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Ausgabe: | 1968 |
Spalte: | 823-826 |
Kategorie: | Allgemeines |
Autor/Hrsg.: | Bethge, Eberhard |
Titel/Untertitel: | Dietrich Bonhoeffer 1968 |
Rezensent: | Lochmann, Johann Melchior |
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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 11
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Die Leitlinien sind völlig deutlich: Im Mittelpunkt steht die Rechtfertigungslehre
mit ihrem Grundsatzdreiklang: solo Christo - sola
gratia - sola fide, barock anschaulich gemacht durch die unablässig
wiederholte Blut- und Wundentheologie und Inkarnationslehre, die
den Schöpfer und Erlöser in eins sah und die fundamentale Bedeutung
der Geschichte herausstellte.
Diese Züge sind reformatorisch, und es bedeutete viel, daß der
Graf sie im Zeitalter von Pietismus und Aufklärung so nachdrücklich
zur Geltung brachte, wiewohl er ihre Eindruckskraft durch sein
Vokabular von vornherein erheblich schwächte. Die Polemik hat
sich weit mehr an dieses gehalten, weil es die bequemere Angriffsfläche
bot.
Auf der anderen Seite blieb er im Einklang mit dem Zeitgeist
hinter der reformatorischen Aussage zurück. Sein Christomonismus
lief) den lebendigen Schöpferglauben und das unbefangene Schöpfungsverhältnis
Luthers nicht zu Worte kommen. Er verkürzte die
Bedeutung des Gesetzes und polemisierte offen gegen die Unterscheidung
zwischen ihm und dem Evangelium123. Ähnlich wie Karl
Barth galt es ihm nur als dessen Verlängerung etwas; auch er hätte
im Ernstfall die Beziehung beider durch die Umkehr der Reihenfolge
ausgedrückt. Die Polemik des hallischen Pietismus sah hier
im Prinzip richtig124.
"> Ebd. S. 222.
124 Vgl. besonders Johann Jacob Heinold, Die nöthige Verbindung des Gesetzes
und Evangelii, aus unwidersprechlichen Gründen erwiesen, und aus Liebe zur Wahrheit
sowol, als aufrichtiger Begierde, einigen in gegenwärtigen Zeiten darwider
aufkommenden schädlichen Lehr-Arten zu steuren, ans Licht gebracht (mit Vorrede
Damit ging ein gewisser Naturalismus Hand in Hand. Mit dem
gesamten Pietismus war Zinzendorf ein Anwalt des organischen
Denkens; die Wiedergeburt galt beiden als das anthropologische
Urbild für den Heilsvorgang. Darum verkürzte er die Anschauung
von der Sünde, indem er sie einerseits von der allgemeinen
Schwäche der menschlichen Natur und von der Erfahrung der
Schadhaftigkeit der Welt aus zu verstehen suchte, andrerseits von
der Abnahme ihrer tödlichen Bedrohlichkeit wie überhaupt von
ihrem Zurückweichen überzeugt war. Für ihn lautete der Gegensatz
tief bezeichnend nicht: Gesetz und Gnade, sondern: Natur und
Gnade wie für den römischen Katholizismus, und sein Christomonismus
wirkte sich dahin aus, daß er die Natur als eine kümmerliche
Nachahmung der Gnade bewertete125.
Die wirkliche Größe dieser Theologie lag in ihrer Inkarnations-
lehre, die soteriologisch orientiert und immer wieder dahin zugespitzt
, Krippe und Kreuz in einmaliger Weise vereinte und darin
nicht nur Luther und Paul Gerhardt fortführte, sondern in ihrer
wohldurchdachten Aufnahme der theopaschitischen Formel altkirchliche
Tiefe und gesamtchristliche Weite gewann.
von Johann Adam Steinmetz), Halle 1748, daraus besonders S. 56-64 bei Steinmetz
und 43-60 bei Heinold.
125 Einundzwanzig Discurse (s. Anm. 16), S. 178: »Die Natur ist so eine Nachahmung
von der Gnade, und eine schwache Imitation, so schwach, dafj sie der
Gnade gar nicht nachkommen kan, sondern es ist nur so gleichsam, 6 a c i , als
ob sie der Gnade auch etwas absehen und nachmachen wollte. Also ist das Gesetz
in der Natur, und die Ordnung der Natur, eine blosse Imitation, eine schwächliche
Nachahmung vom Gesetz und von der Ordnung im geistlichen Verstände." In diesem
theologischen Sachkreis .Natur und Gnade" gipfelt die Zinzendorfdeutung Leiv
Aalens, a. a. O. (s. Anm. 4), S. 339-354.
ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN
Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe - Christ -
Zeitgenosse. München: Kaiser 1967. 1128 S., 40 Abb. a. Taf.
Beiheft: Ahnentafel, Obersetzungen 31 S. 8°. Kart. DM 42,-; Lw.
DM 46,-.
Diese Monographie schien vorbestimmt, ein theologisches und
literarisches Ereignis zu werden. Von ihrem „Gegenstand" her: In
neuerer ökumenischer Theologiegeschichte findet man kaum eine
andere theologische Existenz, welche sowohl in ihrem persönlichen
Geschick als auch in Ausstrahlung ihres theologischen Wirkens mit
Dietrich Bonhoeffer verglichen werden könnte. Und vom Verfasser
her: Kein anderer konnte dieses Werk mit besseren Voraussetzungen
schreiben als der wohl engste theologische Zeitgenosse und
Freund Bonhoeffers, der Adressat und Herausgeber seiner postumen
Werke, Eberhard Bethge. Diese glückliche Koinzidenz ist an
sich noch keine Garantie der Bedeutung und des Erfolges des Buches
. Gerade die unmittelbare verwandtschaftliche und freundschaftliche
Nähe könnte es doch auch belasten. Der „Nächste" ist
keineswegs ein am besten disponierter Biograph - falls eine Biographie
mehr bedeuten soll als „persönliche Erinnerungen". Eine
gute Biographie - ganz bestimmt gerade eine theologische - erfordert
bei aller Sympathie und Treue dem persönlich Miterlebten
gegenüber auch einen sachlichen und kritischen Abstand, also auch
eine gewisse „Askese" des persönlich beteiligten Erzählers, der sich
selbst verleugnet, um breitere Kontexte und Perspektiven zur Rede
zu bringen.
Es gehört zu den vorbildlichen Seiten dieses Werkes, dafj es
diese Bedingung erfüllt. Der Leser findet keine Spur eines eventuellen
Versuches des Verfassers, sich selbst in den Vordergrund zu
stellen. Der „Ich-Stil" ist überaus selten, der Autor bleibt grundsätzlich
im Hintergrund (fast zu viel, möchte man gelegentlich meinen,
angesichts der nicht nur persönlichen, sondern auch sachlichen Verbundenheit
mit der bezeugten Geschichte!). Das Persönliche wird in
breiterem Zusammenhang integriert, in dem Zusammenhang der
„Sache", vor allem: des theologischen, kirchlichen und gesellschaftlichen
Engagements, von welchem das Leben Dietrich Bonhoeffers
getragen wurde. Der Freund wird zum Zeugen - und gerade auf
diese Weise auch seinem Thema, diesem Leben, wirklich treu.
Bethge hat bereits 1955 (in der „Evangelischen Theologie" 15,
S. 162) im Blick auf den Weg Bonhoeffers formuliert: „Der Bonhoeffer
der zwanziger Jahre hat den Theologen gesagt: ,Euer
Thema ist Kirche!' Der Bonhoeffer der dreißiger Jahre hat der
Kirche gesagt: .Dein Thema ist die Welt!' Und der Bonhoeffer der
vierziger Jahre hat der Welt gesagt: ,Dein Thema, die Verlassenheit
, ist Gottes Thema selbst. . .'" Natürlich ist dieser Satz eine Stilisierung
. Er wird auch in der Monographie nicht einfach wiederholt
. Doch wurde in dieser Formulierung ein bestimmtes Interpretationsmodell
versucht, welches auch den breiten Strom dieser
Biographie noch lenkt und trägt. Das gilt sowohl in bezug auf die
dynamische Sequenz einzelner, zum Teil recht divergierender Stadien
dieses Lebensweges als auch in bezug auf ihre (von einigen
Forschern auch angezweifelte) organische Einheit und „innere Logik
". Beides wird von Bethge belegt und auch den Zweiflern gegenüber
behauptet.
Die drei Stadien von Bonhoeffers Leben werden mit den schlichten
Stichworten charakterisiert, welche den Untertitel des Buches
bilden: Theologe - Christ - Zeitgenosse. Jeder von diesen drei Teilen
wird mit großer Sorgfalt und Umsicht ausgearbeitet. Keine
Zeile von Bonhoeffers Werk - inklusive der Pflichtaufsätze und
Seminararbeiten des Studenten und der Predigten des jungen Vikars
- wird einfach ignoriert, jede nur erreichbare Stimme der
Zeitgenossen wird in Betracht gezogen. Dabei werden auch die breiten
Horizonte der geschichtlichen Umwelt sehr anschaulich geschildert
. Diese Biographie ist zugleich ein bedeutendes Werk deutscher
(und am Rande auch ökumenischer) Theologie-, Kirchen- und politischer
Geschichte. So werden wir im ersten Teile - nach schönen
Kapiteln über den für Bonhoeffer lebenslang so wichtigen Familienkreis
und über seine Jugend - vor allem nach dem Berlin der
zwanziger und dreißiger Jahre geführt. Das geistige Klima theologischer
Fakultät, z. B. im Seminar Adolf von Harnacks, wird vergegenwärtigt
, zugleich aber auch Begegnung mit neuen theologischen
Perspektiven, wie sie vor allem von Karl Barth eröffnet wurden
. Der junge Dozent ist sehr angetan von dieser Theologie und
von diesem Theologen. Dabei hat er präzise Fragen an Barth, vor
allem die folgenschwere: Wie ist von dieser befreienden Theologie
her (in ihrem damaligen Stadium) das konkrete ethische Gebot,
konkrete Akte des Gehorsams in Kirche und Gesellschaft, zu begründen
?
Im zweiten Teil wird die erste „Kehre" Bonhoeffers geschildert:
von der erfolgreich beschrittenen Laufbahn eines akademischen
Theologen zur Predigt und Gemeinde, und dann immer bewußter:
zur Kirche in ihrem Kirchenkampf. Vom ersten Augenblick an steht
er - der Sohn eines bürgerlich-liberalen Hauses mit starken konservativen
Neigungen - am radikalen linken Flügel der Bekennenden
Kirche, wobei die Klarheit nicht nur theologischer, sondern
auch politischer Urteile imponiert. Für diesen Deutschen heißt es