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1969

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Systematische Theologie: Allgemeines

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 3

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Anlang - einen Bruch, den er nur durch die „Wandlung der geschichtlichen
Wirklichkeit"(!) meint erklären zu können (117). Ja,
er behauptet sogar, Gogarten habe dann die Objektivität der Offenbarung
bestritten und damit „die entscheidende These seiner
i-iuhzeit revoziert" (126).

Hier liegt offensichtlich ein Mißverständnis des Begriffs der
„Objektivität" in der Frühzeit bzw. der allein durch den Glauben
ermöglichten, nur im Gegenüber zu Gott zu verwirklichenden
„Subjektivität" in der Spätzeit vor. Die Interpretation läßt eine
Unterscheidung zwischen den sich wandelnden Denkmitteln (im
Anschluß zunächst an Grisebach, später an Heidegger) und dem
sich durchhaltenden Grund-Ansatz Gogartens vermissen. Gerade
der Begriff der Geschichtlichkeit des Glaubens, der die Auseinandersetzung
mit x roeitsch und mit dem Selbstverständnis des modernen
Denkens leitet, hätte dafür eine sinnvolle Hilfe geboten.
Ks wäre so mit dem genuinen Begriff der „eschatologischen Geschichte
" auch schärfer in den Blick gekommen, daß es Gogarten
wohl doch gelungen ist, der Übergeschichts-Metaphysik von
Troeltsch und der Heilsgeschichte der traditionellen Theologie eine
traglähige Alternative entgegenzustellen. Daß die Geschichtsbegriffe
Gogartens und des Historismus im Grunde auf zwei verschiedenen
Ebenen liegen, sieht Fischer an sich (107), wie er auch
gewisse Kontinuitäten in der Entwicklung Gogartens anerkennen
kann (132). Daß er sich diese Beobachtungen aber für die Interpretation
nicht zu nutze macht, liegt offenbar an dem eigentlichen
Interesse seiner Fragestellung: Fischer, ausgehend von einem ganz
anderen Geschichtsbegriff, sucht die Einheit zwischen dem Geschehenen
der Geschichte und dem Glauben, während Gogarten
wohl ausschließlich nach der Anrede des Menschen durch Gottes
Wort fragt, wodurch das Heute erst geschichtlich wird. Daß Fischer
hier einen prinzipiellen, folgenschweren Mangel in Gogartens
Denken hndet, ist berechtigt. Aber es bleibt bedauerlich, daß er
sich dadurch in solche Mißverständnisse hat verführen lassen..

Verdienstvoll ist das Literaturverzeichnis; es verzichtet auf eine
vollständige Bibliographie Gogartens, bemüht sich aber sehr gründlich
um die Sekundärliteratur. Das Buch G. Nollers, Sein und
Existenz, 1962, auf das sich der angezeigte Aufsatz Ittels (S. 244)
bezieht, könnte noch nachgetragen werden.

C o r r i g e n d a : S. 84, Abs. 2, Z. 2: trägt statt träge. - S. 141,
Abs. 2, Z. 7 v. u. muß es heißen: „Über eine fides quae creditur
weiß Gogarten nichts zu sagen". - S. 170, Abs. 2, Z. 7 heißt es:
„Das Troeltsche Verständnis...". Am besten wäre der Ausdruck
zu ändern, sonst: Troeltschsche.

Naumburg/Saale Harald Schultz«

Bonhoeffer, Dietrich: Schöpfung und Fall. Versuchung. München
: Kaiser 1968. 164 S. 8°. Lw. DM10,-.

C a t a n z a r o , C. J. de: Katholizität (IKZ 58, 1968 S. 19-28).

Foth, Peter J.: Die Tauflehre Karl Barths (MeGBl 25 1968 S. 35
bis 38).

K ü n g , Hans: Wahrhaftigkeit. Zur Zukunft der Kirche. Freiburg-
Basel-Wien: Herder [1968]. 240 S. 8Ü = ökumenische Forschungen
, hrsg. v. H. Küng u. J. Ratzinger. Ergänzende Abt. Kleine
ökumenische Schriften, 1.

K ü r y, Urs: Von der Katholizität der Kirche (IKZ 58,1968 S. 1-18).

- Das Leben aus der Zukunft in systematischer Sicht (IKZ 58, 1968
S. 182-206).

M e d i n a , Jorge E.: Riquezas del contenido doctrinal de la idea
Iglesia (Teologia y vida8, 1967 S. 263-274).

M y n a r e k, Hubertus: Der Mensch das Wesen der Zukunft.
Glaube und Unglaube in anthropologischer Perspektive. München
-Paderborn-Wien : Schöningh 1968. 123 S. gr. 8°. Lw.
DM 11,80.

Pape, Carlos: Problemätica acerca del bautismo de pärvulos
(Teologia y vida 8, 1967 S. 291-299).

R a h n e r, Karl: Gnade als Freiheit. Kleine theologische Beiträge.
Freiburg-Basel-Wien: Herder [1968]. 281 S. kl. 8° = Herder-
Bücherei, 322. Kart. DM3,95.

T u r r a d o , Argimiro: Fe en Cristo y fe en la unidad de los
cristianos (Revista Agustiniana de Espiritualidad 9, 1968 S. 5-16).

ETHIK

B a r c z a y , Gyula: Revolution der Moral? Die Wandlung der
Sexualnormen als Frage an die evangelische Ethik. Zürich/Stuttgart
: Zwingli Verlag 1967. 280 S. gr. 8°.

G. Barczay, reformierter Pfarrer im Kanton Basel-Landschaft,
beabsichtigt, „das heute so aktuelle Problem der Sexualität theologisch
von Grund auf neu zu bedenken, und zwar in der Weise,
dalj dabei die sogenannte neue Moral als Frage ernstgenommen
wird" (Vorwort). B. konzentriert die Auseinandersetzung nach
einer Katalogisierung der Vertreter einer solchen neuen Moral aut
die Gruppe jener, die einerseits die traditionelle Moral scharf ablehnen
, andererseits aber bemüht sind, neue Normen für das
sexuelle Verhalten zu rinden; Alex Comrort wird mit Recht besonders
beachtet.

Mit Recht auch begreift B. die „Revolution" der neuen'Moral als
Reaktion auf die traditionelle. Die Kirchen- und Dogmengeschichte
ist insofern eine ihrer wichtigen Ursachen. Mit H. Klomps sieht B.
die entscheidende Traditionsprägung in Augustins „Sexualpessimismus
" (S. 48). Allerdings hat die Tradition auch Ansätze weiter
geführt, die in der Heiligen Schrift vorhanden waren; Verf. bejaht
deshalb die von H. Thielicke geforderte „ethische Variante" der
hermeneutischen Aufgabe (S. 59). Die geschlechtsfeindlichen Motive
der Bibel sind vor allem: die Lehre vom Sündenfall und dk
paulinischen Aussagen über Ehe, Geschlechtlichkeit und Frau
(S. 60). B. weist zugleich auf den moralischen und philosophischen
Kontext der frühchristlichen Umwelt hin; er stützt die paulinischen
Motive. Andererseits waren es gelegentlich religiöse, nicht anthropologische
Gründe, weiche die neutestamentliche Einstellung zur
Sexualität bedingt haben. Zu fragen wäre indessen über B. hinaus,
der hier im ganzen D. S. Bailey folgt, ob die geschlechtsfeindliche
Tradition wirklich nur eine Folge der genannten Ursachen sein
kann.

So ist es nicht nur der Androzentrismus gewesen, der die eros-
leindliche Überlieferung bis in die Gegenwart überzeugend erscheinen
ließ, sondern mehr noch und jene vorpersonale Sexualität
eigentlich erst fixierend, eine Grundhaltung zur Welt: Eros wurde
im Doppelaspekt von Selbstsucht und Weltsucht aufgefa5t. Wie
aber der Theologie einerseits daran gelegen war, den Menschen
auf das Uber-Sinnliche zu verpflichten, war die vorneuzeitliche
Gesellschaft andererseits aus ökonomischen und politischen Gründen
an der kirchlichen Idealnorm einer asketischen Einstellung
interessiert. Der moralische Umschlag erfolgt denn auch gleichursprünglich
mif einer neuen - bürgerlichen - Wertung der Welt.
Dieser theologiegeschichtliche und soziologische Problemkreis der
Geschichte der Sexualität im Christentum kommt bei B. zu kurz.
S. Keils Buch „Sexualität" (1966) konnte er allerdings nur noch in
Anmerkungen berücksichtigen (S. 22).

Der Ausfall des eben erwähnten Themenkreises hat eine Verkürzung
des Ansatzes, den B. zur Auseinandersetzung mit der
neuen Moral wählt, zur Folge. Einerseits wird die positive Linie
der biblischen Ethik der Geschlechter, obschon zutreffend dargestellt
, noch zu unmittelbar mit ihrer heutigen monogamen Beziehung
korreliert, während andererseits das Recht der neuen Moral
auf einen ungebundenen Eros noch zu schnell abgetan erscheint.

Wenngleich aber für B. die Ehe noch zu selbstverständlich die
für uns gültige Form des Zusammenlebens von Mann und Frau ist,
hebt er durchaus hervor, daß sie nicht für eine ewig gültige
Form gehalten werden darf. Sie gilt heute, und sie darf nicht einmal
heute das Monopol auf die sexuelle Vereinigung haben. B.
widmet einen großen Teil seines Buches sozusagen der Dezentralisierung
des sexuellen Verhaltens. Er betont mit Recht - und hier
wird die neue Moral für ihn bedeutungsvoll -, da5 das Wesentliche
der Ehe die Totalität der Lebensgemeinschaft und nicht der
Geschlechtsverkehr sei (S. 218); dieser muß deshalb vom Standpunkt
der Theologie aus nicht grundsätzlich auf die Ehe
beschränkt werden (S. 182). B. erörtert in seinem ebenso lesbaren
wie lesenswerten Buch insbesondere die Fragen des außerehelichen
Geschlechtslebens, der Empfängnisregelung und der künstlichen
Schwangerschaftsunterbrechung. Er vertritt hier eine freie,
evangelische Einstellung, die in der gegenwärtigen Diskussion Be
achtung finden sollte. B. irrt allerdings, wenn er meint, es gebe
noch keine innerkatholische Diskussion über die Frage der Empfängnisregelung
(S. 24). Über sie hat Franz Böckle in Concilium
1965/5 berichtet.

Das wesentliche Problem, welches nach Berücksichtigung der
hier nur anzudeutenden Kritik weiterer Behandlung bedarf, dürfte
so zu formulieren sein: Wie kann die christliche Ethik ihren Anspruch
, die Monogamie sei die gebotene und für den Menschen