Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Spalte:

212-213

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Gentz, Günter

Titel/Untertitel:

Die Kirchengeschichte des Nicephorus Callistus Xanthopulus und ihre Quellen 1969

Rezensent:

Gülzow, Henneke

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

211

R a t h k e, Heinrich: Ignatius von Antiochien und die Paulusbriefe.

Berlin: Akademie-Verlag 1967. XV, 104 S. gr. 8° = Deutsche
Akademie d. Wissenschaften zu Berlin. Inst. f. griech.-röm.
Altertumskunde, Kommission f. spätantike Religionsgeschichte.
Texte u. Untersuchungen zur Geschichte d. altchristlichen Literatur
, 99. Kart. M 16,-.

Die Untersuchung liegt als Überarbeitung einer Dissertation
vor, die von der Theol. Fakultät der Universität Rostock 1956 angenommen
wurde. Dem Vf. geht es nicht nur um „eine rein tabellarische
Zusammenstellung von Zitaten und Anklängen aus den
Paulusbriefen bei Ign.", sondern umfassender um die Bedeutung
der Pl.-Briefe für Ign. (Ziel u. Methode lf.). Ein „bibliographischer
Überblick" (2-11) stellt knapp und klar die Forschungsgeschichte
der Ign.-Briefe dar, doch vermifjt man dabei ein Eingehen auf die
Arbeiten nach 1956.

Der 1. Hauptteil befaßt sich mit der „literarkritischen Untersuchung
der Beziehung zwischen Ign.-Briefen und Pl.-Briefen" (13
bis 66). Aus Ign. Rom. 4,3 u. Ign. Eph. 12,2 wird in gebotener
Vorsicht nur die allgemeine Kenntnis pl. Briefe erhoben. Das an
der letztgenannten Stelle ausgedrückte Bestreben zur Imitation des
PI. sieht der Vf. mit Recht sowohl in der stillschweigenden Zitierung
dreier pl. Sätze aus dem 1. Kor. als auch in der der reichen
Verwendung pl. Wendungen und Ausdrücke in Anwendung. Darin
spiegelt sich eine starke Vertrautheit mit den pl. Aussagen, nicht
aber deren kanonische Wertung. Sehr gut wird die jeweils neue
Füllung des Übernommenen mit eigenen Sinngehalten des Ign.
vorgeführt. Weiter werden dann auf der Suche nach nachahmenden
Zügen des Ign. die Briefform, die Verwendung von Gemeindeüberlieferungen
, die Bildersprache (wenig ergiebig), rhetorische
Besonderheiten u. in statistischer Hinsicht der Wortschatz geprüft.
Dabei wird die Benutzung des kanonischen Epheserbriefes durch
Ign. wahrscheinlich gemacht. Der Vergleich der Präskripte beider
Eph. deutet auf bewußte Imitation des Ign. (45f.). Eine Kenntnis
der anderen Paulinen einschließlich der Past. wird nach der Verteilung
der 70 Wörter des Ign., die im NT nur im Corpus Paulinum
eine Parallele haben, angenommen (Tabelle 61, vgl. 39). Wenn der
Vf. in der Zusammenfassung (65 u. ö.) zwischen „Kenntnis" und
„Benutzung" zu unterscheiden versucht, so erweist sich diese Differenzierung
als unmöglich, da bei den herausgestellten Assoziationen
nur eine Vertrautheit herausgestellt werden kann.

Der 2. Teil der Untersuchung behandelt „das Verhältnis der
Ign.-Briefe zu den Pl.-Briefen in theologischer Sicht" (67-97) beispielhaft
an Hand der Wertung des Martyriums u. der Aussagen
über Leben, Ordnung und Bedrohung der Gemeinde. Dabei werden
deutliche Unterschiede sichtbar gemacht: „An die Stelle der
Rechtfertigung tritt für Ign. der Tod selbst als Erlösung" (70).
„Christus ist für Ign. nicht so sehr der Erlöser von der Sünde, sondern
das Vorbild für den Weg zu Gott" (72 Ign. Rom. 6,3). Dasselbe
Einheitsprinzip, das in den Martyriumsaussagen sichtbar
wird, bestimmt auch Leben und Ordnung der Gemeinde (der örtliche
Bischof tritt an die Stelle Christi) wie die Haltung gegenüber
den Irrlehren (es geht um die Einheit Gottes selbst in der Einheit
der Gemeinde). Kann man dann aber noch sagen: „Es geht für
beide wirklich um das Zentrum. Das Ärgernis des Kreuzes Christi
darf auf keinen Fall beseitigt werden" (89)? Ist das Kreuzesverständnis
des Ign. nicht von PI. so verschieden, daß es sogar unter
die Kritik des PI. fallen müßte? Diese Fragen stellen sich wiederholt
bei der Lektüre der abschließenden „theologischen Gesamtschau
" (90-97): Kann man die übernommenen Bekenntnisformeln
als das Bestimmende ansehen, das gelegentlich vordringende gno-
stische Vorstellungen (Ign. Eph. 19) abfängt (91)? Kann man gar
die sich hier hart stellenden Probleme mit dem wiederholten Hinweis
auf die starke persönliche Christusfrömmigkeit klären (91ff.,
vgl. 95-99)? Die Rede „von einer völlig durch Christus bestimmten
Glaubenshaltung" (93) kann so auch von einem Gnostiker
ausgesagt werden und ist darum keine befriedigende Lösimg der
Probleme der ignatianischen Christologie. Kann deren Verhältnis
zur paulinischen noch mit dem Satz umschrieben werden: „Gerade
dort, wo Ign. noch unreflektiert, unmittelbar und vielleicht pneumatisch
, nicht aber bewußt theologisch, seinem Christuspathos
Raum gibt, steht er PI. am nächsten" (93)? Ist das nicht ein etwas
verzweifelter Versuch, eine stärkere Kontinuität zu PI. herzustellen
, als sie die Texte hergeben? Hat nicht der Vf. selbst gezeigt:
„Nicht Christi gehorsame Erlösungstat am Kreuz rechtfertigt Ign.,

212

sondern Christi Leidensweg zeigt auch ihm den Weg zum Heil"
(y5)? Man beschließt die Lektüre der Arbeit mit dem Eindruck,
daß man doch entgegen der Kontinuitätstendenz des Vf. mit einer
großen sachlichen Kluft zwischen der von Ign. beabsichtigten PL-
Nähe und seinem faktischen Abstand zu dem Apostel wird rechnen
müssen (mit Aleith, Bartsch).

Bedauerlich ist, daß einige im Werk zitierte neuere Ign.-Arbeiten
(Elze, Meinhold, Riesenteid, Rogge u. a.) im Literaturverzeichnis
nicht erscheinen. Der Verweis aut das Autorenregister (XIV) macht
diesen Mangel nicht wett.

Druckfehler: S. 96 A. 1 ist das Ende des Zitates nicht gekennzeichnet
.

Naumburg Wolfgang Schenk

Gentz, Günter f, u. Friedhelm Winkelmann : Die Kirchengeschichte
des Nicephorus Callistus Xanthopulus und ihre
Quellen. 2., durchgesehene Aufl. Berlin: Akademie-Verlag 1966.
XVI, 236 S., 2 Taf. gr. 8Ü = Texte und Untersuchungen zur Geschichte
d. altchristl. Literatur, 98. DM 56,-.
Mit diesem Band der TU hat die Kommission für spätantike
Religionsgeschichte das Andenken eines Mannes geehrt, der wie
die meisten der jüngeren Mitarbeiter der Kirchenväterkommission
im Kriege gefallen ist. Im Alter von 29 Jahren starb Günter Gentz
am 30. März 1942. (Walther Eltester gedachte seiner in einem
Nachruf ThLZ67, 1942, 297). Als Schüler von Hans Lietzmann
wurde Gentz seinerzeit von Hans-Georg Opitz zu Vorarbeiten
für eine Socrates- und Theodorus-Lector-Edition herangezogen.
Im Rahmen dieser Arbeiten entstand seine Dissertation, die untersuchen
sollte, ob die Kirchengeschichte des Nicephorus für die
Konstituierung des Textes der beiden Schriftsteller in Betracht
käme. Die Frage läßt sich nun eindeutig verneinen, da uns für die
Hauptquellen die von Nicephorus benutzten Handschriften erhalten
sind und diese Handschriften obendrein nicht einmal zu den
besten der uns bekannten Textzeugen gehören. Außerdem pflegte
Nicephorus seine Vorlagen nicht ganz wörtlich zu übernehmen,
und gelegentlich hat er diese sogar falsch verstanden. Insofern
wurden alle Hoffnungen, die man in die Kirchengeschichte des
Nicephorus gesetzt hatte, durch die Arbeit von Gentz erledigt. Im
Auftrag der Kommission für spätantike Religionsgeschichte hatte
Kurt Aland die Dissertation mit einem ausführlichen, aber auch
über G. hinausführenden Referat bereits in diesem Sinne gewürdigt
(ZNW42, 1949, 104-141, S. 139): „Nicephorus scheidet als
Zeuge für die Textherstellung der älteren Kirchenhistoriker aus,
auch da, wo er, wie bei Sozomenus, Theodoret und Theodorus
Lector theoretisch in Betracht kommt."

Daß die genaue und ausführliche Quellenuntersuchung nun doch
der breiten Öffentlichkeit mit dem vorliegenden Buch zugänglich
gemacht werden konnte, ist nicht allein dem Wandel der Verhältnisse
, die die Veröffentlichung ursprünglich verhinderten, sondern
auch der gewissenhaften Überarbeitung durch den bereits aus
anderen kirchengeschichtlichen Veröffentlichungen bekannten Friedhelm
Winkelmann zu danken. Er hat sich nicht nur darum bemüht,
das Jahrzehnte alte Manuskript durch die Erkenntnisse der neueren
Forschung und mit den modernen byzantinistischen Hilfsmitteln
zu korrigieren und zu ergänzen, sämtliche Zitate und Angaben
auf die inzwischen gebräuchlichen Editionen umzustellen, sondern
vor allem die von Gentz weithin vernachlässigten Apocrypha,
Hagiographica und Nebenquellen einzuarbeiten. Darüber hinaus
hat W. die Arbeit gestrafft und einzelne Kapitel selbst verfaßt. Dadurch
empfiehlt sich die Arbeit nun mit neuem Ziel; sie will ein
geschlossenes Bild von den Problemen der Kirchengeschichte des
Nicephorus vermitteln und eine gerechte Beurteilung „dieses
Denkmals der kulturellen Blüte der Palaiologenzeit" begründen.
Winkelmann hat dem Manuskript von Gentz noch einen weiteren
Zweck abgerungen: es kann jetzt durch die Quellennachweise als
eine Art Quellenhilfsbuch zur Alten Kirchengeschichte bis zum
Jahr 610 benutzt werden. Den Hauptteil des Bandes stellt das
III. Kapitel (S. 20-181) dar. Hier erhält der Leser durch die fortlaufenden
Inhaltsangaben einen bequemen Überblick über den
Stoff, den die wichtigsten griechischen kirchenhistorischen, chronographischen
, hagiographischen, apokryphen und liturgischen Quellen
über die Geschichte der ersten sechs Jahrhunderte enthalten.

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 3