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Ausgabe:

1968

Spalte:

74-76

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Congar, Yves

Titel/Untertitel:

Priester und Laien im Dienst am Evangelium 1968

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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PRAKTISCHE THEOLOGIE

Jung, Hans-Gernot: Befreiende Herrschaft. Die politische Verkündigung
der Herrschaft Christi. München: Kaiser 1965. 192 S.
8° = Beiträge zur evang. Theologie. Theologische Abhandlgn.,
hrsg. v. E. Wolf, 40. Kart. DM 16.50.

Das vorliegende Buch hat sich zum Ziel gesetzt, zwei Gestalten
politischer Predigt aus den letzten Jahrzehnten darzustellen,
kritisch zu beurteilen und selbst einen Lösungsversuch der durch
sie gestellten Probleme zu bieten. Der Verf. versteht seine Arbeit
als einen „Beitrag zur Homiletik" (S. 12). Da die darin behandelten
Fragen aber durchweg sozialethischer Natur sind,
dürfte die Arbeit mehr als Beitrag zur Systematik zu werten sein.
Denn allein in ihr können die Entscheidungen über die aufgeworfenen
Fragen fallen und begründet werden. Der homiletische
Gesichtspunkt im eigentlichen Sinne tritt denn auch in dem
Buche praktisch ganz zurück. Als Beispiele politischer Verkündigung
behandelt der Verf. unter bewu5ter Übergehung der Zwei-
Reichelehre in ihren verschiedenen Variationen allein das amerikanische
social gospel, das er weniger den Veröffentlichungen
des dafür bekannten Walter Rauschenbusch, sondern dem Buche
W. S. Douds, Thy Kingdom Come 1940 und vor allem den politischen
Verlautbarungen der General Assembly of the Presbyterian
Church in the USA von 1939-1954 entnimmt, und die auf einer
„christozentrischen Staatsauffassung" basierende „politische Pro-
phetie" der Barth-Schule bzw. der „Kirchlichen Bruderschaften".

Es ist schon ein Verdienst des Buches, dag es das dem deutschen
Leser kaum zugängliche Material aus den politischen Stellungnahmen
der über 3 Millionen Mitglieder umfassenden und
politisch besonders einflußreichen Presbyterianischen Kirche der
USA in Auswahl darbietet. Bei der Kenntnisnahme dieses Materials
ist man erschrocken, wie stark hier die christliche Verkündigung
politisch säkularisiert und der allgemeinen politischen
Ideologie der USA angepaßt ist. Ferner zeigt sich, wie naiv und
distanzlos diese Kirche die jeweilige praktische Politik der USA
rechtfertigend begleitet und ideologisch verklärt. Christus hat
nach der Theologie dieser Kirche das Reich Gottes als die ideale
Gesellschaftsordnung der geschichtlichen Zukunft verkündet, zu
der die Welt unter Mitwirkung der „sozialen Gnade" Christi
fortschreitet oder jedenfalls fortschreiten soll. Dieser Prozeß ist
.die Erlösung des Menschen in der Gesellschaft" unter menschlicher
Mitwirkung. Christus ist nur die Auslösung und der Inhalt
dieses Prozesses (S. 52), der hinsteuert auf „Christi Ideal der
Bruderschaft", die „allen Gliedern der Volksgemeinschaft das
gleiche Recht, Freiheit und Glück gewährt, das ihre eigenen Fähigkeiten
und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsordnung
ihnen verschaffen können" (S. 56). Von dieser Grundkonzeption
aus wird zu den aktuellen politischen Gegenständen: Krieg, Frieden
, Behandlung der besiegten Völker, politische Bündnisse etwa
mit dem Kommunismus, die neue Weltordnung nach 1945 in der
UNO usw. Stellung genommen. Der Verf. stellt in seiner Kritik
mit Recht fest: die Parole der Freisinnigen ist hier zum Dogma
der Kirche geworden (S. 50), Christi Ideal ist identisch mit den
Grundrechten der Verfassung der USA (S. 56), die Kirche als Leib
Christi ist eine UNO im Kleinen (59). Allerdings verschweigt der
Verf. nicht, daß dieses politische Evangelium auch in den USA
Kritik gefunden hat (S. 68 ff.) und ihm in den letzten Jahren
selbst unter den Anhängern des social gospel eine tiefe Resignation
gefolgt ist. „Die Nachkriegszeit hat keine der hochgespannten
Hoffnungen erfüllt, obwohl der kirchliche Einfluß auf die
amerikanische Politik und der amerikanische Einfluß auf die
Weltpolitik in jenen Jahren dafür ein fast ideales Klima geschaffen
hatten" (S. 73).

Der 2. Teil stellt ausführlich „die politische Verkündigung im
Rohmen der diristozentrischen Staatsauffassung" (S. 75 ff.) dar,
wie sie anknüpfend an Karl Barths Schrift: „Rechtfertigung und
Recht" 1938 auf der Grundlage der „Barmer Erklärung" von 1934
erst nach dem 2. Weltkriege sich entfaltete und in den „Kirchlichen
Bruderschaften" ihren Hauptvertreter fand. Es ging hier
im Gegensatz zur konfessionell-lutherischen Zwei-Reichelehre darum
, „die Herrschaft Christi auch über den politischen Bereich
des Lebens zu verkündigen" (S. 81). Voraussetzung ist, daß der

Ii

Staat als „Diener Christi" „eher zur Erlösungsordnung als zur
Schöpfungsordnung gehört" (S. 102). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit
„politischer Prophetie", da die himmlische Polis, die
das Evangelium verkündet, „Leitbild und Norm auch für die
Bürgergemeinde" (S. 104) ist. Die Kirche hat als unmittelbares
Abbild der himmlischen Polis zugleich das Vorbild der irdischen
Polis zu sein und ebenso durch ihre politische Verkündigung wie
den aktiven polirischen Gottesdienst ihrer Glieder der Herrschaft
Christi zu dienen (S. 106). Neben Barth stellt der Verf. mehr oder
weniger ausführlich die analogen und doch unterschiedlichen
Positionen von Bonhoeffer, H. Diem, H. Gollwitzer und E. Wolf
dar. Sein Haupteinwand gegen die „politische Prophetie" ist, daß
hier der eschatologische und existentiale Sinn des Evangeliums
durch „Objektivierung" seiner Inhalte umgewandelt wird. Er veranschaulicht
das an einigen Beispielen politischer Predigt, deren
Auswahl allerdings etwas willkürlich ist und nur Unwesentliches
wiedergibt. Die offiziellen Verlautbarungen der „Kirchlichen Bruderschaften
" werden gar nicht erwähnt. An der praktischen politischen
Prophetie kritisiert der Verf. wohl mit Recht, daß hier
die politische Entscheidung zum direkten Inhalt der Evange-
liumsverkündigung verabsolutiert wird und sich damit ..eine
undialektische Zusammenfassung von Glauben und. Gehorsam,
Rechtfertigung und Heiligung, Dogmatik und Ethik" (S. 138) vollzieht
.

Weniger gelungen als die Darstellung und Kritik der Positionen
in Teil I und n erscheint mir der eigene Versuch des
Verf., das gestellte Problem der politischen Predigt zu lösen. Er
glaubt den politischen Mythus wenigstens dialektisch in die Verkündigung
aufnehmen zu können. Er wählt den Mythusbegriff,
um zugleich „die irrationale Verankerung", den „rationalen Charakter
" und schließlich die „soziologische Dimension" der politischen
Leitbilder damit auszudrücken. Er lehnt mit Recht sowohl
die Aufstellung eines besonderen christlich-politischen Mythus
wie die direkte Übernahme eines fremden Mythus ab. Statt dessen
will er in die Rechtfertigung des Sünders als zentralen Inhalt
des Evangeliums eine dialektische Rechtfertigung des Mythus
als „Gottes Ordnung" (S. 163/4) einschließen. „Der politische
Mythus erfährt seine paradoxe Neubegründung durch das Evangelium
" (S. 164). Wie das praktisch möglich sein soll, ohne daß
wieder einmal eine politische Ideologie nach einem dialektischen
Zwischenspiel durch das Evangelium legitimiert wird, bleibt rätselhaft
. Das Buch zeigt deutlich, wie wenig die Frage nach der
politischen Verantwortung der Evangeliumsverkündigung heute
gelöst ist.

Mainz Werner Wiesner

C o n g a r, Yves M.-J.: Priester und Laien im Dienst am Evangelium
. Übers, v. H. Pissarek-Hudelist. Freiburg-Basel-Wien:
Herder (1965). 432 S. 8°.

Der in Deutschland sehr bekannt gewordene französische Dominikaner
und Konzilstheologe hat für das Werk einen für seine
theologische Arbeit charakteristischen Titel gewählt. Laien: wie
weit sein Denken der Theologie des Laien tums gilt, beweist sein
großes Werk „Der Laie", deutsche Ausgabe 1956 (von uns besprochen
ThLZ 1961, Sp. 229 ff.). Schon die Aufgabe dort war ohne
eine Theologie des Priestertums nicht zu bewältigen. Inzwischen
sind weitere Studien zur Theologie des Priestertums gefolgt. In
deutscher Sprache erschien „Das Bischofsamt und die Weltkirche",
1964, eine Gemeinschaftsarbeit, die von Congar herausgegeben
und mit gewichtigen Beiträgen aus seiner Feder versehen ist;
wir nennen: Die Hierarchie als Dienst nach dem NT und den
Dokumenten der Überlieferung. Ein früherer Sammelband -
Les voies du Dieu virant - vereinigte pastoraltheologische Studien
Congars. Der rührige Verfasser lenkt in unserm Werk zu
seinen Zentralthemen zurück.

Alle Aufsätze entstammen der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg
. Profane Zeitgeschichte spiegelt sich in ihnen in einem
Mindestmaß wider, um so mehr die geistlichen Bewegungen aus
der katholischen Gegenwart, speziell in der Kirche Frankreichs.
„Bei uns brodelt es nur so von Ideen" (221). Nicht eingegangen

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 1