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Ausgabe:

1968

Spalte:

61-65

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Elbern, Victor H.

Titel/Untertitel:

Das erste Jahrtausend 1968

Rezensent:

Jursch, Hanna

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 1

68

GESCHICHTE DER
CHRISTLICHEN KUNST

E 1 b e r n , Victor H. r Das erste Jahrtausend. Kultur und Kunst
im werdenden Abendland an Rhein und Ruhr. Textband I.
2. Aufl. Düsseldorf: Schwann (1963). 566 S. m. Abb. u. Ktn.-
Skizzen i. Text u. Abb. a. Taf. 4°. Lw. DM 64.-.
Dem Tafelband mit gleichem Titel (vgl. Reiz. ThLZ 89, 1964,
Sp. 690 f.) sind zwei Textbande zugeordnet, von denen Bd. I hier
gewürdigt werden soll. Es handelt sich um einen Sammelband
von 22 Aufsätzen, bei deren Durcharbeitung der Tafelband unentbehrliche
Dienste tut. Zu einigen Spezialaufsätzen sind auch
dem Textband noch Tafeln beigegeben, außerdem Pläne und
Karten, die z. T. dem Katalog der Ausstellung entnommen sind.
Legt der Leser das Buch aus der Hand, so wird er dankbar feststellen
, daß sein Wissen um jene Jahrhunderte viel reicher geworden
ist, Rahmenaufsätze geschichtlichen, kirchen- und kunst-
geschichtlichen Inhalts erleichtern das Verständnis der vielen
Spezialuntersuchungen vor allem auf territorial- und kunstgeschichtlichem
Gebiet. Es ist keine Übertreibung, wenn im Untertitel
von Kultur und Kunst im werdenden Abendland gesprochen
wird - es sind wirklich alle Kulturgebiete berücksichtigt.
Nach dieser Gesamtwürdigung gilt es, die Ergebnisse der einzelnen
Untersuchungen in aller Kürze anzudeuten. Ungeachtet
der Anordnung der Aufsätze in diesem Band fasse ich die geschichtlichen
, die kirchengeschichtlichen und die kunstgeschichtlichen
Untersuchungen zu je einer Gruppe zusammen.

Hermann Schmitz untersucht: „Die Zeit der Römerherrschaft
am Rhein", ausgehend von dem Burckhardtschen Gedanken
, daß die antike Gesamtkultur in die unsrige übergegangen
>st. In drei Perioden wird die Begegnung des Imperiums mit den
germanischen Völkern geschildert: von Caesar bis zum Tode
Neros, die zweihundertjährige Friedenszeit, die Eroberung der
Gebiete westlich des Rheins durch die Franken. - Helmut Beuna
a n n äußert sich über: „Die Kaiserfrage bei den Paderborner
Verhandlungen von 799". Er geht aus von einem lateinischen
Epos, das im einer St. Galler Handschrift des 9./10. Jahrhunderts
erhalten geblieben ist. Nach neuester Forschung ist das Gedicht
in Paderborn während der Verhandlungen entstanden. Es wird
die These widerlegt, nach der Leo der Initiator und Karl der
Überraschte gewesen sei. Das schwierige Problem ist nach Abschluß
der Arbeit wiederum erörtert worden und wird immer
wieder Gegenstand neuer Abhandlungen sein. Der Wert des Aufsatzes
liegt vor allem in der Auswertung bisher kaum benutzter
Quellen für das vorliegende Problem. - Eugen Ewig bearbeitet
das Thema: „Kaiser Lothars Urenkel, Ludwig von Vienne,
der präsumtive Nachfolger Kaiser Karls III.". Es wird wahrscheinlich
gemacht, dafj es Karl III. auf dem Reichstage in Waiblingen
887 um die Frage der Nachfolge ging.

Die kirchengeschichtlichen Arbeiten werden durch einen Rah-
fnenbericht von Eduard Hegel über: „Die Rheinische Kirche in
römischer und fränkischer Zeit" eingeleitet. Die vorkonstantini-
sche Zeit gibt verhältnismäßig wenig her. Seit Konstantin erfährt
die rheinische Kirche eine bedeutende Ausbreitung und
Festigung, verspürt aber auch in den kirchenpolitischen Wirren
den kaiserlichen Druck. Seit etwa 260 ist Trier Residenz des Kaisers
, und so kommt es, dafj die dogmatischen Streitigkeiten, an
denen sonst das Abendland wenig Anteil hat, sich bis hierher
ausbreiten und sich in der rheinischen Kirche nicht nur römische
, sondern auch östlich-hellenistische Einflüsse geltend machen
. Zu Köln und Trier gesellen sich als weitere Zentren Tongern
, Mainz und Xanten. Der Aufschwung des kirchlichen Levens
wird vor allem durch die Kirchenbauten in Köln und Trier
anschaulich gemacht. In Trier, Köln und Mainz ist er der Zugehörigkeit
zur Reichskirchenorganisation zu danken. Dennoch hat
sich der Übergang von der römischen zur fränkischen Herrschaft
nicht durch Ausrottung des Christentums vollzogen. Unter
■den Franken gab es neben den Gruppen, die die Unabhängigkeit
erstrebten, immer auch solche, die den Reichsgedanken bejahten
. Die Kontinuität des Christentums in diesen Zeiten des
Übergangs läfjt sich vor allem an den Friedhöfen nachweisen.
Nachdem Chlodwig 496 mit seinen Franken zum Christentum
übergetreten war, beginnt eine Zeit der Konsolidierung, die Bischöfe
der Hauptstädte, vor allem Niketius von Trier, stellen die
zerstörten Bauten wieder her, die letzten Vertreter des gallo-
römischen Episkopats übergeben ihren fränkischen Nachfolgern
das wiederhergestellte römische Erbe. Im 7. Jahrhundert macht
sich die Bedeutung des fränkischen Adels in der Kirche spürbar
: Er besetzt Bischofsstühle, er errichtet Landkirchen, er erkennt
die Bedeutung des Klosterwesens. - Die territorialgeschichtlichen
Arbeiten können in einer Sammelrezension nicht erfaßt
werden, ich nenne die Titel: Eugen Ewig schrieb über:
„Die ältesten Mainzer Patrozinien und die Frühgeschichte des
Bistums Mainz". Ferdinand P a u 1 y untersuchte: „Die älteste
Pfarrorganisation des Erzbistums Trier an Mosel und Mittelrhein
". Beide Arbeiten bieten kurze Zusammenfassungen mit den
Resultaten. Helmut Weigel beschäftigt sich mit: „Aufbau und
Wandlungen der Grundherrschaft des Frauanstiftes Essen (852 bis
1803)". Hier wird die fast tausendjährige Geschichte einer Institution
, in der sich mittelalterlicher Geist bis 1803 hat erhalten
können, in äufjerst lebendiger Schilderung vor uns aufgerollt.
Drei frömmigkeitsgeschichtliche Studien schließen die kirchengeschichtlichen
Betrachtungen ab. Klemens Honselmann berichtet
über: „Reliquientranslationen nach Sachsen". Es geht um
die historischen Tatsachen der Übertragung von Reliquien, nicht
um die Frage der Echtheit. Die Arbeit ist zeitlich auf das 9.
Jahrhundert, geographisch auf die später sogenannten westfälischen
Bistümer begrenzt. Wichtige Ergebnisse werden am Schluß
zusammengefaßt. - Die einzige biographische Studie schrieb
Alois Schröer über: „Das geistliche Bild Luidgers". Die Gestalt
Luidgers wird in ihrer persönlichen Eigenart aus den Quellen
herausgearbeitet. Luidger, der Friese, ist im Dienst der angelsächsischen
Missionsidee. In Utrecht, York und Monte Cassino
empfängt er benediktinische Bildung. Sein Wesen ist geprägt
durch die Kardinaltugend der temperentia. Sein Tugendstreben
ist monastisch und auf Christus hin geordnet. Im Mittelpunkt
seiner religiösen Welt steht die heilige Messe. Seine persönliche
Gebetsfrömmigkeit trägt warme menschliche Züge. Er war ein
begabter Lehrer und Erzieher, der sich der Bildungslage seiner
Hörer anpaßte. „Die typische Stimmumgslage seiner pastoralen
Verkündigung war weltflüchtig-eschatologiseh" (S. 215). - Eine
der interessantesten Abhandlungen des vorliegenden Bandes
schrieb Friedrich Prinz über: „Die Entwicklung des altgallischen
und merowingischen Mönchtums". Die Untersuchung berichtet
zuerst vom heiligen Martin, seinen Klöstern und seinem
Kult. Die Geschichte des Mönchtums in Gallien beginnt mit ihm.
Aber erst durch Chlodwig wächst er über seine aquitanische Bedeutung
hinaus: Martin wird zum fränkischen Reichsheiligen.
Aber ein Gebiet, obwohl seit dem 6. Jahrhundert ebenfalls fränkisch
, fällt für die Martinsverehrung fast ganz aus: das Rhonegebiet
. Warum? Das wird im zweiten Abschnitt geklärt, der über
das Inselkloster Lerins (Lerinum) und seinen Einfluß in Gallien
handelt. Auf Lerinum wurde um 400 in kritischen Zeiten des
römischen Imperiums (Verlegung des Kaiserhofes von Trier nach
Mailand, der Sitz des gallischen Präfekten wird Arles) ein Kloster
gegründet, das zum Zentrum der christlichen Literatur ganz
Galliens werden sollte. Im 5. Jahrhundert ist Lerinum das Hauptzentrum
mönchischen Lebens gewesen, eine Fülle von Klostergründungen
ist von dort ausgegangen. Auch das irische Mönch-
tum (Patrick) ist unter dem Einfluß von Lerinum (Auxerre) entstanden
. Es haben sich also in zwei verschiedenen geographischen
Räumen zwei verschiedene Formen des Mönchtums gebildet
, die kaum Notiz voneinander genommen haben. Das
Rhonemönchtum mit seiner orientalischen Mönchskultur war wesentlich
besser organisiert als das der Martinsklöster. Die beiden
eben geschilderten Formen aber gehören als Geschöpfe des
antiken mittelmeerischen Kulturraumes zusammen, wenn man in
Betracht zieht, was sich in der Folgezeit ereignete. Der dritte
Teil ist dem irofränkischen Mönchtum gewidmet. Seit Columban
ändert sich die völkische Zusammensetzung der Klosterinsassen,
es ändert sich das Verhältnis der Klöster zu den Bischöfen, und
die Beziehungen zum fränkischen Königtum und Adel wandeln
sich. Die Klöster gewinnen Sonderrechte gegenüber den Bischöfen
. Wichtiger aber ist die enge Beziehung des irischen Mönchtums
zur merowingischen Reichsaristokratie. Das von Franken
und Romanen getragene Klosterwesen bildet eine kulturell hö-