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Ausgabe:

1968

Spalte:

121-124

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Ganoczy, Alexandre

Titel/Untertitel:

Le jeune Calvin 1968

Rezensent:

Strasser, Otto-Erich

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offentlichung ist nun die subtile Untersuchung von Dieter Gir-
gcnsohn erschienen: Peter von Pulkau und die Wiedereinführung
des Laienkelches (Veröffentlichungen des Max-Plank-Instiruts für
Geschichte, Bd. 12), Görtingen 1964. Hier wird das obige Problem
aufgegriffen und mit überzeugenden Argumenten für eine
Abhängigkeit des Nikolaus von Dinkelsbühl von Peter von Pulkau
eingetreten, vgl. a. a. C, 210-216 und S. 217-250, bes.
S. 214.

Die Linien, die der Verf. von Nikolaus zu Gabriel Biel (66 bis
70) und Luther (70-83) ausziehen möchte, bedürften wohl eines
durchgeführten Beweises. »Es ist wahrscheinlich, da5 auch Biel
das Sentenzenwerk des Wiener Magisters gelesen hat, ebenso
umgekehrt Biels Sermones handschriftlich in Wien vorliegen"

(66) - das ist die Beweisgrundlage des Verf. für die von ihm
angenommene Kenntnis Biels von den Sentenzen des Nikolaus.
Wenn der Verf. sodann „dieselbe Beweisführung" bei beiden
Autoren in der Frage der substantiellen und akzidentiellen Teile
der Eucharistie erkennt - freilich hinzufügt: „Allerdings ist diese
Scheidung allgemeines theologisches Gut des 15. Jahrhunderts"

(67) (wir fügen hinzu: Allgemeingut der Abendmahlstheologie
seit dem 11. und 12. Jh., vgl. jetzt Dieter Girgensohn, a. a. O.,
bes. S. 107], so ist es unerklärlich, wie der Verf. dann ohne weitere
Begründung eine „mittelbare Abhängigkeit Luthers" von den
Werken des Nikolaus von Dinkclsbühl „belegen" will mit dem
Hinweis auf Luthers Kenntnis der Expositio canonis missae des
Gabriel Biel (76).

Die vom Verf. angekündigte Textausgabe des Traktates „Ba-
roncs regni Bohemiae" (Die Abendmahlslehre des Nominalismus,
a. a. O., S. 82) dürfte auf Grund des obigen Hinweises auf die
Edition bei H. v. d. Hardt wohl nicht erforderlich sein.

Erlangen Ernst-Wilhelm Kohls

Gauss, Julia: Ost und West in der Kirchen- und Papstgeschichte
des 11. Jahrhunderts. Zürich: EVZ-Verlag [1967]
141 S. 8°. Kart. DM 12.80.

Khoury, Adel - Theodore: Die Einstellung der Byzantinischen
Kirche zur islamitischen Welt nach dem Fall von Konstantinopel
(Concilium 3, 1967 S. 538-543).

Manrique, Andres: Comunidad agustiniana y perfeeeiön
(Revista Agustiniana de Espiritualidad 8, 1967 S. 15-22).

Weif}, Konrad: Die Hermeneutik des Meister Eckhart (StTh
21, 1967 S. 1-12).

— Meister Eckhardts philosophische und theologische Autoritäten
(StTh 21, 1967 S. 13-19).

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Ganoczy, Alexandre: Le Jcune Calvin. Genese et Evolution de
sa Vocation Reformatrice. Mit einer Einleitung v. J. L o r t z.
Wiesbaden: Steiner 1966. XXXII, 382 S. gr. 8° = Veröffentl. d.
Inst. f. Europäische Geschichte Mainz, 40. Abt. abendländ. Religionsgeschichte
, hrsg. v. J. Lortz. Kart. DM 58.-.

Dieses Buch ist das Werk eines jungen römisch-katholischen
Priesters, der es im Institut für europäische Geschichte, Mainz, in
der von Joseph Lortz geleiteten Abteilung Abendländische Religionsgeschichte
(richtiger von ihm „Abteilung für historisch-öku-
nienische Forschung" genannt) erarbeitete. Wie Joseph Lortz
bahnbrechend geworden ist in der neuern katholischen Forschung
zur Reformationsgeschichte, insbesondere zu Luther, und für eine
neue Geisteshaltung dem Reformationsgeschehen gegenüber, so
hat es nun auch sein Schüler Alexandre Ganoczy, Ungar von Herkunft
, aber französischer Nationalität, unternommen, in französischer
Sprache den Werdegang Johannes Calvins zum Reformator
darzustellen. Er gliedert seine umfangreiche und eingehende
Untersuchung in drei Kapitel. Er versucht diese Entwicklung Calvins
zunächst historisch - nach ihrer Länge -, dann systematisch
- nach ihrer Breite - und endlich nach ihrer praktischen Bedeu-

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tung - nach ihrer Tiefe - zu erfassen. Mit großer Behutsamkeit
geht dabei der Verfasser ans Werk. Er unterscheidet genau zwischen
quellenmäßig gesicherten Ergebnissen und bloß vermutender
Probalität und deutender Hypothese. Die vielen Quellenschriften
wurden gewissenhaft erforscht und ausgeschöpft und
die Belegstellen - zum Vorteil für den Leser - im lateinischen
oder französischen Text Calvins oder dem Zitat anderer Autoren
in der laufenden Darstellung oder in reichlichen Fußnoten wiedergegeben
. Eine, auch Artikel und Zeitschriften berücksichtigende
, überaus reichhaltige Bibliographie der Calviniana bis 1965
und ihre Verwendung in Zustimmung, Erwägung oder Ablehnung
zeigt, wie intensiv der junge Calvinologe sich mit der Forschung
seiner Vorgänger abgegeben und auseinandergesetzt hat. In kluger
Begrenzung - ein Vorzug, der sich auch sonst in seiner Arbeitsweise
zeigt - hat er nur den jungen Calvin, aber in dessen
entscheidender Entwicklung, in der zum Reformator, zum Gegenstand
seines Studiums und seiner Darstellung gemacht. Aus dieser
Jugendentwicklung will er ihn erfassen und nicht, wie dies
ja meistens geschieht, aus der Optik des älter gewordenen Reformators
Calvin, oder gar wie er, durch die Brille des späteren Calvinismus
gesehen, erscheint (270). Das Werden Calvins zum
Reformator ist unserem Autor vor allem wichtig, denn, wenn es
stimmt, dafj Calvin Geschichte gemacht hat, so gilt auch, daß die
Geschichte ihn gemacht hat, auch zum Reformator (2).

So betitelt sich denn das 1. Kapitel des Buches mit Historische
Untersuchung über die religiöse Entwicklung Calvins zwischen
1523 und 1539. Das geistig-geistliche Profil des jungen Calvin wird
zunächst gezeichnet, als geprägt durch den Atmosohärendruck
damaliger Kirchlichkeit, zunächst in der Heimat Noyon, dann als
Schüler am College de la Marche und in der Artisten-Abteilung
des College Montaigu in Paris, ja auch noch als Student der Jurisprudenz
in Orleans und Bourges. Kirchlich freier und weiter
wird der Blick des jungen Calvin in der Begegnung mit einem
reformistisch betonten christlichen Humanismus (Erasmus, Le-
fevre d'Etaples, Briconnet, Gerard Roussel, Marguerite de Val-
vois; humanistisches Erstlingswerk Calvins zu Senecas „De dementia
"). Dann aber vertieft und verinnerlicht sich die Schau,
nach Ganoczy, weniger im Umgang mit seinem Verwandten Oli-
vetan, dem Übersetzer der Bibel ins Französische, oder mit Calvins
Lehrer des Griechischen, dem lutherisch gesinnten Schwaben
Wolmar, als durch eigene Lektüre von Lutherschriften und
persönliches Studium der Bibel (erste, ganz biblisch betonte
Schrift des Laientheologen, die „Psychopannychia", eine Streitschrift
gegen die wiedertäuferische Lehre vom Seelenschlaf der
Verstorbenen). Von einer Verfasserschaft Calvins an der von der
Sorbonne verdammten Rektoratsrede seines Freundes Cop ist
abzusehen. Aber unter dem Eindruck der Martyrien von Evangelischen
und selber unter dem Druck der Verfolgung seitens der
mit der Kirchenmacht verbündeten Staatsgewalt flieht Calvin
nach Basel. Hier erst, während etwa 15 Monaten stiller Sammlung,
ein erstes Mal evangelische Gemeinde erlebend und in Gemeinschaft
des Geistes mit ökolampad, Zwingii, Farel, Bucer, vor allem
aber in Anlehnung an Luther, und doch wieder in ausgesprochener
Selbständigkeit, vollendet Calvin die Erstausgabe seiner
Institutio Religionis christianae 1536, das Zeugnis davon, daß er
evangelisch nicht nur, sondern evangelischer Reformator geworden
ist. Nach dem Abstecher zu der reformfreundlichen Herzogin
Renata in Ferrara, den kurzen Besuchen in Basel und in Frankreich
, verläßt er die Heimat für immer. Der Laientheologc wird
durch Farel ins Reformationswerk nach Genf gerufen. Erfolg und
Mißerfolg daselbst stärken und dämpfen die Gewißheit ssiner
Berufung, bis diese im Exil zu Straßburg in Zusammenarbeit mit
den Reformatoren (Bucer besonders und Capito in dieser Stadt und
in Deutschland Melanchthon) sich endgültig festigt. Nach den eingehenden
Untersuchungen Ganoczys über die religiöse Entwicklung
Calvins zwischen 1523 und 1539 dürfte die Annahme einer frühen
(wohl schon 1528) erfolgten „Bekehrung" Calvins zum evangelischen
Christen und gar noch zum Reformator, aufgegeben
werden. Dagegen ist festzuhalten, daß Calvin nicht als Geweihter,
Ordinierter, sondern als Laie vom Juristen zum Theologen wurde
und sich zum Reformator berufen wußte.

Im 2. Kapitel weist nun der Verfasser in eingehendem ver-

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 2