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1969

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Neuerscheinungen

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KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Stoeffler, F. Ernest: The Rise of Evangelical Pietism. Leiden:

Brill 1965. XII, 257 S. gr. 8° = Studies in the History of Reli-

gions, (Suppl. to Numen), IX. Lw. hfl. 32,-.

Der Verfasser dieser amerikanischen Studie definiert Pietismus
als jene dynamische Bewegung innerhalb der evangelischen
Christenheit, die den grundsätzlichen Protest des Protestantismus
erneuert und weiterführt. Stoeffler bekennt sich also zu einem
weit gespannten Begriff des Pietismus, der in der nachreforma-
torischen Periode in allen Kirchen der Reformation Einfluß gewann
und in den auch der Puritanismus einzubeziehen ist. Seine Bedeutung
für die Geschichte von Predigt, Seelsorge, Erbauungsliteratur,
Bibelgesellschaften, Mission und sozialem Impuls steht außer
Frage. Selbst das amerikanische Christentum ist weithin durch
eine Verbindung des „spirit of the frontier" mit dem „spirit of
Pietism" gekennzeichnet.

Der Pietismus legt weniger Wert auf Lehre, Liturgie oder kirchliche
Organisation als vielmehr auf die personale Verbundenheit
des Menschen mit Gott. Seine zentrale Lehre von der Heilsgewiß-
heit gipfelt in einem religiösen Idealismus, der freilich nicht als
Perfektionismus mißverstanden werden darf. Dem pietistischen
Biblizismus erscheint eine biblische Ethik wichtiger als eine Dog-
matik. Außerdem weiß der Pietismus auch um den oppositionellen
Charakter der Frömmigkeit.

Die Vorgeschichte des Pietismus hat nach Stoeffler drei Wurzeln.
Als erste ist der Pietismus der englischen Puritaner anzusehen.
Der Puritanismus ist keineswegs nur eine auf politische und
kirchliche Veränderung zielende religiöse Bewegung, sondern in
ihm gelangt die Sehnsucht nach persönlicher Frömmigkeit zum
Durchbruch. John Hooper, John Bradford und William Perkins
bahnen bereits das Verständnis des christlichen Lebens als eines
geistlichen Kampfes an. Der Höhepunkt des pietistischen Moments
im Puritanismus wurde bei Richard Baxter und Levis Bayly erreicht
. Des letzteren „Practice of Piety" war sowohl für den
Puritanismus wie für den Pietismus von frömmigkeitsgeschichtlicher
Bedeutung. Daneben steht der Baptist (?) John Bunyan,
dessen „Pilgrim's Progress" in der Geschichte der geistlichen Autobiographie
eine hervorragende Rolle spielt. Stoeffler weiß die
beiden Grundzüge des Puritanismus, seine mystische Kontemplation
auf der einen und seine nach Heiligung strebende Gesetzesfrömmigkeit
auf der anderen Seite, in ihren spannungsreichen
Wechselbeziehungen anregend zu zeichnen.

Der nächste Abschnitt ist dem Ursprung des reformierten Pietismus
auf dem europäischen Kontinent gewidmet. Als führende
Gestalten gelten hier Willem Teellinck, Wilhelm Amesius und
Jodocus van Lodenstein. Auch wird der Einfluß von Jean de Laba-
die unterstrichen. Den Strom des deutschen reformierten Pietismus
verfolgt Stoeffler sodann von Theodor Undereyck über Joachim
Neander und Heinrich Horche bis hin zu Lampe und Tersteegen.

Als letzten Zweig der Vorgeschichte des Pietismus behandelt
der Verfasser die Frömmigkeitsgeschichte des deutschen Luthertums.
Gegenüber dem Verfall des Glaubens und der Veräußerlichung
des Lebens bildet sich eine reiche lutherische Erbauungsliteratur
heraus. Als ihre Hauptvertreter erscheinen Johann Habermann,
Stephan Prätorius und Philipp Nicolai. Mit seiner Botschaft vom
neuen Leben hat Johann Arndt auf die Frömmigkeit der Reformorthodoxie
eingewirkt. Neben puritanischen Anregungen ist gerade
der Einfluß Arndts für Philipp Jakob Spener entscheidend
gewesen. Die Dynamik seiner Lehre von der Heiligung, in der
sich Gottes Werk am Menschen vollendet, trägt zu der weiten
Verbreitung des Spenerschen Pietismus bei. Der Pietismus verhalf
dem Luthertum zu einer neuen, lebendigen Verbindung von Glaube
und Frömmigkeit.

Dem Verfasser gebührt aufrichtiger Dank, daß er für eine
Kenntnis der protestantischen Frömmigkeit des 16. und 17. Jahrhunderts
in der heutigen amerikanischen Theologie einen anregenden
Beitrag geliefert hat. Für den kontinentalen Leser bringt
das Buch freilich kaum neue Gesichtspunkte. Auch kann nicht
übersehen werden, daß eine Bewegung wie der deutsche Spiritualismus
in seiner Bedeutung wohl unterschätzt worden ist. Im
übrigen dürfte sich Stoefflers Werk als ein wertvolles Kompendium

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erweisen, das eine brauchbare Orientierung über Hauptentwicklungslinien
der vorpietistischen Frömmigkeitsgeschichte bietet.

Marburg/Lahn Winfried Zeller

Geiger, Max: Johann Heinrich Jung-Stilling. Christlicher Glaube
zwischen Orthodoxie und Moderne, Historisch-theologische Meditation
anläßlich des 150. Todestages. Zürich: EVZ-Verlag [1968].
25 S. 8° = Theologische Studien, hrsg. v. K. Barth u. M. Geiger,
97. DM 2,70.

Ochagavia, Juan: EL proceso de secularizaciöni Luces y
sombras (Teologia y vida 8, 1967 S. 275-290).

K1KCHEN- UND KONEESSIONSKUNDE

Becker, Karl Josef, S. J.: Die Rechtfertigungslehre nach Domingo
de Soto. Das Denken eines Konzilsteilnehmers vor, in und
nach Trient. Rom: Verlagsbuchhandlung der Päpstlichen Universität
Gregohana 1967. XII, 419 S. gr. 8U = Analecta Gre-
goriana, cura Pontiriciae Universitatis Gregorianae ed. Vol.
156. Series Facultatis Theologicae: Sectio B, n. 49. Lire 6.000,-.
Das Grundmotiv der Gnaden- und Heilslehre Sotos ist die Vorstellung
von der „amicitia" (39,336,393), der Gottesfreundschaft,
die ein wesenhaft personales Gnadenverständnis impliziert: „Gratia
" ist für Soto »ihrem Wesen nach nicht von der qualitas her zu
verstehen. Gott nimmt den Sünder ,in Gnaden' an" (109). »Soto
kann in diesen Beziehungen von Freund zu Freund seine ganze
Rechtfertigungslehre ausdrücken, in ihrem Ablauf, ihrer Gefährdung
, ihrer Wiederherstellung" (333). Die Freundschaft zwischen
Gott und Mensch wird durch die Todsünde abgebrochen. »Der
Mensch wendet sich von Gott ab, haßt ihn und erklärt sich damit
/um Feind Gottes. Gott seinerseits antwortet darauf, indem auch
er sein Gegenüber, den Sünder, haßt und sich so zu seinem Feinde
macht. Sündigen heißt darum, sich zum Feind Gottes machen. Im
Zustand der Sünde sein, heißt, Gotl zum Feinde haben" (361). Wie
das Feind-Feind-Verhältnis, so entsteht auch das Freund-Freund-
Verhältnis durch eine menschliche Aktion und eine göttliche Reaktion
: Die Gottesfeindschaft wird wieder zur Gottesfreundschaft
durch die »detestatio peccati", auf die Gott antwortet mit der
„remissio peccati" (362). - Neben und zu diesem Grundmotiv der
Theologie und Rechtfertigungstheologie Sotos, der amicitia dei,
tritt als theologisches Leitmotiv das Thema „.natura et gratia'"
(393), das er in seinem gleichnamigen, während des Tridentinums
entstandenen, Werk anschlägt und entwickelt. Dieses Werk »,De
Natura et Gratia'" (398) war die „erste Erklärung" des tridenti-
nischen Rechtfertigungsdekretes (399). Soto gab durch diesen UrKommentar
zu Trid. VI der Kontroverstheologie die „notwendige
positive Wendung" (400). Auf Jahrhunderte blieb diese Thematik
im Katholizismus beherrschend (400). Wie verstand Soto die Formel
„natura et gratia", die bei ihm eine Art hermeneutischer
Schlüssel zur tridentinischen Rechtfertigungslehre darstellt? „Das
,Et' sagte bei Soto nicht nur, daß er vom Verhältnis von
Natur und Gnade reden wollte, um dann, wie Augustinus, die
Schwächen der Natur zu betonen. Soto sah den gewandelten Zeithintergrund
und wollte vom Zusammengehen von Gnade
und Natur reden und die Kräfte der Natur betonen" (386). Soto,
der Luther für einen Manichäer hielt (172), betrachtete die Ron-
kupiszenz als etwas Natürliches (125,130); und er erblickte in der
Erbsünde nur einen Rückfall auf den Stand der „natura pura" (130).
In der Rechtfertigungskontroverse ist Soto das verschiedene Verständnis
der „,Fides, quae per Charitatem operatur" besonders
wichtig. Nach ihm meinen die Protestanten mit dieser Formel die
Reihenfolge „fides, gratia, spes, Caritas", die Katholiken aber die
Reihenfolge »fides, spes, Caritas, gratia" (385; vgl. 276,282,289).
„Der ,Status et sedes controversiae' liegt für Soto im Verständnis
dieser Formel" aus Gal. 5,6 (289). Soto bemängelt, daß die drei
Tugenden bei den Lutheranern „nicht notwendig miteinander verbunden
seien" (290).

Beckers Buch, aus dem hier nur zwei Hauptgedanken herausgegriffen
wurden, hat das Verdienst, den dogmengeschichtlichen
Hintergrund des tridentinischen Rechtfertigungsdekretes sichtbar
zu machen an Hand der Rechtfertigungslehre des bedeutenden

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 3