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Ausgabe:

1969

Spalte:

253-256

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Wahrheit und Verkündigung 1969

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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253

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4

254

Erasmus gibt die Folie ab, auf der R. Stupperich Luthers
Schrittdeutung darstellt. Was Luther als Exeget von ihm gelernt hat,
reicht nur bis ins Vorfeld. Luthers eigene Auslegung nährt sich aus
seiner exegetisch-existentiellen Erfahrung mit der Schrift. Das Neue
wird mit K. Holl in der „Ergriffenheit von der Sache" und in der
Einheit von Buchstabensinn und innerem Verstehen gesehen. Das
wird z. T. in Anlehnung an Holl entfaltet. Erasmus kommt nur
knapp zu Wort, vorwiegend als Philologe und Humanist. Die theologische
Seite seiner Schriftauslegung, die bei allen fundamentalen
Unterschieden doch mit Luther gemeinsame Züge aufweist, kommt
kaum zur Geltung.

W. Schütz formuliert Dank und Frage des Predigers an die
Theologie von heute. Indem sie die kerygmatische Struktur des
ßibelwortes freilegt, leistet sie ihm die entscheidende Hilfe, seine
Verkündigung als lebendige Anrede auszurichten, ja ermöglicht
ihm geradezu seine Existenz. Dem Versuch, Gott zur Funktion
mitmenschlicher Beziehung zu machen oder ihn für tot zu erklären
, hält Sch. die Wirklichkeit des extra nos entgegen, aus der der
Glaube lebt. Das neue Sein in Christus sprengt den Existenzbegrifl
Heideggers, es läßt sich nicht einengen auf einen Akt der Entscheidung
. Ob freilich Kirchlichkeit und Sitte zum Gestaltwerden
des Seins in Christus gehören, scheint mir fraglich. Sind sie nicht
allzuoft gesprungene Gefäße, die sich nicht mehr füllen lassen?

Die Erörterung der Methoden theologischer Wissenschaft möchte
H. Kittel aus der Evangelischen Unterweisung entfernt sehen.
Das Primäre am Unterricht ist das Ergriffensein von der Sache,
lie Methodologie: „Evangelische Unterweisung gibt es, weil
es das Evangelium gibt, nicht weil es wissenschaftliche Theologie
gibt" (161). Nur wo diese .Primärrelation zur Sache' erhalten ist,
gibt es Raum für freies und kritisches Denken. Das Gegenbild erscheint
im tiefsten Schwarz, nicht ohne Überzeichnungen: eine
Schule unter dem Diktat unerreichbarer Wissenschaftlichkeit, in
der der Lehrer zum unkritischen Tradenten von Lehrmeinungen
gemacht, der Schüler dem Wissenschaftsaberglauben ausgeliefert
wird. Dagegen erheben sich jedoch starke Bedenken. Jeder Lehrer
bezeugt das Evangelium in dem geistigen und theologischen Gewand
, das seiner Persönlichkeit und seinem Lebensweg gemäß
ist; d.h. aber für die meisten heute in einer von der hist.-krit.
Wissenschaft geprägten Form. Das leidenschaftliche Gefangensein
in der Sache ist für sie konstitutiv. Dennoch schuldet sie grundsätzlich
Rechenschaft über die Gestalt ihres Evangeliums; dazu gehört
auch die Verantwortung der Methode.

Die Auseinandersetzung mit der Bekenntnisbewegung geht durch
das ganze Buch. Marxsen vermißt den gemeinsamen Grund; dir
Bewegung glaubt an einen anderen Jesus als er. Schütz sprich,
von einer .antitheologischen Kampfbewegung', die durch die Negierung
der Theologie die Kirche in ihret Substanz bedroht. Daneben
wird gemahnt, das Gespräch nicht abreißen zu lassen, zu
hören, nicht zu demonstrieren. Die Sorge um die Gemeinde zwischen
den Fronten wird unausgesprochen geleitet von dem Satz
des Erasmus: „Doctos esse vix paucis contingit, at nulli non licet
esse Christianum, nulli non licet esse pium, addam audacter illud:
nulli non licet esse theologum" (Paraclesis, ed. Holborn, S. 145).

Falsche Bibelzitate auf den Seiten 40, 70, 78, 99 kann der Leser
leicht selbst verbessern. Auf S. 118 muß es heißen: Ges. Aufsätze I,
436, auf S. 119, 1. Z.: WA 3, 291.

Erlangen Wolfgang P o h 1 m a n n

(Schmaus, Michael:] Wahrheit und Verkündigung. Michael
Schmaus zum 70. Geburtstag, hrsg. v. L. Scheffczyk, W.
Dettloff, R. Heinzmann. I u. II. München-Paderborn-
Wien : Schöningh 1967. XXXIX, 924 S., 1 Porträt u. IV, S. 925
bis 1958 gr. 8°.

Mit zwei Bänden von insgesamt zweitausend Seiten und 86 Beiträgen
ist diese Festschrift bereits ein bibliographisches Ereignis,
auch wenn sie z. B. neben den früher Joseph Lortz und Karl Rahner
gewidmeten Doppelbänden schon keinen Sonderfall mehr bildet
. Ein großer Kreis von Schülern und Freunden, darunter zwei
orthodoxe (K. Kallinikos, J. Kalogirou) und fünf evangelische
(P. Brunner, W. Joest, P. Meinhold, W. Stählin, H. Thielicke) Theologen
, ehrt einen Jubilar, dessen Lebenswerk als Lehrer und Forscher
allein schon nach dem äußeren Umfang Ausdruck einer erstaunlichen
Produktivität ist. Michael Schmaus hat in den 42 Jahren

seiner akademischen Lehrtätigkeit, zumeist aber in seiner letzten
Zeit an der Universität München von 1947 bis zur Emeritierung
1965, wie einem der beigefügten Verzeichnisse zu entnehmen ist,
allein 73 Dissertationen und 13 Habilitationsschriften betreut. Daneben
steht ein ebenso imponierendes Schriftenverzeichnis, das
mit der in sechs Auflagen und acht Teilbände angewachsenen
Dogmatik beginnt und 140 weitere Titel von Monographien und
Aufsätzen zu dogmatischen Themen und besonders zur Theologiegeschichte
des Mittelalters umschließt.

Soweit es überhaupt möglich und sinnvoll ist, die Vielfalt der
in den 86 Beiträgen behandelten Themen auf einen Nenner zu
bringen, hat man es nicht mit einer um das Werk des Meisters
sich gruppierenden Schulrichtung zu tun. Bei aller Disparatheit des
Gebotenen ist es vielmehr ein Querschnitt durch die verschiedenen
Fachrichtungen, mehr aber noch ein überaus anschauliches und
buntes Bild von der Bewegung in der gegenwärtigen römischkatholischen
Theologie. Was bislang und vielleicht auch in dem
Werk von Schmaus noch vage oder unausgesprochen blieb, was
auch in den Konzilsdokumenten bisweilen nur skizziert wurde,
wird hier in manchen Fällen mit oft kräftigen Strichen ausgezogen.
Das gilt in gleicher Weise für die Erschließung der eigenen theologischen
Tradition wie auch für das Gespräch über den Zaun
mit den getrennten Brüdern sowie mit den Nicht- oder auch Nicht-
mehr-Christen.

Der Stoff ist locker nach fünf Sachgebieten gegliedert in Abhandlungen
zur Philosophie, vier Aufsätze zur biblischen Exegese,
Studien zur Fundamentaltheologie, dann eine umfangreiche Abteilung
mit Arbeiten zur Theologiegeschichte, vornehmlich des Mittelalters
, und schließlich eine Reihe von Beiträgen zu aktuellen
Problemen, unter denen vor allem auch die Ergebnisse des Vaticanum
II behandelt werden. Angesichts der großen Fülle wird sich
die Besprechung auf einige Hinweise in subjektiver Auswahl beschränken
müssen.

Als erstes greifen wir den Aufsatz von H. R. Schlette heraus:
„Der Agnostizismus und die Christen". Im Anschluß an das von
G. Martin u. a. vertretene Programm einer aporetischen Metaphysik
formuliert Schlette die These von einem aporetischen Agnostizismus
, der in der Gegenwart den herkömmlichen Atheismus
abgelöst hat und ablösen muß. Damit wird der Versuch gemacht,
die Auseinandersetzung von Theismus und Atheismus in ihrer
negativen Dialektik, wie sie auch noch z. B. in „Gaudium et Spes"
§§ 19ff vorliegt, zu entschränken und in der Solidarität der offenen
Fragen in eine klarere methodische Reflexion zu überführen. Dazu
gehört freilich auch das auf dem Hintergrund der traditionellen
Apologetik und Polemik umstürzende Eingeständnis, das „de facto
auch die katholischen Christen (bis auf ganz wenige Ausnahmen?)
keineswegs Gottes Existenz philosophisch zu erkennen vermögen
und daß sie also philosophisch betrachtet als Agnostizisten angesehen
werden müssen . . ." (142).

Unter den vier Beiträgen zur biblischen Exegese stehen an erster
Stelle „Beobachtungen zur theologischen Systembildung in der alt-
testamentlichen Literatur an Hand des .kleinen geschichtlichen
Credo"' von Wolfgang Richter (München). In einer detaillierten
Analyse wird hier der Traditionsgeschichte von Dt 26,5ff nachgegangen
. Vor allem gegen G. von Rad, der allerdings selbst in der
Datierung immer eine gewisse Zurückhaltung gezeigt hat, wird
im Ergebnis festgestellt, daß die Schemata dieses .Credo' Ergebnis,
aber nicht Ausgangspunkt der Uberlieferung seien.

Interessante hermeneutische Fragen werden im gleichen Abschnitt
von Naoji Kimura am Beispiel japanischer Bibelübersetzungen
aufgeworfen.

In der Gruppe der fundamentaltheologischen Abhandlungen
unternimmt Ernst S t a d t e r (Karlsruhe) den von Albert Görres im
katholischen Bereich vorbereiteten Versuch, die Psychoanalyse und
besonders die Religionskritik von Sigmund Freud der Theologie
in kritischer Sichtung nahezubringen und zu erschließen. Dabei
kann er auf manche Parallelen bei Augustin und, in mehr formalem
Sinne, bei der Aristotelesrezeption des Mittelalters verweisen
. Ganz gelingt diese Vermittlung indes nicht, was jedoch,
wie Verf. unter Hinweis auf C. G. Jung zeigen möchte, nicht unbedingt
an der Methode, sondern bei Freud an den Prämissen
ihrer Anwendung liegt. Von Heimo Dolch findet sich ein neuer
Beitrag zu Teilhard de Chardin, „Zukunftsvision und Parusie", in
dem er gegen manche kritischen Einwände, wie z. B. von A. Port-