Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Spalte:

206-207

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schmauch, Werner

Titel/Untertitel:

...zu achten aufs Wort 1969

Rezensent:

Winter, Friedrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

205

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 3

206

der Exegese und Auseinandersetzung mit der Literatur die »klassischen
" Lösungen der Formgeschichte (von bultmann bis zu Knox,
lodt und Vielhauer) energisch angreift und die englische exegetische
Tradition korrigierend weiterführen möchte.

Eine Einleitung (Kap. 1, i>. 3-Ö) skizzisrt die wichtigsten neueren
Losungen des Problems' und lormuliert die Prinzipien für das
eigene Vorgehen: entgegen der Methode, die MS-Logien in die
bekannten drei Gruppen einzuteilen und diese - so oder so -
auseinander zu entwickeln, will H. von den MS-Sprüchen eines
Evangeliums, eben des Mk., im ganzen ausgehen; die Annahme,
es müsse sich ein einheitliches Verständnis der MS-Vorstellung bei
Mk. zeigen lassen, von dem aus man dann nach dem Verständnis
Jesu selbst zurücktragen könne, ist als Arbeitshypothese gewiß
tiuchtbar.

Teil I (Kap. 2-4, S. 9-74) stellt den Hintergrund des MS-Begriff s
in der jüdischen Literatur dar. In Dan. 7 ist „MS" ein Korporativ-
begrirt - weniger eine „Gestalt" als eine bildliche Darstellung,
gleich den Tiersymbolen für die vier Weltreiche - für das nach
Verachtung und Unterdrückung am Ende der Tage von Gott
wiederhergestellte, zur Herrlichkeit und Macht erhobene Israel.
Erst in den Bilderreden des äth. Henoch verselbständigt sich daraus
eine eschatologische Figur; aber diese Vorstellung ist nur in begrenzten
Bereichen (sogar innerhalb des Henochbuches; später:
IV. Esra) nachweisbar und darf für Jesus und die Urkirche nicht
einfach vorausgesetzt werden. Daneben - und in Dan. 7 mit dem
MS-Bild verbunden - steht die Vorstellungsreihe von der endzeitlichen
Wiederherstellung Israels als des eigentlichen Erben
Adams und der Schöpfungsbevollmächtigung; Israel gewinnt dieses
Erbe kraft seines Erwähltseins und durch seinen Gehorsam;
am Ende setzt Gott Israel (bzw. den „Rest") in die Adam zugesprochene
Herrschaft über die „Tiere" (= Heiden) ein. Dieses
Thema wird von H. durch die apokalyptische und Weisheits-Literatur
sehr eindrücklich - gelegentlich wohl zu scharfsichtig - verfolgt
; sie weist selbst auf das Zusammentreffen ihrer Ergebnisse
mit denen von J. Jervell (Imago Dei, 1960) hin (S. 70).

Teil II (Kap. 5-9, S. 75-198)2 widmet sich nach einer methodischen
Einleitung (S. 77-80) vornehmlich der Exegese der einschlägigen
Mk.-Stellen, die zu drei Komplexen nach der Reihenfolge
bei Mk. (Mk. 2; 8-10; 13-14) zusammengefaßt werden (S. 81
bis 173). Hier beweist H. nicht nur ihre Belesenheit in der Literatur
und die Gabe, verschiedene Möglichkeiten der Exegese knapp
und klar zu skizzieren, sondern auch die Fähigkeit, tradierte
Fragestellungen zu durchbrechen und mit neuen Gesichtspunkten
anzusetzen. Leider werden aber die in der Einleitung geweckten
Hoffnungen auf ein methodisch klares Vorgehen enttäuscht. Statt
zunächst, in einem ersten Durchgang, das MS-Verständnis des Mk.
darzustellen und von da aus dann zurückzutragen, wird die Exegese
von vornherein unter der Frage betrieben, ob sich der Text
im Rahmen des Wirkens (ministry) Jesu historisch verstehen
lasse. Dabei legt H. ohne weiteres die Abfolge im Mk. zugrunde
(deren Fraglichkeit ihr andernorts durchaus bewußt ist: S. 176);
auch die Logienkompositionen werden möglichst als ursprüngliche
Einheit betrachtet. Erst was sich von der Konzeption H.s her nicht
in das Wirken Jesu einordnen läßt, wird dann der Urgemeinde
bzw. Mk. zugewiesen. Erst nachträglich (Kap. 9, S. 174-198) wird
der methodisch allein mögliche Weg (von Mk. zurück zu Jesus)
n°ch begangen - aber da waren alle Entscheidungen längst
Befallen.

Das Ergebnis: Jesus „identifiziert" sich nicht mit „dem MS", da
dieser ja keine eschatologische Figur ist; er wendet vielmehr das
Bild vom MS auf sich an und bezeichnet sich so als den Erwählten
und Gehorsamen, der Gottes Autorität ausübt (so fügen sich
schon Mk. 2,10 und 28 in das einheitliche Verständnis ein). Insofern
diese Autorität nicht anerkannt wird, „muß" der MS leiden
(Mk. 8,31 usw. j die Leidensankündigungen ergeben sich also aus
den mit dem MS-Bild gegebenen Vorstellungen, nicht etwa aus

') Vgl. etwa die Forschungsübersicht bei G. Haufe, EvTh 26. 1966 S. 130-141.
Auf den jüngsten, umfangreichen Artikel zur Sache von C. Colpe (ThWB VIII

403 481) kann nur eben hingewiesen werden. - Im folgenden ist MS — Men-
s*ensohn.

1 Auf S. 199 230 folgen eine umfangreiche Bibliographie, die im wesentlichen
*>is 1963 führt, ein vollständiges btellenregister sowie Register der modernen
Au'oren. griechischer Wörter und (englischer) Stichwörter.

einer Kombination mit dem „leidenden Gottesknecht"3); aber Gott
wird seine Autorität bestätigen und ihn nach dem Leiden erhöhen
(davon sprechen Mk. 14,62 usw.). Der Einfluß der korporativen
Deutung des MS, die in der englischen Forschung gern vertreten
wird, zeigt sich darin, daß sich H. zu zeigen bemüht, wie in je
verschiedenem Grade auch die Anhänger Jesu von den MS-Aussa-
gen mitbetroffen sind. - So entsteht ein zusammenhängendes
Bild, mit dem H. auch das Auftreten der MS-Worte in den verschiedenen
Komplexen bei Mk. erklären kann (z. B. für Mk. 2,10 u. 28:
vor der ersten direkten Bestreitung seiner Autorität - Mk. 3,6!
- kann sich Jesus noch öffentlich als MS bezeichnen).

Zur Kritik: 1. Der von H. aufgezeigte religionsgeschichtliche Hintergrund
leistet nicht das, was er für H.s Konzeption leisten müßte.
Daß der MS nur in bestimmten Kreisen als Figur des Endgeschehens
galt, wird nicht zu bestreiten sein. Aber die weiter verbreitete
Vorstellung von der endzeitlichen Erhöhung des leidenden
Israel ist außer in Dan. 7 nirgends enger mit dem Bild vom
MS verbunden; daß Jesu Hörer bei der Nennung dieses Bildbegriffs
jene Vorstellungszusammenhänge (die in den Logien ja
nirgends entfaltet werden!) assoziierten, ist mindestens ebenso
hypothetisch wie die übliche Annahme, die davon ausgeht, daß
„MS" von Anfang an als Titel verstanden wurde. - 2. Da es -
trotz des Buchtitels - H. vor allem um die Frage geht, in welchem
Sinne sich Jesus als MS bezeichnete, ist der Einsatz bei Mk. allein
nicht ausreichend; die Untersuchung hätte vom gesamten Überlieferungsbestand
ausgehen müssen. So aber erwähnt H. erst nachträglich
(S. 194f.) den Tatbestand, daß eine ganze Gruppe von
MS-Logien in Q überhaupt fehlt; die Erklärung, die H. dafür gibt,
kann kaum befriedigen. Überhaupt vermißt man - trotz der vielen
Literaturverweise im einzelnen - eine überzeugende Auseinandersetzung
mit der Gesamtargumentation etwa von Tödt. - 3.
Das unmittelbare Einsetzen der exegetischen Arbeit bei der Situation
des „Wirkens Jesu" wird nur den überzeugen, für den
redaktions- und traditionsgeschichtliche Fragestellungen nur Zusatz
- oder Anhangs-Probleme zur „eigentlichen" Exegese sind. Wer
synoptische Texte zuerst einmal als kompositorisch verarbeiteten
Niederschlag von Tradition lesen zu müssen meint, wird mit den
Ergebnissen H.s insgesamt nicht viel anfangen können - bei
mancher Anregung, die die stets durchdachten exegetischen Thesen
im einzelnen natürlich gewähren können.

3) In ihrem früheren Buch (Jesus and the Servant, London 1959) hatte H. zu
zeigen unternommen, dafj Jesus die Vorstellung vom .leidenden Gottesknecht" nicht
auf sich bezogen hat.

Naumburg/Saale Nikolaus Walter

Schmauch, Werner: ... zu achten aufs Wort. Ausgewählte
Arbeiten, hrsg. in Verbindung mit Ch. Grengel u. M. Punge
v. W.-Ch. Schmauch. Berlin: Evang. Verlagsanstalt u. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht [1967]. 143 S. gr. 8°.
Der älteste Sohn und zwei Schüler haben den seit langem gehegten
Plan des Verstorbenen verwirklicht: Beiträge aus seiner
Forschungs- und Verkündigungsarbeit sind mit geringen Veränderungen
herausgegeben worden. Freunde und Schüler werden die
Stimme des Lehrers dankbar hören; aber auch der, der W. Schmauch
kaum begegnet ist, dürfte durch die Auswahl einen charakteristischen
Einblick in ein Werk erhalten, das in den nicht ganz drei
Jahrzehnten literarischer Wirksamkeit stets in der Spannung zwischen
theologischer Wissenschaft und kirchlicher Praxis gelebt
wurde, wie die umfangreiche Bibliographie (S. 137-143) bekundet.

Ein erster Abschnitt (S. 11-88) faßt sieben „Aufsätze und Vorträge
" zusammen, von denen vier bisher noch nicht veröffentlicht
waren. Was der Schüler seinem Lehrer Ernst Lohmeyer verdankt
, deutet ein gekürzter Artikel aus dem Jahre 1940 zu dessen
50. Geburtstag an. Ein erstmalig veröffentlichter Vortrag „Bibel,
Bibelkritik und Glaube" zeigt die Verbundenheit mit der Theologie
Karl Barths. - Dann folgen Arbeiten aus der eigenen Forschung
am Neuen Testament, die sich von der paulinischen zur
synoptischen Forschung bewegt hat. Manche umständlichen Formulierungen
sind nicht immer sogleich verständlich. - Die umgearbeitete
Habilitationsvorlesung ist dem „Apostelbegriff des
Paulus" gewidmet. Dieser Begriff steht in „einsamer Höhe" (S. 36),
weil Paulus sich als „der eschatologische Vollender vor der Parusie