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Ausgabe:

1968

Spalte:

837-839

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Burchard, Christoph

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zu Joseph und Aseneth 1968

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 11

838

Burchard, Christoph: Untersuchungen zu Joseph und Aseneth.

Überlieferung - Ortsbestimmung. Tübingen: Mohr 1965. VIII,
180 S. gr. 8° = Wissenschaftl. Untersuchungen zum Neuen Testament
, hrsg. v. J. Jeremias u. O. Michel, 8. DM 44,-; Lw.
DM 48,50.

Der Roman „Joseph und Aseneth" (JA), einst zur Weltliteratur
gehörig, in der Neuzeit aber ziemlich gründlich vergessen, hat erst
in jüngster Zeit wieder stärker das Interesse der Wissenschaft auf
sich gezogen. Jedoch ist bis heute das Werk „nur kümmerlich herausgegeben
, kaum philologisch untersucht, religionsgeschichtlich
nicht sicher eingeordnet, ungenügend interpretiert" (S. 1). Der Verfasser
hat in seiner Göttinger Dissertation 1961, die jetzt in überarbeiteter
Form als Buch erschienen ist, die schwierige Aufgabe angegriffen
, einige dieser Mängel zu beheben.

Im ersten Teil gibt der Verfasser einen Bericht über den Zustand
der Überlieferung des Werkes und die großen Linien der Textgeschichte
. Das ist keineswegs ein zusammenfassendes Referat über
einen bereits von anderen erreichten Stand der Arbeit am Text von
JA, sondern der Verfasser hat selbst in mühevoller und überaus
gründlicher Arbeit als erster den Versuch unternommen, den gesamten
Bestand der handschriftlichen Zeugen für alle Überlieferungszweige
zu ermitteln. Als „Ausbeute einer Durchmusterung fast
aller einschlägigen Handschriftenkataloge, Papyruscorpora und Bibliographien
, soweit sie gedruckt und halbwegs zugänglich sind...,
und vieler Briefe an die meisten Bibliotheken Europas und des
Vorderen Orients" (S. 3) legt er eine Liste der bisher bekannten
oder von ihm ermittelten Handschriften vor, in der er insgesamt
84 (85) Textzeugen (16 griechische, 2 syrische, 40 armenische,
13 [dazu ein mittelenglischer] und 5 lateinische [L I und L II],
2 serbisch-kirchenslawische, 2 neugriechische, 4 rumänische) katalogisiert
und dazu die gedruckten Referenzen für das jeweilige Gesamtmanuskript
angibt. Der Verfasser meint, dafj damit der größte
Teil der Überlieferung, soweit er sich überhaupt noch nachweisen
läßt, erfaßt ist, „jedenfalls was Gr, L I, L II, Slaw angeht. Bei Syr
ist kein endgültiges Urteil möglich . . . Die armenischen Handschriften
sind ziemlich sicher noch nicht vollständig" (S. 3). Die Handschriften
, von denen Burchard mindestens eine größere Textprobe
vorlag, hat er (mit zwei Ausnahmen) nach einem eigenen System
mittels dreistelliger Zahlen sigliert; und zwar so, daß die erste
Ziffer die Sprache, die zweite das Alter („Endstelle der Ordnungszahl
des Entstehungsjahrhunderts") und die dritte die verschiedenen
Handschriften desselben Jahrhunderts bezeichnen. Die Siglie-
rung wird wenigstens für die armenischen Zeugen erweitert werden
müssen. Insgesamt ist bereits diese Liste eine bewunderungswürdige
Leistung.

Ihr folgt der Versuch, die Überlieferung zu werten. Er basiert
auf Kollationen aus allen erreichbaren Handschriften (insgesamt 45)
zu bestimmten, textkritisch besonders interessanten Stellen. Zunächst
werden die einzelnen Überlieferungszweige untersucht. Die
griechische Überlieferung zerfällt im wesentlichen in 4 Familien,
a bis d. Die am besten und vollständigsten erhaltene Familie a ist
durch eine gräzisierende Bearbeitung gegangen, die relativ ursprünglichste
, b, ist nur in 4 eigenwilligen und sehr jungen Handschriften
vertreten; c und d stehen zwar b nahe, aber c enthält den
Text von JA nur bis 16, 17 (Batiffol 65,1), während d ihn insgesamt
kürzt und überdies a am nächsten steht. Von den anderen Überlieferungszweigen
fallen nach Burchard der slawische, neugriechische
und rumänische für die Textwiederherstellung ganz aus.
Dafür scheint - nächst der griechischen Überlieferung - „Arm am
wertvollsten zu sein . . . Dann kommen vermutlich Syr L I II (in
dieser Reihenfolge)" (S. 48). Der Verfasser legt sodann 6 Textproben
vor, indem er zunächst in sehr übersichtlicher Weise die einzelnen
Überlieferungsstränge in Parallelzeilen untereinander vorführt
(bei der ersten Probe, die die Überlieferung des Titels aufarbeitet
, sogar in zwei getrennten Abteilungen), dann die wichtigsten
Lesarten diskutiert und schließlich mit aller Vorsicht einen Rekonstruktionsversuch
des ältesten, textkritisch erreichbaren Textes
vorlegt, ein Musterbeispiel gelehrter und scharfsinniger Sorgfalt.
Hoffentlich wird nach diesen Vorarbeiten bald eine verläßliche Ausgabe
des gesamten Textes folgen!1

Der zweite Teil ist ein Versuch der Ortsbestimmung des Wer-

1 Geraume Zeit nach Abschluß dieser Besprechung ist eine Neuausgabc erschienen
: M. Philonenko, Joseph et Aseneth. Introduction, texte critique, traduetion et
notes (= Studia Post-Biblica 13), Leiden 1968.

kes. Es ist nach Burchard originalgriechisch und jüdisch. Eine genauere
Bestimmung des geistigen Ursprungsortes innerhalb des
Judentums hält der Verfasser zur Zeit für noch nicht möglich, meint
allerdings, essenische oder therapeutische Herkunft ausschließen
zu können. Entstanden ist das Buch in Ägypten. Da es zum Kreis
des jüdisch-hellenistischen Schrifttums gehört, das sich missionarisch
(-apologetisch) mit dem Heidentum auseinandersetzt, ergibt
sich als terminus ante quem (für Ägypten) die Zeit Trajans. Der
terminus post quem ergibt sich aus der Benutzung später Stücke
der LXX („kaum vor dem späteren 2. Jahrhundert, wahrscheinlich
kaum vor dem 1. Jahrhundert v. Chr.") (S. 144). Dem Fehlen
der Proselytentaufe glaubt Burchard eine noch genauere zeitliche
Eingrenzung entnehmen zu können. Da er, im Anschluß an seinen
Lehrer Jeremias, damit rechnet, daß die Proselytentaufe gegen
Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. eingeführt wurde, sie in JA aber
nicht vorausgesetzt ist, muß das Werk also vor dieser Zeit entstanden
sein. Freilich sollte man aus sprachlichen Gründen besser nicht
weit in das 1. Jahrhundert v. Chr. hinaufgehen, denn „soweit sich
das nach den Wörterbüchern feststellen läßt, taucht in JA . . . eine
Reihe von Wörtern auf, die sonst erst in neutestamentlicher Zeit
oder noch später zum ersten Mal vorkommen" (S. 148f.). Wer nicht
von dem hohen Alter der „Proselytentaufe" überzeugt ist und sie
erst nach 70 n. Chr. im Judentum eingeführt sieht (vgl. G. Delling,
Die Taufe im Neuen Testament, Berlin 1963, 30-38), wird von den
übrigen Voraussetzungen des Verfassers her lieber an das 1. nachchristliche
Jahrhundert als Entstehungszeit denken.

Mir ist nun aber überhaupt fraglich, ob JA in der Weise des
Verfassers als eine einheitliche jüdische Schrift beurteilt werden
darf. In Kap. 16 (Batiffol 62, 23-65,17) z. B. sind ganz offenbar
zwei verschiedene Vorstellungen nebeneinandergestellt (nach der
einen wird Aseneth mit einer wunderbar beschafften Honigwabe
gespeist 16, 1 ff. [62, 23ff.], nach der anderen, die Gr. d denn auch
weitgehend getilgt hat, entstehen aus der Wabe Bienen, die Aseneth
bedecken, und andere, die ihr eine Wabe in den Mund bauen,
von der wiederum die Bienen essen 16,17ff. [64, 20ff.]). Jedoch
dürften sichere Urteile über den Aufbau von JA erst nach Vorliegen
einer kritischen Gesamtausgabe möglich sein. Ich habe aber den
Eindruck, daß es dann möglich sein wird, wenigstens an einigen
Punkten zu erkennen, daß und wie der Text gewachsen ist. Ich
halte es jedenfalls für wahrscheinlich, daß die vorliegende Gestalt
von JA christlich überarbeitet ist. So ist Joseph offenbar doch entsprechend
einer altkirchlichen Anschauung (vgl. S. 114 A. 5) als
Typos Christi verstanden (wahrscheinlich allerdings erst in einer
Bearbeitung, so daß Inkonsequenzen nicht dagegen geltend gemacht
werden können). 13,13 (Batiffol 57, 25-58, 5) bittet Aseneth Gott
dafür um Vergebung, daß sie unwissentlich viel gegen ihn gesündigt
und (= d. h.?) ßXctaipriuce ptin<rra eis tov wuptov iox> Joseph geredet
habe, da sie nicht wußte, vIoq oou eotuv ■ Denn sie sei
durch die Rede schlechter, neidischer Menschen, er sei (nur) ein
Hirtensohn aus Kanaan, getäuscht worden. Danach sind Fehlurteile
über Joseph auf Grund seiner (tatsächlichen, irdischen) Abstam-
mun9 pXctatp-nnce prfucrcrx > fur die in einem Sündenbekenntnis die
göttliche Vergebung erbeten wird. Hier zeigt sich, daß wenigstens
das Würdeprädikat „Sohn Gottes", das „in dieser Form (als Beiwort
für eine bestimmte Einzelgestalt) auf jüdischem Gebiet analogielos
ist" (S. 115), schwerlich in den Rahmen eines jüdischen Romans paßt
(anders Burchard S. 115ff.). Auch die bereits erwähnte Speisung der
Aseneth bei ihrer Bekehrung scheint mir nicht jüdisch zu sein.
Burchard weist (S. 130) nach, daß die Honigwabe das Manna ist.
Nach jüdischem Glauben aber gibt es in der Gegenwart kein Manna
für die Menschen, sondern erst wieder in der Endzeit. Überhaupt
ist die Bekehrung als Wiedergeburt (zum ewigen Leben) vorgestellt
(15, 4f. [Batiffol 61, 3-7]). Daß die (wiederholt in leichter Variation
begegnende Wendung

ecrövetv aprov EuTioyrinevov Qärtc, iCveiv novnpiov euXoYntiEvov
aflavecatoec, nett, yntcaSat, yptwrzi eijXoYrillcvw am^toaCar
nichts anderes als das einfache Essen more judaico bedeuten soll
(so Burchard S. 126-133), leuchtet nicht recht ein. Vom Kontext der
Wendung sowie von 19,3 (Batiffol 69, 8f.) (und Psalm V. 11, vgl.
Burchard S. 89 f.) her kann man sogar vermuten, daß die Salbung
erst sekundär zu Brot und Kelch hinzugewachsen ist. Vielleicht hilft
zur Erklärung die liturgisch-sakramentale Praxis der alten Kirche
(einschließlich der Gnostiker) weiter (schon Schürer III4, 401 Anm.
verwies auf Luk. 24,43 v. 1.).

Der Verfasser hat sich durch seine ungemein soliden Unter-