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Ausgabe:

1968

Spalte:

126

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Scheible, Heinz

Titel/Untertitel:

Die Entstehung der Magdeburger Zenturien 1968

Rezensent:

Neuser, Wilhelm H.

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Teil der Genesisvorlesungen ist, brauchen bei der kurzen Anzeige
des Werkes daher nicht in den BiKck genommen zu werden
. Indes fällt auf, dafj die Wiedergaben von Luthers Übertragungen
einzelner Schriftstellen nicht wörtlich nach Luthers Text
übersetzt sind, sondern sich an geläufige englische Übertragun
gen des Urtextes anlehnen, jedoch nicht immer an die Authori
zed Version mit ihrem altertümlichen Englisch, sondern auch in
einzelnen Fällen an neuere Übersetzungen. Auch bat man sich
zur Textkritik nicht immer an die Weimarana gehalten. Folgendes
diene als Beispiel. Wo WA 44,798 „superbiores" zugrundelegt
, geht die amerikanische Übersetzung von „superiores" aus.
Bei WA 44,825 wird anheimgestellt „der über Genesis" (lateinisch:
Über) zu lesen, während unsere Ausgabe „der liebe Genesis"
(deutsch: Lieb) sagt. Will man diesen und ähnlichen Freiheiten
folgen oder nicht, man wird dankbar sein, diese letzte Vorlesung
Luthers, deren Schlußkapitel dieser Band bringt, nun in einer
ernstzunehmenden Übertragung ins Englische zu besitzen. Die
Kapitel wurden vom Reformator im Jahre vor seinem Tode gelesen
. Sehe ich recht, so ist die zugrundeliegende Nachschrift indessen
nicht immer allzu eindeutig, man woiß daher nie ganz
genau, wieweit hier Luther wirklich zu uns redet.

Bad Tölz-Oberfischbach Cornelius Frhr. von H e y I

Ludolphy, Ingetraut: Was Gott an uns gewendet hat. Luther
Studien. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt [1965]. Uli S. 8°.
Lw. M 4.50.

Verf. legt uns fünf Studien vor, die „aus unterschiedlichen
Anlässen entstanden und an verschiedenen Stellen zuerst veröffentlicht
worden" sind (9). In der ersten zeichnet sie uns auf
Grund der Quellen ein verständnisvolles Bild von Katharina von
Bora, der „Gehilfin" Martin Luthers. Wie sehr Luther mit seiner
Frau, über die er sich oft geäußert hat, manchmal auch kritisch,
wenn auch mit einem scherzhaften Unterton, im tiefsten verbunden
war, zeigt am besten die Tatsache, daß er den ihm besonders
wichtig gewordenen Galaterbrief „meine Käthe von Bora" nennen
konnte (30). - Die zweite Studie stellt Luther und den Kaiser
einander gegenüber. Verf. betont, daß Karl Reformkatholik
war, also keineswegs alles beim alten lassen wollte, da5 er sich
aber von Luther und seiner Botschaft seit dem Reichstag zu
Worms im Innersten geschieden wußte. Mit einem notorischen
Ketzer wollte er nichts zu tun haben. Luther irrte sich, wenn er
den Kaiser anders beurteilte. Und gerade „dieser erklärte und
mächtige Gegner Luthers mußte indirekt dessen Reformation fördern
" (36). Obwohl Luther wußte, „wie hilfreich es für ihn und
die Sache der Evangelischen war, wenn dem Kaiser die Hände
gebunden waren", stand er doch gegen die Türken ganz auf der
Seite Karls und betete für seinen Sieg (39). - „Luther über die
Astrologie" ist das Thema der dritten Studie. Im Unterschied zu
Melanchthon und vielen Humanisten stand Luther der Astrologie
überwiegend kritisch gegenüber. Er begründet seine ablehnende
Haltung, mit der er übrigens in einer Tradition steht, die über
Trutvetter, Occam auf Augustin zurückgeht, z. T. mit rein intellektuellen
Bedenken (Verf. stellt zwölf zusammen) (47-52). Doch
die entscheidenden Gründe liegen für ihn auf theologischem Gebiet
: die Astrologie verstößt gegen das erste Gebot, sie erniedrigt
die Gestirne, die Gott dem Menschen zur Freude gab, zu
bösen Vorzeichen, sie macht das, was Gottes Werk ist (wie die
Wiederentdeckung des Evangeliums) zu einem Werk der Sterne
und stellt es so auf unsicheren Grund, sie ist seelsorgerlich gefährlich
, sie degradiert den Menschen, der zur Herrschaft über
die Kreaturen bestimmt ist, sie entlastet den Menschen von der
Verantwortung und verharmlost die Sünde, das Gebet ist stärker
als die Macht der Sterne. - Die vierte Studie behandelt „Luther
als Beter". Ausgangspunkt und Ziel der Gebete Luthers „waren
Gottes Ehre, Reich und Wille" (70). Das Horenbeten lehnt er als
Menschenwerk ab, weil es mit seiner Gesetzlichkeit Gott die Ehre
nimmt (75). Gott erweist „seinen Geschöpfen die Ehre, sie durch
ihr Beten zu Mitarbeitern in seinem Reiche zu machen" (80). -
Das fünfte Thema heißt: „Luther hilft uns zum Verständnis der
Natur". Die Natur ist für Luther Gottes unmittelbare Schöpfung
nicht bloß an ihrem Anfang, sondern in ihrem ganzen Werden.

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Außerdem ist sie Werkzeug für Gottes Wirken, Gleichnis für Gottes
Offenbarung (vestiigium) und Träger für Gottes Gegenwart.
Verf. würdigt diese Aussagen in ihren theologiegeschichtlichen
Bezügen.

Korrigenda: S. 28 lies diabolum statt diabolem.

Halle/Saale Erdmann Schott

Scheible, Heinz: Die Entstehung der Magdeburger Zentu-
rien. Ein Beitrag zur Geschichte der historiographischen Methode
. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn [1966].
78 S. 8° = Schriften des Vereins f. Reformationsgeschichte,
183, Jahrg. 72. Kart. DM 13.50.

Der Vf. bietet in dem Büchlein eine Zusammenfassung von
Teilen seiner Heidelberger Dissertation „Der Plan der Magdeburger
Zenturien und ihre ungedruckte Reformationsgeschichte"
(1960) (Anm. 4). Es wird deutlich, daß er die Entstehung der
Zenturien gründlich erforscht hat. Auf die Fertigstellung des gewaltigen
Werkes geht er nur kurz ein, auf die inhaltliche Qualität
gar nicht. Um so ausführlicher wird die Planung beschrieben.
Die Diskussion um die Einteilung in Zenturien und um deren
Unterteilung in eine Folge von 16 immer wiederkehrenden Sachabschnitten
(Loci) werden dem Leser eingehend geschildert. Des
Flacius Plan nimmt Gestalt an und setzt sich durch. Der Kreis
der Mitarbeiter wird vorgestellt und der Anteil jedes einzelnen
am Werk festgestellt. Die Beurteilung der Zeitgenossen (Calvin,
Gesner, Hyperius u. a.) läßt erkennen, wie fremd der Zeit eine
Darstellung der Kirchengeschichte ist, die nach Sachgebieten geordnet
ist. Die chronologisch vorgehende Methode der Kirchengeschichtsschreibung
, die notwendig die handelnden Personen
hervorhebt, bleibt vorerst die gebräuchliche. Im 16. Jahrhundert
wird die Lokalmethode nur selten übernommen (J. Pappus, M.
Dresser), im 17. Jahrhundert gewinnt sie bedeutende Anhänger
(J. G. Hottinger, Fr. Spanheim d. J., G. Arnold). Die Einteilung in
Zenturien wird allmählich durch die in sachgemäße Perioden abgelöst
. Es wird deutlich, daß Flacius durch seine Methode eine
neue Epoche der Kirchengeschichtsschreibung eröffnet. Seine Abhängigkeit
von den humanistischen Profanhistorikern Beatus
Rhenanus und (dessen Schüler) Wolfgang Lazius, die der Blon-
dus-Schule entstammen, vermag seine Bedeutung für die Kirchcn-
geschichtsschreibung nicht zu vermindern.

Die Loci-Methodc übernimmt Flachis von Melanchthon. Hier
erheben sich Fragen. Während der Wittenberger Reformator loci
communes theologici und philosophici ausarbeitet, legen Flacius
und seine Mitarbeiter eine bestimmte Zahl von loci historici fest,
die Melanchthon nur unbestimmt ins Auge gefaßt hat. Da nun
die theologischen (und philosophischen) Loci bei Melanchthon
keine lose Zusammenstellung von Lehrstücken ist, vielmehr ein
geschlossenes System wiedergeben, fragt es sich, welche Struktur
den loci historici der Zenturien zugrunde liegt. Melanchthon
leitet seine Loci von einer moralisch verstandenen biWischen
(und philosophischen) Glaubenslehre ab. Diese Methode scheint
Flacius verlassen zu haben. Allem Anschein nach sind seine loci
von der apologetisch-antiromischen Tendenz des Werkes her zu
verstehen, die der Anlaß seiner Entstehung sind. Nur so können
die Loci u. E. als Einheit verstanden werden.

Zu einer zweiten Überlegung gibt der Titel Anlaß: Eccle-
siastaca Historia (usw.). Die Magdeburger Zenturien scheinen
aber nach heutigem Maßstab nicht allein eine Kirchen-, sondern
auch eine Dogmengeschichte zu sein. Das liegt in ihren Wesenszügen
begründet. Die Einteilung in Zenturien unterbricht den
lebendigen Gang der Kirchcngeschichte und erleichtert die immer
wiederkehrende Frage nach Lehre und Irrlehre. Die Loci-Methode
aber ist eher ein Ordnungsprinzip der Dogmen- als der Kirchengeschichte
. Ob nicht dieser Doppelcharakter der Magdeburger
Zenturien ihre allgemeine Durchsetzung in der Kirchengeschichte
hemmte?

So regt das ausgezeichnete Büchlein zu weitreichenden Überlegungen
an. Die sorgfältige Darlegung der geschichtlichen Fakten
und Zusammenhänge verdient volle Anerkennung.

Münster Wilhelm Neuser

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 2