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Ausgabe:

1968

Spalte:

118-119

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Bonaventura, Collationes in Hexaemeron. Das Sechstagewerk 1968

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 2

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mählich hinzu (16 ff., 79). Aber Erzbischof Guiskard von Lyon soll
bereits 1173 Waldes Bettel und Predigt verboten haben (17 f.,
24 f., 57). Zu diesem Datum berichtet eine Quelle die Bekehrung
des Waldes. Boehmers Korrektur an diesem Datum (1176; s. RE3
XX, 806, 60) wird nicht berücksichtigt: Boehmers grundlegender
Artikel ist der Vf.in entgangen. Mehr: auch die Gehorsamsverweigerung
unter Berufung auf Act. 5, 29 soll bereits in dies Jahr
fallen (57), also geradezu am Anfang der WaLdensergescbichte
stehen. Wo bleibt die langsame Entwicklung von der Armut zur
Predigt? Es kommen noch mehr Widersprüche. Trotz jenes Ungehorsamsaktes
wird der Gemeinschaft in Rom 1179 eine relativ
freundliche Behandlung zuteil: der Elan der Gemeinschaft wird
nur vorsichtig gezügelt; Waldes kehrt, von jedem Häresieverdacht
gereinigt, nach Lyon zurück (24 f.). Einige Brüder sind aber weniger
orthodox. Deswegen muß Waldes 1180 vor dem Legaten
Heinrich von Albano nochmals seine Orthodoxie bezeugen und
von den falschen Brüdern abrücken (26 f., 34 f.). Dafür erhält er
vom Legaten die „feierliche Proklamation seines apostolischen
Programms" (35) der Armut. Das Bekenntnis macht aus der Gemeinschaft
„automatisch eine Gemeinschaft von Predigern gegen,
das Katharertum" (36). Neue Schwierigkeiten gibt es, als die Anweisung
Alexanders III., Waldes dürfe nur auf Airfforderung des
Bischofs predigen, übertreten wird (36). Dies und die „vielleicht
anmaßende Bettelarmut angesichts eines reichen Klerus" führt
zur Exkommunikation und Ausweisung durch den neuen Erzbischof
von Lyon (38). Nun treten die Waldenser im Languedoc
und in Italien (wo Waldes schon auf der Romreise 1179 Anhänger
gewonnen haben soll), über ihre Predigt der Armut und die
Kritik am lasterhaften Klerus hinaus, in den Kampf gegen die
Katharer ein (42 ff.). In Verona 1184 nicht als Ketzer, sondern als
Schismatiker anathematisiert (46 ff.), übernehmen die Waldenser,
die im ganzen weiter orthodox bleiben, von verwandten Bewegungen
, mit denen sie in Kontakt geraten (Arnoldisten, Humi-
liaten, Heinricianern) gewisse Irrtümer von geringerer dogmatischer
Bedeutung (43, 59). Obwohl die Waldenser jetzt also nach
dieser Darstellung 1. ungehorsam, 2. ansatzweise irrgläubig sind,
erklärt die Vf.in doch: der gleichzeitig entstehende Liber anti-
heresis des Durandus von Osca strafe die katholischen Vorwürfe
Lügen. Die Waldenser seien dem Papst gehorsam, sie seien nicht
contumaces (78). Die Vorwürfe träfen nur für gewisse „suspekte
Parteigänger" des Waldes zu (79). Die römische Kirche, und namentlich
Alain de Lille, der ein stärker häretisches Waldenser-
tum darstellt (94 ff.), empfängt ein herbes Urteil, weil sie die
orthodoxe Gesinnung der Waldenser nicht würdige und keinen
Unterschied mache zwischen dem „authentischen orthodoxen
Zweig" (Waldes, Durandus) und den von ihm ausgegangenen
anderen Strömungen, ja ihn wie die Katharer verketzere (106).
„In ihrem Herrschaftsgeist getroffen", verträgt die Hierarchie
Konkurrenz und Kritik der armen Prediger nicht (79). - Die
Abspaltung der „Lombardischen Armen" von Waldes um 1205
geht vor allem auf die in Italien erfolgte und von Waldes verworfene
Übernahme des Handarbeitsprinzips von den Humilia-
ten zurück (170 ff.). Vielleicht hat Waldes auch die Unterwerfung
des Durandus von Osca unter Rom noch erlebt und nicht mißbilligt
; denn „er selbst war nicht weit davon entfernt" (217); vor
1210 ist er gestorben (174). Durandus von Osca nähert sich, indem
seine Gemeinschaft einen dritten Orden von Handarbeit leistenden
„Freunden" gründet, wiederum den von den Waldensern
abgefallenen und in einer stärker kirchenfeindlichen Entwicklung
begriffenen „Lombardischen Armen" an (224 f.) - er, der
sich soeben Rom unterworfen hat und der dem Waldes so nahestand
, der die Handarbeit der Lombarden absolut nicht dulden
wollte.

Das Bild, das die Vf.in entwirft, ist also sehr widersprüchlich
und ergibt keine verständliche Entwicklung. Es ist dies aber
nichc eine scheinbare Widersprüchlichkeit von Uuellenzeugnissen.
die aufzulösen dem Historiker mangels reicheren Materials nicht
gelingen will, sondern eine Widersprüchlichkeit, die durch falsche
Quellenbehandlung, falsches Lesen und Übersetzen und
schließlich durch den Verzicht darauf entsteht, die erarbeiteten
Daten stets auf einen etwa zwischen ihnen bestehenden historischen
Zusammenhang zu überprüfen. Richtiges und falsches Detail
ist zusammengetan; die Synthese entfällt oder reduziert sich

zu allgemeinen Urteilen, die mit den vorgeführten Einzelheiten
nur sehr zum Teil übereinstimmen. Um nur das Wichtigste zu
nennen: der schönen Würdigung der grundsätzlich kirchentreuen
Gesinnung des Waldes und des Durandus wird man wohl zustimmen
können, wenn man den antikatharischen Liber anti-
heresis des Durandus gelesen hat. Aber wie kann die Vf.in verschweigen
, daß auch die Gehorsamsverweigerung im Falle des
Predigtverbots unter Berufung auf Act. 5, 29 dort expressis ver-
bis steht, und wie läßt sich übersehen, daß eben diesen Ungehorsam
die katholischen Gegner Sakrileg und Häresie nennen?
Wie läßt sich also übersehen, daß die Unterwerfung des Durandus
unter Rom einen Bruch mit dieser grundsätzlichen walden-
sischen Überzeugung bedeutet, und wie kann man ohne den geringsten
Quellenhinweis vermuten, Waldes selbst sei1 von einer
solchen Unterwerfung nicht weit entfernt gewesen? Die Kirchen-
treue, wie die Waldenser sie verstanden, war eben nicht die, die
von ihnen gefordert wurde; für die Gegner war sie durch Sakrileg
und Häresie zerstört.

Leider begegnen solche und gröbere Fehler der Quellenbehandlung
immer wieder; der Unterbau des Buches ist brüchig.
Man kann Dominikus nicht als Vorläufer der Inquisition bezeichnen
(251), ohne die ernst zu nehmenden Einwände M. H. Vicaires
gegen die Verwertung der hierauf deutenden späten Quellen zu
widerlegen (vgl. hierzu jetzt Annales du Midi 79, 1967). Die
interessante Feststellung, die Ketzerei werde schon 1194-1197 in
Aragon der laesa majestas angeglichen, stimmt leider nicht: Begünstigung
der Ketzer trotz des königlichen Ketzeredikts
ist hier Majestätsverbrechen (136). Man kann nicht sagen, daß
die Metzer Ketzer 1199 „in den Augen Innozenz' III. dem Begriff
intellektueller Wahrhaftigkeit entsprechen, der auch ihn
beseelt" (154 f.), sondern der Papst weiß nicht, daß es sich um
verurteilte Ketzer handelt, und hat aus dem ihm vorliegenden
Bericht nur den Eindruck, es handle sich vielleicht um gutartige
Leute, die fromm sein wollen. Die Aussage des Salvus Burce
„multi sunt modo de illis qui fuerunt sui (Valdesii) familiäres"
(es gibt noch viele, die Waldes gut gekannt haben) ist nicht zu
übersetzen: „Viele unter den Waldensern waren ihm (Burce) gut
bekannt, auch Waldes selbst" (43). Der Satz des Durandus „Epi-
scopus supra intelligens in latino eloquio sonat" (Bischof heißt
auf Lateinisch supra intelligens) sollte auch nicht so übersetzt
werden: „Sehr intelligent, drücken sich die kirchlichen Würdenträger
in eloquentem Latein aus" (68).

Das Buch ist also kritisch zu lesen. Dann kann man von dem
reichen Material Nutzen haben.

Heidelberg Kurt-Victor S e 1 g e

Bonaventura : Collationes in Hexaemeron. Das Sechstagewerk
. Lateinisch und deutsch. Übers, und eingel. von Wilhelm
N y sse n . München: Kösel - Verlag 1964. 765 S. 8°. Lw.
DM 32.-.

Deutsche Übersetzungen der Werke Bonaventuras sind nicht
ganz seilten. Entweder wurden Florälegien aus seinen Schriften
zusammengestellt oder einzelne Schriften übersetzt, wobei man
Stücke bevorzugte, die der Erbauung dienen. Dieser Tendenz
folgt auch der Kösel-Verlag, der nun einen dritten Band Bonaventura
gewidmet hat. In allen drei Bänden wird der Text zweisprachig
im Paralleldruck geboten.

1958 erschien das „Soliloquium de quatiuor mentalibus exerci-
tiis". Es wurde von J. Hosse hrsg. und übersetzt, der bereits
1939 eine Übersetzung dieses Werkes veröffentlicht hatte, obgleich
schon eine seit 1932 vorlag, die S. Clasen angefertigt hatte.
1961 folgte in einem zweiten Band das „Itinerarium mentis in
Deum" und „De reduetione artium ad theologiarn" in der Übersetzung
von J. Raup, der 1932 eine Übersetzung des rtimerariums
zusammen mit Ph. Böhner dargeboten hatte. Dieser Band erschien
gleichzeitig bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in
Darmstadt. Bei den "Collationes in Hexaemeron" konnte der Verlag
nicht auf eine ältere Übersetzung zurückgreifen, denn sie
wurden erstmals in deutscher Sprache dargeboten. Darin liegt
das große Verdienst dieses Bandes.