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Ausgabe:

1968

Spalte:

124-125

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Luther's works. Vol. 8. Lectures on Genesis, chapters 45-50 1968

Rezensent:

Heyl, Cornelius Wilhelm Bruno

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 2

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gleichendem Quellenstudium, vor allem an Hand der Institutio 1536
nach, wie es zu solcher innern Berufsgewißheit gekommen ist
und wie sie sich äußerte. Dazu zeigt Ganoczy sehr eindrücklich,
wie bis oft in den Wortlaut hinein, vor allem Luther, aber auch
Melanchthon, selbst Zwingli, demgegenüber Calvin sich bekanntlich
doch reserviert verhielt, nicht zu vergessen Bucer, bei der Abfassung
der Institutio 1536 Calvin inspirierten. In Ablehnung werden
die Scholastiker angegangen, freilich nur das Decretum Gra-
tiani und die Sentenzen des Petrus Lombardus berührt. Auch finden
sich Anklänge an den humanistischen Reformismus. Die
Grundstrukturen calvinischen Denkens treten schon deutlich hervor
: Das Soli Deo gloria, die Prinzipien des Solus Christus und
das Verbum Dei. (Die Losung sola scriptura braucht Calvin in
der Institutio 1536 nicht.) (205) Dem Ideal christlicher Frömmigkeit
hält Calvin die römische Verzerrung entgegen: die Werk-
gerechtigkeit, den Aberglauben (damit meint er die Messe), den
Götzendienst (mit Heiligenbildern, der Hostie). Wahre Frömmigkeit
ist: die Pietas, die Vera Religio, der Cultus in spiritu et veri-
tate, so statt der Messe das sacrificium laudis der Gemeinde, die
den Glauben lebt. Bezeichnend ist, daß Ganoczy, Calvins Kritik
und Ideal betreffend die Lehre (theologie scolastique im Verhältnis
zu doctrine fondee sur la simplicite de l'Ecriture) und die
Kirchenverfassung (critique du „regnum papale" und „regnum
Christi") in besonderen Abschnitten behandelt. An diesen beiden
Stellen wird dann seinerseits die Kritik am Reformator einsetzen
, dem er sonst mit so viel sich einfühlendem Verständnis und
herzlicher Wärme begegnet („homme intelligent" 86.90.139.336.
366; de „l'elite intellectuelle" 124; „homme genial" 20) und dessen
Entwicklung zum Reformator für ihn ein „Drama des Glaubens
" ist.

Nachdem noch kurz der Reformationsplan Calvins skizziert (5)
wird, wendet sich endlich im 3. Kapitel der Verfasser im Blick
auch auf die ökumenische Haltung und Gestaltung den Fragen
zu, die in die Tiefe des Problems führen. Sie lauten: 1. Was bedeutet
eigentlich Calvins „Bekehrung"? 2. Ist er Schismatiker? 3.
Wie steht es mit seiner Berufung? Fassen wir die Resultate der
langen, sorgfältigen Erörterungen zusammen, so kommt Ganoczy
zu folgenden Schlüssen: Die in der Calvinforschung viel umstrittene
Frage der Conversio subita ist auch bei späterer Datierung
nicht zu verstehen als Obertritt von einer Kirche in eine andere,
sondern als Bußbekehrung (conversion penitentielle) im biblischen
Sinne, wobei gerade das subita nicht als zeitlich plötzlich,
sondern als unerwartet, vor allem von Gott, durch seinen wunderbaren
Eingriff bewirkt, verstanden werden muß (ähnlich so
der protestantische Historiker E. G. Leonard subita = subie. 303
Anm. 147) 2. Calvin ist kein Schismatiker, indem - wie bei den
andern Reformatoren - so bei ihm die Versicherung immer wiederkehrt
, daß es ihm nicht darum geht, die Una sancta catholica
Ecclesia zu verlassen, sondern mitzuhelfen, in ihr, sie in ihrer ursprünglichen
Wahrheit und Reinheit wiederherzustellen. Calvin
beruft sich dabei auf das alttestamentliche Prophetenamt, und der
römisch-katholische Priester-Historiker nimmt diesen calvinischen
Prophetismus durchaus ernst und erklärt ihn angesichts
der Entartung der Kirche zur Zeit Calvins als durchaus notwendig
, sofern er den Kommerzialismus des Bußwesens, den Materialismus
in den Sakramentalien, den Legalismus der kirchlichen
Praktiken betrifft. Ja, Ganoczy weist hin auch auf den moralischen
Laxismus im hohen und niedrigen Klerus, den Calvin selber
wenig erwähnt („de moribus non loquor" 248). Dagegen mangelte
nun, nach unserem Autor, dem Reformator das sakramentale
Verständnis für die Kirche, und er verwechselte unzulängliche
, nicht verpflichtende Schulmeinungen und bloß kanonische
und darum veränderliche Bestimmungen mit dem eigentlichen
Dogma der Kirche, (?) wie dieses dann im Tridentinum, im Vaticanum
I und nun im Vaticanum II geklärt worden sei (266 s).
Der große Fehler der Kirche auch Calvin und gerade ihm gegenüber
, sei gewesen, anstatt mit ihm in einem Dialog einzutreten,
nur mit Bann und Gewalt zu antworten (366). Denn trotz aller
schärfster Kritik der Entartungen in der Kirche war doch die
reverentia Ecclesiae Grundzug seiner Ekklesiologie (30.96). Bei
aller Betonung der Unsichtbarkeit der Kirche anerkannte er, daß
sie auf Erden Gestalt (unter Vermeidung des „formalisme, une
forme, conforme ä l'Evangile" [253]) annehmen muß. Bei aller

Hochachtung des Grundsatzes des allgemeinen Priestertums der
Gläubigen sah Calvin ein ministere extraordinaire der Prediger
vor, die nach innerer und äußerer vocatio, rite ordiniert werden
sollten (336.345). Ein Episkopat wird von ihm nicht abgelehnt.
(Hier hätte auch noch J. Pannier, Calvin et l'episcopat, 1927 angeführt
werden können.) Geistgeleitete Synoden sind Calvin wichtig
(115). Wichtig erscheint Ganoczy, daß Calvin die objektive Validität
der Taufe, auch der römischen, anerkennt (256). Bekämpft
er auch die Messe, besonders die private, so soll doch das Abendmahl
häufig gefeiert werden. Im Gottesdienst hat mit der Wortverkündigung
auch die Adoratio in Gebet und Gesang ihren festen
Platz. So lautet denn des Autors Antwort auf die dritte Frage
nach der Realität der Berufung Calvins in subjektiver Hinsicht
durchaus positiv. Trotz der vor allem seit 1541 sich verstärkenden
Härten des älteren Calvin sieht er in ihm den prophetischen
Reformator. Aber mehr noch in objektiver Richtung im
Blick auf die Kirche in ihrem Geschichtsverlauf. Darum schließt
nicht nur der rückwärtsblickende Historiker, sondern der auf die
Gegenwart und in die Zukunft schauende Ökumeniker sein Buch
mit den Worten: „La vocation reformatrice de Calvin, de facteur
de division qu'elle fut pendant quatre siecles. peut donc devenir
d'une certaine facon facteur de reunification."

Das große Lob, das Joseph Lortz im Vorwort (deutsch mit
französischer Übersetzung) dem Werk spendet, erscheint auch
dem Rezensenten, trotz gewisser Vorbehalte, die er als evangelischer
Theologe macht, wohlverdient. Eine Arbeit dieser Art, in
solcher Gesinung verfaßt, berechtigt zu guten Hoffnungen.

Bern Otto Erich Strasser

Luther's Works. Vol. 8. Lectures on Genesis, Chapters
45-50. Ed. by J. Pelikan, and W. A. Hansen. St. Louis/
Miss.: Concordia Publishing House (1966). X, 360 S. gr. 8°.
Lw. S 6.-.

Diese amerikanische Ausgabe aller bedeutenderen Werke von
Luther ist auf 55 Bände angelegt, von denen bereits eine stattliche
Anzahl erschienen ist. Die Edition ist ein Gemeinschaftswerk
der Lutherischen Kirche - Missourisynode und der Amerikanischen
Lutherischen Kirche und zwar so, daß je etwa die
Hälfte der Bände im Zentralverlag der einen und der anderen
Kirche erscheint. Die herausgeberische Verantwortung liegt weitgehend
bei Jaroslav Pelikan von der Yale Universität. Kurze Einführungen
in die Materie einzelner Bände sind für ein breiteres
Publikum berechnet. Es wird ein modernes Englisch angestrebt.
Wie die Generaleinleitung zu den Psalmenbänden in Band 12'
betont, sahen sich die Herausgeber stellenweise auch gezwungen,
vom Weg der Weimarana abzuweichen, die also hier nicht einfach
übersetzt ist. Im Gegensatz zur französischen (auf weit weniger
Bände angelegten) Ausgabe von Luthers Werken im Verlag
Labor et Fides, Genf, wird ein gängiges Englisch auch da angestrebt
, wo andere Übersetzung, die immerhin dem heutigen
Leser noch verständlich wäre, textnäher geblieben wäre. Die
französische Ausgabe bewahrt in der Diktion mehr Patina als
diese englische. Natürlich hat dieses Bestreben Grenzen. Es diene
als Beispiel Luthers gelegentliche Verwendung des Ausdrucks
„Meister Hans"; dies etwa mit „master John" wiederzugeben,
wäre selbst dann verfehlt, wenn man sich mehr als hier geschehen
an den Urtext anlehnen wollte, bedeutet der Ausdruck doch
im Deutsch jener Zeit schlicht „Scharfrichter". Der Ausgabe sind
auch Zusatzbände beigegeben, deren bedeutendster wohl der von
Jaroslav Pelikan stammende über Luther als Exegeten ist. Gerade
hier aber wird deutlich, daß entgegen der orthodoxTaltliutherisehen
Tradition der Lutherischen Kirche - Missourisynode (der Pelikan
angehört und die für viele Bände verantwortlich zeichnet) sehr
unorthodoxe Auffassungen über Luthers Theologie vertreten werden
. Im einzelnen kann hier nicht weiter darauf eingegangen
werden, doch mag sich diese Grundhaltung auch auf die editorische
Arbeit ausgewirkt haben.

Der Theologischen Literaturzeitung ist zunächst dieser eine
Band zugegangen - wohl als Probe für das ganze Mammutwerk
-, mit der Bitte, dieses anzuzeigen, was hiermit geschieht.
Einzelne Probleme gerade dieses Bandes, der zudem nur ein

') Band 12 Ist zeitlich vor Band 8 erschienen.