Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Spalte:

251-253

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Ein anderes Evangelium? 1969

Rezensent:

Pöhlmann, Wolfgang

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

251

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 4

252

Christus (als dem Repräsentanten der neuen Menschheit) die gebührende
Verehrung und Verherrlichung dargebracht und dadurch
Erlösung und Heiligung bewirkt wird58. Deshalb ist dieses Opfer,
das die Kirche in der Eucharistie darbringt, heilsam und versöhnend
für die ganze Welt und kommt Lebenden wie Toten zugute:
„Offerimus tibi eius Corpus et Sanguinem, sacrificium tibi accep-
tabile et toti mundo salutare". Nur von hier aus gewinnen die
neuen Gebete ihren letzten Sinn.

Summa summarum? Die Schwierigkeiten, die eine an den Reformatoren
geschulte Theologie hat, sich mit den Mefjopfervor-
stellungen der römisch-katholischen Kirche anzufreunden, sind keineswegs
geringer geworden; die Kontroverse ist durch die neuen
eucharistischen Hochgebete nicht überwunden. Im Gegenteil: Manches
tritt sogar jetzt deutlicher und schärfer in den Blickpunkt
als früher. Das ist das Mindeste, was hier gesagt werden muß.
Auf der anderen Seite warnt uns aber ausgerechnet ein lutherischer
Theologe, G. G. Blum, vor einem allzu schnellen „Summa
summarum" Lutherscher Prägung; in seiner Untersuchung zur

K) Ebd. S. 799, S. 796. S. 798f. In der Eucharistie (wie in allen Sakramenten!)
geschieht .„Heiligung' ,durch' (ganz von der Gnade getragene) .Latria'" (S. 801);
.Heiligung" ist die »Wirkung von .Latria"" (S. 802): „Durch das Eingehen in die
.Latria' Christi wird nun aber die weitere .Heiligung', die eigentlich sakramentale
Gnadengabe, vermittelt (S. 805).

Eucharistielehre der alten Kirche kommt er zu Ergebnissen die
in bemerkenswerter Übereinstimmung zu den Feststellungen Averbecks
stehen; auch er geht aus von der Frage: ,Hat Christus sein
Opfer qua Deus ,humanitate nihil cooperante' vollbracht, oder
handelte er als Hoherpriester in erster Linie nach seiner menschlichen
Natur und als Vertreter der Menschheit?"™. Beantwortet
man die Frage im zweiten Sinne, so scheint das Ergebnis unausweichlich
: Durch, mit und in Christus bringt die Kirch° selbst
„Gott, dem Vater, das auf liturgische Weise vergegenwärtigte
Opfer seines Sohnes dar und erfährt so das Mysterium ihrer
eigenen Aufopferung und Hingabe, das in ihrem ganzen Leben
von dieser Quelle her sichtbar werden soll"™.

Summa summarum - weder zu ökumenischem Jubel noch zu
protestantischer Selbstbestätigung geben die neuen eucharistischen
Hochgebete Anlafj und Grund, sondern allein zu vertiefter, vorurteilsloser
, wenn möglich gemeinsamer Beschäftigung mit all den
hier aufbrechenden ungelösten Fragen81.

5") G. G. Blum, Eucharistie, Amt und Opfer in der Alten Kirche. Eine problemgeschichtliche
Skizze, in: Oecumenica, Jahrbuch für ökumenische Forschung. 1966.
S. 9-60 zit. S. 56. 6") Ebd. S. 57.

61) Da die Arbeit bereits im Oktober 1968 abgeschlossen wurde, konnte die im
Dezember 1968 approbierte offizielle deutsche Obersetzung der Hochgebete nicht
mehr berücksichtigt v/erden.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

Aland, K. [Hrsg.], in Verb, mit K. G. Steck, R. Smend,
W. Marxsen, E. Haenchen, R. Stupperich, W.
Schütz, H. Kittel : Ein anderes Evangelium? Wissenschaftliche
Theologie und christliche Gemeinde. Ringvorlesung der
Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-
Universität Münster. Witten: Luther-Verlag 1967. 167 S. 8°.
Kart. DM 8,60.

Die Vertrauenskrise zwischen Theologie und Gemeinde, die sich
in der Bekenntnisbewegung ,Kein anderes Evangelium' institutionalisiert
hat, kann nur überwunden werden durch Paradigmen
wissenschaftlicher Arbeit, wie sie die Ev.-Theol. Fakultät in Münster
hier einem weiten Leserkreis vorlegt. Nach der Relation von
Glaube und Wissenschaft fragt K. G. S t e c k. Er geht aus vom Problem
der Distanz. Die Bibel, die Kirche und Jesus von Nazareth
sind als Medien zwischen Gott und Mensch getreten. St. nennt
diese Instanzen „Vermittlungen". Sich ihrer sachgemäß zu bedienen
ist „mehr eine Sache der Bildung als des Glaubens" (141. Der
Glaube braucht die Wissenschaft, um den Abstand von seinem
Ursprung zu überbrücken und um zu verantworten, was er bekennt
. Auch die theologische Wissenschaft gehört heute zu jenen
Vermittlungen Hier kann es zum Konflikt kommen. Kann die
Wissenschaft den Anspruch der Quellen prinzipiell in Frage stellen
und ihn zugleich als wahr bezeugen? Vertraut man ihr, auch
dort, wo sie Fragen des Glaubens kritisch verhandelt, so zeigt
sich, daß sie gerade in ihrer kritischen Funktion die Aussagen des
Glaubens von der Patina der Gewöhnung reinigen kann. Es ist
zu fragen, ob das Sachproblem zwischen Glaube und Wissenschaft
durch den Begriff der Vermittlung ausreichend eingegrenzt werden
kann. Läßt sich Jesus als .Mittler' in die Reihe der Vermittlungen
einordnen? Christlicher Glaube ist hier an seinem Ziel, anders als
bei Bibel und Bekenntnis.

Die Traditionen vom Auszug aus Ägypten untersucht R. S me n d.
Israel hat nie anders vom Exodus gesprochen als im Bekenntnis
des Handelns Gottes. Schon der älteste Text (Ex 15,21) ist theologisch
geprägt, alle rationalen Erklärungsversuche des Wunders
am Meer müssen daher scheitern. Eine Rekonstruktion des historischen
Auszugs ist schwierig, weil direkte außerbiblische Quellen
fehlen. Versucht man sie dennoch, so kommt man der ältesten
biblischen Erzählung nahe. Der Historiker hat das Bekenntnis
des Glaubens unangetastet zu lassen. Er kann seine Wahrheit nicht
beweisen, aber auch nicht widerlegen. S. kennt zwar eine Traditionsschicht
, in der die Plagenreihe noch nicht ausgebildet ist, da
er jedoch von einer dritten alten Quelle absieht, muß er die als
alt herausgestellten Elemente (Fehlen der Plagen, Flucht aus

Ägypten) auf J und E verteilen und ein wenig geschlossenes Bild
der ältesten Überlieferung in Kauf nehmen.

„Jesus - oder das Neue Testament?" lautet W. Marxsens
Frage. Christlicher Glaube ist Glaube an Jesus. Jede andere Orientierung
, etwa am NT als Buch verfehlt die Sache. M. sucht den Weg
zurück zum Jesus der ältesten Zeugen. Dieser Weg ist legitim, das
pure Daß genügt nicht, es macht Jesus zu einem leeren Namen und
steht in Gefahr, ihn zu verlieren. Auch die älteste Jesustradition
bietet dem Glauben keine securitas. M. beiaht die neue Frage nach
dem historischen Jesus: „Für Jesus gibt es keinen Ersatz. Ich möchte
die Sache selbst" (75). Doch sein Ja wird sogleich eingeschränkt:
„Der sogenannte historische Jesus ist nicht unmittelbar erreichbar
" (71). Er erinnert damit an die unaufgebbare Erkenntnis, daß
die bruta facta stets zweideutig sind, der Interpretation bedürfen
und erst so zum Glauben rufen. Doch das erklärte Desinteresse
am Faktischen bringt ihn wieder in die Nähe der bekannten
Formulierung Ebelings, nach der wir es bei Jesus „. . . nicht mit
puren Fakten, sondern mit lauter Wort..." zu tun haben (Theologie
und Verkündigung S. 56).

„Wie starb Jesus?" fragt E. Haenchen. Seine Antwort ist ein
deutliches Ignoramus: „Wir können die letzten Stunden Jesu nicht
rekonstruieren..." (89). Sie sind ein Geheimnis. Mit viel Einfühlung
beleuchtet H. die Passionsberichte, zeigt bei Mk den Gottverlassenen
, bei Lk den .heimlichen Sieger' und bei Jh den Trium-
phator auf der via dolorosa. Keines dieser Bilder gleicht dem
Geschehen, noch läfjt sich aus ihnen das ursprüngliche eruieren.
Nur an einem Punkt ist ein historischer Rückschluß erlaubt, bei
der Begegnung mit Simon von Kyrene (Mk 15.21). Diese Episode
ist „. . . historisch so gut gesichert, wie das überhaupt bei vergangenen
Ereignissen möglich ist" (87). Hier ist zu widersprechen.
Die wohl vormarkinische Personalnotiz wird zwar weithin als
zuverlässig angesehen, doch ist es unmöglich, sie bis zu ihrem
Ursprung zurückzuverfolgen. Der Grund ihrer Aufnahme durch
Mk läßt sich nicht sicher feststellen. So könnte sie auch ein frühes
Einsprengsel apokrypher Personaltradition sein. Zu Mk 15,34 wird
man H. sofort darin zustimmen, daß Mk nicht den ganzen 22.
Psalm meint und Jesus in radikaler Gottferne sterben läf)t. Aber
wie ist dieser Gedanke aus der frühen Gemeindetheologie abzuleiten
? Drängt sich nicht gerade hier die historische Rückfrage auf7

K. Aland zeigt, dafj die Entstehung des ntl. Kanons ein histo
rischer, kein supranaturaler Vorgang ist. Die Kriterien, die dabei
angewandt wurden, halten zumeist der Kritik nicht stand. Trotzdem
gibt es außerhalb des NT keine alte Schrift, die genügend Gewicht
hat, um mit dem Kanon in Konkurrenz zu treten. Keine formale
Autorität stützt das NT, allein die Selbstevidenz der Schrift,
die zugleich ein kritisches Prinzip ist, hält es von seiner Mitte
her zusammen.