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Ausgabe:

1968

Spalte:

154-155

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Kaiser, Matthäus

Titel/Untertitel:

Der gute Glaube im Codex iuris canonici 1968

Rezensent:

Liermann, Hans

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 2

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Grundlegend ist zunächst die Erkenntnis, daß die liturgischen
Sachexorzismen nicht im heute üblichen Sinn Vertreibung des
Satans und dämonischer Mächte bezwecken, sondern in ihrer
Mehrzahl „Beschwörungen" im eigentlichen Sinn darstellen.
Irgendein Partner soll so zwingend angesprochen werden, daß
er zuhören mu5 und gleichzeitig zur Erfüllung eines Verlangens
verpflichtet wird. «Für den antiken Menschen war das ,ich beschwöre
' einfach eine Form, mit der gesamten Welt und auch
den göttlichen Kräften fertig zu werden, gewissermaßen eine
Verhaltensform gegenüber allem Sein" (S. 335). Bei Sachbeschwö-
rungen geht es also darum, „die Sache zwingend zu beeinflussen
, durch Beschwörung zu binden" (S. 336). Die heutige
kirchliche Liturgie hat die einst vielgestaltigeren Möglichkeiten
für solche Sachbeschwörungen beschränkt auf das Taufwasser,
das Weihwasser, das Salz, das Katechumenenöl, das Chrisam und
das Krankenöl sowie auf eine Beschwörung schädlicher Tiere
und - nur im Benediktinerorden - einer Medaille. Kennzeichnend
für eine echte Sachbeschwörung ist immer die Anrede an
die entsprechende Sache. Im Bereich der orientalischen Liturgien
scheinen direkte Sachbeschwörungen, ja sogar Satansbeschwörungen
im Blick auf Sachen, im Zuge des dort früh einsetzenden
Kampfes gegen Aberglaube und Beschwörungswesen getilgt bzw.
in Gebete umgewandelt worden zu sein. Das wirkt sich sogar
dahin aus, dafj gallikanische Formulare unter ihrem wahrscheinlich
östlichen Einfluß Sachbeschwörungen mindestens in Satans-
beschwörungen über Sachen umwandeln. Echte Sachbeschwörungen
begegnen uns nur in römisch beeinflußten Liturgiegebieten.
Formale Einwirkung der alten heidnischen Sachbeschwörungen
wird dabei nicht zu leugnen sein. Wichtiger erscheint aber der
Einfluß einer diesen zugrunde liegenden „animatistischen" Kosmologie
, vermöge deren die Sachen selbst als gleichsam personale
Wesen gedacht und behandelt wurden. Daß sich dieser Einfluß
vor allem im römisch-lateinischen Bereich geltend machte,
„lag wohl daran, daß gerade dieser Teil der lateinischen Liturgie
besonders von Volksanschauungen beeinflußt wurde, während
die literarisch und theologisch gebildeten Schichten noch griechisch
sprachen" (S. 338). So sind in den Sachbeschwörungen sehr
alte Texte zu vermuten, deren Wurzeln womöglich schon ins
2. Jh. zurückreichen. „Die ältesten, uns bekannten, direkten Sachbeschwörungen
römischer Liturgie stehen im alten Gelasianum"
(S. 338). Die dabei verwendete Anrede „du Geschöpf" will die
Dinge in einer ihrem Wesen gemäßen Weise ernst nehmen, „ähnlich
wie ein Mensch als Person ernst genommen wird" (S. 338). Es
handelt sich dabei im Grunde also um ein Zwiegespräch des
Menschen als Stellvertreter des Schöpfers bzw. Erlösers mit dem
Ding. Erst in Zuordnung zum Schöpfer oder auch zu einem
Geistwesen (Engel und Teufel), schließlich zum Menschen „bekommen
die Schöpfung und alle Dinge ihren letzten Sinn, werden
erst eigentlich verständlich, begreiflich, erfaßbar, - beschwörbar
" (S. 339). Auch die kirchlichen Beschwörungen sind wie alle
Beschwörungen Zwangsmittel, aber der Schöpfer der Welt -
nicht irgendwelche geheime Formeln und Praktiken - erscheint
in ihnen als einzige sein Geschöpf zwingende Macht. Darum
wird oft die Epiklese des Namens Gottes in Gebetsform mit
einer Beschwörung verbunden, wie überhaupt für diese der starke
Bezug zum Gebet charakteristisch ist. Zusammenfassend ergibt
sich: „Liturgische Beschwörungen sind Befehle der Kirche, die im
Namen Gottes von dem Beschworenen eine Dienstbarkeit zum
Heile der Gläubigen verlangen und bewirken" (S. 347). Dabei
wird die Hilfe zum irdischen Heil stets im Zusammenhang mit
dem ewigen Heil gesehen. Solche Beschwörungen knüpfen an
eine natürliche Disposition der betr. Sache an, um sie ins Obernatürliche
zu überhöhen. Es wird ihnen gewissermaßen - und
dies im altchristlichen Sinn - „die Vollendung ihrer Zeichenhaf-
tigkeit, die sie schon seit der Schöpfung besitzen, mitgeteilt und
auferlegt" (S. 348). Wichtig besonders die abschließende Bewertung
: „Da die kirchliche Beschwörung das von Gott im Gebet
Erflehte in befehlender und zugleich bewirkender Weise den
Dingen mitteilt, ist sie ein bedeutsames und ausgezeichnetes Mittel
zur Heimholung der Welt . . . Hier beginnt bereits nach
außen hin sichtbar zu werden, wie die Dinge aus der Knechtschaft
der Vernichtung zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes
befreit sind . . . Die Beschwörung ist die bisher von der Kirche
geübte Form, den Dingen unmittelbar einen eindringlichen Befehl
nahezubringen, sie einzuordnen in den neuen Kosmos, ihnen
Aufgaben darin zu übertragen und sie so hinzuführen zu der
von Anbeginn entworfenen Erfüllung in der neuen Schöpfung:
Heilszeichen der Erlösung und der Gottesherrschaft zu sein"
(S. 352). -

Dies Ergebnis wird in subtiler Forschungsarbeit gewonnen,
die sich wohl kaum einen der bezüglichen Texte entgehen läßt.
Der dabei eingeschlagene Weg mag durch die Bezeichnung der
dem genannten V. vorausgehenden vier Abschnitte wenigstens
angedeutet sein: I. Die Bedeutung des Wortes „Exorzisieren". II.
Der genaue Gegenstand der Beschwörungen anläßlich der Segnungen
von Sachen, in. Die Methode und Wirkweise der Beschwörungen
. IV. Ziel und Zweck der einzelnen Beschwörungen.
- Ein Anhang von 63 Seiten bringt eine „Sammlung der Beschwörungsformeln
von Sachen". Ein „Index der Liturgischen Beschwörungsformeln
", ein „Schriftstellenregister" und „Register der Namen
und Sachen" machen das Buch für den liturgischen Forscher
zugleich zum ergiebigen Nachschlagewerk.

Greifswald William Nagel

KIRCHENRECHT

Kaiser, Matthäus: Der gute Glaube im Codex Iuris Cononici.
München: Hueber 1965. XXIII, 247 S. gr. 8° = Münchener
Theologische Studien, hrsg. v. J. Pascher, K. Mörsdorf,
H. Tüchle, III. Kanonistische Abt., 22. DM 28.-.

Der gute Glaube, der beispielsweise im weltlichen Recht beim
Eigentumserwerb von einem Nichtberechligten von großer Bedeutung
sein kann, ist auch im kirchlichen Recht des Codex
Iuris Canonici bei vielen Rechtsinstituten ein entscheidender Faktor
, der für die rechtliche Gültigkeit oder Ungültigkeit der getätigten
Rechtshandlung ausschlaggebend ins Gewicht fällt. Während
es sich beim guten Glauben des weltlichen Rechts in erster
Linie um ein psychologisches Problem handelt, steht beim guten
Glauben des kirchlichen Rechts die Frage nach dem ethischen
Verhalten des Gutgläubigen im Vordergrund. Auf diese Weise
gewinnt die Lehre vom guten Glauben im kirchlichen Recht eine
„Intensität, die dem weltlichen Recht fremd ist" (S. 233).

Der gute Glaube steht im kirchlichen Bereich im engsten Zusammenhang
mit der Billigkeit (aequitas canonica), die „nicht nur
von dem Gedanken der Güte und Milde, sondern von der Idee
der übergesetzlichen Gerechtigkeit beherrscht ist" (S. 177). Die
Kirche hat es in ihrem Recht leichter als der Staat, auf der Grundlage
der Billigkeit dem guten Glauben eine überragende Stellung
einzuräumen. Denn ihre Rechtsordnung ist nicht, so wie es beim
Staat der Fall sein muß, auf den Schutz der Allgemeinheit abgestellt
. Vielmehr ist ihr zentrales Anliegen das Seelenheit des einzelnen
Menschen. So kann die subjektive Einstellung des wirklich
Gutgläubigen eine viel größere Berücksichtigung finden, als
das im staatlichen Bereich der Fall ist. Denn in der staatlichen
Rechtsordnung muß im Interesse der Allgemeinheit das objektive
Moment vor der subjektiven Seelenhaltung des einzelnen
im Vordergrund stehen. - Es sind das allgemeine Erwägungen
von überkonfessioneller Natur, die auch für das evangelische
Kirchenrecht in einem gewissen Umfang fruchtbar gemacht werden
können.

Auf diese Weise durchdringt die Lehre vom guten Glauben
das gesamte System des Codex Iuris Canonici. Sie tritt bei der
Gesetzgebung, der Bildung von Gewohnheitsrecht, im Sakramentsrecht
, im rechtsgeschäftlichen Handeln, im Prozeß- und
Strafrecht immer wieder in Erscheinung und wirft bei jedem
Rechtsinstitut Fragen auf, die auf der Grenze des Seelsorgerlichen
und des Juristischen oft eine äußerst schwierige Problematik
darstellen.

Durch ihre Bewältigung bietet die in die liefe gehende Abhandlung
in großen Teilen ein Beispiel feinster Kanonistik, das
der kanonistisch gebildete Jurist mit Genuß liest. Dagegen dürfte
es dem nicht juristisch eingestellten Theologen große Mühe be-