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Ausgabe:

1968

Spalte:

147-149

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Grimm, Robert

Titel/Untertitel:

Liebe und Sexualität 1968

Rezensent:

Gyökössy, Endre

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Es wird damit klar gemacht, daß der Begriff der „christlichen
Humanität'' nicht von irgendeiner Humanitätsidee her verstanden
wird, sondern von der Befreiungstat Christi, die „Taten humaner
Gerechtigkeit, Freiheits- und Friedensliebe" wirkt (S. 105)
und dadurch Zeichen in der Welt der Entfremdung und Zerrissenheit
aufrichtet.

W. ist weit davon entfernt, eine „christliche Gesellschaft" zu
erwarten. Die Herrschaft Christi, die glaubend bezeugt werden
muß, vollzieht sich „in der unscheinbaren Gestalt des Dienstes
und Leidens", die sich offenhält für die Vollendung und Verwandlung
der Schöpfung Gottes1.

Ein Anhang von Dokumenten, die vom Stuttgarter Schuldbekenntnis
von 1945 bis zu Abschnitten der wichtigen ökumenischen
Sozialkonferenz vom Jahre 1955 in Saloniki reichen, ist
den Ausführungen des Verfassers beigegeben. Sie erläutern diese
von den verschiedensten Gesichtspunkten her.

Was mir an diesem Buch besonders wichtig zu sein scheint,
ist der klare Ausgangsort der Sozialethik bei der Kirche als der
„Basis der eigentlichen Freiheit des Christen in der Gesellschaft
und von der Gesellschaft". Damit wird die Kirche aber selbst als
offene, auf den Nächsten und auf die Zukunft der Menschheit
gerichtete Gemeinschaft zur zeichenhaften Vorwegnahme dessen,
was vom Reich Gottes in seiner zukünftigen Enthüllung und
Vollendung zu erwarten ist.

Bochum Hans Heinrich Wolf

Grimm, Robert: Liebe und Sexualität. Versuch einer theologischen
Ethik. Übers, v. F. Heller u. V. Katzmann. Tübingen:
Katzmann 1965. 124 S. kl. 83. Kart. DM 6.80.

Es ist das grofje Verdienst der Arbeit von R. Grimm, die sich
bescheiden einen „Versuch" nennt, daß nirgends die Spannung
zwischen den Anforderungen des Wortes Gottes an den Menschen
und der Sündhaftigkeit des Menschen aufgehoben wird. Der Verfasser
will unter Heranziehung verschiedenster Arbeiten aufgeschlossen
bleiben „nicht nur für die Gegebenheiten, sondern auch
für den Dialog mit Gott und der Welt".

Im ersten Abschnitt (S. 11) stellt er fest: . . . „Die Liebe
durchläuft eine Krise, sie stellt sich in Frage, sie ist krank, . . .
sie treibt im Zufälligen". Deshalb hat sie einen Maßstab notwendig
, und der ist Jesus Christus. Die Liebe Gottes (Agape) ist das
Fundament der menschlichen Liebe (Eros). Nach der Analysierung
dieser beiden behandelt Vf. im Abschnitt „Das Geheimnis
der Geschlechtlichkeit" (S. 21) die Polarität der Geschlechter. Er
erklärt, was er unter Sexualität versteht: „Die menschliche Sexualität
ist somit charakterisiert durch die Zurückdrängung des
rein Triebhaften zugunsten des psychisch-personalen Elements,
durch den Aufstieg aus dem Biologischen in die Gefühlswelt
und das Bewußtsein." Unsere Geschlechtlichkeit gehört nicht uns,
sendern dem anderen. Deswegen wäre es besser, über die Erziehung
zur Liebe als über Aufklärung oder sexuelle Erziehung
zu sprechen. Der Gedankengang, daß Mann und Frau „als ein
Paar in Analogie stehen zur Dreieinigkeit" und was daraus gefolgert
wird, trägt die Gefahr des Theologismus in sich und ist
für Laien schwer verständlich.

In dem Abschnitt „Die Vermittlung des Leibes" (S. 29) stellt
er sich gegen den Dualismus der Gnosis: „Der Mensch ist ganz
Leib und ganz Seele." Er schreibt vom Leib als dem Tempel des
Heiligen Geistes und bezeugt seinen Glauben an die Auferstehung
des Fleisches. Sodann weist er auf die eschatologischen Dimensionen
von Leib und Geschlechtlichkeit, mit etwas kühnen
Folgerungen, hin. Dann betont er die, die ganze Persönlichkeit
durchdringende, durch den Heiligen Geist inspirierte und geleitete
Notwendigkeit der Askese und Selbstbeherrschung.

Im Abschnitt „Ein Fleisch" (S. 38) hebt er die psychische Einheit
von Mann und Frau hervor. Im Geheimnis des Paares erkennen
beide Partner sich selbst und den anderen, und zwar
durch den Leib, den Blick und das Wort. Und eben weil dieses
„Erkennen" das Geheimnis der Bildung zur metaphysischen Einheit
darstellt, ist es nur zwischen einem Mann und einer
Frau möglich. „Die Einehe und die Unauflöslichkeit der Ehe ist
die Folge dieses Geheimnisses und nicht die Ursache."

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Dann erklärt er den Abschnitt „Die Bedeutung der Liebesgemeinschaft
" (S. 45) als ein Gleichnis für die göttliche Liebe und
macht auf die eschatologischen Dimensionen von Liebe, Sexualität
und Ehe aufmerksam und grenzt die christliche Ethik gegen
die neutrale Psychologie ab. Infolgedessen ergreift er bestimmt
Stellung für die monogame Ehe und gegen jedwelche vorübergehende
, geschlechtliche Verbindung. Er selbst wirft die Frage
auf, ob seine strengen Feststellungen nicht vielleicht zur Verzweiflung
treiben könnten. Aber, so schreibt er, das Wort Gottes
ist letzten Endes Evangelium, und er beendet den Abschnitt mit
der verzeihenden Stellungnahme Jesu gegenüber der Ehebrecherin
.

„Liebe und Fortpflanzung" (S. 53) behandelt die Frage des
Kindersegens. „Das Paar vereinigt sich nicht, um Kinder zu zeugen
, sondern um die Entfaltung zweier Wesen zu einem hin zu
verwirklichen und so die irdische Widerspiegelung der göttlichen
Liebe zu werden." Nach Wiedergabe des entsprechenden katholischen
und protestantischen Standpunktes schreibt der Autor, daß
auch bei der Geburtenkontrolle die Liebe die Zentralfrage sein
müsse. „Geburtenkontrolle darf nicht einfach ein Mittel sein, um
die Liebe zu betrügen, sondern sie soll ihr helfen, sich zu entfalten
und auf vernünftige Weise fruchtbar zu werden. So verlangt
auch die Beherrschung des Triebes nicht übermenschliches
Heldentum, sondern sie kann sich von den technischen Mitteln
helfen lassen."

In Verbindung mit „Ehelosigkeit und Keuschheit" (S. 66) stellt
der Autor nach Bekanntgabe der extremen Ansichten fest: „in
der Ehe zu leben ist ebenso schwierig wie in der Ehelosigkeit.
Zu beiden muß man berufen sein". Dann nimmt er entschieden
Stellung gegen die „freie Liebe". Aber neben seinem unmißverständlichen
und objektiven Urteil betont er auch die Notwendigkeit
des subjektiven Verstehens und Verzeihenkönnens in dieser
Frage. Über die Keuschheit innerhalb der Ehe schreibt er:
„Keuschheit beschränkt sich nicht auf die Ehe oder die Sexualität
, sie stellt eine innere Haltung der ganzen Person dar."

Im Abschnitt „Die Liebe als ethisches Problem" (S. 72) analysiert
er auf Grund von Genesis 3 die durch den Sündenfall verdorbene
und in Christus wiederhergestellte Liebe. Endlich macht
er darauf aufmerksam, daß Gott Liebe ist, Liebe aber noch nicht
Gott.

Einer der interessantesten und schönsten Abschnitte des Buches
ist „Liebe und Zeit" (3. 78). Der ewige Feind der Liebe ist
die Zeit, und deshalb will die Liebe sich über die Zeit erheben
und sie besiegen. Die beiden äußersten Lösungen stellt der Autor
mit dem „Mythos" von Tristan und Don Juan dar. Dann schreibt
er, daß in Jesus Christus die Zeit aufhöre ein Feind der Liebe zu
sein, da in der Menschenwerdung des Sohnes die Liebe zeitlich
und geschichtlich geworden sei. Daraufhin behandelt er das Problem
: Treue, Liebe, Zeit. „Treue ist Liebe in der Zeit, gegen die
Zeit, mit der Zeit." Unsere Liebe, unsere Treue ist Zeugnis der
Liebe und Treue Gottes. In dieser Treue wurzelt jede christliche
Ethik.

In „Die Liebe und die Institution der Ehe" (S, 89) spricht der
Autor über die bestehende grundsätzliche Spannimg zwischen
beiden Begriffen, aber auch über ihre Möglichkeiten. Er erläutert
die Meinungen der verschiedenen theologischen Richtungen
und Konfessionen sowie die Ansichten gegen die Einrichtung
der Ehe. Dann betont er, wenn auch die Liebe nicht identisch sei
mit der Ehe, so sei sie doch die Chance und das Heil der Liebe.
Er verlangt auch das Ernstnehmen des Ehevertrages, denn: „Man
muß im Leben ständig entscheiden zwischen Wunsch und Pflicht."
Der Begriff „freie Liebe" ist nicht nur falsch, er ist häretisch.
„Die christliche Ethik lehnt die leichtfertige Verherrlichung jener
angeblichen Zweckfreiheit oder Spontaneität der Liebe ab, die
letztlich nichts anderes ist, als ein Alibi für Egoismus und Un-
verantwortlichkeit." Die christliche Ethik darf sich nicht in der
Antinomie von Liebe und Ehe verfangen.

Der Verf. bezeugt schließlich, daß die Liebe aus dem Glauben
lebt und die christliche Ethik in diesem Sinne zu Predigt, Ermahnung
und Lobpreis wird.

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 2