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Ausgabe:

1968

Spalte:

833-835

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Daube, David

Titel/Untertitel:

Collaboration with tyranny in rabbinic law 1968

Rezensent:

Bammel, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 11

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Gebote) gegründet werden können." In der Zusammenfassung bestätigt
der Verfasser, dafj Goethe wegen mancher feiner und bleibend
wertvoller Beobachtung ein Ehrenplatz in der Geschichte der
Pentateuchkritik gebührt, dafj er aber nur e i n Tafelzehngebot,
nämlich das kultische, kenne. Die beiden Dekaloge müssen auf zwei
parallele Erzählungsfäden verteilt werden. Nach J war der kultische
Dekalog auf den Tafeln geschrieben, nach E der ethische.
Nun hat der Redaktor die beiden Erzählungen in der Weise miteinander
verbunden, dafj die Erzählung von J nach der des E folgt:
Die Tafeln der J-Erzählung sind demnach erst verfertigt worden,
nachdem die ersten zerbrochen waren. Nun werden aber nicht
- wie man nach der Erzählung voraussetzen müfjte - die zehn Gebote
von Ex. 20, 1-17 wiederholt, sondern es folgen die des kultischen
Dekalogs aus J. Sowohl P als auch D bauen weiter auf die
E-Tradition, auch wenn nun viele andere Gesetze hinzukommen.
Die Tradition von L scheint hier fragmentarisch zu sein, sie hat
aber von einem Bundesmahl erzählt, so auch von einem Aufruhr
des Volkes, der jetzt in die Erzählung vom goldenen Stierjungen
eingeflochten ist.

Diese Resultate erheben noch weitere Fragen, die der Verfasser
in dieser Untersuchung nicht behandelt. Man könnte die Frage von
Goethe wiederholen: „Was stund auf den Tafeln des Bunds?" Es
sieht so aus, als hätten die Israeliten nicht mehr Kunde davon gehabt
, was in der heiligen Lade war, da bei ihnen so verschiedene
Traditionen entstanden sind, wie sie J und E vertreten. Auf der
anderen Seite erhebt sich die Frage, welche Stellung der ethische
Dekalog in der israelitischen Beligion gehabt hat. E hat ihn in den
Mittelpunkt gestellt, denn er behandelt ihn als den einzigen Inhalt
des Sinaibundes. Die Gebote sind natürlich viel älter, von einer
ethisch betonten Religion kann man aber eigentlich erst dann sprechen
, wenn die ethischen Forderungen als Mittelpunkt der Religiosität
erlebt werden. Dafür ist wohl die E-Tradition das erste Zeugnis
, die P-Tradition zeigt, wie diese Stellung des ethischen Dekalogs
zum Teil wieder verwischt wurde.

Helsinki Ilmari Soisalon-Soininen

Fohrer, Georg: Der Mittelpunkt einer Theologie des Alten

Testaments (ThZ 24, 1968, S. 161-172).
Corbach, Liselotte: Wir lesen Arnos. Didaktische Grundlegung

und Leseszene. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1968]. 96 S.,

3 Taf. gr. 8°. Kart. DM 16,80.
Janzen, J. Gerald: Double Readings in the Text of Jeremiah

(HThR 60, 1967, S. 433-447).
Kilian, Rudolf: Ps 22 und das priesterliche Heilsorakel (BZ 12,

1968, S. 172-185).
Miller, Patrick D.: El the Warrior (HThR 60, 1967, S. 411-431).
Polzin, Robert: Notes on the Dating of the Non-Massoretic

Psalms of 11 Q Ps* (HThR 60, 1967, S. 468-476).
Reymond, Philippe: Une nouvelle edition du dictionaire de

Koehler-Baumgartner (ThZ 24, 1968, S. 214-216).
Strugnell, John: Notes on the Text and Metre of Ezekiel the

Tragedian's Exagoge (HThR 60, 1967, S. 449-457).

JUDAICA

Daube, David: Collaboration with Tyranny in Rabbinic Law.

London - New York - Toronto: Oxford University Press 1965.
VII, 104 S. 8° = The Riddell Memorial Lcctures, 37. University
of Newcastle upon Tyne Publications. Lw. 15 s.
Die Fragen um „Bekennen, Taktieren, Verleugnen" haben die
Rabbinen seit den Tagen Alexander Jannais nicht losgelassen.
Daubes Buch behandelt nur einen, allerdings neuralgischen Punkt
innerhalb dieses ganzen Komplexes. Es handelt sich um ein Mate-
ri il, das nur wenige Seiten füllt und über das man bei Billerbeck
(II, 545f.) ganze fünf Zeilen findet, dessen Entschlüsselung jedoch
eine Vielfalt der Betrachtung und Erwägung aufzeigt, die erstaunlich
ist.

Ausgangspunkt der Diskussion ist eine mit der Obrigkeitsfragc
kaum in Zusammenhang stehende Norm, das Verbot, dem Verlangen
nach Auslieferung eines beliebigen Juden aus einer jüdischen
Reisegesellschaft stattzugeben: nicht eine Seele1. Dieser spe-

1 Der Verfasser denkt an Wegelagerer, ohne das Ziel der Aktion näher zu bezeichnen
. Sollte es sich nicht eher um den Versuch, eines Juden für Opferzwecke
habhaft zu werden, handeln?

zielle Fall ist später auf die staatlichen Gewalten ausgedehnt und
anderseits unter dem Zwang der hadrianischen Verfolgung dahin
eingeschränkt worden, dafj dem Begehren an die jüdische Gemeinschaft2
nach Auslieferung eines namentlich Genannten stattzugeben
sei. Wie dies durch ein dazu nur unvollkommen geeignetes Schriftbeispiel
(2. Sam. 20) begründet, daraus eine Zusatznorm erhoben
wurde, die eine Konzession gestattete, wie diese in der nachfolgenden
rabbinischen Erörterung wieder, und zwar in verschiedener
Weise eingeschränkt (S. 28ff.)3, in Frage gestellt (S. 37) und dann
doch wieder bejaht4 wurde, wie die Versuche, eine jüdische Untergerichtsbarkeit
durchzusetzen, hineinspielten (S. 41 ff.; der Verfasser
ist hier zurückhaltend), welchen Ort im talmudischen System
das Problem hatte (es wurde s. v. Heiligkeit abgehandelt), das erhellt
der Verfasser in seinen Ausführungen. - Die Rekonstruktion
eines von der Überlieferung zerstörten Textabschnitts (S. 28 ff.) und
Ausführungen über den Wert von Beispielen für die Anwendung
von Halachot (S. 99f.) sind interessante Nebenfrüchte. - Hinzu
kommt die Erörterung des parallelen Problems der Aufforderung,
eine Frau zur Schändung auszuliefern (S. 69 ff.)"'.

Drei Dinge sind es, die für den Theologen von besonderem
Interesse sind. Einmal legt hier der Verfasser das Paradebeispiel
einer nach allen Seiten ausschreitenden Erklärung eines Einzelabschnittes
vor (ebenso wie er in seiner Abhandlung über die drei
Pforten [Tulane Law Rev. XVIII 1944] das Muster - das einzig vorhandene
! - einer Entschlüsselung der gedanklichen Progression
über einen größeren Zusammenhang hinweg gegeben hatte). Wer
sich mit Rabbinica befafjt, wird es sich angelegen sein lassen, die
Methode der Untersuchung zu studieren.

Sodann behandelt das Buch den Ausschnitt der Obrigkeitsfrage,
von dem aus die Rabbinen, zu Zeiten jedenfalls, diese selbst sahen
und in Verantwortung sehen mufjten. Ginge man in derselben
Weise ein Segment nach dem anderen durch, so würde sich ohne
viel Worte ergeben, wie summarisch, abstrakt und fern der Wirklichkeit
die Diskussion war, die jüngstens um dasselbe Problem geführt
wurde.

Vor allem aber wird das Buch als Kommentar zu Joh. 11, 50 dienen
. Ist doch das dem Kaiphas zugeschriebene Wort das Argument,
mit dem die Rabbinen der hadrianischen Zeit ihre einlenkende Regulative
rechtfertigen. Zuvor waren überhaupt nur J. J. Wettstein
und Ad. Merx (Johannes, S. 298f.) diesen Parallelen nachgegangen.
Die Lage ist freilich kompliziert, insofern die älteste, von Daube
herausgestellte Form der Halacha jede Auslieferung verbietet und
somit für ein dem Kaiphas-Wort analoges Argument keinen Raum
läßt, während anderseits Joh. 11. 50 in einem Rahmen steht, der
ganz offensichtlich midraschartige Erweiterungen (und Verkürzungen
) erfahren hat, so dafj einer Argumentation aus dem Zusammenhang
Grenzen gesetzt sind, ja nicht einmal das Wort selbst a priori
als konstitutives Element in Anspruch genommen werden kann.
Das heifjt: Das Kaiphas-Wort und das in v. 48 b herausgestellte Motiv
der Rücksichtnahme auf die Römer stehen in einer gewissen
Inkongruenz. Nun hat aber der Verfasser (S. 24; vgl. S. 30) darauf
aufmerksam gemacht, dafj die für die Auslieferung angeführte
biblische Begründung an sich nicht ganz pafjt. Sie ist daher samt der
aus ihr gezogenen Folgerung für sich zu nehmen, ist ebenso wie die
Devise, die die Sorge für alle einschärft (Jos. Bell. V § 345 nimmt
darauf Bezug), als ein selbständiges Stück politischer Weisheit anzusehen0
. Als solches könnte es durchaus im 1. Jahrhundert existiert
haben. Der von dem Verfasser herausgearbeitete Überlicferungs-
bestand erfordert dann freilich, die Stelle ganz und gar im jüdischen
Kontext, sei es der historischen Erinnerung, sei es der literarischen
Aufarbeitung zu verstehen, also einen angedeuteten Hinweis
auf einen römischen Prozefj auszuschließen. Es wird damit
wahrscheinlich, daß v. 48b ein eine andere Begründung ersetzender

- Anders steht es mit dem einzelnen, dem jedes Nachgeben verboten ist. Wie
hier die Argumentation bis in den Wortlaut hinein (S. 27) bis in die heutige Zeit
die gleiche geblieben ist. zeigt die von D. Hersting, Die Rettung, Ein zeitgeschichtlicher
Bericht, 1967, S. 99, wiedergegebene Szene.

1 Ist die Abwertung Scheba b. Bichris als .Fremden" nicht auf dem Boden einer
Legende erwachsen, die ihn als Nichtjuden ansieht?

* Am weitesten geht Midr. Koh 9. 18, eine pointenfreudige Erzählung, die auf
Midr Sam. 32 § 3 beruht.

5 Hierzu findet sich eine sehr eigenartige Parallele in den Anschauungen der
marokkanischen Juden (s. E. Carlcbach, Exotische Juden, 1932. S. 42).

6 Ad. Schlatter (Johannes, S. 259) hat weitgehend recht, wenn er eine Situation
voraussetzt, wo nicht nach einer Norm, sondern der Lage entsprechend geurtcilt
wird: .Die Norm ... ist das ouu^cpov1)-