Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Spalte:

132-133

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Schneider, Reinhold

Titel/Untertitel:

Allein der Wahrheit Stimme will ich sein 1968

Rezensent:

Doerne, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

181

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 2

182

Schneider, Burkhart: Die Friedensbemühungen des Vatikans
im ersten Weltkrieg (StZ 181, 93. Jg. 1968 S. 31-43).

Schwaiger, Georg: Die Aufklärung in katholischer Sicht
(Concilium 3, 1967 S. 559-566).

LITERATURGESCHICHTE
UND CHRISTLICHE DICHTUNG

Trubetzkoy, N. S.: Dostoevskij als Künstler. London -
The Hague - Paris: Mouton & Co. 1964. 178 S. gr. 8° = Sla-
vistic Printings and Reprintings, ed. by C. H. van Schoone-
veld, 56.

Die vorliegende Untersuchung des verstorbenen Wiener Sla-
visten hält sich streng an das Thema. „Uns interessiert Dostoevskij
als Dichter, d. h.: seine künstlerischen Absichten, die Mittel
, die er gebraucht, um den beabsichtigten Eindruck hervorzurufen
und schließlich der künstlerische Eindruck, den er bei
seinen Zeitgenossen hervorrief. Weder psychoanalytische Deutung
, noch die soziale oder wirtschaftliche Stellung der Romanhelden
, noch die in Dostoevskij's Werken geschilderte Natur
sind Gegenstand der Untersuchung. Uns interessiert hingegen
Dostoevskij als Mensch und als Denker (also Biographie und
Weltanschauung), freilich nicht als Selbstzweck, sondern nur insoweit
sie mit Dostoevskij als Dichter zusammenhängen" (S. 20).
Nach einer sehr kurzen Biographie des Dichters teilt der Verf.
das Gesamtwerk in drei Schaffensperioden ein. Die erste analysiert
Trubetzkoy an den Frühwerken Dostoevskijs von den „Armen
Leuten" angefangen bis hin zum „Kleinen Helden". Hier
und in den anderen Abschnitten wird jedes der bedeutenden
Werke ausführlich, die minder wichtigen aber ebenso kurz wie
prägnant referiert und anschließend analysiert. Beim jungen
Dostoevskij findet T. ein ganzes „Arsenal von Kunstgriffen und
auch von Motiven und Gestalten .... die als Bausteine für große
Romane verwendet werden konnten und ihn selbst als dichterische
Persönlichkeit kennzeichneten" (S. 85). Für Dostoevskijs
„wichtigste Entdeckung" hält Tr. die „Zwiespältigkeit des Seelenlebens
", die sich in der „Zwiespältigkeit des Dialogs" äußert, -
„das Spiel von ausgesprochenen, trügerischen und unausgesprochenen
, wahren Gedanken" (S. 83.84). Nach der Meinung T.s
kämpfte Dostoevskij mit seinen Kunstmitteln gegen die Maskcn-
und Marionettenhaftigkeit der Gestalten Gogols an, gegen ihre
innere Seelenlosigkeit, indem er sie durch „psychologische Vermenschlichung
" aus blofjen Schemen zu Trägern „unlösbarer Rätsel
" machte (ebenda). Im Kapitel über die zweite Schaffensperiode
zeigt Verf. den Dichter auf den Wegen mannigfacher poetischer
Experimente von „Onkelchcns Traum" über das „Gut Stepanci-
kovo", „Erniedrigte und Beleidigte'* bis zur gelungenen kleinen
Humoreske „Eine dumme Geschichte". Von dieser meint T., daß
sie den Weg gewiesen habe, „auf welchem Dostoevskij zu seiner
dritten Periode kommt: die Polemik gegen bestehende Ideologien
verbindet sich mit der psychologischen Technik, die Dostoevskij
bereits erworben hat, wobei diese Verbindung so vor
sich geht, daß sich der Dichter in einen Anhänger der bekämpften
Ideologie hineinversetzt und sein Seelenleben aus unmittelbarer
Nähe schildert" (S. 113). Die dritte Schaffensperiode beginnt
nach T. mit den „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch", bei
denen der Dichter „eine Ideologie als Mittel der Charakteristik
verwendet", mehr noch: „Eine paradoxe Ideologie, die aus einer
polemischen ,reductio ad absurdum' entstanden ist, wurde mit
individuellen Zügen verbunden - und dadurch zur Figur. Darin
liegt das prinzipiell Neue im Schaffen Dostoevskijs" (S. 119.120).
T. zeigt weiter, wie der Dichter in seinen großen Romanen
„Schuld und Sühne", „Der Idiot", „Die Dämonen", „Der Jüngling"
und „Die Brüder Karamazov" die Technik des „polyphonen Romans
" zur Vollkommenheit entwickelt. Den Begriff übernimmt
T. vom sowjetischen Literaturforscher M. Bachtin, dessen Buch
„Problemy poetiki Dostoevskogo", in einer zweiten überarbeiteten
und vervollständigten Ausgabe erschien, Moskau 1963. Der
Verf. schließt seine Darstellung mit folgenden Sätzen ab: „Überblickt
man den dichterischen Werdegang Dostoevskijs, so muß
man feststellen, daß in den Werken der ersten, vorsibirischen
Periode sich vor allem die Darstellungstechnik herausbildete:
die Verwandlung des Objekts der Darstellung in ein Subjekt
der Darstellung und die damit verbundene Ausschaltung des
eigenen Standpunktes; die Methode, aus unmittelbarer Nähe darzustellen
; die gewollte Mehrdeutigkeit und unlösbare Rätsel;
das Spiel der verborgenen und ausgesprochenen Gedanken; die
Darstellung der Persönlichkeit als Ringen entgegengesetzter psychischer
Elemente. In den Werken der Übergangszeit entstehen
Schemata für größere Kompositionen: schematische Gestalten,
von denen viele in späteren Werken zu lebendigen Menschen
werden; schematische Kompositionsgebilde; die Technik der katastrophalen
Massenszenen und die Charakteristik durch Dialoge
und Gegenüberstellungen. Gleichzeitig wird psychologisches
Rohmaterial gesammelt; in den publizistischen Schriften formt
sich die besondere Art, gegnerische Weltanschauungen polemisch
zu behandeln. In der letzten Periode, der Reifezeit, werden alle
bisher ausgearbeiteten Kunstmittel für eine besondere, eine neue
Form - den ideologisch-psychologischen Roman - verwendet.
Als unübertroffener Meister dieser Form tritt Dostoevskij in die
Weltliteratur ein" (S. 178).

Die Untersuchung T.s wurde, wie das Vorwort mitteilt, von
ihm nicht für den Druck vorbereitet. „Es handelt sich um Notizen
und in Form von Konzepten festgehaltene Gedanken zu einer
Vorlesungsreihe über Dostoevskij" (S. 5). Diese Tatsache macht
sich an einigen Stellen in Stil und Durchführung bemerkbar.
Manche Probleme bleiben offen. So stand z. B. Dostoevskij wie
Gogol in Gefahr, einem bestimmten, bei ihm „psychoanalytischen
" Schematismus zu verfallen, die „Zwiespältigkeit der Seele"
zu einer an den Kunstmitteln fixierten Konstruktion zu machen.
Die Figurationsreihe Idiot-Myskin-Idiot-Alesa zeigt das sehr deutlich
, ebenso, wie der Dichter dieser Gefahr zu entgehen verstand.
Es fehlt ferner ein näheres Eingehen auf die Welt der Jugendlichen
, die im Werk Dostoevskijs gerade von der Seite poetischer
Mittel und kompositorischer Technik eine wichtige Rolle
spielen. Daß Kolja Krasotin und Il'jusa in den „Brüdern Karam-
zov" neu seien, ist wohl nicht ganz richtig. Kolja Krasotin hat
ohne Zweifel in Kolja Ivolgin im „Idioten" einen Vorläufer. Die
von T. mit Recht herausgestellte Technik der, wie ich es nennen
möchte, „indirekten Verifikation" wird von Dostoevskij bezeichnenderweise
bei solchen Jugendlichen wie den „Koljas", aber
auch bei Frauengestalten (den „Sonjas" und „Katharinas"), aufgegeben
. Der Stil ihrer Aussagen ist aus anderen Elementen,
wie bei den Erwachsenen zusammengesetzt. Das gleiche gilt für
die Partner der „Koljas", Myskin und Alesa. Es ist bekannt, daß
und wie intensiv Dostoevskij sich mit dem Lebensstil der Jugendlichen
beschäftigt hat, um ihn in seiner Dichtung dem der
Erwachsenen entgegenzustellen.

Das Buch Trubetzkoys ist eine anregende Lektüre. Wer den
großen russischen Dichter bei seiner Arbeit kennenlernen will,
der wird hier eine besonnene und im besten Sinne belehrende
Einführung finden.

Halle/Saale Konrad Onssch

Schneider, Reinhold: Allein der Wahrheit Stimme will ich
sein, hrsg. v. C. Winterhalter. Freiburg-Basel-Wien:
Herder [1962]. 255 S. 8". Lw. DM 17.50.

- Begegnung und Bekenntnis. Mit der Freiburger Gedenkrede
von Werner Bcrgengruen, hrsg. v. Curt Winterhalter.
Ebda. [1963]. 271 S. 8°. Lw. DM 18.80.

Beide Nachlaßbände sind von Curt Winterhalter, dem Freunde
und klugen Verwalter von Schneiders literarischer Hinterlassenschaft
herausgegeben. Winterhalters editorischer Sorgfalt verdanken
wir auch das 1963 erschienene Gedenkbuch „Erfüllte Einsamkeit
", das neben lebens- und werkgeschichtlichen Selbstzcugnis-
sen des Autors auch seine Rede „Der Friede der Welt" (1955, anläßlich
der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels
) enthält, und schließlich den weiteren Nachlaßband „Verpflichtung
und Liebe", eine weiträumige Bildergalerie zur europäischen
Geistes- und Seelengeschichte von Sokrates, Augustinus,