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Ausgabe:

1968

Spalte:

911-914

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Güttgemanns, Erhardt

Titel/Untertitel:

Der leidende Apostel und sein Herr 1968

Rezensent:

Lohse, Eduard

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Litcraturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 12

912

.Entdeckung des Geistes' (S. 155) über die israelitischen Gesellschaft
hereinbrechenden anthropologischen Misere dar? Sofort
drängt sich die Frage nach den Motiven, Anlässen und Hintergründen
dieses dem Israeliten bewußt gewordenen Auseinanderfallens
von Kult und Leben in seiner Welt auf, eine Frage, die
sowohl für die sachliche als auch für die zeitliche Bestimmung
kaum mit dem pauschalen Hinweis auf die salomonische Ära
befriedigend beantwortet werden kann. Und ist schließlich die hier
verhandelte Thematik nicht in einem noch weiteren Horizont
zu sehen? In Israel sind nicht nur Kultbegriffe .spiritualisicrt'
worden. Gelten die Ergebnisse unseres Autors nun auch für die
umfassendere allgemeine Geistesbetätigung der Spiritualisierung
materieller Phänomene, oder müßte man das Phänomen der
Spiritualisierung kultischer Begriffe auf Grund dieses weitergespannten
Rahmens neu durchdenken? - Vielleicht wird auch
nicht jeder die von G. v. Rad her gewonnenen Grundpositionen
akzeptieren wollen, auf denen das Gedankengebäude dieser Arbeit
errichtet wird. Aber merkwürdig, dächte man sich diese weg,
es bliebe immer noch viel Eigenständiges übrig, das erwägenswert
und diskutabel wäre. Nun will ja die Untersuchung von diesen
Voraussetzungen her verstanden sein, und das hat man zunächst
einmal zu respektieren. Es zeigt sich, wie fruchtbar von
dem Grundansatz her weitergedacht und weitergearbeitet werden
kann. Die von H. vorgelegte Monographie muß als ein wichtiger
Beitrag zu einem wichtigen Thema begrüßt werden, auf dessen
Überlegungen und Erkenntnisse man gern in Zustimmung, Ergänzung
und Auseinandersetzung zurückgreifen wird.

Corrigenda: S. 25. 3. Zeile v.o.: streiche die Anmerkungs-1 bei .Verständnis
'! S. 27, Anm. 6: lies .erst' statt .ers'l S. 88, letzte Zeile in der Klammer:
lies ö statt o! S. 101, 19. Zeile v. u.: setze einen Punkt zwischen .sollen und
,Nun . .'! S. 132, Anm. 3: setze die Anmerkungszahl 3 statt 8!

Leipzig Siegfried Wagner

Dommershausen, Werner: Der „Sproß" als Mcssiasvorstel-
lung bei Jeremia und Sacharja (ThQ 148, 1968, S. 321-341).

Hart lieh, Christian: Warum verwirft Gott das Opfer Kains?
(Gen. 4,1-16) (Der evangelische Erzieher 20, 1968, S. 190-200).

Herrmann, Siegfried: Mcse (EvTh 28, 1968, S. 301-328).

W e v e r s , J. W.: Septuaginta-Forschungen seit 1954 (ThR 33, 1968,
S. 18-76).

Zimmerli, Walther: Zur Exegese von Gen. 4,1-16 (Der evangelische
Erzieher 20, 1968, S. 200-203).

NEUES TESTAMENT

Güttgemanns, Erhardt: Der leidende Apostel und sein Herr.

Studien zur paulinischen Christologie. Göttingen: Vandenhocck

& Ruprecht 1966. 419 S. gr. 8° = Forschungen z. Religion u.

Literatur des Alten u. Neuen Testaments, hrsg. v. E. Käsemann

u. E. Würthwein, 90. DM44.-; Lw. DM48.-.

„Diese Arbeit fragt mit Hilfe des Motivs der apostolischen
T ciden nach der paulinischen Christologie" (S. 37). Seine Untersuchung
führt der Verf. in ständiger Auseinandersetzung mit der
bisherigen Paulusforschung durch, um nicht nur eine Korrektur
der gängigen Paulusdeutung, die von ihm vielfach als „Normal
exegese" bezeichnet wird (S. 181 Anm. 64; 264 Anm. 113 u. ö.),
sondern auch der Interpretation der paulinischen Theologie durch
R. Bultmann zu gewinnen. Der theologischen Arbeit Bultmanns
und seiner Schüler, insbesondere E. Fuchs, weiß er sich verpflichtet
, indem er das Programm der Entmythologisierung und
der cxistcntialcn Interpretation bejaht (S. 30 f. u. ö.), seine Verwirklichung
aber kritisch weiterzuführen sucht.

Nachdem er im ersten Teil ausführliche Erwägungen zur
Methode angestellt und seinen hcrmcncutischen Ansatz dargelegt
hat, nimmt der Verf. im zweiten Teil „exegetische Stichproben"
der Stellen vor, an denen der Apostel von seinen Leiden spricht.
Er beginnt mit der Frage, wer eigentlich Subjekt der uaermaTa
toü Xpootoö sei - der Apostel oder sein Herr (S. 16). An dieser
Begriffsverbindung wird bereits deutlich, daß dem apostolischen
Leiden christologischc Relevanz eignet. Der Christus, von dem
in diesem Zusammenhang die Rede ist, ist kein mythisches

Himmelswesen, sondern der irdische Jesus. Damit ist nicht einfach
der historische Jesus gemeint, sondern derjenige Jesus,
„der in seinem Wesen nur dann verstanden ist, wenn seine konkrete
Menschlichkeit nicht zu einem vorübergehenden Durchlaufstadium
eines wesenhaft himmlischen Wesens verflüchtigt
wird, sondern wesentlicher Gegenstand der christologischen Reflexion
bleibt" (S. 40).

Was die Korintherbriefe betrifft, so wird mit Schmithals und
Wilckens angenommen, daß Paulus in beiden Briefen eine christologischc
Kontroverse mit gnostischen Gesprächspartnern auszutragen
hatte. Den gnostischen Libertinismus in Korinth müsse
man „geradezu als christologische Ketzerei beurteilen, die eine
Konsequenz der gnostischen Identifikation von Erlöser und Erlösten
ist" (S. 231). Die schwerwiegenden Einwände, die H. Köster,
C. Colpe u. a. in ihren Rezensionen der genannten Arbeiten geltend
gemacht haben und die beide Autoren zu nicht unerheblichen
Korrekturen ihrer Ansichten veranlaßten, bleiben unberücksichtigt
. Das „Anathema Jesus" von 1.Kor. 12,3 gilt als gno-
stischer Satz (S. 62), ebenso aber auch die Ablehnung des Xplot6<;
wa-rät adtpwa in 2. Kor. 5,16 (S. 294). Das Wort ?Hxpu(ia (1. Kor. 15,8)
soll „in irgendeiner Beziehung zur Verkündigung der Aufcr-
weckung Jesu" stehen (S. 89) und besagen, der Apostel „stehe
im Kreise der Verkündiger mit der starken Betonung der chri-
stologisch-zeitlichen Distanz einsam da und sei ihr Erfinder"
(S. 91). In der Zeugenreihe von 1. Kor. 15,5-8 soll nichts - auch
nicht die Zwischenbemerkung V. 6b - den Eindruck rechtfertigen,
Paulus wolle einen historischen Zeugenbeweis führen (S. 92). Nach
1. Kor.12,29 habe jeder der korinthischen Gnostiker beansprucht,
Apostel zu sein (S. 94). „Das iaraupiiSri ig daSeveCar; kann nur als
gnostisches Theologumenon verständlich gemacht werden" (S. 150).
Wie diese Beispiele zeigen, sind zu den vorgetragenen Exegesen
im einzelnen mancherlei Bedenken anzumerken. Mit vollem Recht
wird jedoch eine mystische Interpretation, die das apostolische
Leiden als Ausdruck einer innigen Passionsgemeinschaft betrachten
möchte, entschieden abgelehnt. Der Ausdruck vcMpuoic, toü 'Inooö
(2. Kor. 4,10) besagt vielmehr, daß das schwache aü^a bzw. die
sterbliche odtp? des Apostels „der .Ort' der Erscheinung des Gekreuzigten
als des Auferstandenen, d. h. als des Herrn" sei
(S. 116). „Die &ad6vtia (sc. des Apostels) ist die irdische Manifestation
des Christus selbst" (S. 118). Der Verf. steigert diese
Feststellung zu dem Satz, die Leiden des Apostels (Gal. 6,17) seien
nichts anderes als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen
Jesus, „die als Heilsgeschehen am Apostel präsent ist und damit
die Identität des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbart", so daß
man geradezu „von einer Realpräsenz des Gekreuzigten als Herrn
an der apostolischen Existenz reden muß" (S. 134 - ähnlich S. 139.
170 u. ö.). Besser würde man etwas behutsamer formulieren und
wenigstens den Begriff der Epiphanie gegen Mißverständnisse
schützen (vgl. unten zu S. 197f.). Doch ist zutreffend erkannt, daft
„in der Schwäche des Apostels" „der Gekreuzigte verkündigt" wird
(S. 141) und daher in der Tat ein Zusammenhang zwischen den
apostolischen Leiden und der Christologie besteht.

Auch die Aussagen über den leidenden Apostel als Vater seinci-
Gemeinde nach Gal. 4,12-20 möchte der Verf. als Antwort de«
Paulus gegen eine gnostisierende Theologie seiner Gesprächspart'
ncr begreiflich machen. Da hier wie im 2. Korinthcrbrief die Bc
griffe 46mCa und iaßivcia vorkommen (S. 173-180) und die Parallele
im Hinweis auf die crtoixeToc toü vu5auou zu Kol. „zu auffäl'
lig" sei (S. 171 Anm. 3), wird angenommen, Paulus habe es auch
im Galatcrbrief wieder mit christlichen Pneumatikern zu tun.
denen gegenüber es sich gleichfalls um einen „Disscnsus in dC
Christologie" handle (S. 182). Dabei wird zu rasch die Problematik
des Gesetzes, um die sich die Auseinandersetzung im Galatcf
brief dreht, übergangen. Vor allem aber vermißt man, daß nicht
nach den religionsgcschichtlichcn Voraussetzungen der paulini'
sehen Aussagen gefragt wird. In der umfangreichen Untersuchung
werden nirgendwo die jüdische Lcidcnsthcologic, die Vorslelhm3
von den messianischen Wehen und die Aussagen über den leiden'
den Gerechten auch nur eines Blickes gewürdigt. Zu Gal. 4 würden
vornehmlich die Qumrantcxtc aufschlußreiches Vcrglcichsmateria'
bieten. Denn der Lehrer der Gerechtigkeit versteht sich als Gründer
und Vater der Gemeinde,- er muß leiden und erfährt in den
Leiden die rettende Hilfe Gottes. Fehlt in den Qumrantcxtcn dC