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Ausgabe:

1968

Spalte:

954-956

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Deussen, Giselbert

Titel/Untertitel:

Die neue liturgische Gemeinde 1968

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 12

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mahl auf das Verhältnis zwischen der Kathedra des Verkündigers
und dem Altar ausgewirkt hat. Während nun weder der Lehrgottesdienst
noch der Charakter des Abendmahles als Mahlfeier
einer bestimmten Orientierung bedürfen, fordern der Gebets- und
der Opfergottesdienst eine solche. Demgemäß wird im dritten
Unterabschnitt auf den Einfluß der Eingangs- oder Apsisostung auf
die Stellung des Liturgen am Altar eingegangen. Ein vierter Unterabschnitt
versucht schließlich die Frage zu beantworten, wann die
Abwendung des Liturgen von der Gemeinde sich durchgesetzt habe
und zunächst im Osten, später auch im Westen zur Vorherrschaft,
später fast zur Alleinherrschaft gekommen sei.

Im letzten (12.) Kap. werden schließlich die Folgen der Abwendung
des Liturgen von der Gemeinde untersucht. Es ergeben sich
1. Folgen für den Standort und die Ausgestaltung des Altars und
des Altarraumes und 2. Folgen für den Ritus der Messe (S. 421-443).

Eine Zusammenfassung (S. 444-452) vermittelt übersichtlich die
wichtigsten Ergebnisse dieser so gründlich fundierten und umfassend
angelegten Untersuchung.

Worin besteht ihr wesentlicher Ertrag? Die Darstellungen des
ersten Abendmahls halten im ganzen ersten Jahrtausend die Erinnerung
daran fest, daß Jesus an den zu einem stibadium um den
runden oder halbrunden Tisch zusammengestellten Speisepolstern,
ähnlich der späten halbmondförmigen Schreibweise des griechischen
Sigma, den Ehrenplatz an der vom Beschauer aus linken Spitze
einnahm. Das Anwachsen der Gemeinden wird bald das Befolgen
dieses Urbildes unmöglich gemacht haben. Die gemeinsame Sättigungsmahlzeit
trennt sich darum auch als Agape von der Eucharistie
. Wenn der Verf. freilich meint, der Lehrgottesdienst sei in
Jerusalem erst infolge der wachsenden Spannungen zwischen den
Juden und der jungen Gemeinde in Privathäuser verlegt worden
und dadurch zur Einheit mit der Eucharistie zusammengewachsen,
s8*erscheint mir diese Beurteilung nicht überzeugend, zumal der
Verf. selbst auf die in den paulinischen Gemeinden von Anfang an
zu beobachtende räumliche und zeitliche Einheit beider Feiern
hinweist. Geht es nicht in Jerusalem bei den vermeintlichen „Lehrgottesdiensten
" im Tempelbezirk doch wohl um missionarische Verkündigung
, während die gottesdienstliche G e m e i n d e Zusammenkunft
immer die Mahlfeier mit dem Moment der weiterführenden
Lehre verbunden hat? Muß die stellenweise bis ins 7. Jh. bezeugte
räumliche Trennung beider Gottesdienstformen auch
deren zeitliche Trennung bedeuten? Kam darin nicht nur die
auch später noch liturgisch markierte Zäsur zwischen dem für
einen weiteren Kreis offenen Lehrgottesdienst und der Eucharistie
als Gemeindefeier im strengen Sinn zu ihrem anschaulichen Ausdruck
? Jedenfalls verlangte nun die Bipolarität des Gottesdien-
stes neben dem Abendmahlstisch zugleich für den Wortgottesdienst
die Kathedra des lehrenden Bischofs mit Sitzgelegenheiten für die
Presbyter. Indem man sie zusammen mit dem Altar in einem abgesonderten
Bezirk des gottesdienstlichen Raumes unterbrachte,
ergab sich das für Lesung und Predigt erforderliche Gegenüber zur
Gemeinde, während das für die Eucharistie in dem Maß nicht mehr
erforderlich war, als bei ihr der Opfercharakter auf Kosten des
Mahles in den Vordergrund trat. So konnte bei ihr der Liturg versus
populum wie auch in Abwendung von der Gemeinde seinen Dienst
verrichten! „Es hat allem Anschein nach keine allgemeingültige
und bindende Entscheidung in dieser Frage gegeben" (S. 446). Die
beim Privatgebet der Christen übliche Ausrichtung nach Osten hat
dann zu einer Ostung der Kultgebäude in zweierlei Weise geführt,
in der der Eingangs- wie der Apsisostung. Bei ersterer ergab sich
für den Liturgen ohne weiteres die Stellung am Altar versus populum
, während sich die Gemeinde im Unterschied zur üblichen Gebetsrichtung
beim eucharistischen Gebet zum Altar, d. h.
gen Westen gewendet haben wird. Dieses störende Sichumwenden
der ganzen Gemeinde mag dann zum Überwiegen der Apsisostung
seit etwa 400 geführt haben. Der Liturg konnte dabei seinen Platz
am Altar nach wie vor versus populum wie von der Gemeinde abgewandt
haben, da seit dem 4. Jh. der Altar als Ort der Thcophanie
auch zum Ziel der Orientierung wurde. Die baulichen Bedingungen
bis hin zu den den Altar verhüllenden Vorhängen machen jedenfalls
deutlich, daß im 4./6. Jh. der Wunsch nach einer stärkeren
partieipatio actuosa der Gläubigen für die Stellung des Liturgen
versus populum nicht maßgebend gewesen sein kann. Die Apsisostung
hat deren Schwinden nicht verursacht, höchstens befördert.
Es ist überhaupt nicht so, daß ein bestimmter Kirchentyp die Abwendung
des Priesters von den Gläubigen bedingt hätte. Wenn
diese sich immer mehr durchsetzte, ohne freilich je die Stellung
versus populum ganz verdrängt zu haben oder gar gesetzmäßig
verankert zu werden, dann haben theologische und praktische
Gründe mitgewirkt: je bewußter das mysterium fidei der Eucharistie
der himmlischen Liturgie gleichgesetzt wurde, desto mehr
sollte es profanen Blicken entzogen werden. Je öfter in Oratorien
und Annexbauten oder Krypten die Altäre unmittelbar an eine
Wand angelehnt wurden, desto wirksamer gewöhnte man sich an
die der Gemeinde abgewandte Stellung des Zelebranten. Die Privatmessen
ohne Gemeinde und die dafür erforderlichen Nebenaltäre
an Säulen und Seitenwänden taten ihr Übriges. Auswirkungen auf
die Gestaltung des Altars und Altarraumes bis hin zum Altarretabel
konnten nicht ausbleiben. Auch für den Ritus der Messe blieb die
Abwendung des Liturgen von der Gemeinde nicht ohne Folgen;
nicht zuletzt wurden dadurch die elevatio der konsekrierten Elemente
nötig und das Leisesprechen des Kanons mit verursacht.

Die Lektüre dieses für den Fachmann spannenden Werkes, dessen
vielseitige Ergebnisse hier nur angedeutet werden konnten,
wird dadurch besonders reizvoll, daß der II. Teil an Hand von
71 Fotos und 427(!) Grundrissen die Darstellung der ersten 10 Kapitel
veranschaulicht. Jedenfalls ergibt sich aus der Geschichte
keine bindende Regel für die Stellung des Priesters am Altar. Soll
sich im Sinne des II. Varicanums die Stellung des Priesters versus
populum in der Messe wirklich durchsetzen und es zu Giner entsprechenden
Gestaltung des Altars kommen, wird dafür nur eine
einsichtige theologische Begründung Bereitschaft schaffen können.
Es könnte dann freilich auch an den reformatorischen Kirchen sein,
gegebenenfalls entsprechende Konsequenzen im Blick auf die Gestaltung
des Altars und die Stellung des Liturgen am Altar zu
ziehen.

Greifswald William Nagel

D e u s s e n , Giselbert, CSSp: Die neue liturgische Gemeinde.

Frankfurt/M.: Knecht [1968]. 126 S. 8°. Kart. DM9,80.

Keine liturgiewissenschaftliche Abhandlung, sondern eine Art
Meditation verbirgt sich hinter diesem Titel: Eine Besinnung über
die Möglichkeiten des christlichen Gottesdienstes in dieser Zeit und
Welt. Der Punkt, bei dem D. mit seinen Überlegungen einsetzt,
dürfte auch die radikalsten Analytiker zufriedenstellen: Durch den
Säkularisierungsprozeß sind nicht nur bestimmte gottesdienstliche
Formen, sondern der Gottesdienst als solcher grundsätzlich in Frage
gestellt. Die Liturgie der Kirche ist durch diesen Vorgang „in ihrer
Wurzel getroffen"; der säkulare Mensch ist kaum mehr „liturgiefähig
" (12). Alle Liturgie ist ihrem Wesen nach ein „bildhaftes und
gemeinschaftliches Tun" (11,15ff., 17ff.); aber gerade die Unfähigkeit
zu bildhaftem, ganzheitlichem Erkennen und zu gemeinschaftlichem
verbindlichen Handeln kennzeichnet den modernen Menschen
(„Verlust der Symbole", 21 ff.; „Verlust der Gemeinschaft",
33ff.).

Nun ist D. jedoch der Überzeugung, daß durch diesen Verlust der
Symbol- und Gemeinschaftsfähigkeit nicht nur der christliche Gottesdienst
, sondern auch der säkulare Mensch selber in seiner Existenz
bedroht wird (26, 33f.). So ergibt sich eine doppelte Aufgabe
: einmal muß die „energische Erneuerung der Liturgie" in
Angriff genommen werden; zum andern ist aber auch eine „liturgische
Erneuerung der Gläubigen" erforderlich. „Den rechten Mittelweg
zwischen Liturgieerneuerung und Führung des Menschen zur
Liturgie zu finden, wird die schwierige, kaum noch begonnene
Aufgabe einer zukünftigen ,Liturgiepastoral' sein" (13, 41, 58 u. ö.).

Es geht also auch darum, dem Menschen von heute wieder einen
echten und selbstverständlichen Zugang zu bildhaftem Denken und
Begreifen zu eröffnen. Das kann jedoch nicht auf dem Weg über
einen „künstlichen Symbolismus" geschehen, der an die Stelle alter
und verbrauchter Symbole neue, ad hoc konstruierte Zeichen setzt,
sondern nur durch eine umfassende „Personalisierung" der gesamten
christlichen Glaubenshaltung und Existenzverwirklichung (47).
Denn bildhaftes Begreifen heißt nichts anderes, als der „Vielfalt
des begrenzten weltlichen Seins" aus der „Totalresonanz der Personmitte
" - d. h., aus dem „Herzen" heraus - zu begegnen („Herz"
als personales Schlüsselsymbol, 45ff.). An die Stelle naturhafter,
dinglicher Zeichen treten personale Symbole - d. h., Begegnungen