Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Spalte:

193-197

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Scholder, Klaus

Titel/Untertitel:

Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert 1969

Rezensent:

Mahlmann, Theodor

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

193

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 3

194

kommen lassen, dies jedoch in eigener neuer Übertragung, während
für eingehendere Information auf die Übersetzungen von W.
Michaelis (in der Sammlung Dietrich) und Hennecke-Schneemel-
cher hingewiesen wird (S. 7t). Nach einer kurzen Orientierung über
das Verständnis von ,kanonisch und apokryph' (S. 9ff) werden
nacheinander Eindrücke von apokryphen Evangelien (z. B. Petrus-,
Agypterevangelium, gnostische Ew., Ergänzungs-, Kindheitsevangelien
und die Pilatusakten), Apostelgeschichten (Johannes-,
Petrus-, Paulus-, Andreas-, Thomasakten) und Briefen (u. a. Briefe
Jesu, Barnabas-, 3. Korinther-, Titusbrief, Paulusbriefe, Briefwechsel
mit Seneca) sowie einer Apokalypse (Petrusoffenbarung) vermittelt
. Den Beschluß macht eine kurze systematische Zusammenfassung
bestimmter Charaktereigentümlichkeiten, die am apokry-
phischen Schrifttum studiert werden können (Phantasie und Un-
sachlichkeit in der Erzählung, Dramatisierungs- und Präzisierungs-
bestreben, Steigerung des Wunderhaften u.a.m.; S. 106ff). Bei
dieser Gelegenheit zieht der Autor die geistesgeschichtlichen Linien
aus bis zu den Inhalten mancher noch heute in der katholischen
Volksfrömmigkeit bestehenden Feste, für deren Abschaffung B.
nachdrücklich eintritt (z. B. das Fest der Darstellung Mariens im
Tempel; das Fest der hl. Anna; das Fest des hl. Joachim), da er
ihre Überlieferung - historisch gesehen - für „Falschgeld" halten
mufj (S. 108-110). - Josef Schreiners (Münster) Einführung in die
Verkündigung des Propheten Jeremia ist ein wohlgelungener Wurf.
An Hand einiger glücklich gewählter Texte (1,4-19; 7,1-15; 26,1-6;
23,9-32; 11,8 - 12,6; 31,1-6.31-37) entsteht ein lebendiges Bild der
Gestalt Jeremias und seiner Botschaft im Spannungsgefüge von
Berufung, Auftrag und Personsein. Sehr, versteht die Berufungserzählung
als formal sehr stark vorgeprägt und macht dafür einzelne
„Formelemente des Berufungsschemas" namhaft (S. 14). Als
Parallelerzählung wird nach dem Vorgange Holladays die Berufungsdarstellung
des Mose herangezogen (S. 12). Bei der Annahme
so starker formaler Bindungen an vorgegebene Schemata muß der
Frage nach der persönlichen Prägung des Berichtes nachgegangen
werden (S. 16). Die Wortzueignung an Jeremia soll nach Sehr, während
der Berufung durch eine symbolische Handlung vorgenommen
worden sein, bei der im Zuge einer „Zeremonie der Boten-
ordination" der Mund des Abgesandten berührt wurde (S. 15,
Anm. 14). Der Autor hat seinen Ausführungen noch eine Meditation
(zu Jer. 15,10-21) zugefügt, ein sehr zu begrüßendes Unternehmen
, das freilich nicht immer glücklich auszugehen braucht.
Die hier geäußerten Gedanken vermögen den Leser nicht völlig
zu überzeugen (S. 120-125).

Plan und Intention des Gesamtwerkes „Die Welt der Bibel"
müssen unbedingt bejaht werden. In allen Kirchen besteht ein
großer Nachholebedarf in der Popularisierung wissenschaftlichtheologischer
Erkenntnisse. Theologie und Gemeinde müssen zueinander
finden und aufeinander hören. Über die Lösung dieser
wichtigen (zugestandenermaßen aber auch schwierigen und komplexen
) Aufgabe kann man geteilter Meinung sein. Trotz der
kritischen Bemerkungen, die zu einzelnen Lösungsversuchen gemacht
werden könne, sind die hier angezeigten Beispiele jedoch
ermutigend.

Greifswald Siegfried Wagner

Scholder, Klaus: Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im
17. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Entstehung der historisch-kritischen
Theologie. München: Kaiser 1966. 195 S. 8° = Forschungen
zur Geschichte u. Lehre d. Protestantismus, hrsg. v.
E. Wolf, 10. Reihe, Bd. 33. Kart. DM 18,-.

Der Gesamttitel dieser Arbeit setzt eine Rahmenkonzeption voraus
: nach ihr liegt das Phänomen der „historisch-kritischen Theologie
im modernen Sinne" - „zweifellos eines der wichtigsten
Ereignisse der neueren Theologiegeschichte" - erst vor in der bei
E. C. Baur gelungenen „Synthese zwischen rationaler Kritik und
historischem Verstehen". Eine, die „kritisch-rationale Komponente"
dieser Synthese wird bei Sch. auf ihre Herkunft untersucht. Der
Obertitel zeigt das Ergebnis: „die Entstehung der historischkritischen
Theologie" kann nicht mit G. Hornig erst im 18. Jh., bei
Semler, angesetzt werden; mit jener Komponente reicht sie schon
ins 17. Jh. zurück; ja die Aufklärung „bringt", aufs Ganze „dieser
Epoche der rationalen Kritik" gesehen, „nichts wesentlich Neues"
(7,171). Im 17. Jh. aber kann nun der Ursprung der Schriftkritik
keineswegs mit der Literarkritik identifiziert und mit H. J. Kraus

bei R. Simon gesucht werden. Denn diese ist „Symptom, nicht Ursache
" (14,102f). Das Interesse des Historikers hat sich somit
allererst auf „die Motive und Voraussetzungen der Kritik", d. h.
auf den „geistigen Prozeß im Ganzen" zu richten, der dem
„Vertrauen in die Wahrheit der Bibel seine Selbstverständlichkeit"
entzog (169,8,14, 90,15). Dieser Prozeß liegt in prinzipiell abgeschlossener
Form „um 1680" (171) vor, als Descartes' „neue
Methode zu denken" (132), 1670 in Spinozas Tractatus zu radikaler
Schrift-, ja Religionskritik vorgestoßen, in das allgemeine
geistige Bewußtsein drang. Ist somit in der 2. Hälfte des 17. Jhs.
zuerst „das Wirklichkeitsverständnis der Moderne" (wie Sch. in
Anlehnung an G. Ebeling S. 8f sagt) grundsätzlich durchreflektiert,
so hat die darin eingeschlossene vernichtende Konsequenz für die
Schriftautorität doch schon „Ursprünge" in einzelnen, von Einzelnen
in der 1. Hälfte des Jhs. gesehenen „Problemen", die, obwohl
äußerlich meist voneinander unabhängig aufkommend,
innerlich konvergieren: die Unmöglichkeit, Material und Methode
der Wissenschaften in die vorausgesetzte Schriftautorität zu integrieren
, führt im Anfang zu noch konstruktiven, seit der Mitte
des Jh. schon zu destruktiven Lösungen des Problems ratio-fides
(15,169). Die „Emanzipation der Vernunft" als „philosophische
Grundentscheidung", „das Prinzip der Zukunft", löst in der Frage
der „Gewährleistung der Einheit des Denkens" die Schrift als
Erkenntnisprinzip ab (131,134, 97, 76). Einen „Ausschnitt" aus diesem
breiten und komplizierten Problemfeld will Sch. „nach seinen
Ursachen und seinen ersten Ergebnissen .. . darstellen" (14); er
wählt dazu die „Sozinianer, Kopernikaner, die ersten kritischen
Chronologen und Geographen" (169f; Kap. 2-4), die dann „im
Cartesianismus ihre gemeinsame philosophische Basis und Rechtfertigung
gefunden" haben (143; Kap. 6).

Diese Anlage des Buches bedingt nach Sch. methodisch den Versuch
, „die theologischen Positionen der Zeit mit den Augen der
Philosophen zu sehen", dagegen von der „Frage der Lehrentwicklung
" abzusehen (12f). Sch. stützt dies Verfahren mit dem Hinweis,
daß sich ja die Theologie des 17. Jhs. der Problematisierung ihres
Erkenntnisprinzips und so dem Weg zur kritischen Theologie
widersetzt, ja in der deutschen lutherischen Theologie, im Unterschied
zu der reformierten der Niederlande, sogar die Diskussion
der neuen Tatsachen und Ideen verweigert habe. Hier fallen die
kritischsten Urteile: die lutherische Orthodoxie hat „die Rezeption
der modernen Ideen in Deutschland fast um ein volles Jahrhundert
verzögert"; umgekehrt spiegelt sich in der „Überschätzung ihrer
allgemeinen Bedeutung" „der lutherische Provinzialismus", der
die „europäischen Dimensionen" nicht richtig wahrnehmen kann
(lOf, 13, 55, 65 A. 29,135). - Nach S. 65 A. 29 und S. 97 sollte die
These der Entbindung der Freiheit der Wissenschaften durch die
lutherische Reformation in der Tat sorgfältiger differenziert werden
. Die konkrete Kritik an Elerts Morphologie (12, 58, 69 A. 43)
ist unabweisbar. Darüber hinaus macht sich aber eine Vermischung
historischen Urteils, in dem Sch. mit Eiert (vgl. Morph. 1356)
übereinstimmt, mit verständlicher, doch historisch undifferenziert
bleibender Abneigung gegen politisch konservatives Luthertum
bemerkbar (lOf, 14, 87, 91,129, vgl. 144f). Ähnlich macht das Verdikt
über M. Wundt S. 10 A. 12 dessen „vorzügliche Darstellung
der deutschen Schulmetaphysik", nämlich die darin hervortretenden
Ansätze modernen Denkens unwirksam. - Die „Verschlossenheit
der Orthodoxie" (128,10,13) nun belegt Sch. an Quenstedt
mit dem J. Baur entlehnten Satz: „Von einem ernsthaften Eingehen
auf dieses moderne Philosophieren, das etwa der Arbeit
des Musäus an den durch den Deismus gestellten Fragen entspräche
, ist nichts zu sehen" (129). Damit widerlegt Sch. erstens
sich selbst. Denn die Auseinandersetzung mit Cherbury und Descartes
, die von Musäus auf dem Boden einer ausgebauten, als
Brückenschlag zu „jenem Geist selbstbewußter Weltbewältigung"
gedachten theologia naturalis schon ,um 1680' aufgenommen ist,
läßt sich schlechterdings nicht als „nur noch Polemik" (12) registrieren
. Zweitens bedeutet nach Holl, den Sch. S. 11 zitiert, die
„klassische Zeit" der sog. analytischen dogmatischen Methode
tatsächlich einen „Fortschritt": „Mit dieser Neuerung schloß sich
die Theologie dem Umschwung an, der sich damals überhaupt im
wissenschaftlichen Betrieb vollzog." Ich kann daher nicht finden
daß Sch. auch die Forderung erfüllt hat, „die theologischen Positionen
der Zeit unter dem Aspekt der damaligen theologischen
Möglichkeiten (zu) prüfen" (12). Auch Sch. setzt noch einmal