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Ausgabe:

1969

Spalte:

204-206

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hooker, Morna Dorothy

Titel/Untertitel:

The Son of Man in Mark 1969

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Sehr lobenswert ist es, dafj der Vf. die alttestamentliche Verankerung
der christologischen Titel und Bilder betont; das Alte
Testament gilt ihm - wie den neutestamentlichen Autoren - als
christologisch orientiertes Buch (S. XVI). Etwas zuwenig berücksichtigt
ist das nachbiblische Judentum, vor allem die apokalyptische
und rabbinische Exegese, obwohl es auch Hinweise auf die
Qumranschriften gibt (S. 50. 82. 86.182). Gnostische Motive fehlen;
Kol. 1,15-20 wird richtig mit der Adam-Christus-Typologie verbunden
(S. 210f). Die Eigenständigkeit der biblischen Theologie wird
hervorgehoben (S. XV) und trotz der konservativ-kirchlichen Grundhaltung
gelegentlich Kritik an der exegetisch-dogmatischen Tradition
geübt (S. 223,3.5). Scholastische Spitzfindigkeiten sind selten,
jedoch wird der Sakramentalismus gelegentlich etwas überbetont
IS. 95); nach „biblischem und semitischem Sprachgebrauch" (!) ist
die Bezeichnung „Brüder Jesu" (Matth. 12,46) nicht auf die Söhne
Marias, sondern eher auf die Vettern bzw. nahen Verwandten
Jesu zu beziehen (S. 10).

Tübingen Otto B e t z

Balz, Horst Robert: Methodische Probleme der neutestamentlichen
Christologie. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag d.
Erziehungsvereins 1967. 310 S. gr. 8° = Wissenschaftl. Monographien
z. Alten und Neuen Testament, hrsg. v. G. Bornkamrn
u. G. v. Rad, 25. Kart. DM 29,80.

Die Erörterung von Methodenfragen gehört zu den zentralen
Themen der gegenwärtigen theologischen Diskussion. Sie wehrt
in heilsamer Weise einem billigen Optimismus, steht aber auch
in der Gefahr, sich nur im Kreise zu drehen. Beides trifft zweifellos
auf die von H. R. Balz bei G. Friedrich (Erlangen) gearbeitete
Dissertation zu, die einige Hauptprobleme der neutestamentlichen
Christologie im Blick auf die gegenwärtige Forschungslage methodisch
durchzureflektieren sucht.

Ein 1. Kapitel (S. 13-24) beschäftigt sich einleitend mit Begriff,
Aufgaben und Arbeitsweise der neutestamentlichen Christologie.
Programmatisch werden die Weichen für das Folgende gestellt,
wobei dem Kenner schon hier die Nähe zu Pannenberg und seinem
Kreis nicht verborgen bleibt.

Die Ausführung des Programms beginnt mit dem 2. Kapitel
(S. 25-128), das vom methodisch richtigen Erfassen der christologischen
Titel und Schemata handelt. Kritische Durchsicht der Darstellungen
von Cullmann, Hahn, Kramer und Schweizer führt den
Verf. zu dem Ergebnis, daß der sachgemäße Zugang zu den christologischen
Aussagen des N. T. primär nicht über die einzelnen Titel,
sondern über die mit ihnen verbundenen übergreifenden Heilsvorstellungen
erfolgt. Ja, B. vermutet, daß diese die eigentliche Konstante
bilden, während die Titel des Heilbringers wandern und
gegenseitig ausgetauscht werden können. Um die Richtigkeit dieser
Vermutung zu erhärten, bemüht sich B. um den Nachweis, daß
bereits die Strukturen der spätjüdisch-apokalyptischen Heilserwartung
einen analogen Tatbestand zeigen. Schon hier schillern die
Bezeichnungen für den Heilbringer und können innerhalb derselben
Tradition ausgewechselt werden. Umgekehrt sind titular unterschiedliche
Traditionen durch gemeinsame Heilsvorstellungen verbunden
, speziell durch das Thema des neuen Gottesvolkes. Von
daher verbietet es sich für B., sowohl zwischen nationaler und
universaler Eschatologie als auch zwischen der Messias- und der
Menschensohnerwartung in der herkömmlich strengen Weise zu
scheiden. Noch mehr: B. glaubt wahrscheinlich machen zu können,
daß die Dan. 7,13 erstmals bezeugte Menschensohnerwartung „eine
Neuinterpretation und Transzendierung der messianischen Erwartung
" darstellt, die von der Epiphanieschilderung in Ez. 1 ausging
und zugleich vom spätjüdischen Hypostasendenken beeinflußt
wurde. Für den Neutestamentier erwächst aus alledem die Aufgabe
, die urgemeindliche Christologie als eine „funktionale" zu
verstehen, d. h. sie von den grundlegenden Heilsvorstellungen her
zu begreifen, die erst ihrerseits „bestimmte Würdetitel aus der
reichen religionsgeschichtlichen Tradition angezogen haben"
(S. 118). Die christologische Kontinuität ist in Wahrheit die söterio-
logische Kontinuität Jesu als des Heilsmittlers vor und nach Ostern.
Die einzelnen Titel spielen dabei „nur eine sekundäre Rolle als
Interpretamente" (S. 125). Weil Jesus keinen dieser Titel auf sich
selbst angewendet hat, „kann auch keiner von ihnen einen direkten
Zugang zu dieser funktionalen Christologie liefern" (S. 127).

Das 3. Kapitel (S. 129-174) zielt auf die These, daß neutestament-

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liehe Christologie nur dann recht getrieben werden kann, wenn die
verschiedenen christologischen Traditionen „in ihrer jeweiligen
Verhaftung in bestimmten urchristlichen Gruppen oder Schichten
gesehen werden" (S. 175). Die geläufige Unterscheidung von palästinischer
und hellenistischer Gemeinde sowie von Kerygma-Tra-
dition und Jesus-Tradition muß einer stärkeren Differenzierung
Platz machen. Als Kristallisationspunkt der Jesusüberlieferung
hat dabei gerade die kerygmatisch orientierte vorpaulinisch-juden-
christliche Mission zu gelten. Ihre wesentlichen Exponenten sind
die Hellenisten um Stephanus, die einerseits als „Träger der Men-
schensohnchristologie und der Missionstheologie von Q" die älteste
galiläische Mission fortsetzen, andrerseits offensichtlich hinter den
Paulus-Gegnern des 2. Korintherbriefes stehen. Daneben entwickelt
sich zuächst in Jerusalem „der Passionskreis", der später bei Paulus
zur entscheidenden Grundlage der Christologie gemacht wird.

Das 4. Kapitel (S. 176-203) befaßt sich mit der Bedeutung der
urchristlichen Traditionsübermittlung für die Christologie. Die
formgschichtliche Forschung, deren Distinktionen freilich nicht
überbetont werden dürfen, lehrt, daß auch die konkreten christologischen
Traditionen „großenteils einen konkreten Ort im gottes
dienstlichen Leben der Gemeinde hatten" (S. 181). Dieser Tatbestand
macht es, zumindest im Blick auf Paulus, unmöglich, Tradition
und Kerygma, Tradition und Geist, Evangelium und Lehre
einander entgegenzusetzen. Existentielle Anrede und historische
Tradition schließen sich ebensowenig aus wie Bewahrung und Freiheit
. Die christologische Kontinuität, die urchristliche Traditionsgeschichte
aufzuweisen vermag, besteht in der Kontinuität des
Heils vor und nach Ostern, die Jesus als der Irdische und der Erhöhte
garantiert.

Im 5. und letzten Kapitel (S. 204-271) geht es um den historischen
und hermeneutischen Zusammenhang von Eschatologie
und Christologie. B. beleuchtet kritisch die Erforschung der neutestamentlichen
Eschatologie von A. Schweitzer bis H. Braun. Der
existentialen Hermeneutik hat nach seiner Auffassung die historische
Hermeneutik mit ihrem Interesse an einem objektiven
Gegenüber vorauszugehen. Diese begreift die urchristliche Eschatologie
vom Hintergrund der jüdischen Apokalyptik her. Deshalb
erscheint ihr weder ein abstrakter Zeitbegriff noch ein im Sinne
der Übergeschichte interpretierter Begriff von Heilsgeschichte sachgemäß
. Vielmehr geht es in der apokalyptischen Eschatologie des
Urchristentums um die Souveränität Gottes über die Zeit und seine
Treue gegenüber seinen Heilsverheißungen, wobei die urchristliche
Eschatologie eine eigentümliche Gebrochenheit durch die Botschaft
Jesu vom gegenwärtigen Heil und durch die Interpretation
von Kreuz und Auferstehung als Anbruch der letzten Zeit aufweist
. Legitimer und unaufgebbarer Bestandteil dieser Eschatologie
ist ein linear ausgerichteter Begriff von Geschichte und damit
zugleich die Erwartung eines noch ausstehenden Heilshandelns
Gottes im Sinne geschichtlicher Verifizierung der Heilszusage Gottes
. So ist Eschatologie nicht in erster Linie ein Zeit- und Geschichtsproblem
, sondern ein christologisches Problem der Kontinuität
des Heiles und seines Mittlers bis hin zum Ende.

Diese Inhaltsangabe zeigt, in welchem Sinne B. methodisch die
Weichen gestellt sehen möchte: Christologie ist Soteriologie, ist
Lebensäufierung konkreter urchristlicher Gruppen und Schichten,
schließt historische Tradition wie kerygmatische Anrede ein, meint
eine linear auf das Ende als Verifizierung ausgerichtete Geschichte.
Das alles wird durchweg thetisch entwickelt, aber kaum exegetisch
entfaltet. Das alles hat man samt den breiten wissenschaftsgeschichtlichen
Überblicken ähnlich schon anderswo gelesen. Verf.
gesteht denn auch abschließend (S. 272), daß er lediglich „Probleme
aufzeigen und in kritischer Sichtung der gegenwärtigen Forschungslage
präzisieren" wollte. Für den Kenner sind es keine
neuen Probleme. Als Einführung in sie wird man das Buch dankbar
begrüßen, es jedoch gerade dann mit der ständigen Frage
nach der exegetischen Haltbarkeit seiner Thesen durcharbeiten
müssen.

Leipzig Günter Haufe

H o o k e r , Morna D.: The Son of Man in Mark. A Study of the
background of the term „Son of Man" and its use in St Mark's
Gospel. London: S.P.C.K. 1967. X, 230 S. 8°. Lw. 38 s. 6d.
Die Dozentin für Neues Testament am King's College in London

legt eine Studie zum Menschensohn-Problem vor, die in eingehen-

Thaologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 3