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Ausgabe:

1968

Spalte:

925-929

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

McSorley, Harry J.

Titel/Untertitel:

Luthers Lehre vom unfreien Willen 1968

Rezensent:

Loewenich, Walther

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Theologische Litcraturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 12

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KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT als eine Lehre vom unfreien Willen bezeichnet werden; sie ist

vielmehr „eine Lehre von der Gnade und vom freien Willen" (64).

McSorley, Harry J.: Luthers Lehre vom unfreien Willen nach Augustin hat immer an der natürlichen Willensfreiheit auch des
seiner Hauptschrift De Servo Arbitrio im Lichte der biblischen gefallenen Menschen festgehalten und sich zeitlebens gegen den
und kirchlichen Tradition. München: Hueber [1967]. XII, 340 S. manichaischen Determinismus gewandt. Der Mensch hat nur die
gr. 8° = Beiträge zur ökumenischen Theologie, hrsg. v. H. Fries, erworbene Freiheit" verloren; er kann ohne die Gnade nicht
1, Kart. DM45 - wirklich Gutes wollen. Die Gnade schließt aber die Notwendigkeit

n. ' . , , ... . . der freien Willensentscheidung nicht aus (82). Augustin kennt Ver-

Die katholische Lutherforschung, die sich m den letzten zwei j;„_ot„ ja„ n„„A inn i u ■ _ ' .. ~. ... ... . „

. . ,. . , . m dienste unter der Gnade (90). Noch in „De gratia et hbero arbitrio

Jahrzehnten mit einer ungeheueren Intensität entfaltet hat, sieilt ,.~,f > , . .„mic(. 1 . , . , ,n_.

„_„ . . , , „ (426f.) lehnt Augustin ein einfaches Entweder-Oder ab (93); es

uns immer wieder vor Überraschungen. Die berühmte These von , . . . , • „,_.„ ,_, • „ . ,

t«c„ • _ „ ., , ., ,. f , , , , ■ . handelt sich vielmehr um eine Dialektik zwischen gratia operans

Joseph Lortz, „Luther war katholischer, als wir dachten scheint und gratia rans (103) Das 5 Kapitel (110-126) untersucht die
to tgesetzt neue Bestätigungen zu erfahren. In dieser Richtung ^ yom ^ mnm md der Gnade nach den ^

uurttc- die vorliegende Arbeit von McSorley einen äußersten Vor- . r«j.«s..n- __ A r» • u t.

si^ü u j . . _ , ... _ /. . '__' , . . Zilien, den papstlichen Lehraußerungen und den liturgischen Tex-

stoh bedeuten. Luthers Schrift De servo arbitrio (DSA) galt bisher . „ n.h™ ;,t a;„ t~~.,^~i____j~ -_.__,__.__.__° , ,

»1- _. ... .t «, . . , . ., _ ,. ten. Dabei ist die Verurteilung des Semipelagiamsmus auf dem

<us extrem „antikatholisch . In der Zugespitzthcit ihrer Formulie- . •______ TT ,_____„ . , . tZim *nr* _ ,

rtm„ . . T . , ... . . , ... ... Arausicanum II besonders hervorzuheben (116-120). Es ist bemer-

'ungen hat sie bekanntlich von Anfang an auch bei evangelischen , . . » ,. . .___. . . „ ' ,. .

TV,„„i . ... ...... , „ _, . 3 kenswert, daß die Lehre des Arausicanum II vom 10. bis zur Mitte

Geologen heftige Kritik hervorgerufen. Ihre enorme Aufwertung , . ____. . „.„ ,__Dl. . , , _, .

erfr.w t . ° , , . ... . _. a c „ , „ ,, des 16. Jahrhunderts aus dem Blickfeld der Theologen verfolgte
erst im 20. Jahrhundert unter dem Einfluß von Karl Holl , . „. _ .. . _ .. j • • j
lmj „ . „ ., „ , , . • • , schwunden war; erst zur Zeit des Tridentinums wurde sie wieder
un<i Karl Barth. Schlieft ich wurde sie sogar zu einer „Kampf- ., . . , , ,
srVivif^ j L „ ~ -l .. u u //-.^ o u l entdeckt und bestätigt (121).

^cirift gegen den Mythos aller Zeiten erhoben (Otto Schumacher, _ . _ .. , . , • , . _ .... .

Cnff; r. ,, • u j ^ j i Das 6. Kapitel (126-176) wendet sich der Fruhscholastik und

Böttingen 1937). Sollten wir uns bereits an den Gedanken ge- _. « • ». c i un c - ■ j c , ^

wsk„. u u j c ■ i u u • r i it. r u • .. ■ Thomas von Aquin zu. McSorley halt es für erwiesen, dafj Luther

wohnt haben, dafi sich manches bei Luther „katholisch integrie- , ..__ . , * , . „ „ , , ...

i-c. , ■ • j e ii r%£.« • l> j u» x, Thomas nicht genügend gekannt hat (137f.). Vor allem darf über

Ißn laftt, so schien jedenfalls DSA nicht dazuzugehören. Nun . . .£„, , .

Hwin «« o 1 j- a -tm. / nci „v a___Um. „ i im. dcm Anstotcliker der Schnfttheologc Thomas nicht vergessen

Slcllt McSorley die erregende These auf: DSA ist durchaus „katho- , ... .. ° _ .. ,a ,. ,

licr.i,» , j- . . T , .__ T . werden. Thomas lehrt die natürliche Freiheit. Der unveränderliche

usch . Man muft allerdings zwischen Lchraussagc und Intention ,„.„ ^ ^ i j .„ , tt ,

i,nt„„ ... , ,. . ... , . ,,„j j„_ u Wille und das Vorherwissen Gottes legen den menschlichen Hand-

untcrscheidcn; aber diese Unterscheidung ist legitim und durch , . ,,.„..•,-,/ .. ,

T^t,, ....... cc ■ 11 r. • i Li_ii. i___Hingen keine absolute Notwendigkeit (necessitas conscquentis),

Johannes XXIII. zu einem „offiziellen Prinzip katholischer oku- . .. c . T, . , '

»,.„■ . _. , . . . -v _____,1 j,& sondern nur eine necessitas consequentiae auf, eine Unterschei-

"■enischcr Theologie erhoben worden (24). Es ist sinnvoll, dah , .

d;„ . , .. . ° , , ,___. .„ „ .__■ , _ . . . „, düng, die Luther bekanntlich in DSA ablehnte. Gottes unveränderte
Arbeit von McSorley als 1. Band der von Heinrich Fries her- lly4,„ .. ... . , ' .__^

ai,-„ . _ ... ... -um. «i__nener Wille will, dafi bestimmte Dinge sich kontingent ereignen

dusgegebenen „Beitrage zur ökumenischen Theologie erscheint. ___u. ' 3 s 3

0h. i j . ., „ .. „ . . ■ . r. • „ ,„il,. • Von radikaler Selbstmachtigkcit des Menschen darf man bei

Uber Zic und Art dieser „Beitrage hat sich Fries selbst im vor- Tu„m,c „• . , _._ , ZT . „ .... _.

lirv,„ j ^ , / ^ r- fu . c ,„ „n ■ M,n.„„ inomas nicht sprechen (gegen Pannenberg, S. 152). Thomas war

"egenden Buch („Zur Einfuhrung', S. III-VI) geaufiert. McSorley, . ... _ J, " 3 3' ; .

i._ ... . , _ . «.! ,., „, . , • „;„_„ eemuht, „Gott Gott und den Menschen Mensch sein zu lassen

Angehongcr der Congregatio St. Paul, ,n Washington hat in einem (158) Versklavung durch die Sünde bedeutet nicht den Verlust
funf)ahr Europaurlaub seine Untersuchung unter der Ägide der naturljchcn Dip cnristlichc Freiheit kann nicht durch

III M'chael Schmaus ausgearbeitet; sie wurde von der Theoh naturljchc Anstrcngu crrdcht wcrde gbcr der naturlichc freie
Fakul at der Universität München als Dissertation angenommen ^ ^ ^ den ^ fi mjt cingeschlosscn. Da,

(vgl. Vorwort des Vf. S. VII). Es sei vorweg betont, dafi es sich merjtum ^ ^ Thomas ^ ^ £
»m eine hervorragende wissenschaftliche Leistung handelt; das fflr das Tridentinum (lm) dessen antip^agiar;jschc Tendenz ^

rlci1 v°n Fries (VI) greift nicht zu hoch. deutig fcststeht (170)

McSorley behandelt sein Thema in einem weitgesteckten theo- Erst b der Spätscholastik (7. Kap., S. 177-206) in der es übri-
log'egeschichtlichcn Rahmen, seine Untersuchung ist nicht weniger gens dje verschjedensten theologischen Richtungen gab. zeigen
■» eine Monographie über die Lehre vom freien bzw. unfreien sich ne0semipelagianische Tendenzen. Das gilt vor allem für Ockfen
von den Anfängen bis in das 16. Jahrhundert. harn und Biel, während etwa Gregor von Remini ein strenger
E'n grofter Teil von Mißverständnissen und falschen Kontro- Antipelagianer war. Das Auftreten des Neosemipelagianismus
versen resultiert nach dem Vf. aus dem Mangel einer klaren Be- stellt den weittragendsten negativen Einflufi auf Luthers refor-
3riffsbestimmung. Darum setzt er mit einer solchen ein. Im An- matorische Theologie dar (183). Mit seinem reformatorischen Pro-
Schlufi an eine Untersuchung des Institute for Philosophical Re- test dagegen hatte er recht! In dieser Beziehung mufi der dama-
'earch (unter der Leitung von Adler) unterscheidet er eine drei- ijgen kirchlichen Lehrautorität ein verhängnisvoller Mangel an
fache Art von „Freiheit": Die „natürliche Freiheit", die „nicht Wachsamkeit vorgeworfen werden (184). Das „facere quod in se
durch Umstände behinderte Freiheit" und die „erworbene Freiheit" est" ist bei Biel offenkundig semipelagianisch gemeint (192). Seine
Kap., S. 32-35). Bei letzterer handelt es sich um eine Freiheit, Anschauung von der Vorbereitung auf die Rechtfertigung stimmt
dje dem Menschen nicht von Natur aus eigen ist, nach der „alle nicht mit Thomas überein (199). „Es bleibt jedoch zu fragen, ob
Renschen streben sollen, die jedoch nur wenige erreichen" (34). djc Ockham-Biel-Richtung die allgemeine oder die Hauptlehre der
Es 'st die Freiheit, zu leben, wie man soll, die Freiheit zum sittlich katholischen Theologen zur Zeit der Reformation darstellt, wie
^•uten. Wo zwischen diesen verschiedenen Arten von Freiheit nicht Luther glaubte" (204). Darüber sind noch weitere Untersuchungen
£'ar unterschieden wird, mufi es zur Verwirrung der Diskussion nötig.

Rommen. Das war offenkundig in der Auseinandersetzung um Nach diesem langen Anmarsch setzt das 8. Kapitel (206-254) mit

°SA dcr Fa]1 (35) der Entwicklung der Willenslehre Luthers von seinen Anfängen

°ic Hl. Schrift (2. Kap., S. 35-60) setzt überall die natürliche bis 1525 ein. Der Sententiar Luther zeigt den ockhamistischen Ein-

re'heit. die Wahlfreihcit. voraus. Das alttestamentliche Gesetz flufi, wobei aber zu bemerken ist, dafi die Theologische Fakultät

Sendet sich an die Freiheit des Willens. Über das Verhältnis von in Erfurt keineswegs von den Ockhamisten völlig beherrscht

cnadc und freiem Willen entwickelt die Bibel keine Spekulation. wurde; es gab dort auch Thomistcn und Scotisten. Ähnlich war die

Die Verstockung wird sowohl Gott als auch dem Menschen selbst Situation in Wittenberg (S. 208, Anm. 5). Bereits in der Frühzeit

^"geschrieben (46). Der Glaube an Christus schließt eine freie war Luther kein reiner Ockhamist. In den Dictata super Psalterium

Entscheidung ein. Die biblische Lehre von der Knechtschaft unter findet sich noch die neosemipelagianischc Auffassung des meritum

^Cr Sünde bedeutet nicht Aufhebung der Wahlfreihcit. Die Hl. de congruo und des facere quod in se est (210). Es ist mir aller-

sehrift kennt eine Unfreiheit des Menschen, aber keine Aufhebung dings fraglich, ob die von McSorley dafür zitierte Stelle (WA 4,

d°s Willcns (54 Anm 92). Auch der Sünder kann „gute" Handlun- 261,25-262,4) wirklich so interpretiert werden darf. In den Rand-

9*0 vollziehen. Eine absolute Notwendigkeit, zu sündigen, ist der bemerkungen zu Biel ist der Bruch Luthers mit dem Neoscmipela-

B|°cl fremd. gianismus deutlich zu konstatieren. Das gilt natürlich erst recht

D'e voraugustinischen Kirchenväter (3. Kap., S. 60-64) halten von der Römcrbriefvorlesung. Aber diese Abkehr vom Neoscmi-

allc an der natürlichen Freiheit fest. Eingehend befafjt sich das pclagianismus ist durchaus „katholisch" (215). Die natürliche Frei-

4'Kap. (64-109) mit der Willcnslchrc bei Augustin. Sie darf nicht heit schließt Luther dabei nicht aus,- aber es zeigt sich bereits eine