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Ausgabe:

1968

Spalte:

70-71

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Leist, Fritz

Titel/Untertitel:

Nicht der Gott der Philosophen 1968

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 1

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Die Eigenmächtigkeit der Tradition wird weiterhin aufgewiesen
an der 1963 erschienenen Enzyklika „Pacem in terris". An dieser
Enzyklika erkennt man, daß Tradition eine in sich ruhende
Größe geworden ist: «Aus einer rationalen Metaphysik, aus Naturrecht
und Vernunftglauben ist ein selbständiger, in sich gefügter
Weltentwurf entstanden, dem man den Glauben an Gott,
den Schöpfer der Welt . . . nehmen kann, ohne daß eine Einbuße
an Evidenz geschieht" (S. 27).

Die evangelische Entmächtigung der Bibel vollzieht sich durch
Kritik, die nicht aus einem Traditionalismus, wohl aber aus dem
Historismus herkommt. Naturforschung und Geschichtsforschung
haben sich zu einem Großangriff auf die Bibel zusammengetan
(S. 32). Hier setzt sich Paul Schütz mit der Existentialtheologie
der Bultmannschule auseinander, die von einer philosophischen
Existenz-Analyse ausgeht, und sagt dann: .In dieser Analyse
kommt die Beziehung Mensch-Gott nicht vor. Sie ist aber offen
für diese Beziehung" (S. 35). Hier ist das sola fide so überzogen
worden, daß das Wirklichkeitszeugnis der Schrift ins Hintertreffen
gerät: „Der Glaube (das sola fide) ist es, der die Schrift (das
sola scriptura) außer Kraft setzt - kraft des wissenschaftlichen
Wahrheitskriteriums. Der nackte Glaube hat die Wissenschaft
zur Kritik autorisiert. In seiner Weltlosigkeit gab er der Wissenschaft
die Welt frei. Und die Wissenschaft legitimierte den Glauben
in seinem nackten Allein* (S. 36). So gerieten wir in das „Vorfeld
der religiösen Humanität der Zeit" (S. 36).

Diesen Entmächtigungen der Bibel gegenüber weist Schütz
auf das Inkognito der Schrift hin. Wir haben es beim Lesen der
Bibel immer mit einem Subjekt zu tun, das sich nicht zum Objekt
machen läßt. .Dieses Subjekt nämlich spricht. Es hat eine
Stimme. Die Texte der Bibel sind ihre Membran. Membran und
Stimme sind nicht dasselbe. Nur im Anhauch der Stimme erzittert
die Membran. Ohne die Stimme ist die Membran einfach
Haut, nicht mehr" (S. 43). Und es geht in der Bibel um dieses
„An-sich" der Bibel, die Wirklichkeit, die in ihr west (S. 56). Das
Hören auf diese in der Bibel zu uns sprechende Stimme ist die
Grundlage aller Interpretation. „Christus hat aus Wasser Wein
gemacht. Es geht nicht an, daß wir aus dem Wort-Wein Wasser
machen" (S. 69).

Dieser Abschnitt über die Kirnst des Bibellesens wird dann
praktisch erläutert durch eine Reihe von Lesebeispielen, die auf
bestimmte biblische Texte Bezug nehmen (S. 74-143). Das soll
keine Anleitung zur Exegese sein, vielmehr soll das Auge geöffnet
und eingeübt werden, sich mit dem Text zu befassen:
.Sehen zu lernen, darauf kommt es an" (S. 75). Denn hier wird
das Wort nicht geredet: „Hier geschieht Wort' (S. 75). Der Weg
zu solchem sehenden Glauben aber führt allein über den Geist.
Dem Pneuma und der Pneumatologie wird grundlegende Bedeutung
für das rechte Hören und Sehen dessen, was der Text berichtet
, zugeschrieben (S. 101-110).

Der zweite Teil dieses Bandes bringt „Das Evangelium", wie
es uns Paul Schütz 1940 in erster Auflage, 1948 in dritter Auflage
vorgelegt hat, neu zum Abdruck. Welche Breitenwirkung
diese Arbeit hatte, geht aus der Tatsache hervor, daß die erste
Auflage 1940 zweimal ausgedruckt wurde und auch die dritte
Auftage zweimal (zuletzt im Katzmann-Verlag Tübingen 1951)
ausgedruckt worden ist. So liegen also mit dieser Veröffentlichung
von 1966 insgesamt sechs Ausdrucke vor. Paul Schütz hat
das .veni Spiritus creator" dieser Darstellung des Evangeliums
vorangestellt und damit, wie wir heute sagen würden, das her-
meneutischc Prinzip seiner Auslegung aufgewiesen. „Durch die
zerfallenden Hüllen der historischen Christentümer hindurch aber
schimmert zugleich die Johanneische Kirche, die Kirche des Dritten
Artikels der Heiligen Trinität als der apokalyptische Trosthelfer
dieses Geschlechtes hindurch." So stand am Schluß des
Vorwortes zur dritten Auflage 1948 zu lesen. Es wird wohl kaum
noch zu bezweifeln sein, daß dieser Hinweis auf das Geistzeugnis
gerade für uns heute grundlegend und wichtig ist, die wir
inzwischen in eine Theologie nach dem Tode Gottes geraten
sind. Dieser Hinweis ist das überzeitliche Element an dieser
Evangcliums-Darstellung wie an dem Gesamtwerk von Paul
Schütz überhaupt.

Berlin Otto Dilschneider

Leist, Fritz: Nicht der Gott der Philosophen. Freiburg-Basel-
Wien: Herder [1966]. 220 S. Lw. DM 24.80.

Die These, daß der Gott der Bibel ein anderer ist als der Gott
der Philosophen (und der ihnen nachwandelnden „Theologen"),
erhellt Fritz Leist - auf dem Umschlag als Religionsphilosoph
bezeichnet, faktisch nun eben gerade nicht Religionsphilosoph!
- durch eine gründliche und tiefschürfende Analyse der Gotteserfahrung
der Propheten des Alten Bundes. Das Buch erweckt
den Eindruck, als sei das Alte Testament der einzige Gegenpol
zum philosophischen Gottesbegriff - während doch einerseits
alle echten Religionen durch ihre Beziehungen zu einer, wenn
auch noch so verschieden vorgestellten, transzendenten Wirklichkeit
in Gegensatz zu einer philosophischen Fassung des Gottesgedankens
stehen und andererseits die klarste und reinste Alternative
zum philosophischen Gottesbegriff der Glaube an die
Offenbarung Gottes in Christus ist1.

Die Übersetzung der Texte, nach Buber-Rosenzweig, ist der
Zielsetzung des Verfassers konform. Die verkrampfte Hei-
deggersche Diktion und das Pathos sind jedoch der biblischen Materie
unangemessen. Die von Heidegger stammende Hochschätzung
bzw. Überbewertung des .Namens" wird auf alle behandelten
alttestamentlichen Texte angewendet: „Die folgende Arbeit
. . . möchte . . . einer Frage nachfragen, die bereits Moses
gefragt hatte . . . : .Was ist's um seinen Namen?' . . . Wir
möchten die Frage nach dem Namen als die Frage des ganzen
Buches bezeichnen. Um sie allein bewegen sich die Überlegungen
, die wir zu bedenken suchen. Allerdings werden wir diese
Frage nur so weit durchfragen können, als uns gelingt, den
Sinn solchen Fragens zu erhellen" (S. 9).

Das entscheidende Geschehen ist also die in Ex. 3 geschilderte
Selbstkundgabe Gottes. Er, den die Väter als ihren Elo-
him verehrt haben, soll nun unter dem Namen Jahwe angerufen
werden. Das Ereignis der Nennung des Namens, das Ereignis
schlechthin bedeutet: Das Ungewohnte greift nach Moses, indem
es sich sehen läßt. In der Stimme geschieht Hervorgang aus
dem Verborgenen ins Offene, Näherung des Fernen in die Nähe.
Aus dem Vorbehaltenen und Unbetretbaren wird ein Zeichen hinübergewinkt
in den Bereich des Menschen (S. 11 ff.).

.Name ist" .die Weise, wie der verborgene Gott unter jenen,
die ihn anrufen, anweist" (S. 23). Name ist ein Geschehen der
Übereignung im Gegensatz zu der Mitteilung eines Begriffs. Wir
sagen: Die Wirklichkeit Gottes überkommt den Menschen, nicht:
eine Gottesidee wird erdacht.

Die Bibel sei .verfugt" „aus dem Ereignis, dessen Stätte und
Sprache sie ist, wie aus dem Hören, das sie zugleich ist. Die
Zeugnisse sind gewachsen, ineinander verwoben, bis das Ganze
des alttestamentlichen Kanons entstanden ist. Dieses Wachsen,
Anreichern, Verbinden und Verfugen entsteht aus dem jeweiligen
Hören auf die Sprache, die zugesprochen wird" (S. 69). Eine reichlich
summarische Darstellung der Entstehung des A. T., verbunden
mit der richtigen Erkenntnis, daß „wir" „warten" „müssen",
„bis die Bibel zum Wort wird, das sich uns zuspricht" (S. 53),
und der unter unnötigem Verarbeiten des Heideggerschen Redens
von der Welt getroffenen Feststellung, daß die Bibel kein Weltbild
und keine Weltanschauung geben will (S. 55 f.).

Diesem biblischen Denken (das „An-denken" ist, S. 60) entsprechen
- wie L. ausführt - die ihm später aufoktroyierten
Kategorien der vorgegebenen Metaphysik keineswegs. „Was hat
da primum movens mit jener Überfülle Jahwes zu tun"? (S. 151).
Und auch causa efficiens prima, ens necessarium, die Ur sache
jeglicher Vollkommenheit und das letzte Ziel? (S. 152). Sicher
liegen hier andersartige, dem genuin Religiösen fremde Betrachtungsweisen
zugrunde, aber eine absolute Kluft zwischen beiden
Komplexen dürfte doch nicht bestehen. Schon frühe hätten, zeigt
L., christliche Theologen den „Namen" in Metaphysik eingeebnet
, so Clemens von Alexandrien und Dionysius Pseudoareopagita;
auch Augustins „id ipsum" (wesenhaftes Sein) verfällt diesem
Verdikt; und Thomas habe den Geschehnischarakter des Na-

') Vgl. W. Knevels: Die Wirklichkeit Gottes. 2. Aufl., Furche-Verlag 196«.