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Ausgabe:

1968

Spalte:

68-69

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schütz, Paul

Titel/Untertitel:

Evangelium 1968

Rezensent:

Dilschneider, Otto A.

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 1

68

seiner Beschäftigung mit dem Marxismus und mit dem Verhältnis
des christlichen Glaubens zur neuzeitlichen Wissenschaft. Die
andere Arbeit: .Denken und Glauben" (Kohlhammer Stuttgart
1965) trägt den Untertitel: »Ein Streitgespräch" und ist eine Wiedergabe
von Vorlesungen, die er in Dialogform mit dem Philosophen
W. Weischedel zusammen in Berlin gehalten hat.

Auch von dieser neuen Schrift gilt, daß sie von dem Willen
bestimmt ist, die Gesprächspartnerin zu verstehen und ernst zu
nehmen. Er sieht in D. Sölles Buch: „Theologie nach dem Tode
Gottes' zunächst den Versuch einer persönlichen Rechenschaftsablage
darüber, warum und inwiefern jemand von Jesus Christus
und seiner „beharrlichen Stimme" nicht loskommt, obwohl
er das „innere Schicksal" eines „nachtheistischen" Zeitalters für
unausweichlich hält. Was D. Solle berichtet, ist nach G. „von einer
eigenartigen Christozentrik". Die Entfernung von der „allgemeinen
und selbstverständlichen Annahme eines höheren Wesens
... hat nicht auch die Aussagen des Evangeliums über Jesus
Christus in den Sog der Antiquierung gerissen" (S. 21). Ja, Solle
kann schreiben: „Erst wenn die Selbstverständlichkeit Gottes dahin
ist, leuchtet das Wunder Jesu von Nazareth auf" (S. 22).

Wie eindringlich G. sich bemüht. Solle nicht von der Position
eines mehr wissenden Theologen „abzuschieben* - auch wenn
er ihr gelegentlich die Nützlichkeit eines gründlicheren Hörens
auf die theologische Tradition vorhält -, sondern sich ihren Fragen
auszusetzen, zeigen die Seiten 48 ff., auf denen er sich selber
zum Interpreten ihrer Gedanken macht. Dort stellt er sie sich
und seinen Lesern folgendermaßen gegenüber: Wir beginnen zu
ahnen, dar} die Gestalt Jesus über die Zeiten hinweg als Verheißung
unersetzlich ist, gerade in ihrer Menschlichkeit, in ihrer
innerweltlichen Erfolglosigkeit, in ihrem qualvollen, einsamen
Sterben. Wir können diese Ahnung nicht, wie früher, zu einer
Gesamttheorie ausbauen, wir können von hier aus nicht positive
Aussagen über Gott, Jenseits und Ewigkeit machen. Wir können
aber die Gestalt Jesus auch nicht dem großen Massengrab der
Vergangenheit überweisen. Sie hat Bedeutung für uns als Verheißung
und als Anweisung (vgl. S. 53).

Da auch in einem Theologen, der seine „Zeitgenossenschaft"
nicht verleugnet, solche „Fragen und Geständnisse" lebendig sind
(vgl. S. 55), macht G. sich den Dialog nicht leicht. Aber er wehrt
sich mit Entschiedenheit dagegen, wenn aus der Verstehensnot
des heutigen Menschen - was den Inhalt der biblischen Botschaft
anbetrifft - eine Tugend gemacht wird, also wenn D.
Solle nun ihrerseits den „theologischen Richtstuhl" besteigt, um
ihre Glaubenseinsichten „zu einer Richtlinie für die Reform der
Kirche und Theologie" zu erheben (vgl. S. 64). Ein solcher „theologischer
Neuentwurf" fordert theologische Kritik heraus.

G. führt diese durch, indem er die christologische, theologische
und schließlich die ethische Frage stellt.

Obwohl G. Sölles bewußte Christozentrik positiv herausstellt,
meint er doch, daß ihrem Buch gerade an diesem Punkt „die nötige
Klarheit" (S. 67) fehle. Sie rede entweder von Jesus cder
von Christus, vermeide aber offenbar bewußt die seit dem Neuen
Testament übliche Bezeichnung „Jesus Christus". So kann sie
zwar sagen: Das Tun und Leiden dieser bestimmten historischen
Person hat alle spätere und frühere, alles wirkliche und mögliche
Tun und Leiden anderer Personen vorweggenommen. Damit
gibt sie die Überzeugung des Neuen Testaments richtig wieder
, sagt aber an keiner Stelle deutlich, wie ein „nach-theisti-
scher" Mensch mit diesem Satz etwas Verständliches verbinden
soll, wenn unter „nach-theistisch* verstanden werden soll - was
doch wohl ihre Meinung ist -: ein Mensch, für den es keine
Auferstehung von den Toten und kein in die Geschichte eingreifendes
Handeln Gottes gibt (vgl. S. 68).

Das wichtigste Kapitel in G.'s Buch ist die Behandlung der
Frage: Was aber heißt Gott? (S. 72-126). Dort zieht er eine
ganze Anzahl weiterer Theologen - zustimmend und kritisch -
in den Dialog hinein. Er stellt sich in drei Abschnitten der Gottesfrage
und konfrontiert die gegenwärtige Theologie mit ihr:
A. „Gott" - ein Wort der Verheißung, B. Was heißt „Gott" nach
dem Alten Testament? C. Was heißt „Gott" nach dem Neuen
Testament?

Nach G. gehört es zu den Merkwürdigkeiten des Sölleschen
Buches, daß das Wort Gott fast auf jeder Seite vorkommt - sie
redet von ihm in mythisierenden Attributen als demi „Abwesenden
", dem „Verreisten", dem „Gestorbenen" etc. -, es aber nie
den Versuch einer genaueren inhaltlichen Bestimmung des Wortes
macht. Nun ist sicher, wie G. mit Recht sagt, die Verwirrung
um das Wort „Gott" heute so heillos, daß mit dem Worte allein
schlechthin nichts gesagt ist (vgl. S. 72). Aber diese Tatsache muß
doch den Theologen nötigen, danach zu fragen, wo und wie der
allgemeine Begriff „Gott" inhaltliche Gestalt angenommen hat.
G. zeigt in einer knappen, aber überzeugenden Weise, wie das
zu geschehen hat

Das Buch schließt mit dem Kapitel: Sein Stellvertreten und
unser Stellvertreten. In ihm fragt G. nach den praktischen Konsequenzen
, die sich aus dem Entwurf Sölles ergeben. Er sagt,
es sei ihm rätselhaft, wie eine Schülerin Gogartens ein Buch
über Stellvertretung schreiben konnte, ohne den Unterschied von
Gesetz und Evangelium vor Augen zu haben, ohne zu fragen, ob
nach dem Tode „Gottes" uns das Evangelium bleibt oder nur das
Gesetz. Aber das ist wohl die Folge der Weltschau, der sie sich
ausgeliefert wähnt. Wenn Gott „abwesend" und „unwirksam" ist,
dann können wir nicht mehr aus seinem Schenken leben, dann
sind wir auf unser Tun angewiesen. „Die Theologie nach dem
Tode Gottes von Solle hat in ihr Fundament einen Fatalismus
eingebaut"; ein Fatum aber ist immer Gesetz, „und wenn eine
Theologie beim Gesetz antritt, dann kann auch am Ende nichts
als Gesetz herauskommen" (S. 144).

Nun verkennt G. den Appell nicht, der von dem Buch Sölles
ausgeht. Er erwähnt dessen letzte Sätze mehrfach: „Als die Zeit
erfüllt war, hatte Gott lange genug etwas für uns getan ... Es
ist nunmehr an der Zeit, etwas für Gott zu tun." Und er ist selber
der letzte, der einem Quietismus das Wort reden will (vgl.
S. 131). Er erklärt sich darum, was die Einschärfung der menschlichen
Verantwortung in der heutigen Welt anbetrifft, ausdrücklich
mit Solle solidarisch (vgl. S. 146). Aber die „Verantwortung
ist nur dann tragbar und wahrnehmbar . . . , wenn sie nicht
als Gesetz, sondern als Gebot des Evangeliums zu uns kommt.
Als Gebot des Evangeliums kommt sie dann zu uns, wenn sie
umschlossen ist von der Verheißung der Gegenwart des lebendigen
Gottes" (S. 147). Sind in einer „nachtheistischen" Theologie
alle Sätze verboten, in denen Gott Subjekt von Tataussagen
ist, weil sie dem Fatum des „Todes Gottes" nicht Rechnung tragen
, dann kann diese Theologie nicht mehr vom Evangelium
reden, und das übrigbleibende Gebot wird dann zum Gesetz,
das uns auf uns selbst wirft. „Denn das Evangelium kann nur
gesagt werden als das Bekenntnis des tätigen und lebendigen
Handelns des Ersten und Letzten, gestern, heute und in Ewigkeit
" (S. 147).

Neuendettelsau Wilhelm Andersen

Schütz, Paul: Evangelium. Sprache und Wirklichkeit der Bibel
in der Gegenwart. Hamburg: Furche-Verlag [1966]. 582 S.,
1 Porträt 8° = Gesammelte Werke, I. Lw. DM 52.-.

Nachdem bereits 1963 der zweite und dritte Band der gesammelten
Werke vom Paul Schütz erschienen sind, wird nunmehr
der erste Band vorgelegt1. Er bringt zwei Arbeiten. „Die
Kunst des Bibellesens" (S. 17-134) und „Das Evangelium" (S. 135
bis 565). Angefügt sind ein Namenregister, Sachregister und ein
Bibelstellenverzeichnis.

Die Kunst des Bibellesens befaßt sich zunächst mit der katholischen
und evangelischen Bibelpraxis. Die katholische Praxis
zeigt eine Entmächtigung der Bibel durch die Tradition. Dies
legt Schütz dar an dem Verhalten der katholischen Kirche während
der nationalsozialistischen Zeit der Judenverfolgungen. Dabei
kommt er auf das Drama von Hochhuth „Der Stellvertreter"
zu sprechen. Schütz will deutlich machen, daß der Katholizismus
aus traditioneller Bindung heraus einem Zweckdenken verfallen
ist und dabei der unüberhörbaren Forderung der Bibel, das Ärgernis
der Verkündigung auf sich zu nehmen, ausgewichen ist.

') Siehe ThLZ 90 (1965), Sp. 215 u. 933.