.
Beide werden sehr eingehend analysiert, und vor allem wird durch
Vergleich mit benachbarten Stücken (Ex 18; Numll; Num 13f.)
nachzuweisen versucht, dal) es sich um eigenständige historische
Traditionen in Redeform handelt. Ihre Einfügung geschah, um
Gehorsam gegenüber dem Gesetz zu betonen; nach Ansicht P.'s zu
einer Zeit, als die Kapitel schon als Einleitung des Gesetzeskorpus
verstanden wurden (S. 40). Kürzer werden die Redestücke in Kap.
2-3 behandelt, getrennt in Ihr-Redestücke und Du-Redestücke.
Ihre Funktion bleibt etwas blaß.

Die Analyse von Kap. 28 ergibt (vgl. die Zusammenfassung S. 159)
7 Hauptbestandteile: 1. Eine partizipiale Segensreihe: V. 3a.b; 4a«.
a/*;-5;6a.b (Gesegnet...). 2. Eine verbale Segensreihe: V. 7a.b;
8a; 9aa; lüaa.ap'; llaa. aß. 12aa.a/;. (Verb-Jahwe-Segensobjekt). 3.
Eine antithetische Segensreihe: V. 12b.l4aa.a/y. 4. Eine partizipiale
Fluchreihe (Nr. 1 parallel): V. 16a.b.; 17; 18aa.a/f; 19a.b (Verbucht
...). 5. Eine Schlagen-Reihe: V. 22; 27; 28f.; 35.6. Eine
antithetische Fluchreihe: V. 30aa.a/*; 31aa.a/*.b. 7. Eine motivierte
antithetische Fluchreihe: V. 38-40 (41). Einzelsprüche sind die
restlichen Verse 20.21.23-26.44. Die ältesten Reihen sind ursprünglich
kultische, vielleicht sogar vorjahwistische Formulare;
die jüngeren sind deuteronomistischer Herkunft und predigtartigen
Charakters. Die umrahmenden konditionalen Einleitungs- und
Schlußsätze: V. 1115; 13b-14.45f. betrachtet P. als deuterono-
m Ischen Ursprungs: sie und die Umformung von V. 9 im konditionalen
Sinne haben aus Segen und Fluch, die ursprünglich
absolut, als freie Tat Jahwes zugesprochen wurden, eine an die Bedingung
des Gehorsams des Volkes gegenüber den göttlichen Geboten
geknüpfte Antwort gemacht.

An diese Überlegungen knüpft P. eine ausführliche Besinnung
über die Rolle des Vergeltungsgedankens im Dt, in der vor allem
9egen K. Koch-' nachgewiesen wird, wie wichtig für Dt die „Vergeltung
" „als Reaktion Jahwes auf menschliches Verhalten" (S. 213)
sei. Auch sonst finden sich gelegentlich solche über den engeren
Bereich des Dt bedeutsame Ausblicke.

Eine Sonderstellung nimmt der Mittelteil (s. o.) mit der ausführlichen
Darstellung der Aussagen über „Land" im Dt ein, eingeflochten
, „weil Dt 1-3 retrospektiv die Landnahme vorbereitet"
(S. X). Dieser Teil ist eigentlich eine Abhandlung für sich, wertvoll
, weil das Thema zusammenfassend bisher noch nicht behandelt
wurde. Besonders wichtig ist die Wertung des Landes Israel
im Dt (S. 60-100) (das preisgegebene, zugeschworene, geschenkte,
aber auch in Besitz genommene Land, das lobend beschriebene,
dessen bleibender Besitz paränetisch mit der Gebotserfüllung verknüpft
wird); daneben wird auch über die Wertung des Landes
Ägypten (Land des Auszugs, Land der Knechtschaft) und der übrigen
Nachbarländer gesprochen. Der unterschiedliche Gebrauch von
y-ik und na^K wird auch für Dt bestätigt und noch spezifiziert
(S. 121-129).

Wir erhalten also ein reichhaltiges Arbeitsmaterial. Die analytischen
Ergebnisse des Verf. sind vielfach überzeugend; sie sind
gewonnen durch formale, metrische und wortstatistische Untersu-
sungen (vgl. die zahlreichen Tabellen); auch wo man im einzelnen
vielleicht anders abgrenzen möchte, haben sie bisher als schwierig
empfundene Textzusammenhänge aufgehellt. Nicht immer so klar
sind die Schlußfolgerungen; manche der Statistiken (z.B. „Kommen
und gehen" S. 174ff. - der Anhang S. 218: ganz fehlt die Begehung
der Formel zum nm« oi ) bleiben im Formalen stecken,
und man fragt sich am Schluß, welchem Ergebnis sie dienen sollten
. Auch manche Voraussetzungen wären zu überdenken: bestätigt
die Analyse von Kap. 1-3, daß wir hier wirklich den Anfang
des deuteronomistischen Geschichtswerkes vor uns haben (P. erkennt
in mehreren Schichten doch eine Beziehung auf das Gesetzeskorpus
, sollte das eine nachträgliche Umdeutung seih?)? Zu Kap.
28: Wenn die konditionalen Einleitungs- und Schlußformeln formal
auch jung sind, sind die formal absoluten („apodiktischen") Ur-
formulare ohne inneren Bezug auf die bei den vorausgesetzten
Kultbegehungen anwesende Gemeinde gewesen? Der Satz: „Segen

ist freigeschenkte Gnadengabe Jahwes" (S. 194) ist theologisch
sehr schon - wie steht es aber mit dem, ebenso alten, Fluch? Und
sind Segen und Fluch wirklich erst von dem Deuteronomisten
innerlich zueinander in Beziehung gesetzt, kommt ihre Entsprechung
nicht schon in der formalen Parallelität von Nr. 1 und 4 (s. o.)
zum Ausdruck? Die Entfaltungsstufen des Textes scheinen mir
durchaus richtig gesehen, aber die theologische Kontinuität zwischen
ihnen ist vielleicht doch stärker, als P. annimmt.

Das würde dann auch für den Gesamtaufbau des Dt gelten,
dessen Ordnung nach dem Schema des Bundesformulars kaum erst
junge (exilische) Komposition sein kann. Aber auch diese Probleme
sind bei P. nicht konsequent zu Ende gedacht.

Der Eindruck, daß die Analyse des Deuteronomiums durch die
vorliegende Arbeit wesentlich gefördert worden ist, wird durch
diese weiterführenden Überlegungen nicht geschmälert. Sie reiht
sich würdig in die bedeutende Reihe der Bonner Biblischen Beiträge
ein.

Bochum Henning Graf R e v e n t 1 o w

Reventlow, Henning Graf von: Opfere deinen Sohn. Eine Auslegung
von Genesis 22. Neukirchen: Neukirchener Verlag d. Erziehungsvereins
[1968]. 87 S. 8° = Biblische Studien, hrsg. v. H.
Gollwitzer, F. Hahn, H.-J. Kraus, 53. Kart. DM 5,50.
Die Auslegung des in seiner Bedeutung umstrittenen 22. Kapitels
der Genesis gliedert der Verf. in fünf Abschnitte. Im ersten Abschnitt
(S. 7-20) behandelt er zunächst die Frage nach der historischen
Wirklichkeit der Erzväterüberlieferung und zeigt, daß,
obwohl die Archäologie in den letzten Jahrzehnten den allgemeinen
Rahmen der Patriarchenerzählung als geschichtlich glaubwürdig
erwiesen hat, die Einzelheiten in keiner Weise „historischer '
geworden sind, was insbesondere auch für die Uberlieferung von
„Isaaks Opferung" in Gen 22 gilt.

Danach wendet sich der Verf. im zweiten Abschnitt (S. 21-31) der
Frage nach den literarischen Quellen zu und macht darauf aufmerksam
, daß sich bei der Zuweisung von Gen 22 an E durch die
meisten Ausleger gewisse Schwierigkeiten ergeben. Er selbst vertritt
die Ansicht, daß die literarkritische Betrachtungsweise, mit
deren Hilfe man V. 15-18 als nicht zum ursprünglichen Bestand
der Erzählung gehörend ausscheiden kann, dem komplizierten
Sachverhalt überhaupt nicht gerecht wird, da man auch die vor
literarischen Stufen berücksichtigen muß.

Das geschieht im dritten Abschnitt über Form und Ziel der ursprünglichen
Erzählung (S. 32-65), der eine zentrale Stellung in
der Untersuchung einnimmt. Dabei spricht sich der Verf. gegen
eine einseitige formgeschichtliche Betrachtung aus und wendet
die von der Germanistik ausgebildeten Methoden der Stilkritik
an, um die Art der ursprünglichen Erzählung, bei der es sich
weder um eine Kultätiologie noch um eine Tendenzerzählung
gegen das Menschenopfer handelt, zu erkennen. Nach seiner Meinung
geht es in der ältesten Form von Gen 22 um die durch göttliches
Eingreifen verhinderte Opferung eines ungenannten Sohnes
Abrahams (S. 53). Die Gattung der Urfassung, in der regelmäßig
der Jahwename verwendet wird, wird als „volkstümliche Erzählung
" bestimmt.

Im vierten Abschnitt (S. 66-77) zeigt der Verf., wie diese alte
Volkstradition, die nicht literarkritisch eingeordnet werden kann,
durch den literarischen Sammler (E) zu einer Legende von der Prüfung
Abrahams umgestaltet worden ist. In der letzten Stufe der
Bearbeitung ist daraus durch die Erwähnung des Berges Morijja in
V. 2 eine Kultätiologie geworden.

Abschließend gibt der Verf. im letzten Abschnitt (S. 78-87) noch
einen Uberblick über die Auslegungsgeschichte in der christlichen
Kirche.

Die Studie erhält ihre Bedeutung dadurch, daß der Verf. die Stilkritik
, die er bereits für die Auslegung von Ps 8 herangezogen
hat', konsequent auf eine Überlieferung der Genesis anwendet und
dabei manche gute Beobachtung macht. Ob man jedoch mit Hilfe
der Stilkritik die Urform von Gen 22 rekonstruieren kann, ist
fraglich.

Jena Eva O ß w a 1 d

2) Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament? ZThK 52. 1955, S. 1-42.

') Der Psalm 8 Poetica 1, München 1967, S. 304-332.