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Ausgabe:

1968

Spalte:

141-142

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kähler, Martin

Titel/Untertitel:

Die Wissenschaft der christlichen Lehre 1968

Rezensent:

Doerne, Martin

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Kahler, Martin: Die Wissenschaft der christlichen Lehre von
dem evangelischen Grundartikel aus im Abrisse dargestellt.
Mit einer Einführung v. M. Fischer. Unveränderter Nachdruck
der 3., (sorgfältig durchgearb. u. durch Anführungen aus der
Heiligen Schrift vermehrten) Aufl. Neukirchen: Neukirchener
Verlag d. Erziehungsvereins 1966. XLVIII. 723 S. 8°. Lw.
DM 28.40.

- Jesus und das Alte Testament. Bearbeitet u. mit einer Einführung
versehen v. E. Kähler. Ebda [1965], 87 S., 1 Taf. 8° =
Biblische Studien. Eine Schriftenreihe, hrsg. v. O. Weber,
H. Gollwitzer u. H.-J. Kraus, H. 45. Kart. DM 5.45.

Habent sua fata libelli, Bücher haben ihre eigene Geschichte.
Für Kählers „Wissenschaft der christlichen Lehre" war bei ihrem
ersten Erscheinen 1883 und noch für ihre stattlich erweiterte 3.
Auflage (1905) ein so kräftiges Fortwirken über die tiefgreifenden
Wandlungen der theologischen Arbeit während der letzten
70 Jahre hinaus nicht vorherzusehen. Heute leuchtet es vielen
unter uns ein, daß unter den Systematikern jener uns heute so
fern gerückten Epoche gerade Kähler mit diesem „schwerfälligen
Schulbuch" (wie er selbst es im Vorwort zur 3. Auflage
nennt) das Wagnis eines Neudruckes wert ist. Kählers eigenwüch-
sige, quer durch alle damaligen theologischen Schulen hindurch
ihren Weg suchende Bibeltheologie, die einzige, die ihren dreigeteilten
systematischen Gesamtentwurf (Apologetik, Dogmatik,
Ethik) an dem „evangelischen Grundartikel" des Rechtfertigungsglaubens
orientierte, hat sich zunehmend bestimmt mit den Grundimpulsen
und Fragestellungen der neuen, durch K. Barths „Römerbrief
" inaugurierten, aber auch durch Fr. Gogartens und
R. Bultmanns Mitsprache abermals in Bewegung gekommenen
Theologie des „Wortes" unterirdisch verbunden erwiesen. Von
verschiedenen Seiten her haben J. Schniewind, R. Hermann, mittelbar
auch P. Tillich Kählers lange ungenutztes Vermächtnis neu
zu Ehren gebracht. Von der eigentümlichen Zielstrebigkeit, mit
der Kählers Gesamtwerk auf die seither neu in Sicht gekommenen
Fragen hingeordnet ist, hat M. Fischers Einführung (S. V-
XXXII) kundig und erleuchtend Rechenschaft gegeben. Mit Recht
urteilt er, dafj Kählers zumeist noch unausgeschöpftes Erbe der
evangelischen Theologie in ihrer gegenwärtigen Sprachverwirrung
einen hilfreichen Dienst tun kann. Das soll gehofft werden
trotz den naheliegenden Zweifeln an der Empfänglichkeit der
meisten heutigen Theologen für die ungeheuer dichte, gesammelte
, auch sprachlich eigenwillige Lehrweise des Meisters, der
nicht nur „den theologischen Jargon seiner Zeil", sondern den
formelgebundenen Denkstil der Schultheologie überhaupt „fast
eigensinnig gemieden hat" (XIII).

Bei dem dieser Besprechung zugemessenen schmalen Raum ist
es unmöglich, auf die inhaltliche und methodische Besonderheit
von Kählers „Wissenschaft der christlichen Lehre", die Dogmatik
und Ethik ähnlich nahe wie neuerdings K. Barths „Kirchliche
Dogmatik" ineinsfa5t, nach Gebühr einzugehen. - Wem die Geballtheit
und Strenge dieser meisterlichen Gesamtdarstellung der
„christlichen Lehre" schwer zugänglich scheint, der hat eine propädeutische
Hilfe an der Neudarbietung der kleinen Monographie
„Jesus und das Alte Testament", auf Grund eines Vortrages
zuerst 1896, dann in den „Dogmatischen Zeitfragen" 2. Aufl.,
I. Bd 1907 (Zur Bibelfrage), S. 111-175 gedruckt, jetzt mit einer
Einführung von Ernst Kähler, dem Herausgeber der (bisher ungedruckten
) „Geschichte der protestantischen Dogmatik im 19.
Jahrh.", Theolog. Bücherei Bd. 16, München 1962.

„Kähler zu lesen war nie einfach", schreibt der Herausgeber,
„und ist durch die exegetische Arbeit von 70 Jahren noch schwieriger
geworden; aber es bleibt immer wieder erstaunlich, was
bei dem entschlossenen Versuch herauskommt, mit dem K. den
anstehenden Fragen vor allem kraft neutestamentlichen Aussagen
und Einsichten zu Leibe geht" (S. 11). Nicht minder erstaunlich
ist, wie Kähler, auch unter den ihm nahestehenden „Bibelverehrern
" ebenso wie unter den akademischen Amtsgencssen
seinerzeit öfter mißdeutet als verstanden, mit seiner hier am
Thema des Alten Testaments bewährten Grundkonzeption des
„wirklichen biblischen", das heißt für ihn: des „gepredigten
Christus" und mit seinem Verständnis der Bibel als der „Urkunde

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der die Kirche begründenden Predigt" die der gegenwärtigen
evangelischen Theologie über viele Gegensätze hinweg gemeinsamen
Leitgedanken hellsichtig vorweggenommen hat, obwohl
„heute kaum eines der exegetischen Urteile Kählers, wie er sie
aussprach, ungeprüft übernommen werden darf" (Einleitung,
S. 11).

„Jesus und das Alte Testament" in der endgültigen Fassung
ist eine der 6 Abhandlungen „Zur Bibelfrage", die Kähler 1907
zum I. Band der 2. Auflage seiner „Dogmatischen Zeitfragen" zusammenband
. Der 1937 veranstaltete Neudruck dieses Bandes ist
ebenso wie der des EL Bandes (1. Aufl.) „Zur Lehre von der Versöhnung
" von 1898 längst vergriffen. Daß diese beiden Bände,
wie Ernst Kähler (Einleitung S. 12) für den ersten in Aussicht
stellt, bald wieder, möglichst vollständig, zugänglich gemacht
werden, ist für die zu erhoffende Breiten- und Tiefenwirkung
des großen Hallischen Theologen ebenso wichtig wie die von
M. Fischer für 1969 angekündigte „Einführung und Erläuterungen
zu M. Kählers Wissenschaft der christlichen Lehre" von
Heinz Bernau. Schließlich wäre auch ein Neudruck des von Anna
Kähler herausgegebenen Buches „Theologe und Christ. Erinnerungen
und Bekenntnisse von Martin Kähler", Berlin 1926 nicht
weniger dringlich zu wünschen, es sei denn, er würde durch eine
diese Selbstzeugnisse aufnehmende Biographie Kählers ersetzt.

Göttingen Martin D o e r n e

Winklhofer, Alois: Eucharistie als Osterfeier. Frankfurt/M.:
Josef Knecht 1964. 235 S. 8°. Lw. DM 14.80.

Das Buch des Passauer Dogmatikers hat seinen besonderen
Stil. Überall ist zu spüren, daß dezidierte theologisch-systematische
Erwägungen seine Darstellung der Eucharistie bestimmen,
denen im einzelnen nachzugehen verlockend ist. In dem umfangreichen
Anhang „Theologische Anmerkungen" ist vieles davon
ausdrücklich angesprochen, wenn auch nicht in systematischer
Gesamtschau. Das Fragmentarische dieser Darlegungen macht die
kritische Auseinandersetzung schwierig. Es ist nicht möglich, in
der hier gebotenen Kürze jeder der angerissenen Einzelfragen
dogmatischer, liturgischer und pastoraltheologischer Art nachzugehen
. Aber der eigentliche Charakter dieses Buches liegt gar nicht
in solchen Einzelfragen. Es bietet vielmehr einen mit starkem
gelehrten Einschlag versehenen, aber nicht ausgesprochen polemischen
Ausdruck einer echten Sakramentsfrömmigkeit spezifisch
katholischer Prägung. Winklhofer selbst verwendet zur Kennzeichnung
seiner Bemühungen den nicht unbedenklichen Begriff
Mystagogie (S. 11 u. ö.).

Das Buch wendet sich an geistig anspruchsvolle gläubige
Katholiken, um ihnen eine gedankliche und meditative Hilfe zu
geben für das Hineinwachsen in die Weite und Tiefe des eucha-
ristischen Mysteriums. Sein Reiz auch für den Nichtkatholiken
besteht darin, daß hier Herztöne der Frömmigkeit spürbar werden
. Ihnen wird auch der die Achtung nicht versagen, in dessen
Sicht die Akzente anders liegen und der in einem anderen geistlichen
Dialekt zu denken und zu reden gewohnt ist. In manchen
Partien wird ihm durch diesen anderen Dialekt hindurch eine
Affinität der Aussage spürbar, so in der starken Betonung des
„pro me", in der nachdrücklichen Wertung der manducatio vor
der adoratio der Elemente, in der Herausstellung des eschatolo-
gischen Bezuges und anderem.

Worauf es Winklhofer ankommt, hat er im Vorwort (S. 9 ff.)
knapp und deutlich gesagt. Primär wichtig (1.) ist für ihn, was
schon der Titel des Buches ausdrückt: das Verständnis der Eucharistie
als Feier der Ostermysterien, worunter sowohl das pascha
passionis wie das pascha resurrectionis zu verstehen ist. In der
Eucharistie (2.) „greift" dieses Mysterium nach dem Menschen
jeder Zeit und jeder Lage. Mensch und Welt werden real mit
„hineingerissen" in Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Christi,
„so daß diese unser Tod und unsere Auferstehung, unser Opfer
und unsere Annahme durch den Vater werden." (3.) Die Eucharistie
ist zu verstehen als Sakrament der Danksagung, „in dem
Christus selber und die Kirche (!) dem himmlischen Vater in der
Darbringung der reinsten Gabe dieser Welt, des geopferten und
verherrlichten Herrn, in dieser Weltzeit ein vollkommenes Lob
. . . sagen,. . . eine ständige oblatio, deren dazugehörige immo-

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 2