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Ausgabe:

1969

Spalte:

233-235

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Fischer, Hermann

Titel/Untertitel:

Christlicher Glaube und Geschichte 1969

Rezensent:

Schultze, Harald

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 3

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theologischen Spektrum" zu bestimmen und die Debatte über die
Auffassung der Offenbarung als Geschichte in der alttestament-
lichen und systematischen Theologie zu referieren. - Wer diese
Einführung aufmerksam gelesen hat, ist auf das Studium des Leitaufsatzes
von Pannenberg bestens vorbereitet. Unter der Überschrift
.Die Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth" trägt
Pannenberg das christologische Konzentrat der für seine Theologie
konstitutiven Gedanken vor. Der Leitaufsatz gibt zugleich die
Grundlage für die folgenden amerikanischen Diskussionsbeiträge.

Martin Buss widerspricht der Pannenbergschen Konzeption des
Verhältnisses von Glauben und Geschichte mit einer Erörterung
über den .Sinn der Geschichte". Der inzwischen verstorbene Theologe
Kendrik Grobel kritisiert Pannenbergs Verständnis des Verhältnisses
von .Offenbarung und Auferstehung", und William
Hamilton erörtert die „Eigenart der Theologie Pannenbergs", in
der er „den Ton der Gnade und die Substanz der Rechtfertigung
durch Glauben" (250) vermißt. Dann resümiert John B. Cobb, Jr.,
diese Diskussion in einer kritischen „Musterung derjenigen Probleme
, die sich in der amerikanischen Kritik an Pannenberg herausschälten
" (253).

Mit einer „Stellungnahme zur Diskussion" schließt Pannenberg
den Band ab. Er motiviert hier ausdrücklich die Entstehung seiner
Theologie mit der Notwendigkeit, den autoritären Charakter
der Offenbarungstheologie zu überwinden. Denn: „Autoritäre Ansprüche
sind . . . für Menschen, die im Wirkungsbereich der Aufklärung
leben, nicht mehr akzeptabel" (291).

Ich schlage vor, die - erfreulicherweise sachlicher gewordene -
Diskussion des theologischen Programms Pannenbergs und seiner
Freunde auf die Frage zu konzentrieren, inwiefern das den ganzen
Entwurf tragende Postulat der Ganzheit der von einem
postulierten Ende her als Einheit vorgestellten Geschichte
eine wirkliche Alternative zur bekämpften autoritären Form
der Theologie darstellt. Mir scheint gerade dieses Postulat ein geschichtliches
Erbe autoritären Denkens zu sein. Ist nicht an die
Stelle verabsolutierter Autorität des Einzelnen im Ganzen die
Autorität des nunmehr als Ganzheit gedachten Absoluten getreten?
Darüber hinaus wäre zu fragen, wie man sich das Sein des zur
Gemeinschaft mit Gott bestimmten Menschen jenseits des
durch ein Ende abgeschlossenen Ganzen der Geschichte denken
soll. Erst recht gilt diese Frage dem Sein des sich - in Antizipationen
des Endes der Geschichte - geschichtlich offenbarenden
Gottes.

Zürich Eberhard J ü n g e 1

Fischer, Hermann: Christlicher Glaube und Geschichte. Voraussetzungen
und Folgen der Theologie Friedrich Gogartens. Gütersloh
: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn [1967]. 252 S. 8°. Lw.
DM 36,-.

Noch vor dem Tode Friedrich Gogartens im Oktober 1967 erschien
Hermann Fischers breit angelegte Monographie über Glaube
und Geschichte in der Theologie Gogartens; sie stellt die Überarbeitung
der Habilitationsschrift des Verfassers dar, die 1964 von
der Evang.-theol. Fakultät der Universität Mainz angenommen
Worden war. Mit ihrer Thematik ermöglicht diese Arbeit einen
Zugang zur zentralen Problemstellung in Gogartens Werk. Sie
Wird damit fast zu einer Gesamtdarstellung der theologischen Entwicklung
Gogartens - bis hin zu seinem letzten christologischen
Entwurf „Jesus Christus - Wende der Welt" (1966), der noch anhangsweise
(S. 222-230) bearbeitet worden ist. So gewinnt Fischers
Arbeit besondere Aktualität, zumal seit dem Ende des zweiten
Weltkrieges nur zwei Monographien (R. Wagler und Th. Strohm)
erschienen sind, die speziell dem Werk Gogartens gewidmet
sind. Dies scheinbar schwache Interesse steht im Widerspruch zu
dem offensichtlich noch wachsenden Einfluß, den Gogartens Theologie
tatsächlich, direkt und indirekt, bis in die Ökumene hinein
ausübt.

Das Buch skizziert in einem ersten Teil das Problem „Geschichte
und Glaube" bei Ernst Troeltsch (13-64). Ganz konzentriert auf
Troeltschs Ringen um eine absolut geltende Wahrheit angesichts
der Relativität aller geschichtlichen Erscheinungen, wird kritisch
gezeigt, wie die vielfach verschiedenen Versuche einer metaphysischen
Verankerung der Werte oder Maßstäbe alle scheitern
müssen.

Troeltsch, der Kritiker und Philosoph des Historismus, hatte mit
den Mitteln der Geschichtswissenschaft die absolute Wahrheit finden
wollen, ohne sich eingestehen zu wollen, daß dieser Weg nur
immer tiefer in die Relativismen hineinführt und darum prinzipiell
ungeeignet ist. An die Stelle der Wahrheitsgewißheit tritt dann
notwendig bei ihm das Postulat (58f.63).

In dem zentralen zweiten Teil ist die Untersuchung dem Verhältnis
von „Glaube und Geschichte bei Friedrich Gogarten" gewidmet
; die Darstellung gliedert sich aut gemäß der Frühphase
(bis 1928, S. 65-108), der mittleren Phase (1928-1937, S. 108-117) und
der Spätphase (1948-1967, S. 117-141) von Gogartens Denken und
schließt mit einer zusammenfassenden Kritik ab (S. 141-157). Die
grundlegende Fragestellung wird in der Interpretation der Arbeiten
aus der Frühzeit der dialektischen Theologie gewonnen. Schon
in dem Vortrag „Mystik und Offenbarung" stehen die paradoxen
Sätze: Offenbarung findet statt im Jenseits der Geschichte; und:
Offenbarung ist eine objektive geschichtliche Tatsache (74). Indem
so einerseits die Offenbarung der Geschichte als das Absolute, das
Nicht-Menschliche gegenübergestellt, andererseits aber als die
objektive, un-vermittelte Tatsache in die Geschichte hineingestellt
wird, wird der herkömmliche Begriff der historisch erforschbaren
Geschichte durchbrochen. Die positive Ausarbeitung dieser zunächst
formalen These differiert sehr stark im Wandel der
theologischen Entwicklung Gogartens: während in der Frühphase
im Anschluß an die Philosophie Ebners und Grisebachs das Ich-
Du-Verhältnis der Ort der geschichtlichen Begegnung ist, wird in
der mittleren Phase das Du durch den Nomos der Schöpfungsordnungen
interpretiert. In der Spätphase dagegen ereignet sich die
geschichtliche Befreiung des Menschen durch den Glauben in der
reinen Subjektivität (so S. 117f, 126f, 142ff). Konstitutiv bleibt in
allen Phasen die Ablehnung der Geschichte, sofern sie Vergangenes
betrifft - und damit ein Desinteresse an der historisch-kritischen
Forschung mit der Kategorie des Verstehens (98ff, 139f). Geschichte
im legitimen Sinne wird für Gogarten zur „eschatologischen Geschichte
" (136ff), sie qualifiziert Gegenwart und Zukunft des Menschen
. Fischer meint, daß Gogarten mit dieser Begriffsbildung de
facto das gleiche aussage, was der von ihm so leidenschaftlich
bekämpfte Ausdruck des „Übergeschichtlichen" bei Troeltsch oder
den neueren konfessionellen Theologen meine (137).

Wegen dieses Ausweichens vor dem Vergangenheitscharakter
der Geschichte und wegen des Rückfalls in den Irrweg der Übergeschichte
müsse die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und
Geschichte neu aufgerollt werden. Fischer bemüht sich darum in
dem dritten Teil seines Buches (159-236). „Der Glaube ist bezogen
auf Geschichte" (160); indem er diese Relation reflektiert, ist er
auf die historisch-kritische Forschung angewiesen. Das Recht der
historischen Kritik wird gegen Barth, Pannenberg und Richard R.
Niebuhr verteidigt (164-185); darauf wird an dem Modellfall der
Diskussion über die Kontinuität zwischen der Predigt Jesu und der
Christusverkündigung der Gemeinde die positive Bedeutung der
so erschlossenen Geschichte für den Glauben aufgezeigt - wobei
allerdings die Darbietung dieser jüngsten, noch andauernden Debatte
zu breit geraten ist (200-222). So kann dann zum Schluß
(230-236) eigentlich nur noch die Aufgabe umrissen werden, die
sich der Theologie heute stelle: die Bedeutung der Geschichte
für den Glauben, das unlösbare Aufeinander-Bezogensein von
personalem und ontologischem Element des Glaubens müsse neu
durchdacht werden.

Durch diese engagiert-kritische Würdigung der Theologie Gogartens
ist ein anregendes Buch entstanden. In der Konfrontation
mit Troeltsch, dem großen Lehrer und Gegner Gogartens, gewinnt
es Weite und Profil der Fragestellung. Eine Reihe von höchst
interessanten Problemen wird dabei zur Sprache gebracht, die hier
nicht analysiert werden können: die Frage nach der Bedeutung
des Nächsten im Personalismus der Spätphase Gogartens (143ff),
die scharfsinnige Kritik an der geschichtsphilosophischen These
Gogartens von der Säkularisierung als einer legitimen Folge des
christlichen Glaubens (123, 147ff) oder die Gegenüberstellung des
Personalismus im Denken von Troeltsch und Gogarten (194f). Als
problematisch muß dagegen die schroffe Gegenüberstellung der
Widersprüche zwischen Gogartens theologischen Entwürfen der
frühen und der späten Phase erscheinen. Fischer sieht in der Rechtfertigung
der Subjektivität im Spätwerk einen Bruch gegenüber
der leidenschaftlichen Kampfansage gegen den Individualismus im