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Ausgabe:

1968

Spalte:

171-173

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Reicke, Bo

Titel/Untertitel:

Biblisch-Historisches Handwörterbuch, Bd. 2: H - O 1968

Rezensent:

Grundmann, Walter

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 3

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Auflage des „Knaur" mit dem Stichwort „polit. Haupt der schweizer
Reformation" zur Orientierung angeboten8. Solche Behauptung, die
auch gern das katholische Zwinglibild beherrscht, wird durch
Wiederholung nicht richtiger, weil sie die Wirkung an die Stelle
der Ursache setzt. Denn ob es um die Polizeistunde oder um die
Sozialordnung, um das Ehegericht oder die Europapolitik geht.
Zwingli, der schon im Elternhause die unglückliche Verbindung
von Politik und Glauben erfahren hatte, hat stets als besorgter
Seelsorger gehandelt. Wenn z. B. die Große Sowjetische Enzyklopädie
von Zwingli sagt: „Sein Ideal war die patriarchalische, wirtschaftliche
und politische Lebensform", dann muß rechtens hinzugefügt
werden: Zwingli war der Demokrat aus Glauben. Selbstverständlich
bleibt es auch hier angesichts des terenzischen „Nil
humani" möglich, daß bei dem bewußten Eidgenossen das „patriotische
, nationale Pathos... sich nicht immer dem religiösen Ringen
untergeordnet hat" (Franz Lau).

Nach mancherlei beachtlichen Unternehmungen - es sei an
Ebrard, Hundeshagen, Roeder, Sigwart, Zeller und Rudolf Staehelin
erinnert - hat es auf den Tag genau 400 Jahre bis zum systematischen
Beginn der Enthüllung des echten Zwinglibildes gedauert.
Sein Initiator war der am 4. März 1967 verstorbene Zürcher Kirchenhistoriker
Fritz Blanke, der Nachfolger Walther Köhlers.
Blanke, der den Lehrstuhl mit 29 Jahren erhalten und bis zu
seinem Tode innehatte, war Schüler Karl Holls. Er selbst schrieb
mir, darauf angesprochen: „Ich kam, wie Sie wissen, von Karl
Holl her, und von da aus war es mir möglich, den tiefsten reformatorischen
Gehalt der Theologie Zwingiis aufzuspüren."9 In seinem
Aufsatz zur 400. Wiederkehr des Todestages Zwingiis am
11. Oktober 1931 schrieb Blanke in der „Neuen Zürcher Zeitung"
die bedeutsamen Sätze: Zwingli „sucht die humanistischen Einflüsse
dem christlichen Gottesglauben dienstbar zu machen und die
grofjen Gefahren, die von ihnen her drohen, zu beschwören". Und:
„Zwingli hat das reformatorische Dogma an keinem Punkte im
modernen Sinne abgeändert." Diese Neuorientierung veranlagte
eine amica exegesis Köhlers gegen seinen jungen Nachfolger, die
in einer zweimaligen negativen Apostrophierung Blankes in der
RGG2 die Differenz publik machte. Denn Köhler, der in Zwingli
Christentum und Antike, erasmischen Humanismus und biblisches
Christentum vereint sehen wollte, vertrat den Vermittlungsstandpunkt
: Zwingli ist nicht streng reformatorisch, aber auch nicht
rationalistisch-liberal. Blanke hat den sachlichen Widerstreit in dem
genannten Brief so dargestellt: „Ich selbst bekämpfte schon in
meinen ersten Veröffentlichungen diese Köhlersche Ansicht und
hob den zentral reformatorischen Charakter der zwinglischen Lehre

8 Richard Friedenthal, Luther. Sein Leben und seine Zeit. München 1967, S. 611;
Knaurs Lexikon a-z. München 1965.
B Brief vom 10. Oktober 1963.

hervor." Blanke ist bis zum Ende den von ihm inaugurierten Weg
gegangen, „Zwingli als wirklichen Theologen darzustellen, dessen
Wirksamkeit tief in Gottes Wort verwurzelt ist". Auf seinen Schultern
, bis hin zur Pneumatologie, stehen heute viele, und nicht nur
im deutschsprachigen und kontinentalen Raum: seine Schüler,
Doktoranden und Gesinnungsfreunde: Locher, Pfister, Rieh ebenso
wie Oskar Farner, Julius Schweizer und viele andere, auch der
Verfasser, der auf Anregung Blankes dabei ist, den theologischen
Gehalt der von Zwingli geschaffenen Liturgien aufzuspüren und
darzustellen.

Blanke hat nicht nur den Grund zur pneumatologischen Erfassung
Zwingiis gelegt - in einer Äußerung zu meinem Göschenband
schreibt er noch 1966: „So haben Sie z. B. ganz recht, wenn
Sie vorschlagen, es sei Spiritualismus bei Zwingli durch Pneumatologie
zu ersetzen" -, er, der auf den verschiedensten Gebieten
gearbeitet hat, über Luther, Zwingli, Calvin, Bullinger, Hamann,
Gustav-Adolf, Goethe bis zu aktuellen Fragen der Limmatstadt,
hat auch in Zwingiis Abendmahlslehre ein Neues gesehen. Im
Zwinglijahr 1931 hat er zugleich erkannt, dafj sich der Zürcher
über die nüchterne Abendmahlsanschauung seines „Commentarius"
von 1525 hinaus in seiner letzten Schrift, der „Expositio fidei Chri-
stianae" (1531), einer geistigen Realpräsenz genähert hat10. Darum
ist es zuwenig, bei Zwingli nur vom bloßen Erinnerungs- oder
Gedächtnismahl zu reden. Es war auf jeden Fall mehr: Dank-
sagungs-, Bekenntnis- und Bruderschaftsmahl, konkret: die „Actio"
- so nannte Zwingli nach einem Zwischentitel des Meßkanons
seine Abendmahlsfeier - die actio Spiritus Sancti in mentibus elec-
torum, die Impression, wenn man will: die Imprägnation des
Kreuzes in seinen erwählten Heiligen, und zwar mittels der liturgischen
Rekonstruktion des ersten Abendmahlsgeschehens. Blanke
konstatierte: „Die beiden Zusammenfassungen von 1525 und 1531
sind die zwei Pole der Zwinglischen Sakramentslehre", wobei er
beklagte: „Leider ist der positive Ausbau dieser objektiveren,
biblischeren Abendmahlsanschauung ein Torso geblieben wie das
Lebenswerk Zwingiis, den ein so früher Tod gefällt hat, überhaupt
".'1

Summa summarum (des Plautus Wort, das Zwingli gern gebraucht
) : Wer über Zwingli heute arbeitet, kann an Blanke
nicht mehr vorübergehen. Blanke aber hat, gerade als ehemaliger
Student und Dozent in Deutschland, bedauernd festgestellt: „Die
heutige deutsche Theologie, dieselbe, die doch im Zeichen einer
Wiedererweckung der reformatorischen Lehre steht, schweigt einen
Zwingli tot."12

1(1 Theologische Blätter 1931/10, Sp. 288.
" Ebda.

Zwingliana 1931, S. 262.

ALLGEMEINES

Biblisch- Historisch es Handwörterbuch. Landeskunde
, Geschichte, Religion, Kultur, Literatur, hrsg. von Bo
Reicke u. L. Rost. II: H-O. VIII S. u. Sp. 617-1360 m. 118
Zeichn. i. Text, 21 Taf., dav. 1 färb., 24 Ktn., 1 Faltkte. III: P-Z.
XVI S. u. Sp. 1361-2256 m. 114 Zeichn. i. Text, 21 Taf., dav.
1 färb., 24 Ktn. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1964/66.
Lw. DM 58,- u. DM 74,-.

Der erste Band des nunmehr vollständig vorliegenden Biblisch-
Theologischen Handwörterbuches von Bo Reicke und Leonhardt
Rost wurde in der ThLZ 86 (1964) Sp. 825 f. besprochen. Der zweite
und dritte Band weisen die gleichen Vorzüge auf, die schon bei
dem ersten festgestellt werden konnten. So ist ein Werk entstanden
, von dem durch die gute Information, die angeboten wird,
eine wesentliche Vertiefung der Arbeit an der Bibel in der Hand
des Pfarrers und Lehrers erwartet werden kann, wenn die Bereitschaft
vorhanden ist, die hier von seiten der theologischen
Wissenschaft erschlossenen Möglichkeiten zu nutzen. Aber auch für
den Fachtheologen liegt ein Werk vor, das die Möglichkeit schneller
Orientierung bietet und durch die Literaturhinweise die eigene
Weiterarbeit erschließt. Abbildungen und Kartenmaterial auf Bildtafeln
- in der Wiedergabc durchgängig vorzüglich - und im
Text vermitteln zu dem, was im Text ausgeführt wird, dankenswerte
Anschauung. Überall ist für Information und Anwendung
eine solide Grundlage gegeben.

Am wertvollsten erscheinen uns die kleinen und größeren
Artikel, die Material und Erklärung zeitgeschichtlicher Tatbestände
bieten, so z. B. die Aufsätze über Jerusalem, Korinth, Rom u. a.,
über die Hasmonäer, Herodes, Handauflegung, der besonders wichtige
Artikel über Zeitrechnung, über Maße und Gewichte u. v. a.
Hier liegt in gedrängter und zuverlässiger Übersicht das für die
exegetische und theologische Arbeit notwendige Material bereit.
Ich wüßte nicht, wo man es sonst so übersichtlich, geordnet und
gesichtet vor sich hätte, wie es in diesem Werk der Fall ist, dazu,
wie erwähnt, in jedem Falle die notwendige Literatur und Anschauung
. Problematischer sind die Beiträge, die Einleitungsfragcn
zum biblischen und außerbiblischen Schrifttum erörtern, die in der
Bibel erscheinenden Personen, z. B. Mose, Elia, Propheten, Jesus,
Petrus, Paulus, Johannes u. a., sowie biblisch-theologische Begriffe
behandeln. Da sie von verschiedenen Verfassern aus verschiedenen
Ländern erarbeitet sind, tritt die ganze Fülle der Standpunkte
und Meinungen, ein Stück ökumenischer Theologie und Religionswissenschaft
, in Erscheinung. Das ist ein beachtlicher Vorgang,
der den deutschen Theologen mit der Schau der Theologie außer-