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Ausgabe:

1968

Spalte:

145-147

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Wendland, Heinz-Dietrich

Titel/Untertitel:

Person und Gesellschaft in evangelischer Sicht 1968

Rezensent:

Wolf, Hans Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 2

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Schiffers, Norberti Natürliche Gotteserkenntnis als ökume-
menisches Problem (Catholica 21, 1967 S. 317 - 328).

Schlette, Heinz Robert: Christen als Humanisten. München:
Hueber [1967]. 154 S. kl. 8° = Theologische Fragen heute,
hrsg. v. M. Schmaus u. E. Gößmann, 11. Kart. DM 5.80.

S c h n i t z 1 e r , Fidelis: Ministerium verbi (ThGl 57, 1967
S. 440-462).

Schüller, Bruno: Bemerkungen zur authentischen Verkündigung
des kirchlichen Lehramtes (ThPh 42, 1967 S. 534-551).

Schüller, Bruno: Todsünde - Sünde zum Tod? (ThPh 42,
1967 S. 321-340).

Simons, Eberhard: Die Bedeutung der Hermeneutik für die
katholische Theologie (Catholica 21, 1967 S. 184-212).

Ter Scheggct, Bert: Anthropologia Gloriae. Versuch einer
Antwort auf Hendrik van Oyens Bedenken gegen KD III/2
(ZEE 11, 1967 S. 359-373).

V a 1 y i - N a g y , Erwin: Gott der Gegenwart - Gott der Zukunft
(DtPfBl 67, 1967 S. 541-544).

Vellmer, Erich: Die Möglichkeit menschlichen Redens von
Gott (DtPfBl 67, 1967 S. 548-552).

Weier, Winfried: Gemeinsame Sinnbezüge mystischen, idealistischen
und existentialontologischen Denkens (ThPh 42, 1967
S. 507-533).

ETHIK

W e n d 1 a n d , Heinz-Dietrich: Person und Gesellschaft in evangelischer
Sicht. Köln: Bachem [1965]. 219 S. 8°. Lw. DM 16.80.

Dieses kleine Buch von 108 Seiten Text und 118 Seiten dokumentarischen
Beilagen ist eine äu5erst gehaltvolle Einführung
in evangelische Sozialethik und soziale Haltung des evangelischen
Christen. In dem heute sehr vielfältigen und theologisch
fragwürdigen Angebot von Ausgangspunkten für eine Sozialethik
scheint es mir von grofjer Bedeutung zu sein, da5 Wendland
klarmacht, daß sie „ihren Ursprung und Ausgangspunkt
jenseits der Antithesen oder auch der Verbindungen von Individuum
und Gemeinschaft, Einzelmensch und Gesellschaft" hat.
Sie hat „ihren Ursprung und ihre Voraussetzung in der Kirche",
und erst von daher ist der Dialog mit anderen Theorien möglich
und sinnvoll.

Wendland zeigt zunächst das Chrakteristikum der Kirche als
..pneumatische Bruderschaft oder Gemeinschaft im Heiligen
Geiste", bei der jeder Individualismus wie auch jeder Kollektivismus
ausgeschlossen ist und für deren Glieder Freiheit und Liebe
als Grundelementc der christlichen Ethik und Sozialanschauung
entscheidend sind.

Von dieser Crundlage aus wird über den „Vereinzelungspro-
zefj und das Persönlichkeitsideal" einerseits, „über den Begriff
der Gemeinschaft" andereisc-ts gesprochen. Evangelische Sozial-
ethik mufj „die Freiheit der Person und die Ordnung der Gesamtgesellschaft
zueinander in Beziehung setzen, den Einzelnen
und die Institutionen, in denen die Gesellschaft lebt und sich
organisiert" (S. 24).

Evangelische Ethik fragt nach den Zügen personaler Gemeinschaft
in den sozialen Institutionen, hier bietet der ethische und
Personale Charakter der Rechtsgenossenschaft, der durch das
Recht konstituierten Gemeinschaft ein besonderes Problem. Gemeinschaft
bezieht sich aber nicht nur auf das Ich-Du-Verhältnis,
sondern auf die soziale Ganzheit, den sozialen Organismus, die
überindividuelle Persönlichkeit, auf „Gemeinschaft" im Sinne
einer sittlichen Ordnung. Hier sind Person und Gemeinschaft
keine Gegensätze mehr, denn die „grofje Wir-Gemeinschaft" ist

gerade von Grund auf personal und nicht impersonal gebaut und
geordnet.

Sehr mit Recht zeigt Wendland in diesem Zusammenhang die
Grenzen des heutigen „existentialistischen Personalismus" auf,
der über personale Kommunikation nicht hinauskommen und zu
„Wir-Gemeinschaften" nicht versto5en kann. Die Institutionen Familie
, Staat, Volk sind nicht diese Gemeinschaften, aber sie tragen
in verschiedener Weise Züge dieser Gemeinschaften an sich,
und Gemeinschaft heifjt dann also personale Verbundenheit eder
rechtliche Zusammenfügung und Genossenschaft. Daneben gibt
es gesellschaftliche Organisationen wie Eisenbahn- und Autoverkehr
zum Beispiel, denen solche Züge der personalen Verbundenheit
fremd sind. - Aber wieso eigentlich, wenn sie doch gerade,
wie Wendland selbst sagt, nur in der Rücksicht auf und in der
Verantwortung für andere ausgeübt werden können? Damit ist
doch das Technisch-Rationale in einen bestimmten Zusammenhang
gestellt. -

Dem Verhältnis von Person und Organisation geht Wendland
in einem besonderen Kapitel nach, in dem er die Schwierigkeiten
aufweist, die für die einzelne Person als „Schnittpunkt-Existenz"
entstehen, auf die die verschiedenen Gruppen wie Parteien, Gewerkschaften
, Vereine ihren Anspruch erheben. Freiheit und Abhängigkeit
liegen deshalb stets im Kampf miteinander. Die Konflikte
, die hier entstehen, können nur durch Partnerschaft bewältigt
werden, bei der die Verschiedenheit der sozialen Positionen
, die Distanz von Gruppen- und Einzelmenschcn in Anrechnung
gebracht werden müssen. Gerade in dieser Spannung
mufj die Menschheit sich bewähren, für die die christliche Gemeinde
eintritt. Partnerschaft setzt Freiheit und Menschenwürde
der einzelnen Person voraus. Sie steht im Widerspruch zum Individualismus
des Einzelnen und zum Interessenegoismus der
Gruppen und Vereine. So ist sie ein Grundbegriff einer „verantwortlichen
Gesellschaft". Und damit ist der Begriff genannt, der
im ökumenischen Gespräch der Kirchen in den letzten Jahren
eine beträchtliche Bedeutung gewonnen hat. Die verantwortliche
Gesellschaft ist nicht das Reich Gottes auf Erden. Sie ist nichts
Letztes, sie ist weltliche, geschichtliche, und das hei5t, sich wandelnde
Ordnung für alle Menschen.

Wie verhält sich das Liebesgebot des Evangeliums zu ihr?
Wendlands Antwort ist: „Die Liebe gebietet Maximen und setzt
Ziele der Humanität im Dienste der Wohlfahrt aller Menschen"
(S. 60). In dienender Liebe will die Kirche zur verantwortlichen
Gesellschaft verhelfen, indem sie für Humanität eintritt, die aus
der Liebe, mit der Gott den Menschen liebt, fließt und zu einer
ständigen Revision und Umformung der gegenwärtigen Gesellschaft
führt, damit der Mensch Mensch sein kann. Ethik ist also
nie blofjc Ethik für Christen, sondern für den Menschen überhaupt
, für den Gott sich in Christus hingibt. Deshalb hat die
Agape als Nächstenliebe „mensch-gerecht, sach-gerecht und situa-
tions-gerecht" zu sein. Nur so verhilft die Forderung nach einer
verantwortlichen Gesellschaft zu einer „Gesellschaft freier, ver
antwortlicher Personen und zu gesellschaftlichen Institutionen,
die den Menschen vor Ausbeutung und Unterdrückung bewahren,
ferner auf eine Struktur von Führung und Organisation, die auf
Mitbestimmung und Partnerschaft beruht" (S. 68). Was in allen
Fragen der modernen Gesellschaft, von denen Wendland nur eine
Auswahl zur Darstellung bringt, von christlicher Seite her beizutragen
ist, fafjt er unter dem Begriff der „christlichen Humanität
" zusammen. Dieser Begriff ist davon geprägt, dafj es den
isolierten Einzelnen überhaupt nicht gibt, sondern der Mensch
immer dadurch gekennzeichnet ist, daß er einen Mitmenschen
hat, den er unter Gottes Anruf und Weisung als Nächsten entdeckt
. Er wird entdeckt in institutionellen Vermittlungen, die in
der modernen Gesellschaft Menschen miteinander in Beziehung
bringen, und gerade hier kommt es darauf an, dafj und wie die
Liebe die bestehenden Institutionen für das rechte Verhalten der
Menschen und für rechte Verhältnisse in den Institutionen durchdringt
. Denn in der Liebe, die die Gemeinde übt, kommt die
Herrschaft Christi über die Welt, d. h. über die Gesellschaft mit
allen ihren Einrichtungen und Personen zum Ausdruck, und zwar
in der Gestalt des Dienstes.