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Ausgabe:

1968

Spalte:

847-850

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Oberman, Heiko Augustinus

Titel/Untertitel:

Forerunners of the Reformation 1968

Rezensent:

Zimmermann, Harald

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 11

848

Fassen wir zusammen: Im ganzen handelt es sich hier um eine
gründliche, das Bild des Ambrosius durch viele treffende Einzelzüge
bereichernde Untersuchung. Dafj nicht nur Einzelfragen beleuchtet
werden, sondern auch die Person des Ambrosius eindringlich
vor dem Leser erscheint, sei dem Verfasser besonders gedankt.

Das mit Literatur- sowie Namen- und Sachverzeichnis ausgestattete
Buch enthält nur wenige Druckfehler:

S. 82, Anm. 34: statt ad Andidum ad Candidum; S. 87, Anm. 72: statt Fid 13,
103/7 Fid III, 13, 103/7; S. 89, Anm. 76: statt Fid IV, 9, 143 Fid. IV, 11, 143;
S. 97, Anm. 115: Punkt statt Komma nach qui Semper est.; S. 267, 16. Z. v. o.:
statt können131 können S. 267, Anm. 331: statt fopatoc, Qiiavos

Heidelberg Ludwig Herrmann

Fabricius, Ulrich: Christusbild und Kaiserbild - die Darstellung
Christi in der altchristlichen Kunst (Der evangelische Erzieher
19, 1967, S. 471-478).

Richardson, Herbert W., u. Jasper Hopkins: On the
Athanasian Creed (HThR 60, 1967, S. 483-484).

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

O b e r m a n , Heiko Augustinus, Prof.: Forerunners of the Reformation
. The Shape of Late Medieval Thought, Illustrated by
Key Documents, Translations by P. L. N y h u s. New York -
Chicago - San Francisco: Holt, Rinehart and Winston (1966).
X, 333 S. 8°. Lw. $ 7.95.

Längst zählt es zu den selbstverständlichen Aufgaben des Historikers
, geschichtliche Fakten nicht bloß singulär zu erforschen, sondern
sie darüber hinaus genetisch im Zusammenhang der historischen
Entwicklung zu betrachten, ihre kausale Bedingtheit und Abhängigkeit
von vergangenen Ereignissen herauszuarbeiten und
auch auf diese Art und Weise eine Erklärung des Geschichtsablaufes
zu versuchen. Auf dem Gebiete der Reformationsgeschichtsforschung
hat dies immer wieder dazu geführt, positiv oder negativ
sowohl nach den historischen Voraussetzungen der reformatorischen
Theologie im Denken der vorherigen mittelalterlichen oder
altkirchlichen Epoche zu suchen als auch deutlicher nach sogenannten
Vorreformatoren und Vorläufern oder Wegbereitern der Reformation
in der Geschichte zu fahnden. Schon zur Zeit Luthers bemühte
man sich katholischerseits nach bewährtem Muster mittelalterlicher
Inquisition und Ketzerbekämpfung, den Reformator mit
den längst von der Kirche verdammten Häretikern in eine Linie zu
stellen. Matthias Flacius Illyricus aber, der führende Geist der
evangelischen Historiker im Zeitalter der konfessionellen Geschichtsschreibung
, schuf in der Mitte des 16. Jahrhunderts seinen
berühmten „Catalogus testium veritatis" zum Erweis der protestantischen
These, daß die Reformation keine neue Lehre aufgebracht,
sondern nur der alten, nie völlig unbezeugt gebliebenen Wahrheit
zum Durchbruch verholfen habe. Eine im Vergleich zum Katalog
des Flacius allerdings kleine Anzahl von Persönlichkeiten der hoch-
und spätmittelalterlichen Kirchengeschichte erscheint bis zur Gegenwart
in der einschlägigen Literatur mit den schillernden Ehrentiteln
von Vorreformatoren oder Vorläufern, Wegbereitern und Fackelträgern
der Refomation. So richtig es gewiß ist, das „dunkle Mittelalter
" von der ihm durch den Humanismus zuteil gewordenen abschätzigen
Beurteilung zu befreien, so wenig kann den Historiker
eine Lösung befriedigen, die offensichtlich entgegen historiographi-
scher Prinzipien eine frühere an einer späteren Epoche mißt.

Von solchen Erwägungen und mit der Konstatierung des konfessionell
-dogmatischen, polemischen oder apologetischen und damit
unhistorischen Charakters der Konzeption von Vorläufern der
Reformation nimmt das anzuzeigende Buch des Tübinger Kirchenhistorikers
Oberman seinen Ausgang, der sich durch viele gediegene
wissenschaftliche Arbeiten vor allem zur spätmittelalterlichen
Theologiegeschichte einen guten Namen gemacht hat. Das Buch erfüllt
freilich nicht die Erwartung auf eine endgültige Eliminierung
des mit Recht kritisierten Vorläufer-Begriffes, ohne den anscheinend
nicht auszukommen ist. Was dagegen geboten wird, ist eine
der weiteren Diskussion werte Umprägung der alten Konzeption,
die diese aus ihrer rein personalistischen Abzweckung herausnimmt
und mehr ideengeschichtlich akzentuiert. Als Vorläufer der Reformation
erscheint nicht diese oder jene Persönlichkeit des Zeitalters
vor der Reformation, nicht ein vielleicht seiner Zeit weit vorauseilendes
Individuum auf einsamer Höhe, sondern alle jene Theologen
sind darunter zu verstehen, die schon vor der theologischen
Kontroverse um Luther dann besonders brennend gewordene Themen
der Theologie erörterten. „Forerunners of the Reformation are
therefore not primarily to be regarded as individual thinkers who
express particular ideas which point beyond themselves to a
Century to come, but participants in an ongoing dialogue - not
necessarily friendly - that is continued in the sixteenth Century"
(S. 42). Im Grunde erscheinen der Dialog und seine Themen wichtiger
als die einzelnen Dialogpartner.

Aus dieser Neufassung der Konzeption ergibt sich einmal, dafj
nicht bloß dem den Reformatoren kongenialen Theologen der Zeit
vor der Reformation, sei es positiv, sei es negativ, Aufmerksamkeit
zu schenken ist, sondern auch den Vertretern jener Ansichten, die
zur festen katholischen Überzeugung wurden. Oberman beurteilt
die sogenannte Gegenreformation als eine echte Reformbewegung
innerhalb der katholischen Kirche, die ihrerseits ebenso wie die Reformation
ihre Vorläufer gehabt hat. Sein betonter Hinweis auf den
schon vor dem 16. Jahrhundert in Erscheinung tretenden, dann
allerdings zu einer bedauerlichen Spaltung führenden theologischen
Dialog beruht sichtlich auf dem modernen Verständnis der Reformationsgeschichte
und ist wohl ebenso von den gegenwärtigen Bemühungen
um ein ökumenisches Gespräch angeregt. Weiter ergibt
sich aus Obermans Neuansatz, dafj die Kontinuität zwischen Mittelalter
und Neuzeit deutlicher wird, der Übergang nicht als Bruch erscheint
und das Mittelalter eher in seiner Vermittlerfunktion zwischen
Antike und Neuzeit begriffen werden kann. Dem Mediävisten
ist es längst klar, daß auch die mittelalterliche Kirchengeschichte
von vielfältigen, allerdings mit der Reformation in Bedeutung und
Auswirkung nicht zu vergleichenden kirchlichen Reformbewegungen
durchzogen ist. Er weiß, dafj die romantische Verklärung des
Mittelalters als eine Epoche imposanter Glaubenseinheit eine unhistorische
Fiktion ist. Das wird durch den Verweis auf die theologischen
Debatten des Mittelalters und auf den Dissensus der Theologen
unterstrichen. Es will aber wohl auch deutlich machen, dafj
ein wesentlicher Teil theologischer Arbeit zu allen Zeiten in dialogischer
Auseinandersetzung besteht. Endlich werden durch Obermans
These weitaus mehr Persönlichkeiten und Werke der Theologiegeschichte
in neuer Weise in die historische Betrachtung einbezogen
, als dies bisher üblich war. Die theologische Diskussion war
freilich im Zeitalter der Reformation so groß und vielfältig, dafj
man sich fragen muß, wo die Grenzen zu ziehen sind und nach welchen
Prinzipien auszuwählen ist. Könnte im Grunde nicht die ganze
Theologiegeschichte vor der Reformation als Vorphase des reformationszeitlichen
theologischen Dialogs gewertet werden? Obermans
Beschränkung auf die Themen von Schrift und Tradition, Rechtfertigung
und Prädestination, Begriff der Kirche, Lehre vom Abendmahl
und Bibelexegese kann doch wohl nur als eine Auswahl der
bedeutendsten Probleme gelten. Wenn sie besonders herausgestellt
werden, dann heißt das aber wiederum, dafj über Wichtigkeit oder
Unwichtigkeit der Fragestellungen der mittelalterlichen Theologie
ihre Rezeption in der Reformationszeit entscheidet und somit von
der Warte einer späteren Epoche über eine frühere geurteilt wird.

In einem ersten Kapitel sucht Oberman den Vorläuferbegriff
historisch zu klären. Er legt dabei dessen Genesis im Zeitalter der
Reformation dar und schildert mit Hinweis auf das 1841 erschienene
Buch von Karl Heinrich Ulimann „Reformatoren vor der Reformation
" und mit besonderem Eingehen auf die Ansichten von
Albrecht Ritsehl, Friedrich Loofs, Reinhold Seeberg und Adolf von
Harnack Aufnahme und Auswertung des Terminus in der Historiographie
und Theologiegeschichte. Darüber hinaus bietet er einleitend
gleichsam als historische Folie des Wirkens der sogenannten
Vorläufer der Reformation eine Darstellung der merkwürdig
zwischen Kritik und Leichtgläubigkeit schwankenden, von apokalyptischen
Erwartungen und reformatorischen Tendenzen geprägten
Kirchlichkeit der Menschen im „Herbst des Mittelalters". In den
folgenden Kapiteln werden jeweils zu einem der genannten Hauptthemen
der theologischen Diskussion der Reformationszeit Meinungsäußerungen
spätmittelalterlicher Theologen zuerst systematisch
und zum Teil weit in die Theologiegeschichte ausgreifend besprochen
und dann in englischer Übersetzung mitgeteilt.

In bezug auf Schrift und Tradition sind dies der Pariser Theologe
und spätere Bischof von Genf Johannes Brevicoxa (f 1423) mit