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Ausgabe:

1968

Spalte:

872-874

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bea, Augustin

Titel/Untertitel:

Die Kirche und die Menschheit 1968

Rezensent:

Wolf, Hans-Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 11

872

Massa, Willi, SVD: Die Eucharistiepredigt am Vorabend der
Reformation. Eine matcrial-kerygmatische Untersuchung zum
Glaubensverständnis von Altarsakrament und Messe am Beginn
des 16. Jahrhunderts als Beitrag zur Geschichte der Predigt.
St. Augustin: Steyler Verlag 1966. XII, 251 S. gr. 8° = Veröffentlichungen
des Missionspriesterseminars St. Augustin, Siegburg,
15. DM 28,-.

Als Geffken 1855 urteilte, im späten Mittelalter sei mindestens
ebenso häufig gepredigt worden wie in der Gegenwart, folgten
ihm die Forscher auf evangelischer Seite nur sehr zögernd. Heute
darf die Richtigkeit seiner These als erwiesen gelten. Eine andere
Frage ist, ob der quantitativen Blüte der Predigt im späten Mittelalter
eine qualitative entspricht. Schon Cruel und Schian verneinten
das. Nicht, daß öfter gepredigt wurde, war das Neue seit der
Reformation - obwohl auch das weithin zutraf -, sondern daß
die Predigt einen neuen Inhalt erhielt. Massas Arbeit, eine Bonner
katholisch-theologische Dissertation, ist ein wertvoller Beleg dafür,
obwohl sie gelegentlich den Eindruck erweckt, als solle die Gewalt
des Neuanfangs in der Predigt Luthers nivelliert werden
(S. 10, 12). Insgesamt wirkt die Untersuchung jedoch als Bestätigung
dafür, dafj der reformatorische Protest notwendig war. „Man
kann den Zorn Luthers gegen die Metaphysik und seinen Ekel
vor der Scholasterei verstehen, war ihrer Übernahme in die Predigt
doch zu verdanken, dafj der Glaube so stark vom Aberglauben
überwuchert war... So läßt sich über die Eucharistiepredigt am
Vorabend der Reformation sagen, dafj sie gekennzeichnet ist von
theologischer Unklarheit in wichtigen Fragen, von der Unfähigkeit,
wichtige Wahrheiten in ihrem inneren Zusammenhang zu sehen,
von individualistischer Sicht der Sakramentsfrucht und einer Spiri-
tualisierung der Wirklichkeit von Sakrament und Kirche. Keryg-
matisch fehlt sie durch Doktrinalisierung, Moralisierung und Peri-
pherisierung" (S. 220).

Zu diesem Ergebnis kommt die gründliche Untersuchung repräsentativer
Predigten, von denen die meisten dem 15. Jahrhundert
entstammen. Aus der Zeit der Hochscholastik wurde nur Jacobus
de Voragine herangezogen. Nach einem kurzen Forschungsbericht
und einer Skizze der Predigtpraxis am Vorabend der Reformation
bietet Massa im ersten Teil eine Bio-Bibliographie der untersuchten
Predigtsammlungen und ihrer Autoren.

Verarbeitet werden Predigten der Franziskaner Johannes von
Werden, Johannes Gritsch, Heinrich Herpf, Roberto Caracciolo,
Oswald von Lasko, Bernhardin von Busti, Pelbart von Temesvar;
der Dominikaner Jakobus de Voragine, Johannes Nider, Johannes
Herolt, Guillermus Parisiensis, Gabriel Barletta; der Augustiner
Heinrich von Friemar, Jordan von Quedlinburg, Gottschalk Hollen,
Johannes Bechhofen, Johannes von Paltz; ferner von Jakob von
Jüterbog, Paulus Wann, Michael Lochmayr und die besonders ergiebigen
Predigten von Gabriel Biel und Geiler von Kaisersberg.
Außerdem untersucht Massa die im späten Mittelalter weitverbreiteten
anonymen Predigtwerke Sermones thesauri novi, Sermones
Meffreth und die Sermones parati.

Im Hauptteil stellt Massa die Theologie der Eucharistiepredigten
unter den Aspekten des Opfer- (S. 63-134) und des Sakramentscharakters
(S. 134-212) dar. An den Predigten namentlich des 14.
und 15. Jahrhunderts kritisiert der Verfasser ein statisches Eucharistieverständnis
, das einseitig unter dem Gesichtspunkt der Realpräsenz
stehend die theologische Einheit von Kreuz und Mefj-
opfer nicht habe erkennen lassen. So konnte es zu der in CA XXIV
verworfenen Lehre kommen, das Kreuzopfer tilge nur die Erbsünde
, das Meßopfer dagegen die täglichen persönlichen Sünden.
Im Gegensatz zu katholischen Apologeten wie N. Paulus zeigt
Massa, daß die Suffizienz des Kreuzopfers auf diese Weise tatsächlich
bei manchen Predigern nicht erkennbar war.

Da die Untersuchung einen Beitrag zur Vorgeschichte der Reformation
darstellt, wäre zu wünschen, daß Luthers Hauptanstoß an
der Messe, nämlich deren meritorischer Charakter, stärker berücksichtigt
würde. Luthers schroffe Verwerfung des sacrificium
zugunsten des vom Glauben zu empfangenden beneficium steht
im Gegensatz zur mittelalterlichen Eucharistiepredigt. Zwar ist in
ihr oft vom Glauben die Rede, aber darunter wird meist ein verdienstvolles
Fürwahrhalten der Wandlung verstanden. Daß dieses
auch im Mittelalter nicht immer vorausgesetzt werden konnte,
beweisen Predigten, die in der Form scholastischer Quaestionen
die Zweifel beheben wollen. Erörtert wurde z. B., wie Christus so

schnell vom Himmel herabkommen kann, daß er beim letzten
Wandlungswort schon da ist! (S. 157).

Nicht weniger deutlich zeigt sich der qualitative Unterschied
zur reformatorischen Predigt an den Listen der Meßfrüchte, mit
welchen die Prediger zur Meßfeier ermuntern wollten. Wer an der
Messe teilnimmt, hat danach nicht nur allerlei geistliche Güter zu
erwarten, sondern auch sein Leib wird gesund, da an diesem Tag
das Essen besser anschlägt! Außerdem altert niemand während
der Messe, und schwangere Fauen, die kurz vor der Entbindung
zur Messe gehen, gebären schmerzfrei (S. 127 ff.). Massa sagt
nicht zu viel, wenn er urteilt: »Der geforderte Heilsglaube an
Christus und seine Verheißung war großenteils zu einem Sachglauben
geworden; das Mysterium wird zum Monstrum, bei dem
es ebensoviele Wunder zu bestaunen und zu glauben gilt, als die
aristotelische Philosophie Kategorien aufweist" (S. 216). Daß gleichzeitig
»die Keime eines theologischen und kerygmatischen Neubeginns
zu treiben beginnen", deutet der Verfasser unter Hinweis
auf Biel, Paltz und Geiler von Kaisersberg an. Geiler vertrat die
sehr beachtliche und natürlich indizierte Meinung, die Predigt sei
heilsnotwendiger als die Sakramente (S. 217).

Der evangelische Leser wird sich hüten, „in der Periode vor
Luther nur die negativen Elemente einer überkommenen Predigtpraxis
zu sehen, um dann vom Beginn der Reformation an staunend
die Zeichen lebendigen Aufbruchs zu vermerken" (S. 12).
Trotzdem bestätigt das Buch - wohl stärker, als dem Verfasser
bewußt - die Erkenntnis, daß die Reformation einen höchst notwendigen
Neuanfang in der Geschichte der Predigt setzte. Mit
seiner klaren, ganz aus den Quellen gearbeiteten Untersuchung,
der ein Editionsverzeichnis der verwendeten Predigten beigefügt
ist, hat Massa der historischen Homiletik und der Kirchengeschichte
einen guten Dienst erwiesen.

Haüe'Saale Eberhard W i n k 1 e r

Mildenberger, Friedrich: Das Gebet als Übung und Probe
des Glaubens. Stuttgart: Calwer Verlag [1968). 87 S. 8°. Kart.
DM 6,80.

Schnell, Hugo: Gemeinde für alle. Reform des Kirchenkreises.
Berlin-Hamburg: Luth. Verlagshaus 1968. 118 S. 8° = Missionierende
Gemeinde, hrsg. v. E. Baden, H. Klemm, H. Schmidt,
H. Schnell, W. Wilken, 18. Kart. DM 9,80.

Simpfendörfer, Werner (Hrsg.): Die Gemeinde vor der
Tagesordnung der Welt. Dokumente und Entwürfe. Mit Beiträgen
von G. Casalis, J. C. Hoekendijk, H. J. Margull, W. Krusche, P. G.
Seiz, W.Simpfendörfer, T. Wieser. Stuttgart: Calwer Verlag (1968).
139 S. gr. 8° = Kirchenreform, 1. Kart. DM 8,50.

Voigt, Gottfried: Der befreite Mensch. 12. Kapitel reformatorischer
Theologie für die Gemeinde. Berlin-Hamburg: Luth. Verlagshaus
1968. 50 S. 8°. Kart. DM 5,80.

MISSIONSWISSENSCHAFT UND ÖKUMENE

Bea, Augustin, Kardinal: Die Kirche und die Menschheit, übers,
v. F. Schmal. Freiburg, Basel, Wien: Herder (1967). 279 S. 8°.

„Die Einheit der Menschheitsfamilie in Christus", das ist das
Thema dieses Buches. „Auf welche Weise und mit welchen Mitteln
erzieht die Kirche den Menschen zum echten Gemeinschaftsgeist
und Gemeinschaftsleben mit der ganzen Menschheit?", diese programmatische
Frage soll beantwortet werden.

Die Antwort geht von Feststellungen im Bereich des Natürlichen
aus. In der Familie lernt der Mensch sozial leben, in der
Verwandtschaft, in der Dorfgemeinschaft, in der nationalen und
politischen Gemeinschaft. Im religiösen Bereich entdeckt sich der
Getaufte als Angehöriger der „Familie Gottes", des Volkes Gottes,
das in horizontaler Universalität Menschen aller Nationen, Rassen
und Farben betrifft und in der Beziehung auch zu NichtChristen
gesehen werden muß. Dazu kommt eine vertikale Universalität,
die alle schon Abgeschiedenen umfaßt, dazu die guten und bösen
Geister, die den Menschen umgeben.

Der Mensch erlebt diese vielfache Wirklichkeit des Volkes
Gottes in grundlegender Weise in der Eucharistie, deren besondere
Feier sich dann im Alltagsleben darin bewährt, daß ein ständiger
»Lebensaustausch" zwischen der Kirche, die selbst als Gesellschaft
verstanden werden muß, und der menschlichen Gesellschaft
stattfindet.