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Ausgabe:

1968

Spalte:

169-172

Autor/Hrsg.:

Schmidt-Clausing, Fritz

Titel/Untertitel:

Die Entdeckung des echten Zwingli 1968

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169

Theologische Litcraturzcitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 3

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nes spricht also von der Umkehr (|i£Tav6r|aov,ii£Tev6T)orxv) in zwei
verschiedenen Zusammenhängen: wenn ein einzelner oder eine
Gruppe „heidnischer" Menschen sich zum Christusglauben bekehrt
(so 9, 20-21; 16, 9. 11) und wenn sich die christliche Gemeinde
bessert, „die ersten Werke" wieder tut, daran denkt, was sie empfangen
hat (2, 5; 3, 3). Die Bekehrung zum „Christentum" ist einmalig
, aber die Umkehr ist etwas, was fortgesetzt werden muß.
Die wahre Kirche ist die Umkehrende.

Diese Beispiele vom Gebrauch der theologischen Begriffe in der
Offenbarung des Johannes stützen die Auffassung, daß das einzige

apokalyptische Buch im NT eine Fortsetzung, wenn nicht der
ältesten, doch einer sehr alten urchristlichen Theologie darstellt.
Das Amt der Gemeindepropheten, die Rolle des Johannes und
die Erwartung von zwei endzeitlichen Propheten wie auch die
Auffassung, daß Gott selbst und nicht Christus das Gericht vollziehen
wird, geben den Eindruck von einer alten christlichen
Theologie. Andererseits hat die Johannes-Apokalypse keine besondere
Märtyrertheologie entwickelt und vertritt auch keine rein
futurische Eschatologie, weil Christus als Lamm Gottes den entscheidenden
Sieg bereits errungen hat.

Die Entdeckung des echten Zwingli

Von Fritz Schmidt-Clausing, Berlin

Es ist ein schwieriges Unternehmen, eine seit Jahrhunderten
angestammte Meinung zu revidieren. Das gilt besonders für
Zwingli, der von Anfang an, schon von Luther, mißverstanden
worden ist und dessen seelsorgerliches Anliegen noch
heute weithin verkannt wird. Luthers Reformation hat ein sichtbares
Datum, die Thesenverkündigung, wenn diese auch das Ergebnis
eines seit Jahren sich in ihm wandelnden Gottesbildes war,
das - ich behaupte es weiter - in dem „Rips-Raps" der römischen
Zelebranten 1511 seinen katholisch-psychologischen Urgrund hatte.
Zwingiis Kirchenbesserung hat eine lange unauffällige Entwicklung
, die in der Sorge des Seelsorgers auf dem Altan von Monza
wie auf der heimatlichen Kanzel begründet liegt. Das stellt Anregung
und Befruchtung durch Luther, der für Zwingli der „alter
testis" war, nicht in Abrede, besonders nicht in dem allgemeinen
Sog, den der Ruf nach der „reformatio in capite ac membris" verursacht
hatte. So sehr auch das angsterfüllte Leben im Zeitalter
des „Dies irae" und der Totentänze den ernsten Christenmenschen
ergriff und die Frage nach dem gnädigen Gott erregte, so haftet
doch dem Versuch, die beiden Erstreformatoren quoad Sündenangst
zu harmonisieren, etwas Gewolltes an, zumal wenn man an Zwing-
Hs „Beichtbrief" vom 5. Dezember 1518 (Z VII, 110 ff.) denkt. Beide,
der Wittenberger und der Thurtaler, waren in Erbe und Wesen,
auch im theologischen Werden und Wirken in ihrem Grunde so
verschieden, dafj Gottfried W. Locher bei jeder Gelegenheit
mit Recht davor warnt, in Luther den „Normal-Theologen" zu
sehen, an dem auch Zwingiis Tat zu messen sei1.

Das Lutherbild war durch die Jahrhunderte entstellt und des
Reformators Theologie entschärft. Unserem Jahrhundert wurde es
aufgetragen, die durch Aufklärung und theologische Ismen vorgenommenen
Übermalungen zu beseitigen. Diese „Luthcrrcnais-
sance" - in Anführungszeichen! - wurde eingeleitet durch den
Berliner Kirchenhistoriker Karl Holl mit seinem „Luther" (1921)
und hat von der historischen über die exegetisch-systematischen
Ergebnisse zur liturgischen Neubesinnung geführt. Einen ähnlichen
Weg, auch bis zur Erörterung des gottesdienstlichen Lebens, hat
das Zwinglibild genommen. Nur darf hier nicht analog von einer
..Zwinglirenaissance" gesprochen werden, wobei sich hic et nunc
der „humulis autor" selbst korrigiert, weil es eben von vornherein,
selbst im reformatorischen Bereich, kein wirkliches Zwinglibild
9egeben hat. Schon bei Luther war Zwingli in ein schiefes Licht
geraten. Der Wittenberger war böse auf den Zürcher, weil dieser
sich nicht als dessen Schüler erkennen wollte. Der tiefste Grund
aber, daß Luther Zwingli zu den Schwärmern rechnete, lag in
Zwingiis Pneumatologie, denn, sagt Luther: „sie meinen, wenn
yhn etwas trewmet, so sey es bald der heilige geist" (WA 23, 113).
Das Marburger „Alium spiritum habetis" war mehr als ein Ausdruck
des Unwillens; es war Feststellung des unterschiedlichen
Geistbegriffes, bene nota: des trinitarischen Geistes2. Erst der
neue prometheischc Mensch der Aufklärung nahm den Geist, der
bei Zwingli oft des Epithetons „heilig" entbehrt, für sich in Anspruch
. Zwingli, der gern zum Erweis seiner humanistischen Bil-

1 Gottfried W. Locher, Die Wandlung des Zwinglibildes in der neuen Forschung.
n: vox theologica intcracademiaal theologisch tijdschrift. Assen 1962/8, S. 170:
^wngliana 1953/1. S. 562.

»■ >a. Zwingli. Sammlung Göschen 1965, S. 82 ff.

dung mit philosophischen Begriffen umging, besonders in seiner
Marburger Predigt „De Providentia", in der er Gott sogar „numen"
nennen konnte, unterschied sehr wohl zwischen Spiritus und mens,
dem Gottesgeist und dem Menschengeist, der mens als „Empfangsorgan
" des Heiligen Geistes im Menschen. Rudolf Pf ister
hat bereits 1952 den pneumatologischen fundus Zwingiis herausgestellt
, wenn er schloß, daß „der Lehre von der Erleuchtung durch
den Heiligen Geist in der zwinglischen Theologie maßgebende
Bedeutung zukommt", und folgerte: „Sie ist nicht Spiritualismus"3.
Unabhängig davon hat zur gleichen Zeit Gottfried W. Locher auf
die Bedeutung des Heiligen Geistes bei Zwingli aufmerksam gemacht
und soeben in seinem Blanke-Gedächtnis-Beitrag hervorragend
formuliert: „Da der Reformator nicht ein Prinzip des freien
Geistes oder gar der freien Psyche vertritt, sondern eine eindeutig
trinitarisch bestimmte und gezügelte Lehre vom Heiligen Geist,
so sprechen wir ... lieber vom pneumatologischen Charakter von
Zwingiis Theologie"'' (sc. als von Spiritualismus). Das ist konkrete
Absage an das bisherige aufklärerische Zwinglibild als das eines
„Heros des Liberalismus", das im deutsch-schweizerischen Reformator
einen völligen Erasmianer und den Nur-Politiker gesehen
hat und verschiedentlich noch sieht. Die Vertreter des autarken
Geistes haben Zwingli zum philosophus Christi gemacht, indem
sie, dem Rotterdamer gleich, an die Stelle der theologia crucis die
Bergpredigtsreligion der strebenden Menschheit gesetzt haben. Es
ist auffällig, aber nicht verwunderlich, dafj gerade im Blick auf
die Entdeckung des echten Zwinglibildes - von Wiederentdeckung
kann man also bei ihm nicht reden - theologische Stimmen
laut werden, die, wie Gerhard Ruhbach in seiner jüngsten
Zwingli-Rezcnsion, Bedenken anmelden, „ob der augenblicklich
herrschende Trend in der Zwingli-Forschung sich auf die Dauer
durchsetzen wird"5. Das gilt in besonderem Maße für die Anerkennung
Zwingiis als des pneumatologischen, nicht aufgeklärten
Reformators. So schreibt noch in diesem Dezennium Otto Weber
von Zwingli: „Für ihn ist, in der Folge des Christianismus renas-
cens seiner Tage, der ,Geist' schlicht unser (allerdings erleuchteter
) Geist. Zwingli argumentiert im Grunde psychologisch und
anthropologisch . . . Erst Calvin verknüpft Christologie und Pneumatologie
."" Weber fußt hier zweifellos auf Walther Köhler,
der zwar zugesteht, daß „es um den Geist als Ganzes, als den
Mittelpunkt, das Energiezentrum des Zwinglischen Denkens, Fühlens
und Wollens, um den Kern der Lebensanschauung" geht, für
den aber der Geist „die Summe aller der Gedanken, die hinter
allen Einzcltaten stehen"7, bedeutet. Ebensowenig verstummt die
Behauptung, Zwingiis Reformation sei nur unter politischem
Aspekt zu begreifen. Sie ist soeben in Richard Friedenthals
„Luther" mit dem Satze wiederholt: „Zwingli beginnt als Politiker
und ist das geblieben bis zum Ende" und wird in der jüngsten

3 Rudolf Pfistcr, Die Seligkeit erwählter Heiden bei Zwingli. Biel 1952, S. 29.

* Gottfried W. Locher, Grundzüge der Theologie Huldrych Zwingiis im Vergleich
mit derjenigen Martin Luthers und Johannes Calvins. Zwingliana 1967/1. S. 507.

5 Gerhard Ruhbach, Rezension J. Courvoisier, Zwingli als reformierter Theologe.
In: Deutsches Pfarrerblatt vom 15. Juni 1967.

9 Otto Weber, Grundlagen der Dogmatik. 2. Bd. Neukirchen 1962. S. 152 f.; vgl.
Wilhelm Niesei. Die Theologie Calvins. München 1838. S. 116 ff.

7 Walther Köhler, Die Geisteswelt Ulrich Zwingiis. Christentum und Antike.
Gotha 1920. S. 5.