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Ausgabe:

1969

Spalte:

215-218

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Harald

Titel/Untertitel:

Papstabsetzungen des Mittelalters 1969

Rezensent:

Haendler, Gert

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215

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 3

würde. Letztere sind übrigens zum Teil in längst überholten Auflagen
zitiert: so Harnack, Mission und Ausbreitung (S. 114, Anm.
1; 350, Anm. 1), Loofs, Leitfaden zum Studium der Dogmenge-
schichte (S. 132, Anm. 2; 268, Anm. 1), Mirbt, Quellen zur Geschichte
des Papsttums (S. 453, Anm. 3 u. 4; 459, Anm. 1).

Für Mönnich ist die Kirchengeschichte mehr als ein der historisch
-kritischen Beurteilung unterworfener Teilbereich der allgemeinen
Weltgeschichte (S. 13-17). Er versteht die Kirche zugleich
als überirdische Institution, sieht die Einheit als deren eigentliches
Wesen und das Ergebnis einer entgegengesetzten Entwicklung
als nicht unabänderliche menschliche Srhuld. „De weigering
om een bepaalde positie in de geschiedenis een als het wäre
natuurwetmatige onvermijdeliikheid te geven. is Pen theologische
beslissing, wil men: een geloofsbeslissing. Men zal die in dit bork
moeten aeeepteren, of het boek niet lezen" CS. 17V Nun. Mönnich
wird es demjenigen, der fauch in der Kirchengeschichtsschreibung)
ausschließlich einer kritisch-historischen Methode verpflichtet ist.
nachsehen, daß er dennoch das vorliegende Werk mit Genuß liest.

Marburq/Lalin WoHaanq H a q e

Zimmermann, Harald: Papstabsetzungen des Mittelalters.

Graz-Wien-Köln: Böhlau 1968. X, 295 S. gr. 8°. ö. S. 296 _.

Der vorliegende Band enthält 7 gedruckte Arbeiten. Eine 1Q«0
der Philosophischen Fakultät Wien vorgelegte Habilitationsarbeit
erschien in 4 Teilen in den Mitteilungen des Instituts für österreichische
Geschichtsforschung 1961-1964. Zwei Arbeiten über die
Päoste z. Zt. Ottos d Gr. sind als Anhang T und II CS. 235-72)
abgedruckt. Schließlich steuerte Zimmermann - ein evangelischer
Theologe - zu der Festschrift „Das Konzil von Konstanz" (1963)
einen Beitrag bei: „Die Absetzung der Päoste auf dem Konstanzer
Konzil. Theorie und Praxis", der jetzt als Anhang III den Rand
beschließt CS. 273-95). Die Arbeit setzt ein mit den Anfängen des
Grundsatzes „Prima sedes a nemine iudicatur" CS. 1-6) und den
ältesten Papstprozessen CS. 6-9). Speziell ist die Arbeit ansqeriehtet
auf 3 Tahrhunderte: „Der Zeitraum von 751-1073 ist gekennzeich-
net durch den konkurrierenden Einfluß sowohl des römischpn
Adels als auch des westlichen Kaisertums auf die Belange Roms
und der Päpste. Beides zeigt sich sowohl bei den Papstwahlpn als
auch den Papstdepositionen" (S. 10). Ein Wort über die Quellen:
„Da nur sehr wenig von den Akten jener Gerirhtp überliefert ist.
die einen Papst verurteilten oder absetzten, sind auch die Rprichte
der Historiographen heranzuziehen. Man w'rd auf s»11<?s zu achten
haben, was geeignet erscheint, das Denken der Zeitgenossen über
diese Ereignisse zu illustrieren" (S. 13).

Der größte Teil des Buches gilt der chronologischen Darstellung
der verschiedenen Papstprozesse (Kap. 2-8. S. 13-158). Die Rpihe
beginnt 767 mit den Unruhen nach dem Todp Pauls T : „Tier Erhebung
Konstantins II. hafteten schwere Mängel an" fs 15). sein
Gegner Philipp wurde 768 durch die Langobarden zur Macht gebracht
. Eine Synode 769 hatte daher zwei Panstnrozesse zu führen,
die mit Absetzungen endeten CS. 20ff.). Der Rechtsm-nndsatz „prima
sedes a nemine iudicatur" ist in diesem Zusammenhang nicht überliefert
. Der Prozeß gegen Papst Leo III., der Karl d. Gr. aufgegeben
war. endete mit dem Reinigungseid von 800. der vom Kirchenrecht
wie auch von germanischen Rechtsanschauungen her beleuchtet
wird CS. 35f.). Der Angelsachse Alkuin propagierte den Grundsatz
der Unabsetzbarkeit eines Papstes: ihm standen Richulf von
Metz und Theodulf von Orleans zur Seite. Paschalis I. zog sieh 823
ebenfalls durch einen Eid aus einer undurchsichtigen Affäre
Gregor IV wurde 833 mit der Absetzung bedroht CS. 40). Sergius
II. hatte 844 einen unmittelbar vor ihm gewählten Papst Johannes
abzusetzen CS. 41). Leo IV. hatte in dem gelehrten Anastasius
einen Gegner, der sich 855 als Papst fühlte. Eine Synode entschied
gegen Anastasius, der unter Nikolaus I. Bibliothekar wurde und
wahrscheinlich jenen Brief 865 nach Byzanz schrieb, der den
Grundsatz von der Unabsetzbarkeit eines Papstes nachdrücklich
vertrat CS. 45). Dennoch zögerte man in Byzanz nicht. Nikolaus für
abgesetzt zu erklären. „Das formosianische Zeitalter der Papstgeschichte
" (Kap. 4, S. 47-76) bietet zahlreiche Papstabsetzungen und
Prozesse; Z. wertet die Schriften des Eugcnius Vulgaris und des
sog Auxilius aus, da sie „eine Fülle historischer Details enthalten
und so den Verlust anderer Quellen, insbesondere der Prozeßakten,
einigermaßen verschmerzen lassen" (S. 73). Kapitel 5 „Kaiser Otto

d. Gr. und das Papsttum" CS. 77-98) bringt die Absetzung aller in
dieser Epoche lebenden Päpste: Johannes XII. und Benedikt V.
durch Otto, Leo VIII. und Johannes XTTT. durch römische Adlige.
Es ist begreiflich, daß Z. diese Vorgänge später erneut untersucht
hat. Anhang I: Die Dcposition der Pänste Tohannes XII., Leo VIII.
und Benedikt V.: Anhang II: Prozeß und Absetzung Papst Tohannes
XTI. im Jahre 963, Quellen und Urkunden. Die letztgenannte
Arbeit zeigt die Nachwirkungen auf den Rcformkonzilien von Ken
stanz und Basel (S. 262ff.). in der Kirchengcsrb'chtsschreibung des
Matthias Flacius und des Baronius CS. 246ff.) bis hin zum Amtskalender
der römischen Kirche von 1960 (S. 252 und 271V Bewegt
war auch die Amtszeit Bonifaz' VII., der 973 seinen Vorgänger
Benedikt VI. absetzte fS. 100), dann von Benedikt VIT. abgesetzt
wurde, sich später wieder durchsetzte und dann mit Tohannes XIV.
stritt CS.102). JohannesXV. wurde 995 aus Rom vertrieben, doch kam
es zu keinem Absetzungsprozefi CS.104). Tohannes XVT, CPhilagafhos^
heschwor dagegen einen ausführlichen Absetzungsprozeß durch
Gregor V. herauf (S. 109ff.V Unter Heinrich TTT CKap. 7) kam es
1046 zur Synode in Sutri. die 3 Päpste absetzte, darunter Gregor VT.,
den viele Zeitgenossen für legitim hielten. Den Bemühungen um
eine Neuordnung der Papstwahl 1059 folgte ein Prozeß zur Absetzung
Benedikts X. CS. 144ff). Der 1061 in Basel gewählte Ho-
norius IL wurde ebenso in seiner Legitimität angefochten wie sein
erfolgreicherer Gegner Alexander II.; eine Synode in Augsburg
traf 1062 die entsprechende Entscheidung CS. 151f.).

Das 9. Kapitel „Probleme und Prinzipien mittelalterlicher Papstdepositionen
" CS. 158-205) ist das Zentrum der Arbeit. 7. sieht
die Schwierigkeiten „das historische Detail in einer gewissen svste-
matischen Ordnung zu erfassen" CS. 159). Es bietet zunächst zusammenfassende
Aufzählungen CS.160ff.V Neun Päpste wurden nach
der heute gültigen Papstliste rechtmäßig aus ihrem Amt entfernt-
es folgen die besonders problematischen Fälle aus den Jahren 963
und 1046, von deren Bewertung die Legitimität weiterer Päpste
abhängt; hinzugefügt werden die zeitweise aus Rom vertriebenen
und mit Absetzung bedrohten Päpste. Zur Erklärung der turbulenten
Vorgänge nennt Z. zwei Lösungsmöglichkeiten: ..Entweder
muß man annehmen, daß damals die den kirchlichen Primat beanspruchend
» römische Kirche allseits einer srb.ier unglaublichen
Zahl von Gewaltakten ausgeliefert und der zitierte Rechtssatz nur
theoretisech Forderung geblieben, aber in der Praxis keineswegs anerkannt
worden war, oder man muß in den Vorgängen den Beweis
erblicken, daß die auch damals durchaus bekannte Behauptung
der symmachianischen Falsifikate bezüglich der Gerichtsimmuni-
tät des Papsttums nur mit gewissen Einschränkungen als gültig
verstanden wurde" (S. 163). Natürlich vertritt Z. die 2. Erklärung
und stellt die Punkte heraus, die bei Papstabsetzungen angeführt
wurden und also dem Grundsatz von der Unabsetzbarkeit eines
Papstes übergeordnet waren. Da ist die Einschränkung bei Häresie
des Papstes, die am Ende des 11. Jahrhunderts wirksam, aber
sicher weit älteren Datums ist (so u. a. bei Pseudoisidor nachweisbar
). Diese Einschränkung bietet die „Erklärung, wieso sich
selbst Laien berechtigt fühlen konnten, gegen einen ihrer Meinung
nach den allgemeinen Vorstellungen von einem rechten Inhaber
der prima sedes nicht entsprechenden Papst trotz Anerkennung
des Rechtsgrundsatzes ,Prima sedes a nemine judicatur' vorzugehen
. Nicht einen Papst galt es ja dann zu richten, sondern einen
Apostaten..." (S. 172). Verbreitet ist die Beschuldigung der Simonie
. Z. zählt 11 Päpste auf, gegen die der Vorwurf der Simonie
sicher oder vermutlich erhoben worden ist (S. 173f.V Die Berechtigung
der Anklage ist meist nicht mehr sicher feststellbar, „um so
mehr aber ihre Gefährlichkeit" (S. 174). Man berief sich auf Simon
Magus und die Austreibung der Wechsler aus dem Tempel. „Mußte
nach solchem Beispiel nicht die Absetzung und gewaltsame Vertreibung
selbst eines Papstes gerechtfertigt erscheinen?" CS. 174).
Ein weiterer Anklagepunkt ist die „Invasio". Z. nennt 16 Päpste,
denen dieser Vorwurf gemacht wurde. In solchem Falle gilt nicht
die Unabsetzbarkeit eines Papstes; es geht dann „um eine durchaus
berechtigte und notwendige Bestrafung irgendeines Eindringlings
" (S. 177). Neben diesen 3 Hauptvorwürfen der Häresie,
Simonie und Invasio tauchen andere von geringerer Bedeutung
auf: Ambitio, adulterium, perjurium, neguitia, sacrilegium
CS. 178f ). Man bemühte sich um Einhaltung des kirchlichen Prozeßrechtes
: Schriftliche Klageerhebung, ausreichende Untersuchung
, Vcrteidigungsmöglichkcitcn für den Angeklagten, Proble-