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Ausgabe:

1968

Spalte:

915-917

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Baltensweiler, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Ehe im Neuen Testament 1968

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 12

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sen Meinungen selbst, und er legt mit Recht die ersteren seiner
Interpretation zugrunde. Man freut sich über die konsequente und
fruchtbare Anwendung dieses methodischen Prinzips um so mehr,
als E. Güttgemanns (Der leidende Apostel und sein Herr, 1966) es
jüngst in Verkennung der historischen Problematik als unmethodisch
disqualifiziert hat.

Einzelbegriffe geben nichts Wesentliches zur Fragestellung her
(176-206): In Rom. 10,7 nimmt Paulus mit .Abyssos' die alte Scheol-
vorstellung auf, die auch im Hintergrund der Formulierung .Auferstehung
aus den Toten' steht. Der Euphemismus .Schlaf' statt
,Tod' sagt bei Paulus nichts über den Todeszustand aus. Das .Paradies
', in das Paulus nach 2. Kor. 12,1-4 entrückt wurde, erscheint
nicht als Ort der Verstorbenen.

In 1. Thess. 4,13-5,10 berücksichtigt Paulus den Zustand zwischen
Tod und Auferstehung gar nicht (207-238). Das ist richtig. Da der
Verfasser allerdings 4,13f von 4,15ff her interpretiert statt umgekehrt
und darum das Problem der Thessalonicher darin sieht,
ob die Verstorbenen bei der Parusie den Lebenden gegenüber etwa
einen Nachteil haben, fällt es ihm schwer zu erklären, warum
Paulus die in solcher Weise angefochtene Gemeinde nicht auf das
,Sein mit Christus' verweist, dessen sich die .Toten in Christus'
nach Phil. 1,23 erfreuen. Wäre der Verfasser davon ausgegangen,
daß nach 4,13f in Thessalonich die Auferstehung selbst in Frage
stand - jedenfalls nach der Meinung des Paulus -, hätte das richtige
Ergebnis seiner Auslegung einen festeren Grund bekommen.

Besonders geglückt sind die Exegesen von 1. Kor. 15 (239-252)
und 2. Kor. 4,16-5,10 (253-285). An diesen Stellen setzt Paulus sich
mit gnostischen Gegnern auseinander. Seine Argumentation verficht
mit Hilfe des Grundsatzes, dafj Leiblosigkeit notwendigerweise
Heillosigkeit bedeute, das ,Noch-Nicht' des Heils im Gegensatz
zu der gnostischen Heilssicherheit. Dafj, wie der Verfasser
nachweist, in diesem Zusammenhang das Problem des Zwischen-
zustandes von Paulus nicht ausgesprochen wird, leuchtet ein.

Dagegen spricht Paulus in Phil. 1,23 (286-320) den Wunsch aus,
unmittelbar nach dem Tode ,bei Christus' zu sein - seine einzige
klare Aussage über den Todeszustand des Christen. Indessen hat
der Apostel damit „nicht die Auferstehungshoffnung zugunsten
einer Unsterblichkeitshoffnung aufgegeben" (313). Auferstehungs-
erwartung und himmlische Seligkeit im Zwischenzustand bis zur
Auferstehung begegnen schon im Spätjudentum nebeneinander,
und mögen dabei auch hellenistische Motive bereits das jüdische
Denken beeinflufjt haben, so sind es doch unmittelbar dieselben
jüdischen Anschauungen, denen Paulus in Phil. 1,23 ebenso
wie an jenen zahlreichen Stellen folgt, an denen er die Zukunftserwartung
nur in Gestalt der Auferstehungshoffnung ausdrückt.
Diese Hoffnung steht also auch im Hintergrund von Phil. 1,23, nur
läßt die konkrete Situation persönlicher Lebensbedrohung den
Apostel primär auf den der Auferstehung vorausgehenden himmlischen
Zwischenzustand schauen. Dieser Zwischenzustand ist Heilsstand
, ein Gedanke, der bereits dem Juden Paulus selbstverständlich
war und der durch das .Mit Christus sein' christlich nuanciert
wird.

Zusammenfassend läfjt sich sagen (32T347): Der Zukunftserwartung
des Paulus liegt einheitlich sein jüdisches Erbe zugrunde.
Direkte hellenistische Einflüsse lassen sich nicht feststellen. Für
die Annahme einer Entwicklung der paulinischen Eschato-
logievorstellungen findet sich kein Anhalt. An dem Gedanken, dafs
Leiblosigkeit = Heillosigkeit sei, hält Paulus fest, gleicht ihn aber
ebensowenig wie das Judentum mit der Vorstellung des seligen
Zwischcnzustandes aus. Er verwendet die vorgegebenen apoka
lyptischen Motive je nach der konkreten Situation, um eine Glaubensaussage
zu machen. Dabei erlauben diese Motive, sowohl das
.Schon jetzt' (Phil. 1,23) als auch das .Noch nicht' des Heils (1. Kor.
15; 2. Kor. 5) zu betonen, je nach Erfordernis der konkreten Situation
. Es bleibt darum verwehrt, die Zukunftserwartung des Apostels
logisch oder spekulativ zu systematisieren.

Ein überzeugendes Ergebnis einer etwas breit geratenen, aber
methodisch wie sachlich vorzüglich gelungenen Arbeit.

Marburg Walter Schmithals

Baltensweiler, Heinrich: Die Ehe im Neuen Testament. Exegetische
Untersuchungen über Ehe, Ehelosigkeit und Ehescheidung
. Zürich/Stuttgart: Zwingli Verlag 1967. 288 S. gr. 8° = Abhandlungen
zur Theologie des Alten u. Neuen Testaments, 52.
DM 19,60; Lw. DM 24,60.

Nach kurzen Vorbemerkungen zum Grundsätzlichen (11-13) und
.zur Literatur (13-17) begint B. mit einer knappen Skizze über Ehe
und Ehescheidung im Alten Testament (19-34), in der vor allem
auf die Interpretation von Gen 2,18-25; l,27f zu verweisen ist
(19-24). Judentum (35-39) und hellenistische Umwelt des Neuen
Testaments (40f) werden nicht übergangen; ihnen zugehörige Tatbestände
, die für das Verständnis neutestamentlicher Texte wichtig
sind, erörtert B. hernach im jeweiligen Zusammenhang (Verwandtenehen
, Erbtochterrecht usw.). Dann werden die Texte der
Evangelien (Mk 10,1-12; Mt 19,1-12; 5,27-32; Joh 7,53-8,1) und der
Briefe besprochen und schließlich die Ergebnisse zusammengefaßt
(257-265). Es folgen Literaturverzeichnis und Indices.

In Lk 16,18 - ohne „und eine andere heiratet" - findet B. die
älteste Gestalt des Logions über die Ehescheidung; es besagt: „Die
Ehe kann gar nicht geschieden werden, sie kann nur gebrochen
werden" (262). Daß hinter Mk 10,11 - das ist m. E. die ältere Fassung
- „ausgesprochen römische Anschauungen" stehen, ist dadurch
, dafi „mit monogamen Verhältnissen gerechnet wird", kaum
begründet (66). Daß das Logion durch die Ehe des Herodes mit
Herodias veranlaßt ist, bezeichnet B. selbst als Hypothese (71f). -
Mt 19,1-12 ist nach B. „ohne Zweifel von Markus abhängig" (83).
Die Klausel von Mt 19,9 bzw. 5,32 bezieht sich auf Ehen mit Verwandten
, die Proselyten beim Übertritt in die Gemeinde des Mt
lösen mußten, auch wenn sie nach jüdischer Praxis gegen Lev 18
erlaubt waren, vgl. Ag 15,29 (87-102). Mt 19,12a-c versteht B. (im
Anschluß an J. Blinzler, ZNW 48, 1957, 254-270) dahin, daß Jesus
damit sein und seiner Jünger eheloses Leben gegen den Vorwurf
verteidigt, „sie seien Eunuchen" (109). Im Zusammenhang des Mt
erhalte V. 12 dann „den Charakter einer Mahnung" (112). - Zu
Joh. 8,3-9 vermutet B., daß in dem Bücken Jesu „die eigentlich
entscheidende Ursache für die Besiegung der Gegner liegt" (131).'
was das Bücken selbst bedeutet, läßt B. offen. Das Davongehen
der Ankläger sagt einen Rechtsverzicht aus; Jesus schließt sich
ihrem Urteil an. Er vergibt der Frau in der Vollmacht, von der
Mk 2,10 spricht (132).

Für 1. Th 4,3-8 vermutet B., Paulus lehne hier nach jüdischem
Recht verbotene Verwandtenehen ab, die auf Grund des grie-
chischen Erbtochterrechtes geschlossen würden. Da die Durchführung
dieser Institution in hellenistisch-römischer Zeit nicht nachweisbar
ist, betont B. selbst, daß es sich nur um eine Hypothese
handle. - Für die Aussagen von 1. Kor. 7 hebt B. hervor, daß
sie jeweils im Zusammenhang des ganzen Kap. gesehen werden
müssen (152f), weist jedoch zugleich Versuche zurück, aus
1. Kor. 7 „eine grundsätzliche Stellung des Apostels zur Ehe herauszulesen
" (164, vgl. 258f). Aber auch B. kommt von 1. Kor. 7
her zu umfassenderen Folgerungen. So belegt V. 3f „ein partner-
schaftlichcs' Verständnis der Ehe", weil die Aussagen sowohl von
der Frau wie vom Manne gemacht werden (159). Er spricht
anschließend vom „bleibenden Gehalt der Ausführungen ... >n
1. Kor. 7,1-7" (ebd.). Zu V. 34c heißt es: Die Verheirateten „suchen,
ihrem Ehepartner Genüge zu leisten. Und das ist recht so, weil
eben die Ehe von Gott eingesetzt ist in den Ordnungen dieser
Welt" (174)-. B. stellt seinerseits Paulinische Aussagen in größere
Zusammenhänge hinein, wenn er für 1. Kor. 7 betont, ..daß da?
ganze Kapitel nur unter dem Blickwinkel der hereinbrechende'1
Endzeit richtig verstanden werden kann" (209). In dem Abschnitt
Die Wertung der Ehe bei Paulus" meint B.: „Nach Würdigung
aller Umstände scheint es aber, daß Paulus doch im große1
ganzen die Ehe positiv beurteilt" (165) - übrigens ein Satz, der
so auch dem Rez. in etwa möglich erschiene*. Jedenfalls werde"1
bei B. Spannungen sichtbar, wenn er einerseits 1. Kor. 7,5 (Endel
besagen läßt: „Alle diejenigen, die geheiratet haben, sind in
ihrem Charakter uncnthaltsam. Wäre es nicht so, sie hätten nich'

') Damit nimmt B. das Stichwort von E. Kählcr auf (s. H. Hegermann. ThLZ
1964. 34f.).

B. liest in V. 34a den Reichstem (169) und übersetzt - ohne die Deutung
Verbs zu begründen -1 .Und verschieden ist (das Verhalten) der Frau und
Jungfrau" (168).

:l) Er würde heute über .Paulus' Stellung zu Frau und Ehe" vieles anders
als 1931